Mit den ÖH-Wahlen treten wieder Fragen nach Möglichkeiten
studentischer Mitbestimmung und Freiräumen an der Universität in den
Vordergrund. Thomas Reithmayer rekapituliert die Veränderungen
der universitären Bildungsarchitektur und Machtverhältnisse seit dem
zweiten Weltkrieg und fragt nach den Bedingungen kritischen Studierens
an Österreichs Hochschulen.
Universitäten waren und sind Zeit ihrer Existenz herrschaftlich organisierte Institutionen, deren vordringliche Aufgabe darin besteht für die Reproduktion der zentralen Intellektuellen Schichten der jeweils herrschenden Klassen zu sorgen.1 Ihre jeweilige Verfasstheit, ihre Strukturen, ihre soziale Zusammensetzung und sogar ihre Inhalte sind stets nur in Relation zu den jeweiligen ökonomischen Machtverhältnissen zu sehen, jedoch nicht ausschließlich auf diese zurückzuführen. Denn gerade weil es Aufgabe der Universität als zivilgesellschaftlicher Institution ist, gesellschaftliche Machtverhältnisse konsensual abzusichern, war und ist sie seit jeher auch Raum in dem „relativ freie und unabhängige theoretische und politische Diskussionen und Auseinandersetzungen grundsätzlich möglich sind.“2 Dieser Artikel will daher rekonstruieren, wie sich das Feld der Universitäten vor dem Hintergrund neoliberaler Hegemonie in Österreich transformiert hat. Konkret soll gefragt werden ob und in welchem Ausmaß österreichische Universitäten für ihre Studierenden einen Raum darstellen, welcher „Zeit und Gelegenheit für die Pflege und Erprobung der Persönlichkeit, für soziale Experimente und politische Radikalität“ anbietet.3 Sprich inwiefern Räume und Möglichkeiten im Rahmen des Studiums existieren, welche für selbstbestimmte kritisch-wissenschaftliche Tätigkeiten und im Sinne eines emanzipatorischen politischen Projekts, genutzt werden können.
Die österreichische Hochschullandschaft nach 1945
Das kritische Potential an österreichischen Universitäten nach 1945
erholte sich lange nicht von den Folgen der austrofaschistischen und
nationalsozialistischen Herrschaft. Standen die österreichischen
Universitäten, insbesondere die Universität Wien, bereits vor der
Ausschaltung der Demokratie unter maßgeblichem Einfluss von
korporierten katholischen und deutschnationalen Gruppen, so waren
wenigsten einige kritisch-wissenschaftliche Inseln vorhanden.4
Diese wurden jedoch in zwölf Jahren faschistischer Herrschaft
zerschlagen, ihre ProtagonistInnen vertrieben oder ermordet. Nach 1945
versuchten weder Regierung noch Universität die vertriebenen kritischen
WissenschaftlerInnen zurück zu holen. Auch die Entnazifizierung wurde,
abgesehen von einem kurzen Intermezzo unmittelbar nach Kriegsende,
rasch eingestellt, so dass bereits im Studienjahr 1949/50 wieder 44%
aller Lehrenden und 60% der ordentlichen ProfessorInnen schon während
des Nationalsozialismus gelehrt hatten.5
Die Universität selbst wurde von einem Machtgleichgewicht aus dem stets
von der ÖVP kontrollierten Bundesministerium für Unterricht und der im
Rahmen der akademischen Selbstverwaltung allmächtigen
ProfessorInnenkurie gestaltet und verwaltet. Zentrale Schnittstellen
waren die ProfessorInnenkollegien, welche an den Fakultäten
eingerichtet waren, und der akademische Senat, welcher ebenso nur von
den ProfessorInnen beschickt wurde.6
Studentische Freiräume waren wenn dann hauptsächlich durch den elitären
Hintergrund der Studierendenschaft und durch die im Sinne humboldtscher
Bildungsideale gestalteten Studienordnungen gegeben, wenngleich selbst
diese durch die mangelnde Bandbreite an Lehrmeinungen unter den
ProfessorInnen begrenzt war. Doch stellten die Studierenden selbst
lange Zeit ein Paradebeispiel für den konservativ-reaktionären
Background der österreichischen Universitäten dar.
Zwar wurde bereits 1945 mit der Österreichischen HochschülerInnenschaft
(ÖH) eine selbstverwaltete demokratische Studierendenvertretung, welche
durch Pflichtbeiträge finanziert und durch das Hochschülerinnen- und
Hochschülerschaftsgesetz (HSG) unbeeinflusst von
Universitätsverwaltungen und Ministerium bundesweit und lokal arbeiten
kann, geschaffen. Die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der ÖH blieben
aber bis in die 70er Jahre relativ statisch bei mehr als 50 Prozent für
katholisch-konservative Gruppierungen, etwa ein Drittel für den
deutschnationalen und oftmals neonazistischen „Ring Freiheitlicher
Studenten“ und weniger als ein Fünftel für den „Verband Sozialistischer
StudentInnen“ (damals noch Studenten) als einzige dauerhaft vertretene
linke, nicht von Korporationen beeinflusste Gruppe innerhalb der ÖH.7 Der Hochschulzugang war durch diverse Hochschultaxen (z.B. Aufwandsbeitrag, Kollegiengelder etc.)8
eingeschränkt. Bezüglich Stipendien und anderer finanzieller
Unterstützungen existierten keinerlei gesetzliche Regelungen; sofern
überhaupt Mittel hierfür vorgesehen waren, konnten diese von der
Ministerialbürokratie weitgehend freihändig vergeben werden.
Österreichs Universitäten boten kritischen Intellektuellen also
praktisch keinerlei Betätigungsfelder, von der von Alex Demirovic für
Deutschland konstatierten „Eingliederung der kritischen
Gesellschaftstheorie in die Universität“9
nach dem zweiten Weltkrieg war bis in die 70er Jahre in Österreich
nichts zu merken. Kritisch-wissenschaftliche Arbeit passierte, wenn
überhaupt, großteils in direkt von der Sozialdemokratie kontrollierten
Institutionen und Verbänden. Ein Umstand welcher einerseits aufgrund
der grundsätzlichen Widersprüche zwischen kritischer Wissensproduktion
und parteigebundener Realpolitik, andererseits aber auch durch die
pragmatische Wende der Sozialdemokratie, die durch den abnehmenden
Stellenwert theoretischer Fundierung sozialdemokratischer Politik und
die Hinwendung zum Austrokorporatismus gekennzeichnet war, die
Arbeitsbedingungen kritischer Intellektueller zunehmend erschwerte.
