Informelle Beschäftigungsverhältnisse sind weltweit auf dem
Vormarsch. Was dies für die Situation von Frauen in den Ländern des
globalen Südens bedeutet, fragten Katherina Kinzel und Felix Wiegand im Interview mit Petra Steiner von der Frauensolidarität. Sie beschreibt die Arbeitsbedingungen, Kämpfe und Organisationsformen
von Frauen in den exportorientierten Produktionsstätten, spricht über
Heimarbeit und darüber, warum das internationale Arbeitsrecht hier nur
ungenügend greift.
Die Maquiladoras-Industrien sind sicherlich das bekannteste
Beispiel für freie Exportzonen. Was kann man sich darunter denn
überhaupt vorstellen und in welchem Kontext ist die Entstehung solcher
Industriezonen zu verorten?
Grundsätzlich kennen wir dieses Phänomen weltweit, in Afrika, Asien und Lateinamerika. Es werden dort vor allem Textilien, Schuhe, Spielzeug, Elektronikzulieferung, Batterien, und andere Konsumartikel hergestellt. Die Bestandteile werden zollfrei importiert und das fertige Produkt dann wieder exportiert. Dieses Phänomen ist immer mit neoliberalen Globalisierungsbestrebungen und Freihandelsabkommen in Verbindung zu bringen. Die ersten Formen von sogenannten freien Exportzonen sind schon in den 1980er Jahren entstanden bzw. haben sie damals, zum Beispiel im Kontext der Schuldenkrise in den 1980ern in Lateinamerika begonnen, sich stark auszubreiten. Nach einer ersten Welle von Freihandelsabkommen und der Uruguay-Runde ist die WTO aber bald an ihre Grenzen gestoßen, weil die negativen Auswirkungen der Freihandelsabkommen deutlich wurden. Bei der nächsten größeren WTO Verhandlungsrunde, der sogenannten Doha Runde, zeigte sich das, die Verhandlungen stagnieren seit 2001. Deshalb geht der Trend jetzt von multilateralen Handelsabkommen weg und hin zu bilateralen. Das erleben wir auch gerade auf Ebene der europäischen Kommission, mit der Entwicklung einer neuen EU-Außenhandelsstrategie, des so genannten „global europe“ seit 2006. Hier werden bilaterale Abkommen forciert.
Welche Interessen stehen denn hinter diesen Freihandelsabkommen?
In erster Linie sind es die Regierungen der Länder des Nordens in Verbindung mit transnationalen Konzernen, die dahinter stehen, bzw. deren Interessen da verfolgt werden. Sie wollen einen Abbau von tarifären Barrieren, während die Länder des Südens sich einen Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse wünschen. Die Unternehmen profitieren natürlich am meisten vom Abbau von Zollbeschränkungen oder einer radikalen Senkung von Zöllen. Das hat dann stark negative Auswirkungen auf die nationalen Wirtschaften des globalen Südens. Es gibt z.B. Zahlen zu Lateinamerika, wo eine Senkung der Zölle von 32% in den Jahren 1980-85 auf 14% in den Jahren 1991-95 stattfand, wodurch viele Möglichkeiten für staatliche Subventionen verloren gingen.
Kannst Du diese negativen Auswirkungen noch genauer ausführen?
Dadurch, dass in diversen Brachen, in denen zuvor protektionistische
Maßnahmen bestanden haben, eine Öffnung für ausländische Investitionen
erzwungen wurde, wurden nationale, kleinere Produktionseinheiten vom
Markt verdrängt und es kam zu einem starken Verlust an formalen
Arbeitsplätzen. Auch die Ernährungssouveränität wurde untergraben:
gerade der Bereich der Landwirtschaft ist hier ein ganz wesentlicher.
Durch subventionierte Billigstimporte können regionale Produkte nicht
mehr abgesetzt werde.
