Intellektuelle, Medien und Präsidentschaftswahlen*
Namhafte Intellektuelle wie Sartre, Foucault oder Bourdieu griffen von einer Position geistiger Autonomie aus in die gesellschaftlichen Auseinandersetzun-gen ihrer Zeit ein.
Karlo (Karl-Heinz) Roth zum 65. Geburtstag
Namhafte Intellektuelle wie Sartre, Foucault oder Bourdieu griffen von einer Position geistiger Autonomie aus in die gesellschaftlichen Auseinandersetzun-gen ihrer Zeit ein. Unabhängig von den herrschenden Institutionen und Eliten versuchten sie, die Ziele, Mechanismen und Spielregeln der Macht in Frage zu stellen, anstatt sich ihnen anzudienen. Sie verstanden sich als Antipoden der Herrschenden, nicht als ihre Komplizen, so diskutabel und kritikbedürftig ihr eigenes Handeln im konkreten Fall auch sein mochte, wie etwa die Apologie der Moskauer Prozesse durch Maurice Merleau-Ponty oder die Rechtfertigung der sowjetischen Arbeitslager durch Jean-Paul Sartre zeigten. Ein mit de Gaulle zu Abend speisender Sartre oder ein auf der Segelyacht eines Großin-dustriellen sich tummelnder Bourdieu wäre auf jeden Fall ein Ding der Un-möglichkeit gewesen.
Engagierte Intellektuelle waren die erklärten Feinde und radikalen Kritiker von allem, was Herrschaft, Reichtum, Ausbeutung und Entfremdung glorifi-zierte, beschönigte oder leugnete. Das hat sich offensichtlich geändert. Heute definieren sich immer mehr Intellektuelle nicht mehr durch ihre unüberwind-bare Distanz und unversöhnliche Gegnerschaft zu den Zentren und Akteuren gesellschaftlicher Herrschaft, sondern ganz im Gegenteil durch eine beflissene Suche ihrer Nähe, nach intimem Umgang mit den Eliten sowie durch das Be-mühen, sich in den Zeremonien der Selbstdarstellung die erfolgreichen Prak-tiken von Spitzenpolitikern, Topmanagern und Mediengrößen zu eigen zu machen. Wenn man diesen Wandel in der Selbstrepräsentanz der Intellektuel-len nicht ausschließlich auf moralische Dekadenz reduzieren will, dann stößt man auf das Phänomen einer strukturellen Koppelung von ökonomischer Macht, herrschender Politik und medialer Performance, der sich Intellektuelle offenbar immer weniger entziehen zu können glauben, wenn sie nicht im Ne-bel der Bedeutungslosigkeit und Anonymität verschwinden wollen. Vor allem die Medien bilden heute die Schnittstelle zwischen ökonomischer und politi-scher Macht einerseits und der über die Gesellschaft ausgeübten symbolischen Gewalt andererseits. Das moderne mediale Arrangement von Herrschaft lässt die berühmten Intellektuellen wie Boten aus der grauen Vorzeit der Klassen-kämpfe erscheinen, die heute vom postmodernen Glamour der "Erlebnisge-sellschaft" und ihren Selbstinszenierungen überstrahlt wird.
Was hat das aber unmittelbar mit der Rolle der französischen Intellektuellen im Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2007 zu tun? Sehr viel, wenn man die Aufmerksamkeit auf die Haltung intellektueller "Stars" richtet; denn an dem, was sie tun und wie sie es tun, zeigt sich exemplarisch die verhängnis-volle Symbiose von ökonomischer, politischer und symbolischer Macht, die durch ihre mediale Vermittlung und Reproduktion eine immer intensivere Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein ausübt. Zu Recht spricht der Poli-tikwissenschaftler Yves Sintomer kritisch von einer "Mediendemokratie" (démocratie médiatique), die für die "Gemeinschaft der Sterblichen" uner-reichbar sei. Die Medien haben die traditionellen Parteien und ihre organisa-torischen Netzwerke bereits in einem hohen Maß ersetzt. Die Präsidentschaftswahl "à lÂ’américaine" wird immer weniger von Diskussionen über kontroverse Standpunkte, Programme und Problemlösungen geprägt, sondern von der Dramaturgie der Meinungsumfragen und Fernsehsendungen gesteuert. Auf diese Situation stellen sich immer mehr Intellektuelle chamäleonartig ein. Sie profitieren von der "Mediendemokratie" und steigern durch ihre Perfomance wiederum deren bewusstseinsformende Effizienz.