Eine besonders augenscheinliche Folge dieser reaktionären Vorherrschaft
im Feld der Wissenschaft war die Unterentwicklung der
Sozialwissenschaften. Diese waren im unmittelbaren Nachkriegsösterreich
quasi nicht vorhanden. Politikwissenschaft existierte gar nicht, die
Soziologie fristete ein Schattendasein, Fächer wie
Kommunikationswissenschaft und Ethnologie waren von den
(post-)nazistischen Eliten bestimmt. Ein erster Anstoß zur Etablierung
der Sozialwissenschaften in Österreich war die Gründung des – nicht
zufällig eben nicht an der Universität angesiedelten – Instituts für
Höhere Studien im Jahr 1963.10
Gleichzeitig betrieb die in ihren Ausmaßen kleine Studierendenbewegung
eifrig Theorieimport aus den Zentren der studentischen Rebellion und
begann die Kritische Theorie zu rezipieren. Dies führte zur paradoxen
Situation, „dass [der positivistische sozialwissenschaftliche]
Mainstream … sich nahezu gleichzeitig mit dessen Kritik etablierte.“11
Ein Umstand welcher dazu führte, dass sich beide in einer merkwürdigen
„Schicksalsgemeinschaft“ wiederfanden, da beide gleichsam überhaupt
erst um Anerkennung im wissenschaftlichen Feld ringen mussten und
hierbei quasi zur Kooperation verdammt waren.
Integration der (kritischen) Sozialwissenschaften
Mit den 1960er Jahren begann eine Phase der Universitätsreformen,
welche das Ziel hatten die österreichische Hochschullandschaft an den
Bedarf des fordistischen Produktionsmodells anzupassen. Erste
Manifestationen dieser Entwicklung waren der Beschluss eines
Studienbeihilfengesetzes 1963, welcher Studierenden unter den
Bedingungen „sozialer Bedürftigkeit“ und eines „günstigen
Studienerfolgs“ einen Rechtsanspruch auf Studienbeihilfe sicherte,
gefolgt vom Allgemeinen Hochschul-Studiengesetz 1966, welches die
zweigliedrige Studienstruktur bestehend aus Diplom- und
Doktoratsstudien implementierte, sowie die Studien- und
Prüfungsordnungen homogenisiert und endgültig gesetzlicher Kontrolle
unterwarf. Diese Maßnahmen erleichterten die Möglichkeit des
Hochschulzugangs zunehmend auch für ArbeiterInnenkinder, tasteten die
Prinzipien der von ProfessorInnen dominierten Ordinarienuniversitäten
jedoch nicht an. Erst mit dem Beginn der sozialdemokratischen
Alleinregierungen ab 1970 dynamisierten sich die Entwicklungen. In
wenigen Jahren wurden alle Hochschultaxen, zumindest für
österreichische StaatsbürgerInnen und diesen gleichgestellte Personen,
abgeschafft, das Stipendiensystem erweitert, eine Reihe von
Ermäßigungen für Studierende geschaffen, sowie die
Universitätsorganisation und die Struktur der ÖH reformiert. Im Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1975 wurden die Organe der
Universität um VertreterInnen der Studierenden und des Mittelbaus
ergänzt. Diese setzten sich auf (über-)fakultärer Ebene im Verhältnis
2:1:1 (ProfessorInnen/Mittelbau/Studierende), auf Ebene der Institute
und Studienrichtungen im Verhältnis 1:1:1 zusammen. 12Die
neuen Gremien entschieden im Bereich der Lehre und Forschung autonom,
während strukturelle, finanzielle und teilweise auch personelle
Kompetenzen dem Ministerium zufielen. Dieser neuen Struktur
entsprechend wurde auch das HSG angepasst. Die ÖH wurde um die Ebenen
der Studienrichtungs- und Institutsvertretungen ergänzt, die
Bundesvertretung fortan direkt gewählt.
Besonders die Schaffung von Kollegialorganen sowie entsprechenden
Vertretungsorganen der ÖH auf Studienrichtungs- und Institutsebene
bedeutete einen immensen Machtzuwachs für die studentische Linke.
Hatten sich doch im Gefolge der 68er-Bewegung autonome Basis- und
Institutsgruppen gebildet, welche die Linken verschiedener Strukturen
sammelten und nun in die Universitätsverwaltung und in die ÖH
integriert wurden. Die ÖH blieb weiterhin konservativ dominiert. Zwar
verlor der RSF beständig an Boden, während der VSStÖ zulegen konnte und
diverse weitere linke Listen zumindest zeitweise und lokal eine
relevante Größenordnung erreichten, doch die Konservativen sicherten
sich durch die Diversifizierung ihrer Listen ihre Dominanz (von
linkskatholisch, bis monarchistisch). 13Es
gelang der Linken aber einzelne Studienrichtungen zu „erobern“ und in
diesen konkret in Berufungsprozesse, Lehrangebot und Studienpläne zu
intervenieren und somit studentische Freiräume zu schaffen.
Aufgrund der geringen Anzahl an SozialwissenschaftlerInnen und der
großen Nachfrage an den neu eingerichteten sozialwissenschaftlichen
Instituten und in der staatlichen Verwaltung (insbesondere in diversen
Ministerien), kam es zur raschen Integration großer Teile der jungen
(kritischen) SozialwissenschaftlerInnen und vieler ProtagonistInnen der
Studierendenbewegung in das sozialdemokratische Modernisierungsprojekt
der 70er Jahre. 14
Diese Integration vergrößerte zwar die Arbeits- und
Einflussmöglichkeiten kritischer Wissenschaften enorm, alleine durch
die intakte Kommunikationsbasis zu den politischen
EntscheidungsträgerInnen, zeigte jedoch ebenso Effekte des
„Transformismo“, sprich der Integration kritischer Intellektueller in
den herrschenden Machtblock. 15
Trotz oder gerade wegen dieser Ambivalenzen gelang es in einigen
Teilbereichen nachhaltige Erfolge zu erzielen. So konnte zum Beispiel
Frauen- und Geschlechterforschung in vielen Disziplinen verankert
werden und es gelang eine für österreichische Verhältnisse
ausgesprochen kritische Politikwissenschaft zu etablieren. 16
Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass die Universitätsreformen der
70er Jahre die Möglichkeit eines kritischen Universitätsstudiums
überhaupt erst ermöglichten, indem die Vorherrschaft postnazistischer
und konservativer Eliten an den Universitäten zumindest in
Teilbereichen gebrochen wurde. Dies geschah unter anderem durch die
Schaffung neuer (sozialwissenschaftlicher) Studiengänge und die
Berufung der ersten Generation kritischer (Sozial-)WissenschafterInnen
an die neuen Institute. Mit dem freien und offenen Hochschulzugang,
wurden Studierende ansatzweise in die ökonomische Lage versetzt, ihr
Studium an individuellen Erkenntnisinteressen zu orientieren. Durch den
Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Studierenden und des Mittelbaus,
sowie dem Ausbau der ÖH, wurde kritischen Studierenden die Möglichkeit
gegeben in „linken“ Studienrichtungen direkt in die Lehre und Forschung
zu intervenieren. Wichtig waren auch die neuen finanziellen Ressourcen
für selbstbestimmte Projekte und nicht zu vergessen, dass den
FunktionsträgerInnen selbst zusätzliche individuelle Spielräume
eingeräumt wurden (Aufwandsentschädigungen, Minderung der Freien
Wahlfächer, zusätzliche Toleranzsemester für Beihilfen).