In Bezug auf die Arbeitsplätze sind die Auswirkungen jedoch
zweischneidig: einerseits kommt es zu den erwähnten Verlusten an
formellen Arbeitsplätzen, andererseits gibt es einen Trend zur Zunahme
informeller Beschäftigungsformen. Die Prekarisierungswellen, die wir
aus den OECD-Ländern kennen, sind ein globales Phänomen. Vor allem in
den exportorientierten Industrien, den freien Exportzonen oder auch in
den Maquiladoras, in denen überwiegend Frauen tätig sind, nehmen
informelle Beschäftigungsformen zu.
Dass dabei das nationale Recht unterwandert wird – z. B. wird der
vorgesehene Mindestlohn in den freien Exportzonen in Mexiko nicht
eingehalten – hängt auch mit ökonomischer Liberalisierung und der
Öffnung der Märkte zusammen. Diese werden von Seiten der Weltbank und
des IWF durchgesetzt. Für die betreffenden Länder besteht die
Notwendigkeit, Kredite zu bekommen. Die Kreditvergabe ist aber an
Liberalisierungsbedingungen geknüpft. Gleichzeitig haben die
betreffenden Staaten bzw. Regionen mitunter selbst ein Interesse an der
Entwicklung von Maquiladores-Industrien, die ja immer wieder als eine
gute Beschäftigungsmöglichkeit angepriesen wurden – vor allem für
Frauen.
Hat sich diese Hoffnung auf mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen denn erfüllt?
Es stimmt teilweise, dass die Frauenerwerbstätigkeit zugenommen hat, aber der pay-gap bei den Einkommen hat sich kein bisschen verringert, sondern ist im Gegenteil noch größer geworden. Gleichzeitig muss man sich auch die Arbeitsbedingungen dieser Frauen ansehen. All diese Phänomene, die wir in den freien Exportzonen beobachten können, wie mangelnde Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen und -Vorkehrungen, keinerlei soziale Absicherung, weder Mutterschutz noch Pensionsvorsorge noch Arbeitslosengelder, geringe oder ausbleibende Entlohnung kann man in den Kontext der „Feminisierung der Arbeit“ stellen. Hinzu kommen noch sexuelle Übergriffe und geschlechtsspezifische Diskriminierung. Man muss sehen, dass in einem Bereich, in dem bestimme Rechte und Mindeststandards nicht gegeben sind, diese ohnehin vorhandene strukturelle Gewalt sehr oft zu einer individuell erlebten Gewalt wird.
Warum sind grade im informellen Bereich Frauen überproportional vertreten?
Einerseits machen sexistische und diskriminierende Einstellungspraxen es für Frauen grundsätzlich schwierig, in formelle Arbeitsverhältnisse hinein zu kommen. Andererseits ist die Nachfrage nach Frauen gerade in diesen arbeitsintensiven Exportindustrien stark, weil Frauen sehr oft in einer schwächeren Verhandlungsposition sind. Das hat wieder mit Geschlechterstereotypen und der Aufgaben- und Rollenverteilung im gesellschaftlichen Leben und im Pflege- und Fürsorgebereich zu tun. So gibt es z. B. in den Maquilas in Mexiko viele allein erziehende Frauen, die dann natürlich eine sehr schwache Verhandlungsmacht innehaben.
Kann man den Frauenanteil in den Exportzonen denn überhaupt beziffern?
In den freien Exportzonen und den Zulieferbetrieben gibt es auch
noch viele Männer. Aber es ist wichtig zu sehen, dass es eine starke
Entwicklung in Richtung Informalisierung gibt. Wenn wir über die
informelle Wirtschaft sprechen, dann zeigen die Zahlen, dass dort 60%
Frauen beschäftigt sind.