Vom linksradikalen Intellektuellen zum medialen
Kronzeugen gegen die Linke
Als ein krasses Beispiel für die soziale Mutation eines sich ehemals revolutionär gebärdenden Intellektuellen zum smarten Agenten der "Mediendemokratie", die sich in Wahrheit immer mehr zu einer Diktatur der Einschaltquoten verwandelt, darf der 1937 geborene Philosoph und Publizist André Glucksmann betrachtet werden. Seine Biographie spiegelt den Verfall des Typs des engagierten linken Intellektuellen und seine Metamorphose in einen postmodernen Sinnstifter des Neoliberalismus in allen Facetten wider. Glucksmann, dessen Vater von den Nazis ermordet wurde und dessen Mutter in der Résistance aktiv war, studierte an der Elitehochschule École normale supérieure in Saint-Cloud und gehörte zur Gruppe derjenigen Studenten, die sich in der aus der Studentenbewegung von 1968 hervorgehenden maoistischen Strömung engagierten. Er wurde einer der Aktivisten der besonders militanten "Proletarischen Linken" (Gauche proléta-rienne), mit der und deren Zeitschrift "Die Sache des Volkes" (La cause du peuple) auch der alternde Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sympathi-sierten. Während dieser Zeit, also Anfang der siebziger Jahre, pries Glucksmann in markigen Worten das Einsperren von Firmenchefs in ihren Büros oder Toilet-ten als Sternstunde schöpferischen revolutionären Handelns , um gleichzeitig, wie damals bei Ultralinken unterschiedlicher Couleur üblich, die Kommunisti-sche Partei Frankreichs (PCF) und die Massengewerkschaft CGT der Kollabo-ration mit der Polizei und dem Staatsapparat zu verdächtigen. Antibürgerlicher Habitus und ein klassenspezifischer bürgerlicher Hass auf Organisationen wie PCF und CGT, die zwar nicht den Phantasmagorien vieler rebellierender Stu-denten entsprachen, dafür aber die Mehrheit der politisch aktiven Arbeiter repräsentierten, bildeten ein für die plötzlich radikalisierten jungen Intellek-tuellen von 1968 charakteristisches Mentalitätsmuster, das Glucksmann geradezu idealtypisch verkörperte und das ebenso rasch wieder zerfiel, wie es entstanden war. Auf die Periode des hyperrevolutionären Aktivismus bei der "Gauche prolétarienne" folgte Glucksmanns inneres Damaskus. Er stieß auf Alexander Solschenizyns "Archipel GULag" (1973) und brach darauf hin mit seiner bisherigen "revolutionären" Haltung, um von nun an alles, was er nicht nur mit Kommunismus, sondern auch ganz allgemein mit der Idee des gesellschaftlichen Fortschritts, linker Parteilichkeit oder Kritik am Kapitalismus in Verbindung brachte, geradezu obsessiv zu bekämpfen. So wurde er, neben Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut, Maurice Clavel und Jean-Marie Benoist, zu einem der Vortänzer der "Nouvelle Philosophie" Diese philosophische Strömung sagte seit Mitte der siebziger Jahre der Tradition aufklärerischen Denkens im allgemeinen und dem Marxismus im besonderen den Kampf an und gab gleichzeitig den Auftakt für die Ausbreitung postmoderner Auffassungen im geistigen Leben Frankreichs. Enttäuscht darüber, dass das ultralinke Engagement nicht dazu geführt hatte, ständig im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen oder eine führende Rolle in der Gesellschaft zu spielen, versuchten Glucksmann und andere nun durch einen Widerruf ihrer bisher vertretenen Ideologie den Anschluss an die Eliten nicht zu verlieren. Mit Büchern wie "Die Köchin und der Menschenfresser" - mit ersterer war Karl Marx, mit letzterem Stalin gemeint - und "Die Meisterdenker" , in denen er mit der deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts, Hegel, Marx und Nietzsche über einen Leisten schlagend, als philosophischer Legitimation staatlicher Terrorsysteme abrechnete, erzielte er Mitte der siebzi-ger Jahre spektakuläre Erfolge und trug wesentlich dazu bei, gesellschaftskriti-sches Denken bei den Intellektuellen zu diskreditieren. Im wesentlichen liefen diese Publikationen Glucksmanns auf eine neue, philosophisch drapierte Vari-ante der Totalitarismustheorie hinaus. Wie andere Spielarten der Totalitarismus-theorie gab sich auch Glucksmann den Anschein, den rechten und den linken Totalitarismus gleichermaßen zu bekämpfen, um dann jedoch ausschließlich den Diskurs der Linken anzugreifen. Da sich Glucksmann als ehemaliger mili-tanter Maoist besonders effektvoll als einer der Wortführer der "Neuen Philoso-phen", der "nouveaux philosophes", in Szene setzten konnte, war er den Medien als Kronzeuge gegen die Linke höchst willkommen. Von nun an war sein Auf-stieg zu einem Intellektuellen, der unter pathetischer Reklamation der Men-schenrechte die Legitimität neoliberaler Hegemonie predigen darf, geradezu ir-reversibel. Ob er den völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Serbien be-grüßte, den Terroranschlag auf die Türme des World Trade Center am 11. Sep-tember 2001 als diabolischen Akt des "Nihilismus" mystifizierte, um gleichzei-tig mit keinem Wort die ebenfalls völkerrechtswidrige militärische Intervention der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan zu erwähnen, oder ob er einsei-tig für die israelische Repressionspolitik in Palästina Partei ergriff, immer stand er auf der Seite der Kräfte, die an einer Verstetigung von Unterdrückung, Elend und Ausbeutung interessiert sind.
Parteinahme für die politische Rechte
Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Glucksmann jetzt im Vorfeld der Präsi-dentschaftswahl ausgerechnet für die Wahl des Kandidaten Nicolas Sarkozy, des bisherigen Innenministers und Vorsitzenden der bürgerlichen Mehrheitspar-tei UMP (Union pour un mouvement populaire) aufgerufen hat, der sowohl ein glühender Verfechter des Neoliberalismus als auch einer rigorosen "Law-and-order"-Politik ist. Im Wahlprogramm von Sarkozy finden sich unter anderem Forderungen nach Steuersenkungen, Abschaffung der Erbschaftssteuer und eine Verringerung der Staatsverschuldung, um die soziale Sicherungssysteme abzu-bauen. Aufsehen erregte seine Idee, ein neues "Ministerium für Immigration und nationale Identität" zu schaffen, was in Wirklichkeit nichts anderes bedeu-tet, als die zweifellos erheblichen Probleme der Ausländerintegration nun durch Verordnung einer "Leitkultur" von oben autoritär lösen zu wollen. Außerdem tritt er für eine neoliberal ausgerichtete Europäische Union ein.