Neoliberalisierung
Doch produzierte diese Reformphase auch neue Widersprüche. So kämpften
Generationen an kritischen Studierenden in den universitären Gremien
gegen die weiterhin dominante ProfessorInnenkurie. 17
Ein Kampf welcher zwar durchaus Erfolge zeigte, gleichzeitig jedoch auf
Kosten dauerhafter studentischer Projekte und der Organisation der
Studierenden an der „Basis“ ging. 18
Der Stellungskrieg in den Gremien zwischen diversen Kurien und
Fraktionen brachte den Selbstverwaltungsorganen den Ruf der
Innovationsfeindlichkeit, Ineffizienz und der Klientelpolitik ein.
Kritische Studierende fanden durch ihre Integration in die
Universitätsorganisation ein Feld vor, in dem sich mit großem Aufwand
meist trotzdem nur minimale Erfolge erreichen ließen. Die Energie, bzw.
in weiterer Folge auch die Motivation sich effektiv in
gesamtgesellschaftlichen Kämpfen zu involvieren, ging dadurch häufig
verloren. Gleichzeitig hielt die finanzielle, personelle und
infrastrukturelle Ausstattung der Universitäten nicht Schritt mit dem
rasanten Anwachsen der Studierendenzahlen, wodurch die Universitäten
und ihre Organe zur chronischen Mängelwirtschaft verdammt waren. Diese
Widersprüche stellten schließlich zentrale Anknüpfungspunkte für die
neoliberale Intervention an den Hochschulen dar. Denn mit der ebenfalls
in den 70er Jahren beginnenden Transformation des Kapitalismus hin zur
hochtechnologischen Produktionsweise wurde die Gruppenuniversität
zunehmend dysfunktional für die Konkurrenzfähigkeit im globalen
Standortwettbewerb. Mit der Marginalisierung klassisch tayloristischer
Arbeitsorganisation zugunsten von Arbeitsweisen, welche die Autonomie
der Beschäftigten verlangen und auf deren Produktionsintelligenz
setzen, kommen auf die Arbeitskräfte und deren Ausbildung neue
Anforderungen zu, welche in den Vorstellungen des gesellschaftlich
dominanten Machtblocks „das flexible und marktgängige Lernsubjekt
[er]forder[n].“ 19
Schließlich wird die Aufgabe der Hochschule insofern umgedeutet, dass
ihr Ziel nunmehr darin bestehen soll „alle Potenziale und Talente
auszuschöpfen, um den Innovationsstandort zu stärken.“ 20Doch
kann das neoliberale Projekt des Umbaus der Hochschulen nur in seiner
ganzen Dimension erfasst werden, wenn es auch als politisches Projekt
verstanden wird, welches einzelne von oppositionellen und dissidenten
Bewegungen formulierte Kritikpunkte aufgreift und in ver-rückter Weise
integriert, sei es nun durch Gender Mainstreaming, lebenslanges Lernen oder den scheinbar endgültigen Schlussstrich unter die Humboldt‘schen Bildungsideale.
Diese Intervention war jedoch lange Zeit im internationalen Vergleich
wenig wirkmächtig, wurde sie doch durch die (neo-)korporatistische
Politik der zweiten Phase großer Koalitionen (1986-1999) gebremst.
Dennoch kam es bereits in der Novelle des
Universitätsorganisationsgesetzes von 1993 zur Implementierung von
„Elementen des Universitätsmanagements“. 21
So wurden die LeiterInnen von Organisationseinheiten (RektorInnen,
[Studien-]DekanInnen, InstitutsvorständInnen) mit von den
Kollegialorganen autonomen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet,
teilweise Top-Down Strukturen implementiert und die Einbringung von
Drittmitteln erleichtert.22 Im Zuge des Sparpaketes 1996 wurden den
Studierenden eine Reihe von Rechten gestrichen (Abschaffung der
Studierendenfreifahrt, Erbringung eines Leistungsnachweises für die
Familienbeihilfe) wodurch die ökonomische Situation der Studierenden
zunehmend prekärer wurde. Doch sollte dies alles erst ein Vorgeschmack
auf jene Änderungen sein, welche im Zuge des schwarz-blauen
Regierungsantritts im Jahr 2000 auf die Universitäten zukommen sollten.
Österreichs Universitäten seit der schwarzblauen Wende
Der Regierungswechsel im Jahr 2000 stellte einen ähnlichen Einschnitt
in die Entwicklung Österreichischer Universitäten dar wie jener des
Jahres 1970. Wurde damals versucht das Hochschulwesen binnen weniger
Jahre in Form einer nachholenden Modernisierung an das vorherrschende
fordistische Produktionsparadigma anzupassen, war man nun bestrebt, die
in den 90er Jahren begonnene Ausrichtung des universitären
Bildungswesens auf die Prinzipien der „standortgerechten
Dienstleistungshochschule“ so rasch wie möglich umzusetzen. 23Dementsprechend
wurde in nur sechs Jahren der freie und offene Hochschulzugang
weitgehend demontiert und das Hochschulwesen drastisch verändert. Diese
Veränderungen, welche in ihrer Intention auch in Zeiten einer
erneuerten SPÖVP Koalition nahtlos fortgesetzt wurden, sollen im
Folgenden skizziert werden.