Dieser hohe Anteil kommt deshalb zustande, weil bestimmte produzierende
Tätigkeiten von den Zulieferfirmen als Heimarbeit in die Haushalte
ausgelagert werden. Dass diese Tätigkeiten vor allem von Frauen
ausgeführt werden, liegt unter anderem daran, dass diese die
Hauptverantwortung im Haushalt tragen. Es gibt dann keine klare
Trennung von Lohnarbeit und anderen, vermeintlich privaten Pflichten
und Verantwortungen. Es scheint dann einfach zu sein, das gleich zu
Hause machen zu können. Zugleich geht es auch um informelle Tätigkeiten
im öffentlichen Raum: Straßenverkäuferinnen, Straßenköchinnen,
Müllsammlerinnen, Schuhputzerinnen usw. Ein weiterer Faktor sind
Sexarbeit und domestic workers.
Wie sieht denn die arbeitsrechtliche Situation der Heimarbeiterinnen aus?
Wenn Betriebe produzierende Tätigkeiten aus den Zulieferbetrieben in
Privathaushalte auslagern, kann es z. B. der Fall sein, dass es zwar
formal einen Vertrag und einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, dieser
dann aber nicht gezahlt wird. Oft haben die Unternehmen eine doppelte
Buchhaltung, eine schwarze Buchhaltung und eine offizielle, die
präsentiert wird, wenn sich das Unternehmen für Corporate Social Responsibility (CSR) interessiert.
Dass so etwas überhaupt möglich ist, hat aber auch mit dem Arbeitsrecht
auf internationaler Ebene zu tun. Auf dem Feld der internationalen
Beziehungen wird von einer Norm ausgegangen, die eine männliche Norm
ist, und die historisch gesehen eigentlich als etwas a-typisches
betrachtet werden muss. Der weiße Familienernährer, der in einem so
genannten Normalarbeitsverhältnis angestellt ist, ist ein
Nachkriegsphänomen Mitteleuropas, das viel mit dem Wirtschaftswachstum
zu tun hat und nur möglich war, weil so viel unbezahlte Arbeit
geleistet wurde, und das überwiegend von Frauen.
Die Problematik dieser Norm sehen wir darin, dass die Bedürfnisse und
Interessen, die von den Frauen in informellen
Beschäftigungsverhältnissen artikuliert werden, in den
Kernarbeitsnormen gar nicht vorkommen. Diese gehen nämlich von
formellen, transparenteren Angestelltenverhältnissen oder Fabriks- und
Unternehmensformen aus, die in dieserForm der Situation vieler
erwerbstätiger Frauen weltweit nicht entsprechen. Informelle
Arbeitsverhältnisse sind oft durch Unsichtbarkeit, Isolation,
Vereinzelung und die oben genannten strukturellen Formen von
Diskriminierung bestimmt. Bei den Kernarbeitsnormen geht es um ein
commitment, ein Bekenntnis, das Antidiskriminierung und
Chancengleichheit beinhaltet. Was hier im Vordergrund steht, ist das
Verbot von Zwangsarbeit und Kinderarbeit, das Recht, sich zu
organisieren und Gewerkschaften zu gründen, sowie das Recht auf
Kollektivverhandlungen. Als Heimarbeiterin bin ich aber gar nicht in
derart institutionalisierten und organisierten Arbeitsverhältnissen.
Ich bin vielleicht in ein soziales Netzwerk eingegliedert, aber das
heißt noch lange nicht, dass ich die Möglichkeit hätte,
Tarifverhandlungen zu führen. Für informelle Arbeitsverhältnisse sind
daher ein existenzsichernder Mindestlohn und soziale Standards zentral.
Das Einkommen reicht oft einfach nicht aus, um sich selbst zu
versichern.
Wenn die Frauen unmittelbar befragt werden, wo ihre Bedürfnisse liegen,
dann geht es da immer ganz stark um Schutz vor Gewalt, darum, dass sie
in ihrer Würde respektiert werden wollen, aber auch um Schutz vor
gesundheitlichen Schäden, Übergriffen und Diskriminierungen, z.B. die
erzwungenen Harntests zur Überprüfung möglicher Schwangerschaften. Das
ist ein ganz zentraler Punkt, wenn es um Arbeitsrechtsnormen geht: was
sagen die betroffenen Frauen selbst, was benötigen sie. Diese Dimension
fehlt auf der internationalen rechtlichen Ebene. Das ist so ähnlich wie
bei der Menschenrechtsdiskussion, die ja immer wieder als
eurozentristisch und male-orientated kritisiert wurde, bzw. wo bei
FeministInnen eine gewisse Zurückhaltung vorherrscht. In beiden Fällen
ist es so, dass die zugrundeliegenden, Frauen diskriminierenden
Strukturen gar nicht beachtet werden.