Unter der Überschrift "Warum ich Nicolas Sarkozy wähle" hat Glucksmann am 29. Januar 2007 in "Le Monde" seine Sympathie für den UMP-Kandidaten zum Ausdruck gebracht. Ihm gefällt an Sarkozy, daß jener die russische Poli-tik in Tschetschenien kritisiert. Allerdings übersieht Glucksmann dabei geflis-sentlich die menschenverachtenden Praktiken sogenannter tschetschenischer "Freiheitskämpfer". Auch lobt er Sarkozy mit einer für die Regenbogenpresse geeigneten Pose, sich für die in Libyen vor Gericht stehenden bulgarischen Krankenschwestern engagiert und damit Felder besetzt zu haben, die von der Linken sträflicherweise aufgegeben worden seien. Glucksmann gibt sich also in seinem Aufruf als enttäuschter Linker. Zwar wolle er sich über Sarkozys Konkurrentin Ségolène Royal nicht nachteilig äußern, sehe er einmal von ih-ren anerkennenden Worten für die Effizienz der chinesischen Justiz ab, aber "die Linke" (und Glucksmann meint damit wie in Frankreich allgemein üblich vor allem das Spektrum der Sozialistischen Partei, des PS), sei nicht moderni-sierungsfähig. Sie habe Prozesse wie die Neuorientierung der deutschen Sozi-aldemokratie durch das Godesberger Programm (1959) oder der britischen Labour Party mit ihrem Konzept des "New Labour" während der neunziger Jahre verschlafen und sei in Staatszentriertheit erstarrt. Sie bediene sich sogar einer nationalistischen Semantik, wie das Beispiel eines PS-Abgeordneten zeige, der Sarkozy als "amerikanischen Neokonservativen mit französischem Pass" beschimpft habe. Obwohl er, Glucksmann, nicht in allen Punkten mit Sarkozy einverstanden sei, fühle er sich mit ihm wegen seines antitotalitären Menschenbildes verbunden. Dass ein Schriftsteller wie Pascal Bruckner, wel-cher der Linken seit jeher wenig Sympathie entgegenbringt, dem Beispiel Glucksmann folgte, ist nicht sonderlich erstaunlich. Ähnliches gilt für Alain Finkielkraut, ebenfalls einer der Protagonisten der "Nouvelle Philosophie", der lobende Worte für Sarkozy fand, während er Ségolène Royal jede Kompetenz für das Präsidentenamt absprach. Mit einer gewissen Überraschung nimmt man dagegen zur Kenntnis, dass auch der Historiker und früher dem linken Flügel des PS zuzurechnende Max Gallo zur Wahl von Sarkozy aufgerufen hat. Als Regierungssprecher der sozialistischen Regierung (ihr gehörten zunächst auch Minister der Kommunistischen Partei an) während der Präsidentschaft von Francois Mitterand hatte Max Gallo Anfang der achtziger Jahre die Intellektuel-len aufgefordert, ihr Schweigen (la silence des intellectuels) zu beenden und sich politisch zu engagieren, um einen Sieg der bürgerlichen Rechten (la Droite) zu verhindern. Das hatte seinerzeit heftige Proteste von André Glucksmann, Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut und anderen provoziert, die dem PS und ihren intellektuellen Sympathisanten vorwarfen, mit den Kommunisten zu paktieren und die Verhängung des Ausnahmezustands in Polen 1981 zu ver-harmlosen.
Die Variante der parasitären Selbstdarstellung
In der Intellektuellenszene und in den Medien löste Glucksmanns Aufruf für Sarkozy ein lebhaftes und kontroverses Echo aus. Einen erfolgreichen Medien-coup seinerseits landete darauf hin Bernard-Henry Lévy, meist "BHL" genannt, indem er mit der PS-Kandidatin Ségolène Royal gemeinsam zu Abend speiste. Fast noch mehr als Glucksmann verkörpert Lévy den Typ des geschwätzigen Medienintellektuellen, der bei keiner Talkshow fehlen darf. Lévy zelebrierte durch dieses Abendessen seine intime Nähe zur Sphäre gesellschaftlicher Macht, ohne sich jedoch ausdrücklich auf eine Wahl eines Kandidaten oder einer Kandidatin festzulegen. Von Glucksmann dafür kritisiert, antwortete er, dass für ihn nicht die Kandidaten das Entscheidende seien, sondern der richti-ge Zeitpunkt, die eigene Präferenz öffentlich zu verkünden. Diese Antwort spiegelt geradezu exemplarisch die Medienfixiertheit von Intellektuellen wie Lévy wider, denen offensichtlich politische Programmatik und Inhalte völlig gleichgültig geworden sind und denen es nur noch darum geht, sich durch me-dial praktizierte Ausübung symbolischer Gewalt zu profilieren. Lévys Karriere weist einige Parallelen zu der von Glucksmann auf. Ehemals Schüler von Louis Althusser, dem bekanntesten Exponenten eines marxistisch orientierten Struktu-ralismus und Philosophieprofessor an der legendären Pariser École normale supérieure in der Rue dÂ’Ulm, gehörte er, wie schon erwähnt, zu den Initiato-ren der "Nouvelle Philosophie", ohne allerdings so tief wie Glucksmann ins ultralinke politische Milieu verstrickt gewesen zu sein. Bekannt wurde Lévy durch die Veröffentlichung seines zum Bestseller werdenden Buches "Die Barbarei mit menschlichem Gesicht" (La barbarie à visage humain) im Jahr 1977. Darin propagierte er die Dogmen der "neuen Philosophen", insbeson-dere die Gleichsetzung des Denkens der Aufklärung mit totalem staatlichen Terror, die Isomorphie von Sozialismus und Faschismus und das "Ende der Geschichte" als Vollendung der Barbarei. Mit großem Geschick organisierte Lévy ein publizistisches Netzwerk der Selbstvermarktung, das von dem Ver-lag Bernard Grasset, in dessen Leitung er saß, nachhaltig gefördert wurde. Später veröffentlichte Lévy, der sich sowohl als Philosoph als auch als Schriftsteller versteht, Bücher, deren Wahrheitsgehalt und Seriosität oft ange-zweifelt wurden. Das gilt etwa für sein Buch "Wer hat Daniel Pearl ermor-det?", wo er die Ursachen der Ermordung des Journalisten Pearl im Jahr 2002 zu einer reißerischen und phantastischen story verzerrte. Seine Absage an ein politisches Engagement in der Tradition von Émile Zola, Romain Rolland und Jean-Paul-Sartre hatte er schon 1987 in einem programmatischen Essay mit dem überaus irreführenden Titel "Lob der Intellektuellen" (Éloge des intellec-tuels) vorgetragen, in dem er für einen "Intellektuellen des dritten Typs" plädiert, der sich weder in abstrakter Kontemplation ergeht noch zum "Diener des Volkes" stilisiert. Statt sich zu engagieren soll diese neue Leitfigur des In-tellektuellen weder links noch rechts stehen, sondern sich als Hüter des kate-gorischen Imperativs fühlen, der sich keiner abstrakten politischen Doktrin beugen und schon gar nicht sozialistisch denken dürfe (Éloge, S.132).