Verbetriebswirtschaftlichung der Bildungseinrichtungen
Die im Neoliberalismus angestrebte Ökonomisierung von Bildung vollzieht
sich (zumindest noch) nicht in Form einer formalen Privatisierung von
Bildungseinrichtungen, sondern vielmehr durch eine Umgestaltung ihrer
Binnenstruktur nach den Prinzipien des New Public Management.
Zentraler Hebel dieser Neustrukturierung besonders im Falle der
Universitäten ist eine Änderung des Systems der Finanzierung. Anstatt
die Finanzierung an der Nachfrage der Studierenden zu orientieren,
werden nun die Mittel nach leistungsorientierten Zielvereinbarungen
vergeben. 24Die
Maßstäbe zur Mittelzuteilung werden in Verträgen zwischen Universitäten
und dem Ministerium festgelegt, wobei davon auszugehen ist, dass die
Entscheidungsträger über die Vergabe der Mittel eine immanent bessere
Verhandlungsposition innehaben. Die einzelnen Parameter der
Vereinbarungen (bspw. Anzahl an Publikationen, Abschlüssen, Drittmittel
oder auch Position in diversen Rankings) müssen mittels Controlling
ständig geprüft, evaluiert und die Mittelvergabe muss dementsprechend
angepasst werden. Nicht nur die Universitäten finden sich also in einem
künstlich geschaffenen Wettbewerb wieder, sondern auch die einzelnen
Fakultäten, Studienrichtungen und Institute, welche, um die nötigen
Gelder für Forschung und Lehre zu erhalten, ständig nachweisen müssen,
dass sie einen Beitrag zur Zielerreichung leisten. Wenn jedoch die
Aufgabe der Universitäten und ihrer Einrichtungen nur mehr das
schlichte Erfüllen von Zielvorgaben ist, welche schlussendlich durch
die Wissenschaftsministerien definiert werden, ist demokratische
Selbstverwaltung vor allem eines: ineffizient. Vielmehr brauche es
starke Führungsgremien, Aufsichts- und Evaluationsstellen. Doch die
Einführung der vermeintlich vollkommenen Autonomie bedeutet bei weitem
nicht das Ende staatlichen Einflusses, vielmehr ist das Ziel, die
Universitäten in „eine sich selbst tragende Prozessdynamik zu
überführen, welche nicht mehr permanenter staatlicher Intervention
bedarf.“ 25Dieser Ansatz materialisierte sich im Universitätsgesetz 2002 (UG02). 26 Dessen erster Gestaltungsvorschlag gab die Devise aus „autonome, unternehmerisch agierende Universitäten“ zu verwirklichen. 27
Das UG02 entlässt die Universitäten in die Vollrechtsfähigkeit, die
zentralen Kompetenzen werden weitgehend im Rektorat konzentriert. Wurde
der/die RektorIn selbst zuvor auf Vorschlag des Senates von der
viertelparitätisch verfassten Universitätsversammlung gewählt,
übernimmt diese Aufgabe nun der neu geschaffene Universitätsrat. Dieses
den Aufsichtsräten in der Wirtschaft nachempfundene Gremium, welches
sich zur Hälfte aus vom Senat, bzw. von der Regierung ausgewählten
universitätsexternen Mitgliedern zusammensetzt, wählt nun aus einem
Dreiervorschlag des Senats den/die RektorIn.
Statt der bisherigen vier-Ebenen-Struktur (Universität, Fakultät,
Institut, Studienrichtung) wurde eine zwei-Ebenen-Struktur
implementiert. Die LeiterInnen der Organisationseinheiten werden nicht
von einem Kollegialorgan gewählt, sondern, ebenso wie beispielsweise
Berufungen, direkt vom Rektorat bestellt. Ebenso können die neuen
Organisationseinheiten nicht mehr autonom die Studienpläne bestimmen,
diese Kompetenz wandert in eine einzige (!) vom Senat eingerichtete
Curricularkomission. Auch studienrechtliche Anliegen werden nun in
erster Instanz zentral von einem direkt vom Rektorat ernannten
studienrechtlichen Organ (an der Universität Wien: Studienpräses)
entschieden, in zweiter Instanz entscheidet der Senat.
Allgemein gesprochen wird durch das Universitätsgesetz 2002
studentische Mitbestimmung auf den Senat beschränkt, welcher selber um
zentrale Kompetenzen beschnitten wird und lediglich um Belange
aufgewertet, welche bisher von anderen Kollegialorganen geregelt
wurden. Im Senat selbst wird die ProfessorInnenkurie aufgewertet, da
sie nun statt fünfzig 51% aller Senatsmitglieder stellt und damit ohne
Rücksicht auf andere Kurien Entscheidungen alleine treff en kann.
Allgemein gesprochen ist „eine vertikale Polarisierung zwischen
Management und Universitätsangehörigen“ zu konstatieren, welche dem
Management die direkte Möglichkeit zum Eingriff, auch in die
inhaltliche Ausgestaltung von Forschung und insbesondere Lehre an den
einzelnen Instituten und Fakultäten gibt. Durch die hierarchische
Struktur und die Umstellung der Finanzierung verschlechtern sich die
Realisierungsmöglichkeiten kritischer universitärer Projekte drastisch,
da sie nur dann eine Chance haben, wenn sie marktgerecht zugeschnitten
werden oder zumindest diesen Anschein erwecken können. Studierende, die
in den Studienkommissionen sowie den Institutskonferenzen
gleichberechtigt zur ProfessorInnenkurie und zum Mittelbau Einfluss auf
Studienpläne, Lehrangebot, Berufungen und Anrechnungen nehmen konnten,
sind nun entweder dem Rektorat, dem Studienpräses oder dem von den
ProfessorInnen dominierten Senat ausgeliefert und haben keinerlei
effektive Interventionsmöglichkeiten, selbst wenn sie sich an einzelnen
Instituten mit den dortigen Lehrenden abstimmen. Organe wie die
Studienkommission auf Institutsebene existieren zwar weiterhin, haben
aber nur noch beratende Funktion.