Diese blinden Flecken hängen vielleicht auch ein bisschen damit
zusammen, dass die Kernarbeitsnormen ein Kompromiss waren, so etwas wie
der kleinste gemeinsame Nenner, in dem aber zentrale Aspekte fehlten.
Seit den 1990er Jahren kann das Phänomen von informeller Wirtschaft
nicht mehr ignoriert werden. Auf die Zunahme informeller
Arbeitsverhältnisse wurde deshalb reagiert. So wird stärker versucht,
die Rechte, die auch für informelle Arbeitsverhältnisse gefordert
werden, in Form von Konventionen durchzusetzen.
Eine Weiterentwicklung der Kernarbeitsnormen ist der
„decent-work“-Ansatz, der versucht, auf genau diese Probleme einzugehen
und darum z.B. einen existenzsichernden Mindestlohn und soziale
Sicherungssysteme beinhaltet. Natürlich hat auch das seine Grenzen,
aber es ist für Frauen, die als Haus- oder Heimarbeiterinnen tätig
sind, sehr wichtig, dass es solche Konventionen gibt. Es wurde auch
eine Konvention für die Rechte von Heimarbeiterinnen verabschiedet. Das
ist ein erster Schritt hin zur Anerkennung dieser Arbeit als mit
formellen Beschäftigungsformen ebenbürtig.
Bedeutet der hohe Anteil erwerbstätiger Frauen eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse vor Ort?
Natürlich verändern sich die Rollenmuster, aber das sehe ich sehr
ambivalent. Im Grunde bedeutet das für Frauen eine Erweiterung der
Hauptverantwortlichkeit für Vieles im gesellschaftlichen und familiären
Leben auf den Bereich der Erwerbstätigkeit. Das kennen wir auch im
Zusammenhang mit den Mikrokreditsystemen, wo die Frau die Rolle der
Ernährerin einnimmt – was sie zuvor ohnehin in den meisten Fällen schon
getan hat, allerdings eher im Bereich der Landwirtschaft und jetzt in
gewerblicher Hinsicht. Das kann den Frauen auch mehr Respekt
einbringen, aber im Grunde ist es eher mit erhöhten Belastungen
verbunden. Die Mikrokreditsysteme sind ja nur gemäß einer Marktlogik
gedacht, weshalb sich ein hoher Druck auf die Frauen entwickelt, diese
Kredite und die teilweise ganz schön hohen Zinsen zurückzuzahlen. Zwar
versuchen die Frauen, Kooperativen zu bilden, um sich gegenseitig zu
unterstützen, aber de facto ist dieser Druck auf die Frauen da. Wenn
dann gleichzeitig nichts getan wird, um Geschlechterrollen zu verändern
und einen Bewusstseinswandel anzustoßen, der auch die Männer einbindet,
dann bleibt am Ende wieder alles auf den Frauen lasten. Ein Schritt hin
zur Befreiung oder auch ökonomischen Entlastung von Frauen ist das also
nur bedingt. Darüber hinaus fühlen sich viele Männer in ihrer Rolle in
Frage gestellt, und das führt auch zu einer Zunahme von Gewalt, nicht
nur in Mexiko, sondern auch in Afrika.
