Schlüsselkompetenzen

Bei den Protesten lernen die Studierenden für’s Leben.

in (01.12.2009)
Unbarmherzig hageln seit Tagen die Lobesworte auf die protestierenden StudentInnen und Uni-BesetzerInnen nieder. Nicht mehr Feindbild der bürgerlichen Gesellschaft sind sie, wie noch anno ’68, sondern die neuen VolksheldInnen. Von der „Kronen Zeitung“ bis zu Robert Menasse, (fast) alle finden super, was die Jugend da treibt. Man könnte meinen, dort im Wiener Audimax hätten sich plötzlich die Rauchschwaden über den Trümmern der aufgeklärt-kapitalistischen Neuzeit gelichtet und das gelobte Land sei aufgetaucht. Basisdemokratisch wäre diese Besetzung, antihierarchisch und antisexistisch, dass man es kaum für möglich halten möchte – solches und Ähnliches war immer wieder von den enthusiastisch die Fäuste reckenden Podiumsgästen zu vernehmen. Fast wollte man in solchen Momenten glauben, eine bessere Welt wäre möglich. Und die Damen und Herren RevolutionärInnen früherer Zeiten hätten sich einfach nur zu blöde angestellt.
Außer Frage steht: Die Uni-BesetzerInnen, jede und jeder, die/der an diesem Protest teilhat und hatte, haben Lob und Bewunderung verdient. Eine solche Organisationsstruktur (oder eben Nicht-Struktur) wurde tatsächlich kaum noch für möglich gehalten. Das gelobte Land ist dennoch nicht aufgetaucht. Basisdemokratie ist ein hartes Geschäft, und wenn so viele Menschen auf einen gemeinsamen Nenner kommen wollen, müssen Abstriche gemacht werden. Heimlich, still und leise schleicht sich in solchen Momenten das „System“ wieder ein. Im Kampf um Einigkeit und für fraglos gute Ziele bilden sich schnell wieder die alten „bösen“ Strukturen. Der Wunsch nach Autoritäten wird laut. „Räteregierung“ wird irgendwo gerufen. Im Kleinen bilden sich die Hierarchien bereits. Zu verlockend scheint der Aufbau gewisser Repräsentationsstrukturen, um den Ablauf ökonomischer zu gestalten. Zu verlockend scheint es, den Zweck die Mittel heiligen zu lassen. Neulinge in einer Arbeitsgruppe haben es oft nicht besser als PraktikantInnen in der Privatwirtschaft: Über den großen Zielen vergessen die Alteingesessenen, sie im Kleinen durchzusetzen. Manche sind sich ihres „Wir sind die Guten“ so sicher, dass sie alles kritisch hinterfragen – nur ihr eigenes Verhalten nicht.
Auch das Durchsetzen antisexistischer Praxen verläuft nicht ohne Hindernisse. Von Übergriffen auf Frauen ist zu lesen, von Beleidigungen bis hin zu körperlichen Belästigungen. Manche Frauen betreten das Podium nur noch vermummt, um sich vor Angriffen zu schützen. Feministische Frauen-AGs bilden sich, im Gegenzug werden wütende Rufe nach „Männer-Quoten“ laut. Transpersonen weisen darauf hin, dass man doch jetzt mal aufhören könne, Transpersonen immer gesondert zu erwähnen. Mann/Frau fühle sich auch so angesprochen, und man könne doch jetzt bitteschön anfangen, wichtigere Dinge zu verhandeln.
Ist das Experiment einer schönen neuen Welt, ist der Versuch einer basisdemokratischen, antihierarchischen und antisexistischen Gesellschaft, wie ihn die Uni-BesetzerInnen durchexerzieren, also gescheitert? Im Gegenteil. Er zeigt nur, dass gewisse Strukturen eben verdammt hartnäckig sind. Und er zeigt, dass die perfekte Gesellschaft immer Utopie sein wird. Es ist so, wie die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann 1959 in einer Rede sagte: „Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten.“ Sie gab damit die Parole der sogenannten Richtungsutopie aus. Und genau die verfolgen die unermüdlichen StudentInnen. Sie verlieren ihre Utopie nicht aus den Augen, sie konfrontieren die Realität immer wieder damit. Sexismus gibt es in anderen Bereichen der Gesellschaft nicht seltener oder öfter als hier. Doch hier wird darüber geredet, es werden AGs gegründet, Ursachen erforscht und Lösungen gesucht. Hierarchien entstehen überall, wo Menschen aufeinandertreffen. Die Uni-BesetzerInnen weigern sich dennoch standhaft, sie zu akzeptieren.
Allein dieses Verhalten sollte den PolitikerInnen genügen, um die Forderungen der Protestierenden ernst zu nehmen. Denn die StudentInnen haben dank ihres vermeintlich unökonomischen und nutzlosen Studiums und trotz aller Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt wurden, genau jene Fähigkeiten entwickelt, die diese Gesellschaft dringend braucht: Sie können sehen, denken und reden. Sie können hinschauen, hinterfragen und diskutieren. An einer Bildung zu sparen, die solche Fähigkeiten vermitteln kann, ist reichlich kurzsichtig. Denn so wird das gelobte Land vollends außer Sichtweite geraten.