Es scheint logisch, dass eine Universität, welche als
Dienstleistungsunternehmen konzipiert ist „Bildung (…) in Ware
umwandelt und als ‚knappes Gut‘ konstituiert“. 28
Dementsprechend beschloss die Bundesregierung bereits im September 2000
die Einführung von Studiengebühren im Umfang von 363,36€ für
EWR-BürgerInnen, bzw. 726,72€ für Nicht-EWR-BürgerInnen ab dem
Wintersemester 2001/2002. Von den Gebühren befreit waren lediglich
Konventionsflüchtlinge und Menschen mit Behinderung, BezieherInnen von
Studienbeihilfe bekamen sie rückerstattet. Die Einnahmen flossen den
Universitätsbudgets direkt zu, jedoch wurden die Budgets an anderen
Stellen gekürzt, so dass die Universitäten keine zusätzlichen Einnahmen
lukrieren konnten. 29
Die Folgen der Studiengebühren waren verheerend; die Zahl der
Studierenden sank auf den tiefsten Wert seit 1990, der Anteil
erwerbstätiger Studierender stieg von 49,4% (1998) auf 66,5% (2002).
Der Anteil an ArbeiterInnenkindern sank im Zuge des Sparpakets und der
Studiengebühren-Einführung sogar unter den Anteil des Jahres 1970/1971.
30 „Die Universität wird aufgrund der zu zahlenden Studienbeiträge deutlicher als Dienstleistungsorganisation wahrgenommen.“ 31
Durch die Einführung der Studiengebühren und die vorhergehenden
Sparmaßnahmen in den 90ern wurde die Möglichkeit eines selbstbestimmten
Studiums massiv eingeschränkt. Die Studierenden werden diskursiv und
durch die obig erwähnten Maßnahmen vermehrt in die Rolle von Kunden und
Kundinnen gedrängt, welche zielgerichtet die Ware (Hochschul-) Bildung
konsumieren und auf ein baldiges „Return of investment“ hoff en müssen.
Durch die verstärkt notwendige Erwerbstätigkeit wird der
Lebensmittelpunkt der Studierenden aus der Universität hinaus verlagert.
Bologna-Prozess und Modularisierung
Die Ausrichtung der Universitäten auf marktwirtschaftliche Prinzipien
geht auch mit einer Veränderung der Organisation der Lehre einher. Die
Eckpunkte dieser Neustrukturierung werden vor allem unter dem
Schlagwort „Bologna-Studienarchitektur“ diskutiert. Mit dem
Bologna-Prozess 32
hat die bereits im Rahmen der Bildungsreform der 70er Jahre begonnene
Strukturierung und Modularisierung der Studienpläne einen neuen
Höhepunkt erreicht. Die zu absolvierenden Leistungen sind nicht mehr
„über formale Zeiteinheiten (Wochenstunden), sondern durch komplexe
Lernziele in thematisch abgeschlossenen Einheiten (ECTS) definiert. Die
so genannten Module sollen miteinander kombinierbar und lebenslang
akkumulierbar sein.“ 33
Dabei kann der Bachelor-Abschluss als gehobener „general intellect“
interpretiert werden, während die erst zum eigenständigen
wissenschaftlichen Arbeiten qualifizierenden Abschlüsse Master bzw. PhD
die elitenbildende Funktion der Universität gewährleisten soll. 34
Die Möglichkeit zur Einrichtung eines drei-zyklischen Studiums
(Bachelor/Master/PhD) wurde bereits mit einer Novelle des
Universitätsstudiengesetz aus dem Jahre 1999 geschaffen. Im
Universitätsgesetz 2002 wird bezüglich der Umstellung relativ wenig
geregelt, so dürfen Studien zwar nur mehr als Bakkalaureats- und
Magisterstudien neu eingerichtet werden, davon ausgenommen sind jedoch
all jene Studien welche bereits im UniStg Erwähnung fanden. Die
Triebfeder der Anpassung an die dreigliedrige Struktur stellten
vielmehr die Leistungsvereinbarungen dar. So verpflichtete sich die
Universität Wien beispielsweise bis 2009 90% aller Studienangebote als
Bachelor- und Masterstudien anzubieten, ebenso wurde zur Steigerung der
„employability“ die Einführung so genannter Erweiterungscurricula
anstelle der „Freien Wahlfächer“ vereinbart. Erweiterungscurricula sind
Module, welche von bestimmten Studienrichtungen für Studierende anderer
Studienrichtungen angeboten werden. Sie bestehen aus einer festgelegten
Anzahl bestimmter Lehrveranstaltungen im Umfang von 15 oder 30
ECTS-Punkten. Dies stellt einen massiven Einschnitt in die autonomen
Studiengestaltungsmöglichkeiten der Studierenden dar, konnten diese
doch bis zu 50% ihrer Lehrveranstaltungen im Rahmen der „Freien
Wahlfächer“ absolvieren. 35
Diese ermöglichten entweder gänzlich oder bei Fachverwandtschaft mit
dem jeweiligen Studium aus dem gesamten Lehrangebot in- und
ausländischer Universitäten frei zu wählen. Im Gegensatz dazu müssen
Erweiterungscurricula quasi als Mini-Studienpläne vom Senat beschlossen
werden, sie umfassen eine bestimmte Anzahl festgelegter
Lehrveranstaltungen, sie müssen einem bestimmten Studienprogramm
zugewiesen werden und dürfen von Studierenden des jeweiligen
Hauptstudiums nicht absolviert werden. 36
Ebenso entfällt weitgehend die Möglichkeit zur Anfertigung eigener
wissenschaftlicher Arbeiten im Rahmen von Lehrveranstaltungen anderer
Studien, da Erweiterungscurricula hauptsächlich aus
nicht-prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen, also Vorlesungen,
bestehen. Weiters wurden die Bologna-Curricula dazu genutzt,
Sequenzierungen 37
weiter auszubauen und kritische Inhalte zu eliminieren. Die
Verschulungstendenzen vollziehen sich neben der Einschränkung freier
Wahlmöglichkeiten und Sequenzierungen vor allem auch diskursiv. Ein
Umstand welcher die Studierenden dazu veranlasst sich als in Jahrgängen
befindlich zu begreifen und „zielorientiert“ lediglich den Abschluss
durch das Studium zu erstreben. Eine Haltung welche auch durch die
Kritik am Bologna-Prozesses mithervorgerufen wird, welche den Eindruck
von Bachelorstudierenden bestärkt, sich lediglich in einem
sinnentleerten Schmalspurstudium zu befinden, anstatt verbliebene
Freiräume zu suchen, auszufüllen und nach Formen zu suchen, neue zu
schaff en.