Zugleich denke ich aber, dass das Agieren in der Erwerbstätigkeit
vielen Frauen auch viel Kraft für den Arbeitskampf gibt. Ich frage mich
dann, woher die Frauen eigentlich ihre Kraft noch hernehmen. Obwohl sie
sowohl für das Einkommen als auch für die Versorgung der Familie
verantwortlich sind, schaffen sie es noch, sich zusammenzutun, sich zu
mobilisieren und einen politischen Kampf zu führen. In erster Linie
geht es dabei um das Self-empowerment der Frauen, darum, sich
gegenseitig zu unterstützen und eine stärkere Position zu gewinnen. Da
gibt es weltweit unglaublich viele Beispiele.
Kannst Du uns einige solcher Beispiele nennen?
Gerade läuft in Südafrika eine von StreetNet organisierte
Kampagne im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zur
Fußball-Weltmeisterschaft. Das ist eine Kampagne, die lokal vor Ort
agiert, aber auch versucht, international Aufmerksamkeit zu gewinnen
und sich dabei auch an die OrganisatorInnen der WM wendet. Dort wird
nämlich versucht, in Bereiche zu intervenieren, die für viele Menschen
überlebensnotwendig sind, z. B. sollen die StraßenhändlerInnenzonen
geschlossen und den HändlerInnen der Zugang zu den öffentlichen
Plätzen, an denen dann die WM stattfindet, verweigert werden. Statt die
lokale Bevölkerung einzubinden, werden die Bauaufträge und das
Gastronomieangebot international ausgeschrieben. Dagegen findet ganz
viel Mobilisierung statt.
In Indien ist eine der berühmtesten Frauengewerkschaften tätig, die SEWA (self
employed women association), die es seit vierzig Jahren gibt und in der
Tausende von Frauen Mitglied sind. Es ist eine Mischform aus
Kooperative und Gewerkschaft, die Maßnahmen zur Fortbildung für Frauen
in der Selbstständigkeit anbietet, aber auch kollektive
Unterstützungsformen bei Fragen von Versicherung, Altersversorgung und
Kinderbetreuung organisiert. Außerdem wird durch Aufklärung und
Rechtsschulungen versucht, ein Bewusstsein für die eigenen Rechte zu
schaffen und so die Verhandlungssituation der Frauen zu stärken.
Auch China ist momentan ein spannendes Feld, weil sich
zivilgesellschaftlich im Grunde alles auf Hong Kong konzentriert und
sonst im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Kampagnen wenig möglich
ist. Trotzdem gibt es auch da viele Kämpfe, unter anderem von
Wanderarbeiterinnen.
Die Kämpfe in den Maquiladoras-Industrien in Mexiko sind hier natürlich
auch zu nennen. Es gibt dazu einen interessanten Film, den wir im Mai
diesen Jahres im Rahmen unseres Female Labor Moves
Filmfestivals gezeigt haben und der auch im Dezember wieder im
Schickaneder läuft: „Maquilapolis“. Das besondere an dem Film ist, dass
die Maquialdoras-Arbeiterinnen vorab in der Handhabung von Technik und
Equipment geschult wurden und dann selbst die Kamera in die Hand
nahmen. Der Film begleitet die Frauen bei zwei erfolgreichen Kämpfen:
erstens geht es um eine Firma in der Elektronikbranche, die über Nacht
ihre Fabriken abgerissen und ein paar Orte weiter wiederaufgebaut hat,
um so um die ausstehenden Löhne und Abfindungen herumzukommen. Zusammen
mit einem Anwalt hat eine Gruppe von Frauen die Firma verklagt, vor
Gericht gewonnen und im Nachhinein ihre Abfertigungen ausgezahlt
bekommen. Der andere Kampf richtete sich gegen die verbreitete Praxis
internationaler Konzerne, ihre Industrieabfälle direkt in den Fluss zu
kippen. Zusätzlich zu den gesundheitsschädigenden
Produktionsbedingungen in den Maquiladoras haben die Frauen so auch
noch unter der Verschmutzung ihres nächsten Umfelds zu leiden. Auch
hier waren die Frauen erfolgreich. Das sind dann auch die Frauen, bei
denen ich den Eindruck hatte, sie schlafen nie.