Maximen dieser Art sind mit den Interessen derer, die lieber über den katego-rischen Imperativ reden als über Ursprung, Höhe und Verwendung ihrer eige-nen Profite, durchaus kompatibel. Deshalb erfreut sich Bernard-Henri Lévy inzwischen großer Sympathien der herrschenden Klasse bis tief hinein in die Reihen der Geldaristokratie. Lévys soziales Netzwerk umfasst ebenfalls per-sönliche Kontakte zu den Chefetagen der Medien, die ihrerseits immer mehr am Tropf großer industrieller oder Mischkonzerne hängen, wie etwa der Ein-stieg des Medienkonzerns Lagardère bei der renommierten Tageszeitung "Le Monde" zeigt. Lagardère kontrolliert bereits den Medienkonzern Hachette und den Radiosender Europe 1, beteiligt sich aber gleichzeitig auch an der Flug-zeugbau- und Rüstungsgruppe EADS. Dass Bernard-Henri Lévy selbst Aktio-när ist und mehreren Aufsichtsräten angehört, vervollständigt die Hybridisie-rung von privatwirtschaftlichen Interessen, Scoop-Journalismus, Modephilo-sophie und ideologischer Hegemoniefunktion in seiner Person.
"Ehe es zu spät ist"
Während sich Lévy trotz vorsichtiger Signale zugunsten von Ségolène Royal in seiner Entscheidung für einen der Kandidaten oder eine der Kandidatinnen bisher nicht festgelegt hat, um gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt die mediale Wirkung seiner Option zu maximieren, wollten sich andere Intellektu-elle nicht mit einer vagen symbolischen Geste für die PS-Kandidatin begnügen, sondern veröffentlichten am 1. März 2007 in der Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur" einen Aufruf für Royal unter der Überschrift "Ehe es zu spät ist" (Avant quÂ’il ne soit trop tard). Eigentlich drückt der Aufruf eher den Wunsch aus, einen Sieg Sarkozys zu verhindern als dem Programm von Royal zuzu-stimmen. Um was für ein Programm handelt es sich bei der PS-Kandidatin?
Die zentrale Intention der "100 Vorschläge des Präsidialpaktes" , mit denen Royal in den Wahlkampf ging, besteht darin, eine Reihe sozialer Reformen mit der Förderung kapitalistischer Unternehmen zu kombinieren. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass die Lohnnebenkosten für diejenigen Unter-nehmen gesenkt werden sollen, die Beschäftigungssuchende unbefristet ein-stellen. Das Gesetz über die 35-Stundenwoche, das von den Arbeitgebern und ihren Verbänden immer wieder heftig attackiert wird, soll zwar, so sehen die "100 Vorschläge" es vor, nicht aufgehoben, die Begrenzung der Arbeitszeit aber neu verhandelt werden. Diese Ambivalenz setzt sich in zahlreichen ande-ren Vorschlägen fort. So steht der Forderung nach Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC auf 1.500 Euro brutto das Versprechen für Steuerver-günstigungen für Unternehmen gegenüber, die Gewinne nicht als Dividende ausschütten, sondern im Inland investieren. Prinzipien des welfare state und des workfare state überschneiden sich in einem heterogenen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Modernisierungskonzept. Einen neuen Akzent will Ségolène Royal mit ihrem Konzept einer "partizipativen Demokratie" setzen, die den Bürgern ein größeres und direkteres Mitspracherecht einräumen soll. Es sieht ebenso die Schaffung von "jurys citoyens" (Bürgerjurys), also Komi-tees zur Kontrolle der politischen Mandatsträger, wie die Erweiterung plebis-zitärer Kompetenzen vor, so etwa die Möglichkeit, bei Erreichung von 1 Mil-lion Unterschriften die parlamentarische Befassung mit Gesetzesvorschlägen zu garantieren. Was das Projekt einer Europäischen Verfassung betrifft, so drückt sich das Programm sehr vage aus, indem es zum Beispiel statt einer grundlegenden Alternative eines "sozialen Europas" lediglich die Abfassung eines gesonderten "Sozialprotokolls" zur Verfassung empfiehlt.