Im Rahmen der europäischen Bildungsstrategie des „Lebenslangen Lernens“
stellen einzelne universitäre Abschlüsse nicht das Ende der
Bildungslaufbahn dar, sondern man soll sich die einzelnen
Bildungs-Häppchen ganz nach den zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen
Anforderungen an das individuelle Humankapital in eigener Verantwortung
aneignen. Dementsprechend sind auch Zugangsbeschränkungen
gerechtfertigt, da diese lediglich eine Hilfestellung im Sinne der
Studierenden darstellen, zu erkennen, in welchen Studiengängen die
eigene Verwertbarkeit gesteigert werden kann und in welchen keinerlei
Exzellenz zu erreichen ist, bzw. die vorherrschende vermeintliche
Überbelegung adäquate Job-Aussichten verunmöglicht.
Offener Hochschulzugang?
Doch blieb der offene Hochschulzugang für Studierende mit
österreichischem Reifezeugnis, abseits der bereits erwähnten
Sequenzierungen, relativ lange erhalten. Studierende mit
nicht-österreichischem Reifezeugnis mussten jedoch, um für Studien in
Österreich zugelassen zu werden, einen Studienplatz im selben Fach aus
dem Herkunftsland nachweisen. Diese Regelung veranlasste schließlich
deutsche Studierende auf Basis des Diskriminierungsverbots Klage beim
Europäischen Gerichtshof einzureichen. Nach einem zehn Jahre
andauernden Prozess wurde schließlich am 7. Juli 2005 die
österreichische Regelung als EU-rechtswidrig erklärt, daraufhin
brachten die damaligen Regierungsparteien bereits am nächsten Tag (!)
einen Antrag ein, um dem UG02 den Paragraphen 124b hinzuzufügen,
welcher besagt, dass in allen in Deutschland numerus clausus-beschränkten
Studien Zulassungsverfahren vor der Aufnahme oder Auswahlverfahren im
Rahmen der Studieneingangsphase erlaubt sind.
Im September 2008 wurde daraufhin, auf Initiative der SPÖ. FPÖ und der
Grünen der Antrag gestellt, dass der §124b mit 30. Juni 2009 außer
Kraft tritt. Doch bereits 3 Monate später findet sich im
Regierungsprogramm der erneuerten SPÖVP Koalition folgendes:
„Verpflichtende positive Absolvierung einer flexiblen Studieneingangs-
und Orientierungsphase, die einen Querschnitt des im Fachbereich zu
erwartenden Stoff s vermittelt, in allen Diplom und Bachelorstudien,
deren Zulassung nicht besonders gesetzlich geregelt ist. Für den Zugang
zum Masterstudium soll den Universitäten die Möglichkeit zur autonomen
Gestaltung nach qualitativen Gesichtspunkten zukommen … Im Bereich der
PhD-Studienprogramme sollen autonome, leistungsorientierte
Auswahlverfahren durch die Universitäten erfolgen können.“ 38
Dies klingt nach einer weitgehenden Verschärfung der Situation von vor
dem September 2008, die Möglichkeit mittels Sequenzierungen den Zugang
einzuschränken wird zur Pflicht, nur wird das Festlegen der Höhe der
Hürde in die Hände der Curricularkomissionen, respektive der
PrüferInnen in der Studieneingangsphase gelegt. Auch die Möglichkeit
der Beschränkung des Master- und PhDZugangs wird den Universitäten
überantwortet, wodurch es vermutlich entweder zu flächendeckenden
Beschränkungen dieser Abschlüsse oder einer weiteren Ausdifferenzierung
der Hochschullandschaft zwischen Elite- und Massenuniversitäten, bzw.
auch Elite- und Massenstudiengängen kommen wird.
Studentischer Widerstand in Zeiten universitären Wandels
Gegen den neoliberalen Umbau der Universität protestierten die
Studierenden anfangs massiv. Besonders vor dem Hintergrund der
Einführung von Studiengebühren kam es zu wochenlangen Protesten, an
deren Höhepunkt bis zu 70.000 Menschen auf die Straße gingen. Im Zuge
dessen gelang es erstmals eine linke Mehrheit innerhalb der
ÖH-Bundesvertretung dauerhaft zu etablieren. Die linke Bundesexekutive,
bzw. die sich drastisch vergrößernde Anzahl linker Universitäts-,
Fakultäts- und Studienvertretungen startete neben dem Abwehrkampf gegen
die Universitätsreformen Initiativen vor allem gegen
Bildungsökonomisierung, gegen die Kontinuität nazistischen Gedankenguts
an den Universitäten und für Frauenfreiräume und feministische Politik
und Wissenschaft in der ÖH und den Universitäten. Ebenfalls konnte sich
die ÖH in unzählige außeruniversitäre Projekte sozialer Bewegungen u.a.
mit ihren beträchtlichen finanziellen Mitteln einbringen und dadurch
deren Existenz sichern. Die Reformen der Regierung konnte sie trotz
breiter Protestbewegungen, bis auf kleine und kleinste Konzessionen
jedoch nicht verhindern.
Dieser Widerstand dürfte jedoch ausreichend gewesen sein, um mittels
Reform des Wahlrechts abgestraft zu werden. Am Abend des 11. November
2004 stellten die Wissenschaftssprecherinnen von ÖVP und FPÖ im
Nationalrat unangekündigt einen Initiativantrag zur Änderung des HSG.
