In Nicaragua führt die Waldzerstörung zu Wassermangel
Daniel Ortega gab sich gewohnt kämpferisch: "Wir werden den Nicaragua-See nicht für alles Gold in der Welt gefährden".
Daniel Ortega gab sich gewohnt kämpferisch: "Wir werden den Nicaragua-See nicht für alles Gold in der Welt gefährden", sagte Nicaraguas Präsident, als er im Mai die umweltpolitischen Grundsätze der neuen sandinistischen Regierung präsentierte. "Der Nicaragua-See ist das größte Wasserreservoir Zentralamerikas und wir werden ihn nicht für ein Megaprojekt wie einen interozeanischen Kanal aufs Spiel setzen", so Ortega. Damit erteilte der Präsident den lange gehegten Plänen, in Nicaragua nach dem Vorbild Panamas einen Kanal zwischen Atlantik und Pazifik zu errichten, zumindest vorläufig eine Absage.
Noch im Oktober, kurz vor seiner Abwahl, hatte Ortegas Vorgänger Enrique Bolaños den Bau eines Nicaragua-Kanals begrüßt, die Sandinisten hatten ihn als Zukunftsprojekt in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Doch nun machte Nicaraguas neuer Präsident einen Rückzieher. Ein solcher, partiell durch den Nicaragua-See führender Wasserweg würde nicht nur zur weiteren Verschlechterung der Wasserqualität führen, sondern auch die Zerstörung der letzten Waldgebiete Nicaraguas vorantreiben.
Nicaraguas Staatschef hat allen Grund zur Rücksichtnahme auf die verbliebenen Waldbestände. Das Land hat zwar bis heute die größten zusammenhängenden Regenwaldgebiete Zentralamerikas. Doch nicht nur diese Biotope schrumpfen rasant: Nach Angaben des Direktors des Nationalen Forstinstituts INAFOR (Instituto Nacional Forestal), William Schwartz, hat Nicaragua zwischen 1983 und 2000 jährlich rund 70.000 Hektar seines Waldbestandes verloren. Die wesentliche Ursache für den Baumschwund sieht Schwartz in der Agrarwirtschaft. Wurden 1950 lediglich sieben Prozent der Fläche Nicaraguas landwirtschaftlich genutzt, sind es heute rund 36 Prozent. Arme Bauern aus den pazifischen Regionen des Landes dringen auf der Suche nach Anbauflächen Richtung Atlantikküste vor, wo sich die größten Regenwaldgebiete Nicaraguas befinden.
Die Armut vieler NicaraguanerInnen - das Land gilt nach Haiti als zweitärmstes in Lateinamerika - sei auch die Ursache dafür, dass mindestens 60 Prozent der BewohnerInnen bis heute mit Brennholz kochen, meint Schwartz. Insgesamt fehle es "an Anreizen, unseren Wald zu schützen und zu erhalten". Dieser Sektor hätte unter den neolibaralen Regierungen der letzten Jahre "keinerlei Priorität" besessen. Daneben spielten aber auch illegale Abholzung, Waldbrände und Baumkrankheiten eine nicht unerhebliche Rolle.
Die Probleme, die durch Abholzung entstehen, sind seit langem bekannt. So war der Raubbau an der Natur ein wesentlicher Faktor für die schweren Schäden, die der Hurrikan "Mitch" 1998 verursacht hatte, zum Beispiel durch Erdrutsche. Damals verabschiedete die nicaraguanische Regierung ein Dekret, das Edelhölzer wie Mahagoni für fünf Jahre unter Schutz stellte. Doch die Vernichtung der Natur ging weiter, in zunehmendem Maße mittels illegaler Abholzung durch einheimische Banden. So sah sich Ex-Präsident Bolaños im Mai 2006 genötigt, den wirtschaft-lichen Notstand auszurufen: In vier Provinzen des größten mittelamerikanischen Landes wurde die Rodung, der Transport und die Verarbeitung von Holz für sechs Monate untersagt. Im Juni 2006 wurde schließlich das Fällen mehrerer bedrohter Baumarten in ganz Nicaragua für einen Zeitraum von zehn Jahren verboten.