Dass die "100 Vorschläge" keine offensive Unterstützung bei den Unterzeich-nern des Appells "Ehe es zu spät ist" fanden, machen schon die einleitenden, an das Debakel der Präsidentschaftswahl von 2002 erinnernden Worte des Appells deutlich, als der Kandidat des rechtsextremen "Front national" (FN) Jean-Marie Le Pen den zweiten Wahlgang erreichte: "Am 22. April wird es zu spät sein. Zu spät, um unsere Zersplitterung zu beklagen. Zu spät, um unsere Untätigkeit zu bedauern. Zu spät, um wahrzunehmen, dass die Präsidentschaftswahl ohne und trotz uns statt gefunden hat. Wir widersetzen uns dieser nur zu oft an-gekündigten Niederlage." (Übersetzung L.P.) Weiter heißt es dann: "Ge-gen diese Gefahr (gemeint ist Sarkozy, L.P.) ist Ségolène Royal die Kandi-datin der Hoffnung. Sie lässt diese Hoffnung entstehen, indem sie eine par-tizipative Demokratie verteidigt, in der die Bürger als Experten ihrer Prob-leme anerkannt werden. Eine Hoffnung, die ebenso sozial wie ökologisch, ethisch und demokratisch, französisch und europäisch ist, eine Hoffnung, welche die Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht der wirtschaftlichen Mo-dernisierung opfert."
Zu den prominentesten der Initiatoren und 150 Erstunterzeichner gehört der 1936 geborene Philippe Sollers, eine ähnlich schillernde Figur der intellektu-ellen Schickeria wie Glucksmann oder Lévy. Auch er kommt aus dem ultra-linken intellektuellen Milieu, nachdem er zuerst mit dem PCF sympathisiert hatte. Sollers, Schriftsteller, Publizist und Literaturkritiker, war Ende der sechziger Jahre Chefredakteur der seinerzeit in der politisierten Intelligenz wahrscheinlich einflussreichsten theoretischen Zeitschrift "Tel quel" ("Wie es ist"). Zunächst war "Tel quel" vor allem eine literaturwissenschaftliche und linguistisch-semiotische avantgardistische Zeitschrift, ehe sie dann, angeregt vom Strukturalismus und Theoretikern wie Foucault, Lacan und Althusser, zum ideologischen Sprachrohr des französischen Maoismus avancierte. Später arbeitete Sollers für den renommierten Verlag "Éditions du Seuil" und seit 1982 für den nicht weniger renommierten Verlag Gallimard. Er gründete die Zeitschrift "LÂ’Infini" ("Das Unendliche") und sein Buch "Femmes" ("Frau-en") wurde 1983 ein Bestseller. In "Le Monde" veröffentlicht er kunst- und li-teraturkritische Artikel. Wie Glucksmann, Lévy oder Finkielkraut repräsen-tiert Sollers jenen Typ des postmodernen Intellektuellen, der sich dank der Medien und anderer Apparate der Bewusstseinsindustrie mit der Aura des Nonkonformismus und der Autonomie umgeben kann, um aber in Wahrheit nichts anderes zu tun, als den gesellschaftlichen Konsens und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gegen grundsätzliche Kritik abzuschirmen.
Neben Sollers haben bekannte Kulturproduzenten wie der Filmregisseur Pat-rice Chéreau, die Schauspielerin Ariane Mnouchkine, der Schauspieler Michel Piccoli und der Schriftsteller Philippe Besson ebenso wie der Soziologe Fran-cois Dubet, ein Schüler von Alain Touraine, der Historiker Jacques Julliard, der Anthropologe Maurice Godelier, die Psychoanalytikerin und Literaturwis-senschaftlerin Julia Kristeva sowie die Lacan-Biographin Elisabeth Roudines-co, die beide ebenfalls zum "harten Kern" von "Tel quel" zählten, den Aufruf unterzeichnet. Wie an Glucksmann einerseits, so wird auch an der intellektu-ellen Biographie von Sollers, Kristeva und Roudinesco andererseits sichtbar, dass sich in ihrem politische Radikalismus in der Zeit von 1968 eher das Be-dürfnis nach spektakulärem, aber die Grenzen einer bürgerlichen Weltsicht nicht wirklich überschreitenden Avantgardismus artikulierte, als eine theore-tisch unterbaute stabile Beziehung zu jenen kollektiven sozialen Akteuren und Kämpfen, die auf eine wirkliche Veränderungen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zielen.
"Sarkozy jetzt besiegen"
Ohne direkten Bezug auf die Person der PS-Kandidatin zu nehmen, hat daneben eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern die Wahl von Royal nahe gelegt, die seit langem dem Spektrum gesellschaftskritischer Intellektueller zuzurechnen sind sich vom Medienzirkus der Glucksmann, Lévy und Sollers immer fern gehalten haben. Dass eine intellektuelle Sozialisation durch die Si-tuation von 1968 im allgemeinen und den Einfluss der Althusser-Schule im be-sonderen nicht zwangsläufig dazu führt, sich materiell und symbolisch dem Zeitgeist zu verkaufen, zeigt das Beispiel des Philosophen Étienne Balibar und des Soziologen Robert Castel, die gemeinsam mit anderen einen Appell unter der Überschrift "Sarkozy jetzt besiegen" ("Vaincre Sarkozy, maintenant") ver-öffentlicht haben. Balibar hatte Ende der sechziger Jahre zusammen mit Louis Althusser eine viel diskutierte strukturalistische, "anti-humanistische" und anti-subjektivistische Lesart des "Kapitals" von Karl Marx vorgeschlagen, die zwar auf einer intensiven Auseinandersetzung mit Marx beruhte, sich aber von historisch-materialistischem Denken löste und zu einem abstrakten kategorialen System des "Klassenkampfes in der Theorie" verselbständigte. Robert Castel, der früher mit Pierre Bourdieu zusammengearbeitet hat und noch immer an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) tätig ist, wurde vor al-lem durch seine fundierte Kritik an der durch den Abbau des Sozialstaats verur-sachten Prekarisierung und sozialen Exklusion bekannt.