Das Ziel die ÖH umzufärben, die linke Bundesvertretung zu schwächen und
ihr die Zähne zu ziehen, war dabei unschwer zu durchschauen. Einerseits
wurde das Budget der Bundes- zugunsten der Universitätsvertretungen
drastisch gekürzt und weiters die Direktwahl der Bundesvertretung
abgeschafft und durch ein Delegations-Prinzip der
Universitätsvertretungen ersetzt, in dem kleine Universitäten, welche
oftmals konservativ oder unpolitisch geprägt sind, überproportional
vertreten sind. 39
Ebenfalls wurde die Direktwahl der Fakultätsvertretungen abgeschafft
und es wurde generell den jeweiligen Universitätsvertretungen
überlassen, ob diese überhaupt eingerichtet werden oder nicht. Die
Studienvertretungen werden zu Gunsten der Fakultätsvertretungen
finanziell aufgewertet, erhalten sie nun doch mehr als ein Viertel der
Studienbeiträge. 40
Zur Überraschung aller ging jedoch der Plan, die ÖH-Bundesvertretung
umzufärben, zumindest vorläufig nicht auf. Generell konnten die linken
Fraktionen durch eine konsequente Wahlkampagne, welche das neue Gesetz
in den Mittelpunkt stellte, mehr als 6% zulegen und den drohenden
konservativen Backslash vorläufig abwehren, doch sollten sich die
Auswirkungen des neuen HSG erst zeigen. Denn durch die Abwertung der
Direktwahl der Fakultätsvertretungen hörten diese faktisch auf zu
existieren, nahmen sie vorher eine Koordinationstätigkeit der
Studienvertretungen ein, verfügten über eigene Angestellte, nahmen ein
allgemeinpolitisches Mandat wahr und stellten Ressourcen für kritische
Forschungszusammenhänge von Studierenden zur Verfügung, waren sie nun
weitgehend mittellos, bereits durch das UG 02 um die
Mitbestimmungsrechte beschnitten und nun nicht einmal mehr direkt
gewählt. Dies schadete nicht nur der Vernetzung zwischen (kritischen)
Studienvertretungen untereinander, sondern auch den
Universitätsvertretungen, was der Durchschlagskraft kritischer
Studierendenvertretung nicht gerade zuträglich war. In der
Bundesvertretung musste mit hohem personellen Aufwand Mängelverwaltung
betrieben werden. Generell konnte das personelle Wachstum der linken
Studierendenorganisationen nicht mit der wachsenden Anzahl von
errungenen Funktionen und Arbeitsbereichen mithalten. Linke
Studierendenorganisationen wandelten sich dadurch teilweise zu bloßen
Rekrutierungsorganen der einzelnen ÖH-Strukturen. Diese wurden jedoch
stetig in ihren Rechten und Möglichkeiten beschnitten, die Linken
innerhalb der ÖH waren ständig gezwungen auf weitere Verschlechterungen
zu reagieren, wobei ihr Protest aufgrund der vorherrschenden
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse erschwert wurde und oft
wirkungslos blieb. Dabei kam noch erschwerend hinzu, dass die
AktivistInnen als oftmalige MultifunktionärInnen auf mehreren Kirtagen
gleichzeitig tanzen mussten und somit weder Zeit noch Muße für
Aktivitäten abseits von Abwehrkämpfen und Strukturerhaltung zur
Verfügung hatten.
Im Zuge der ÖH-Wahl 2007 ging die linke Mehrheit schließlich verloren
und die konservative Aktionsgemeinschaft (AG) konnte die relative
Mehrheit zurückerobern. Zwar wurde seitens der linken Fraktionen
versucht, durch eine Koalition mit den äußerst heterogenen und
politisch indifferenten Fachschaftslisten, den linken Einfluss auf die
Bundesvertretung zu erhalten, doch zerbrach dieses Experiment bereits
nach einem Jahr. Seither befindet sich die AG in einer
Minderheitsexekutive. Im Zuge der ÖH-Wahl 2007 verloren auch die
meisten linken Universitätsvertretungen ihre Mehrheit, bzw. zerfielen
aufgrund arbeitstechnischer Differenzen.
Somit sind die Ressourcen für kritische studentische Projekte begrenzt
wie schon lange nicht mehr. Keinerlei Interventionsmöglichkeiten im
Universitätsbetrieb, marktförmige Restrukturierung der Studien,
Erwerbstätigkeit und Zugangsbeschränkungen schließen begrenzte aber
zumindest bewährte Freiräume. Der konservative Backslash in der ÖH
nimmt weitere Ressourcen und bringt die Linke auch in diesem Feld in
eine aufwendige Defensivposition. UG02 und HSG-Novelle befreiten viele
unfreiwillig davon, in schließlich trotzdem durch gesellschaftliche
Machtverhältnisse strukturierten Bahnen zu laufen, in denen der Weg oft
nur marginal bestimmbar war. Neue Technologien erleichtern die
Vernetzung und Aktionsfähigkeit jenseits staatlicher Institutionen, es
kommt zur Herausbildung einer netzwerkartigen, postdisziplinären und
nomadischen Kritikpraxis 41,
welche trotz ihrer Widersprüche neue Perspektiven eröffnet die es
auszufüllen gilt. Diese Perspektiven werden wohl vorerst mehr um die
Universität als in ihr vonstattengehen, doch gerade deshalb bedarf es
einer strategischen Neupositionierung, welche danach trachtet, jene
universitären Kanäle auszumachen, die Interventionsmöglichkeiten bieten
um diese Entwicklungen zu begünstigen. Defensivkämpfe und altbekannte
Strategien werden sicher nicht ausreichen. Einem breiten universitären
Projekt fehlt es zugleich aber noch an inhaltlicher Schärfe und
Vernetzung mit gesamtgesellschaftlichen Initiativen.
Anmerkungen
1 Begonnen bei Schriftgelehrten, KlerikerInnen und BeamtInnen, bis hin zu den BeraterInnen, PsychologInnen und BetriebswirtschaferInnen heutiger Tage.
2 Hirsch, Joachim: Die Universität: Elfenbeinturm, Wissensfabrik oder Ort kritischer Theoriebildung, in: Brüchert, Oliver/Wagner, Alexander (Hg.): Kritische Wissenschaft, Emanzipation und die Entwicklung der Hochschulen. Marburg 2007, S. 244
3 Steinert, Heinz: Die Universität als Ort von Kritischer Theorie?, in: Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 19
4 Hier wären u. a. der erste Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung Carl Grünberg, welcher bereits um 1900 einen Lehrstuhl in politischer Ökonomie an der Universität Wien innehatte, Max Adler, der erste (außerordentliche) Professor für Soziologie, oder die Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle, in der Marie Jahoda und Paul Lazersfeld arbeiteten, zu nennen.
5 Vgl. Bruckner, Christian: 60 Jahre ÖH, S. 13, online unter: http://www.oeh.ac.at/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/60_Jahre.pdf
6 Vgl. Hochschul-Organisationsgesetz; in BGBl. Nr. 154/1955
7 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 52
8 Vgl. Hochschultaxengesetz; in BGBl. Nr. 102/1953
9 Vgl. Demirovic, Alex: Kritische Gesellschaftstheorie und ihre Bildungsbedingungen im fordistischen und postfordistischen Kapitalismus; in Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 69
10 Dieses wurde im Auftrag der Ford Foundation von Paul Lazersfeld aufgebaut und umfasste erstmals postgraduale Lehrgänge in modernen Sozialwissenschaften (Ökonomie, Soziologie, Politikwissenschaft) anbot. Vgl. König, Thomas/Kreisky, Eva: Bedingungen kritischer Wissenschaft in Österreich; in Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 117
11 Ebd., S. 118
12 Pasqualoni, Pier-Paolo: Österreichische Universitäten im Spiegel der Geschichte. Fallstricke einer Reform der Reform, in: Paolo Freire Zentrum/Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.): Ökonomisierung der Bildung, Wien 2005, S. 107
13 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 52, bzw. Foltin, Robert: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Wien 2004, S. 73ff .