In was für einem Verhältnis stehen diese Formen der (Selbst-)Organisation von Frauen zu den bestehenden Gewerkschaften?
Das Ideal wäre natürlich, dass Frauenorganisationen und Gewerkschaften zusammenarbeiten. Aber es ist für viele Frauen schwer, in die bestehenden Gewerkschaften hinein zu kommen, sich mit ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Gewerkschaften sind da teilweise sehr immobil oder langsam in ihren Veränderungsprozessen. Deshalb entscheiden sich viele Frauen dafür, selbst eine Organisation zu gründen, damit gesichert ist, dass ihre Anliegen im Mittelpunkt stehen. Die Gründung von eigenen Frauengewerkschaften ist wahrscheinlich ein internationales Phänomen.
Was tut sich denn auf Ebene der offiziellen internationalen Politik?
Insgesamt sind die Ansätze zur Verbesserung der Situation informell
beschäftigter Frauen sehr unterschiedlich. Auf Seiten der europäischen
Kommission gibt es Bestrebungen, einen so genannten „social clause“ in
Handelsabkommen aufzunehmen. Die so genannten Schwellen- und
Entwicklungsländer sind aber zu einem Großteil dagegen. Sie
argumentieren, dies sei nur eine neue Form von ökonomischem
Protektionismus, um ihnen den Zugang zu Märkten zu verwehren. Für sie
sollten soziale Rechte nicht Teil eines Handelsvertrages sein, sondern
auf einer anderen Ebene verhandelt werden.
Darüber hinaus muss man feststellen, dass Konventionen natürlich nur
bedingt verbindlich sind. Die unterzeichnenden Länder sind zwar
angehalten, die Bestimmungen in nationales Recht aufzunehmen und
entsprechend umzusetzen, aber das passiert sehr oft nicht.
Auf einer anderen Ebene setzt CSR an, das sich an die Privatunternehmen
direkt wendet. CSR ist eine Selbstverpflichtung von Unternehmen, die
dann oft in Marketingabteilungen angesiedelt ist.
Was bei alledem fehlt, ist die Verbindlichkeit sowie
marktkontrollierende Maßnahmen. Deshalb befürworten viele soziale
Klauseln im Handelsabkommen, weil diese die Möglichkeit bieten,
Sanktionen zu erlassen. Aber auch Sanktionen greifen nicht immer: Wir
haben ein Kapital, das sich ständig bewegt und im Fall von Sanktionen
können die Unternehmen einfach ganz schnell abwandern. Auf EU-Ebene
ließe sich da schon mehr machen.
Beinhalten Konventionen, Abkommen oder z. B. die „decent work“-Agenda auch explizit geschlechtsspezifische Fragen, wie sexuelle Diskriminierung oder sexuelle Übergriffe?
Nein, das ist ein ziemliches Manko. Plattformen wie z.B. WIDE (women in developement europe), die teilweise auch an Verhandlungen teilnehmen, versuchen diese Leerstellen aufzuzeigen. Dass diese geschlechtsspezifischen Probleme ausgeblendet werden, hängt auch stark damit zusammen, dass internationale Gewerkschaften sowie die Agencies der UN auf der Führungsebene male-dominated sind, wodurch gender-sensible Wahrnehmungen untergehen.
Wie schätzt Du „Corporate Social Responsibility“ als Strategie zur Verbesserung der Situation der Frauen ein?
Einerseits ist der Wunsch von Seiten der KonsumentInnen, möglichst
„saubere“ Kleidung, „decent“ produzierte Schuhe zu tragen, absolut
verständlich. In einem gewissen Maß gibt es auch „consumers power“. Die
codes of conduct sind für Konsumentinnen im Moment aber ziemlich schwer
zu durchschauen, weil es so viele verschiedene codes gibt. Sehr viele
Unternehmen erstellen sich ihre Codes auch selbst. Es gibt zwar die
Fair Wear Foundation, die versucht das ein bisschen zu kontrollieren,
aber das ist eine kleine Organisation, die gar nicht die notwendigen
Ressourcen hat, um alle notwendigen Kontrollen vorzunehmen. Und dann
kontrollieren sich die Unternehmen auch noch selbst.