Schon die Überschrift des Appells macht deutlich, worum es den Unterzeich-nern vor allem geht. Sie wollen in erster Linie einen Sieg Sarkozys verhin-dern, dessen Politik nach ihrer Auffassung eine Synthese von Thatcher und Berlusconi darstellt, also von einem aggressiven Neoliberalismus geprägt ist. Wenn sich Sarkozy kürzlich in einer Rede auf Jean Jaurès und Léon Blum be-rufen habe, sei das reine Wahlkampfdemagogie. In der nach einem Sieg Sar-kozys drohenden Demontage des Arbeitsgesetzbuches (Code du Travail), das trotz aller Unzulänglichkeit eine wichtige arbeitspolitische Errungenschaft in Frankreich darstellt, und dem dann an seine Stelle tretenden "contrat unique" (einheitlicher Vertrag), der einer weiteren Kommodifizierung der Arbeitskraft Vorschub leisten soll, kündigt sich in Sarkozys Wahlprogramm bereits die Fortsetzung einer antisozialen Politik à la Thatcher an, während die engen Be-ziehungen des UMP-Kandidaten zu den Medienkonzernen Bouygues, Lagar-dère und Dassault dagegen auf die politische Handschrift Berlusconis verwei-sen. Angesichts dieser Gefahr halten es Balibar, Castel, die am Collège de France lehrende Anthropologin Francoise Heritier und die anderen Mitunter-zeichner für notwendig, sich schon jetzt auf den zweiten Wahlgang einzustel-len und die politische Diskussion so zu führen, dass die schließliche Wahl von Ségolène Royal möglich wird. Auch wenn die Unterzeichner mit vielen Posi-tionen der PS-Kandidatin nicht übereinstimmten und einige aus der Unter-zeichnergruppe einem anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin den Vorzug geben würden, müsse ein Triumph von Sarkozy im zweiten Wahlgang auf jeden Fall verhindert werden. Der Appell "Sarkozy jetzt besiegen" unter-scheidet sich von anderen Stellungnahmen und Aufrufen durch seine argu-mentative Ausrichtung. Die Unterzeichner kritisieren einerseits, dass führende Vertreter des PS, die sogenannten "Elefanten", ihre Kandidatin nur halbherzig unterstützten oder sich aus dem Wahlkampf zurückgezogen hätten, und ande-rerseits zeigen sie sich enttäuscht über die Zersplitterung der "linken Linken" (la gauche de la gauche ), also der politischen Strömung links von der Sozia-listischen Partei. Die "linke Linke" beschäftige sich weitaus weniger mit dem politischen Gegner als mit der Konkurrenz in den eigenen Reihen. Das beste Mittel sei deshalb aktuell, die politische Diskussion innerhalb der gesamten Linken mit dem Ziel zu führen, einen möglichst hohes Maß an Gemeinsam-keit gegen den Hauptgegner, die bürgerliche Rechte (Sarkozy) und die extre-me Rechte (Le Pen ) zu erreichen.
Freunde des erklärten Neoliberalismus
Es fällt bei Balibar u.a. auf, dass sie nicht explizit auf die Kandidatur jenes Kandidaten eingehen, der sich als Alternative zum traditionellen Rechts-Links-Dualismus empfiehlt und binnen kurzer Zeit ein beachtliches Wähler-potential anzusprechen vermochte. Gemeint ist Francois Bayrou, der Vorsit-zende der mit einem Minister in der Regierung de Villepin vertretenen libera-len UDF (Union pour la démocratie francaise). Bayrou, dem ein Hang zum Schöngeistigen nachgesagt wird, ist es gelungen, auch ein paar prominente In-tellektuelle für seine Wahl zu gewinnen. Mit der Behauptung, weder rechts noch links zu sein, versucht er den Konkurrenten vor allem Wähler aus der Mittelklasse abspenstig zu machen. Seine Befürwortung eines Verfassungs-verbots der Staatsverschuldung, seine Forderung nach Einführung eines ein-heitlichen "Sozialminimums" ohne gleichzeitige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC, seine Befürwortung einer europäischen Verfassung ohne ausdrückliche Verankerung wirkungsvoller Sozialstandards und weitere Ideen seines Programms atmen den Geist eines verbal geglätteten, in der Sache aber massiven Neoliberalismus. Aber auch diese neoliberale Variante hat Beifall bei Intellektuellen gefunden. So haben die Historiker Jean-Pierre Rioux, der Journalist Alain Duhamel, der Soziologe Jean-Pierre Le Goff und der Schrift-steller Marc Dugain den bürgerlich-liberalen Kandidaten ihrer Unterstützung versichert. Dugain beschwor zwar in einem Artikel in "Le Point" vom 4. Ja-nuar 2007 die notwendige Distanz der Intellektuellen zur politischen Klasse, schlug dann aber unvermittelt begeisterte Töne der Zustimmung zu Bayrou an: "Bayrou ist kein Paranoiker des Kampfes von der Sorte ‚Entweder denkt man wie ich oder man ist gegen mich.Â’ Er ist entschlossen, ohne in die Dema-gogie jener Politiker zu verfallen, die sich für das Volk halten. Besser man ist belehrend als demagogisch. Und dann ist er der einzige mit einer Vision eines starken Europas, das uns erlaubt, uns von den Amerikanern abzugrenzen." (Übersetzung L.P.)