14 Vgl. König/Kreisky, a.a.O., S. 118
15 Zum Begriff des Transformismo vgl. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, Hamburg 1991ff , S. 966
16 Vgl. König/Kreisky, a.a.O., S. 125ff .
17 Welche de jure in den akademischen Senaten sowie den Fakultätskonferenzen eine zentrale Position einnahmen (50%) und de facto auch in den unter-fakultären Gremien ihre Macht mittels Erfahrung, Netzwerken, Informationsvorsprung usw. aufrecht erhielten.
18 Hierzu bemerkte die Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien im Jahre 1980, dass: „(…) die Aktivisten, die früher in den Lehrveranstaltungen, an den Instituten usw. häufig zu finden waren, sich in der Gremialpolitik totlaufen; sie hetzen als Vertreter der „Basis“ von Sitzung zu Sitzung, aber Basis haben sie keine mehr, die Rückkoppelung zur Basis geht langsam aber sicher verloren.“ (zit. n. Steiner, Olivia: Zur Entstehung der Basisgruppenliste Geisteswissenschaften an der Universität Wien. Universität Wien, Dipl.-Arb. 2005, S. 53)
19 Merkens, Andreas: Neoliberalismus, passive Revolution und Umbau des Bildungswesens, in: Meyer-Siebert, Jutta et al. (Hg.innen): Die Unruhe des Denkens nutzen. Emanzipatorische Standpunkte im Neoliberalismus; Hamburg 2002, S. 171
20 Industriellenvereinigung: Hochschulen für die Zukunft – Hochschulstrategie NEU; online unter: http://www.iv-mitgliederservice.at/iv-all/publikationen/file_424.pdf (15.1.2009); S. 6
21 Pasqualoni, a.a.O. S. 119
22 Vgl. Universitätsorganisationsgesetz – UOG 1993; in BGBl. 805/1993 §§ 3, 43, 46, 49, 52
23 Bultmann, Torsten: Die standortgerechte Dienstleistungshochschule; in PROKLA 104 (1996), online unter http://nofees.redefreiheit.net/texte/torsten_2.html
24 Pelizzari, Allesandro: Marktgerecht studieren – New Public Management an den Universitäten, in: Österreichische HochschülerInnenschaft/Paolo Freire Zentrum, a.a.O., S. 91
25 Bultmann, Torsten: Hochschulunternehmen auf dem Bildungsmarkt, in: ASTA-Bochum (Hg): Education not for Sale, S. 47. Der Reader ist online unter: http://euforthepeople.tripod.com/gats-reader-deutsch.pdf
26 Vgl. Universitätsgesetz 2002; in: BGBl I Nr. 120/2002
27 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 45
28 Pelizzari, a.a.O., S. 86
29 Bruckner, a.a.O., S. 44
30 Die genauen Daten zu diesem Absatz fi nden sich bei Wroblewski, Angela/Unger, Martin: Studierenden-Sozialerhebung 2002. Bericht zur sozialen Lage der Studierenden; online unter: http://ww2.sozialerhebung.at/Ergebnisse/PDF/sozialbericht_2002.pdf, S. 10, 57, 120
31 Kolland, Franz: Auswirkungen der Einführung von Studienbeiträge auf die Studienbeteiligung und das Studierverhalten. Endbericht, Wien 2002, S. 93. Bei Kolland und Wroblewski/Unger handelt es sich übrigens um zwei Studien welche vom Wissenschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben wurden.
32 Unter dem Bologna-Prozess wird in Anlehnung an die „Gemeinsame Erklärung der europäischen Bildungsminister“ vom 19. Juni 1999 in Bologna der Prozess zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums, insbesondere die Schaffung eines Systems einheitlicher Studienabschlüsse, verstanden. Dieser Prozess verläuft jedoch weder im Rahmen der Europäischen Union, noch in Form völkerrechtlicher Verträge, vielmehr handelt es sich bei den Übereinkünften der MinisterInnen lediglich um Absichtserklärungen ohne rechtsverbindlichen Charakter. Wirkmächtig wird der Bologna-Prozess vielmehr durch mit der „Offenen Methode der Koordinierung“ vergleichbaren Praxen des naming and shaming einzelner Staaten und Universitäten, welche entlang der formulierten Ziele Benchmarks setzen, regelmäßig evaluieren, veröffentlichen und beabsichtigen, damit eine Reformdynamik in den jeweiligen Institutionen zu initiieren.
33 Bultmann, a.a.O., S. 190f.
34 Vgl. Kaindl, a.a.O., S. 218f.
35 Vgl. §13, bzw. Anlage 1.41 des Universitäts-Studiengesetz; in: BGBl. I Nr. 48/1997
36 Universität Wien: Tischvorlage SPL Sitzung 10.10.2007, Erweiterungscurricula als curriculare Gestaltungsmöglichkeit an der Universität Wien, Aktualisierte Version 08.10.2007; online unter: http://www.univie.ac.at/bologna/bb-dokumente/071008_Erweiterungscurricula_Richtlinien.pdf, S. 4 bzw. 7
37 Sequenzierungen sehen den Abschluss bestimmter Lehrveranstaltungen als Voraussetzung für die Anmeldung zu weiterführenden Pflichtlehrveranstaltungen vor. Dies öffnet knock-out Prüfungen Tür und Tor und ist dementsprechend als informelle Zugangsbeschränkung zu werten.
38 Regierungsprogramm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode; online unter: http://spoe.at/bilder/d268/Regierungsprogramm.pdf, S. 205
39 Auf Basis des neuen Wahlrechts hätten die linken Fraktionen bereits
2001 und 2003 weniger als ein Drittel der Mandate in der Bundesvertretung gehabt.
40 Vgl. Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 1998 idF BGBl.I Nr. 1/2005 §§ 12, 14
41 Demirovic, a.a.O.
Thomas Reithmayer ist im VSStÖ Wien Sozialwissenschaften aktiv und kandidiert bei den Wahlen zur Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien für KriSP – Kritische Studierende Politikwissenschaft.