Man kann sich außerdem nur bei ganz wenigen Produkten sicher sein, dass
wirklich die gesamte Produktionskette umfasst wird. Bei vielen
Textilien geht es darum, wie die Baumwolle hergestellt wurde, aber die
Verarbeitung und der damit verbundene Produktionsprozess ist nicht
inkludiert.
Auch dort, wo CSR ernst gemeint ist, bleibt dieser Ansatz
zweischneidig. Um das ernsthaft umzusetzen, müsste man in Wirklichkeit
die Produktion grundlegend umstellen. Es müsste langsamer produzieren
werden. Das geht natürlich nicht, wenn der ganze Produktionsprozess
„just in time“ abläuft und im Internet der billigste Zuliefererbetrieb
den Auftrag erhält.
Wie sieht eure konkrete Arbeit bei der Frauensolidarität aus?
Für mich persönlich ist es zunächst einmal wichtig, sichtbar zu machen, was für Kämpfe und Forderungen von Frauen überhaupt geführt und gestellt werden. Frauen leben und arbeiten in sehr unterschiedlichen Verhältnissen weltweit und sie stellen keine homogene Gruppe dar. Das wichtigste ist, diesen verschiedenen Gruppen von Frauen eine Stimme zu verleihen. Primär sieht die Frauensolidarität ihre Aufgabe in Bewussteins- und Informationsarbeit. Die Aktivistinnen sollen dabei möglichst selbst unmittelbar eingebunden werden. Wenn wir z. B. Veranstaltung organisieren, dann laden wir Aktivistinnen ein, die selbst über ihre Tätigkeiten berichten können. Jetzt gerade arbeiten wir an einem Projekt das die „decent-work“-Agenda zum Inhalt hat und in dem es um die informelle Arbeit von Frauen geht. Wir haben einen Kalender produziert, den wir im Oktober (s. Ankündigung) vorstellen werden. Damit wollen wir bekannt machen, welche Frauenorganisationen es gibt und ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst zu präsentieren. Wir haben auch die Möglichkeit, deren Positionen und Anliegen in unseren Netzwerken oder da, wo politisches Lobbying möglich ist, zu befördern. Und dann ist es natürlich auch wichtig, präsent zu sein, wenn hier etwas auf der Straße passiert.
Prekarisierung und Informalisierung von Arbeitsverhältnissen sind globale Phänomene, die nicht nur Frauen im globalen Süden betreffen – auch wenn sie hier natürlich unter ganz anderen Vorzeichen stattfinden. Siehst Du darin neue Möglichkeiten der Solidarisierung?
Ich denke schon. Ich glaube, dass frühere
Zentrum-Peripherie-Ansätze, wenn sie überhaupt je Gültigkeit gehabt
haben, schon lange unangemessen sind. Die sozialen Klüfte und
Auseinandersetzungen, Armut und mangelnde Chancengleichheit gibt es
hier wie dort. Dieser Umstand hat etwas verbindendes, Solidarität wird
mitunter einfacher. Wir sind auch hier wieder an einem Punkt, wo wir
wieder anfangen müssen zu kämpfen. Die Frage ist wohin und wofür.
Manche Frauen sehen ihr Ziel auch gar nicht im Erreichen einer
formellen Tätigkeit. Wir müssen erkennen, dass die weltweite
Entwicklung hin zu informellen Beschäftigungsformen weiter
voranschreitet und dass frühere Lösungen einfach nicht mehr
funktionieren. Wir müssen eher für diese neuen Beschäftigungsformen
genauso rechtliche Absicherung fordern wie für das, was ehemals als
normal betrachtet wurde.
Petra Steiner ist Bildungsreferentin des Vereins Frauensolidarität und war u.a. an der Organisation des Filmfestivals Female Labour Moves beteiligt.