Bayrou, der Literatur studiert hat, bewegt sich auf Soireen von Intellektuellen, an denen so illustre Figuren wie Elisabeth und Robert Badinter, Alain Fin-kielkraut und Jacques Juillard teilnehmen. Am ehesten scheint sich Bayrou in die durch Raymond Aron, den früheren Freund und späteren Gegenspieler Jean-Paul Sartres, theoretisch begründete liberale politische Tradition nach dem 2. Weltkrieg einzufügen. Das erklärt, warum Bayrou jetzt Lob und Zu-spruch von Jean-Claude Casanova, dem Chefredakteur der Zeitschrift "Com-mentaire" erntet, die sich dem Denken Arons verpflichte fühlt und als das wohl bedeutendste theoretische Organ des modernen französischen Liberalis-mus gilt.
Und die Linke?
Wie aber steht es mit der eigentlichen Linken, der "gauche de la gauche", die doch traditionell die privilegierte Partnerin der engagierten politischen Intel-lektuellen gewesen ist? Gibt es heute überhaupt noch außerhalb des jeweils engen Parteikreises Intellektuelle, die für die "linke Linke" oder eine ihrer Komponenten, also für den PCF, die trotzkistisch inspirierte LCR (Ligue communiste révolutionnaire) und andere trotzkistische Organisationen, die Globalisierungsgegner ("Antimondialistes", zum Beispiel ATTAC) sowie weitere kleinere linksrepublikanische Gruppierungen eintreten? Vielleicht wä-re das durchaus so, wenn die "linke Linke" nicht so heillos zerstritten wäre. Schon die Tatsache, dass sie bei einem gemeinsamen Wählerpotential von un-gefähr 12 Prozent mit vier unterschiedlichen Kandidaten und Kandidatinnen antritt, macht sie auch für viele Intellektuelle, die auf eine gemeinsame Kan-didatur des gesamten antikapitalistischen, globalisierungskritischen und anti-neoliberalen Spektrums gehofft hatten, wenig attraktiv. Es ist inzwischen mü-ßig darüber zu räsonieren, wer die Hauptverantwortung für das jetzt schon ab-sehbare Debakel des Wahlergebnisses für die "linke Linke" trägt. Tatsache ist, dass die "Ligue communiste", genauer ihre Mehrheit, vorgeprescht ist, in-dem sie nun den in der Presse kürzlich als "polit-medialen Quasi-Star" (Le Monde, 7. April 2007) qualifizierten Jean-Francois Besancenot als Kandida-ten ankündigte, obwohl viele Komponenten der "linken Linken" zunächst eine einheitliche Kandidatur angestrebt hatten. Die Legitimationsbasis einer sol-chen Kandidatur sollten die aus den "Komitees der Linken für ein Nein" zum Referendum über die Europäische Verfassung hervorgegangenen "Kollektive des 29. Mai" bilden, die einen Appell für einen gemeinsamen Kandidaten er-ließen. Ob es nach dem Alleingang der "Ligue communiste" dann klug war, dass der PCF, die noch immer stärkste Organisation innerhalb der "linken Linken", gestützt auf eine allerdings relativ knappe Mehrheit der landesweit gebildeten anti-neoliberalen "Kollektive" sowie ein überwältigendes Votum der eigenen Mitgliedschaft, beschloss, ihre Vorsitzende Marie-George Buffet im Dezember als Kandidatin aufzustellen, mag dahin gestellt bleiben. Nach-vollziehbar zumindest war dieser Schritt, nachdem die "Ligue communiste" aus der gemeinsamen Front der "Kollektive" ausgeschert war und vollendete Tatsachen geschaffen hatte. Neben der "Ligue communiste" und dem PCF haben zwei weitere Organisationen, die trotzkistisch geprägt sind, Kandidaten nominiert. Es handelt sich um die bereits zum sechsten Mal kandidierende Ar-lette Laguiller von "Lutte ouvrière" (Arbeiterkampf) und Gérard Schivardi vom "Parti des travailleurs" (Partei der Werktätigen). Nur bedingt der Strö-mung der "linken Linken" kann die ehemalige Umweltministerin unter Pre-mierminister Lionel Jospin, Dominique Voynet, zugerechnet werden, die für die Grünen kandidiert.