In engem Zusammenhang mit der Waldzerstörung steht die Energiekrise Nicaraguas. Diese hat auch die neue Regierung bisher nicht in den Griff bekommen - trotz der jüngsten Erdöllieferungen zu Sonderkonditionen aus Venezuela. Bereits im vergangenen Jahr musste das Wasserkraftwerk im nördlichen Departement Jinotega, das fast ein Viertel des nationalen Strombedarfs deckt, wegen des niedrigen Wasserstandes des Apanás-Stausees zeitweilig seine Tätigkeit einstellen. Salvador Montenegro, Leiter des Forschungszentrums für Wasserressourcen (CIRA) an der Universität von Nicaragua, macht für den Wasserverlust vor allem die Zerstörung der Wälder verantwortlich. Berechnungen von CIRA ergaben, dass der Wasserstand der Brunnen in den Gebirgsregionen um Managua in den letzten acht Jahren um fast zehn Meter gesunken ist.
"Wenn wir so weitermachen, werden wir den Namen unserer Hauptstadt ändern müssen", meint Montenego. Das Wort Managua setzt sich aus ‘manarÂ’ (fließen, quellen, triefen) und ‘aguaÂ’ (Wasser) zusammen. "Es gab Zeiten, in denen das Wasser floss, sobald die Erde nur angestochen wurde", so Montenegro. Zwei der wichtigsten Flüsse des Landes, der Río Coco im Norden und der Río San Juan im Süden, sind in den Sommermonaten kaum mehr mit Booten passierbar, weil sie nicht mehr genug Wasser führen. Auch in diesem Jahr steht Nicaragua wieder kurz vor einer Dürrekatastrophe, weil der Regen, der üblicherweise Anfang Mai einsetzt, auf sich warten ließ.
So war es an der Zeit, dass sich Nicaraguas neuer Staatschef vier Monate nach seinem Amtsantritt zur Umweltpolitik äußerte. Er sprach von einem "Raubtier-kapitalismus", der sich an den natürlichen Ressourcen Nicaraguas vergangen habe, und forderte seine Landsleute auf, künftig die Gaskocher zu benutzen, die Venezuela zu Vorzugspreisen bereitstellen will. Doch trotz Ortegas mahnender Worte scheint die Umweltpolitik auch unter der neuen Regierung keine Priorität zu besitzen. Zu groß sind die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes. So hat die sandinistische Regierung zum Beispiel dem Nationalen Forstinstitut INAFOR nur geringe Mittel zugewiesen.
Ob sich so die Waldzerstörung aufhalten lässt, ist fraglich. Würde die Abholzung weiter gehen wie in den vergangenen Jahren, dann gleiche Nicaragua laut INAFOR-Direktor Schwartz im Jahr 2055 einer Wüste. Schwartz ist dennoch optimistisch: Ziel sei es, durch Aufforstung den Baumschwund zu verringern. "Um die verschie-denen wirtschaftlichen Aktivitäten zu regulieren", so Schwartz, "ist es aber unbedingt notwendig, dass ein Raumordnungsgesetz verabschiedet wird, in dem die unterschiedlichen Landnutzungen festgelegt werden."
Doch ein weiteres Gesetz wird zur Durchsetzung einer nachhaltigen Umweltpolitik kaum ausreichen. Laut dem Waldexperten David Morales von der NGO "Centro Humboldt" in Managua hat Nicaragua schon heute die fortschrittlichsten Umweltgesetze Zentralamerikas, nur seien die Kontrollinstanzen zu schlecht ausgestattet. "Auch unter der sandinistischen Regierung gibt es immer noch viel zu wenige Parkwächter, um den illegalen Holzschlag in den Griff zu bekommen", so Morales. Dazu komme, dass die Korruption auch vor denen keinen Halt macht, die für die Einhaltung der Bestimmungen sorgen sollen.
Ole Schulz ist freier Journalist und Historiker.