Unter diesen Bedingungen konnte sich José Bové, Landwirt im Larzac, popu-lärer Globalisierungsgegner und ehemaliger Vorsitzender des alternativen Bauernverbandes "Confédération paysanne", wie ein Phönix aus der Asche linker Zerstrittenheit erheben und als der vom Parteiengezänk unberührte legi-time Kandidat der anti-neoliberalen Linken präsentieren. Dass er aber durch sein langes Zögern und seine geringe Kooperationsbereitschaft mit den ande-ren linken Organisationen und Bewegungen selbst zu der fatalen Situation beigetragen hat, aus der seine Kandidatur nun herausführen soll, sei hier nur am Rande erwähnt. Obwohl er seine Gegnerschaft zu Kapitalismus und Glo-balisierung immer wieder durch mutige persönliche Aktionen bewiesen hat, verfügt er nicht über eine klare politische Programmatik. Allerdings hat er durch wiederholte Regelverletzungen - etwa durch das Demolieren eines im Bau befindlichen McDonaldÂ’s-Schnellrestaurants oder die Zerstörung von Anbauflächen für genmanipulierten Mais - die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen, die ihn als exotische Alternative zu der angeblich sterilen Politik etwa einer Marie-George Buffet vom PCF zu vermarkten versuchen. Auch scheint Bové bisher der einzige der linken Kandidaten und Kandidatin-nen zu sein, der bei in den großen Medien zu Worte kommenden Intellektuel-len auf eine gewisse Resonanz stößt. So hat der bekannte Philosoph Michel Onfray erklärt, dass er Bové wählen wolle. Onfray, der nach seinem Aus-scheiden aus dem Staatsdienst in Caen eine "Volksuniversität" (université po-pulaire) ins Leben rief, gehört seinerseits ebenfalls zu den Intellektuellen, die sich des Interesses der Medien erfreuen, obwohl er sich als radikaler Feind der bestehenden Ordnung, des Kapitalismus, der Kirche und der gesellschaftli-chen Eliten gebärdet. Er scheint mit seiner Philosophie, einer ziemlich bizar-ren Mischung aus Anarchismus, Hedonismus, Nietzsche, Sorel und sozialisti-schen Elementen, ob er es will oder nicht, der Gier der Medien nach dem Schockierenden und Sensationellen dessen entgegen zu kommen, was sie of-fenbar für Philosophie halten. Hervorgetreten ist Onfray unter anderem mit seinem Buch "Der Rebell". Dort proklamiert er eine Art anarchischen Indi-vidualismus und eine nonkonformistische antiautoritäre Gesinnungsethik, die er mit einem "libertären Hedonismus" zu verbinden trachtet. Gleichzeitig be-ruft er sich aber auch auf Nietzsche und bezeichnet sich selbst als "linken Nietzscheaner", ohne die dadurch unvermeidlich auftretenden Aporien wahr-zunehmen. An Stelle einer an logischer Kohärenz und argumentativer Schlüs-sigkeit interessierten philosophischen Reflexion zieht Onfray einen essayisti-schen, metaphorischen und anklagenden Duktus vor, der formal durchaus Pa-rallelen zu den postmodernen Intellektuellen wie Glucksmann oder Lévy auf-weist, auch wenn sich die jeweiligen Botschaften zumindest der Absicht ihrer Urheber nach politisch widersprechen. Ist es ein Zufall, dass auch Onfray bei den Medien auf ein gewisses Interesse stößt? Noch vor kurzem, nämlich nach dem Referendum gegen die Europäische Verfassung, sympathisierte Onfray mit Olivier Besancenot, dem Präsidentschaftskandidaten der "Ligue commu-niste". Wenn er sich jetzt zu José Bové bekennt, ist das offensichtlich nicht zuletzt darauf zurück zu führen, dass der ehemalige Bauernführer eher dem von Onfray verkündeten libertären Mythos des Rebellen entspricht als der zwar jugendliche, aber in den Augen Onfrays vielleicht von den Zügen eines Parteifunktionärs dann letztlich doch nicht ganz freie Besancenot. Außer Onfray unterstützen aus den Reihen der Intellektuellen und Kulturproduzenten die Globalisierungskritikerin und ehemalige Vizepräsidentin von ATTAC in Frankreich, Susan George, und der populäre Sänger Jean Ferrat die Kandida-tur Bovés.
Der medialen Versuchung widerstehen
Wenn der Kampf um die Wahl der Staatspräsidentschaft in diesem Jahr eines beweist, dann ist es auf jeden Fall dies: Intellektuelles politisches Engage-ment, das nicht zur Komplizenschaft mit den Akteuren und Institutionen der herrschenden Klasse und ihrer Eliten verkommen, sondern sich glaubwürdig an der Entwicklung von Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen betei-ligen will, muss mit den Spielregeln hegemonialer Politik und den Strategien ihrer medialen Inszenierung brechen. Nur wenn sie sich konsequent auf die Mittel besinnen, über die sie selbst in Gestalt ihrer Fähigkeiten und Kompe-tenzen verfügen, können Intellektuelle sowohl zur Kritik als auch Verände-rung der bestehenden Verhältnisse beitragen. Die Medien, zumal das Fernse-hen, sind, von Ausnahmen einmal abgesehen, nicht die geeignete Arena, in die sich Intellektuelle begeben können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Ziele instrumentalisiert, verzerrt und pervertiert werden. Wenn Intellektuelle ihren Anspruch nicht aufgeben wollen, sich gegen soziale Ungleichheit, Aus-grenzung, Entdemokratisierung und kulturelle Entmündigung zu engagieren, dann sind sie gut beraten, sich an Pierre Bourdieus Kritik der "falschen Intel-lektuellen" und "Doxosophen" zu erinnern. Beharrlich hat Bourdieu daran fest gehalten, dass Intellektuelle nur dann berechtigt seien, in die Politik einzugrei-fen, sofern sie ihr Engagement durch professionelle Kompetenz und fachliche Anerkennung als Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler oder Journalisten legitimieren könnten, also nicht von der Gunst der Herrschenden oder dem Beifall der Medien abhängig seien. Damit erweist sich die Verteidigung der Autonomie der Felder intellektueller und kultureller Produktion als nicht hin-tergehbare Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit intellektuellen politi-schen Engagements. Vielleicht würden die Intellektuellen - und das gilt nicht nur für Frankreich - ihrer Aufgabe eher gerecht, wenn sie sich, statt mit spek-takulären Auftritten im Fernsehen, rasch hingeworfenen Artikeln in großen Tageszeitungen oder ähnlichen Prestige heischenden Aktivitäten Aufsehen er-regen zu wollen , durch Sachbeiträge und profunde Analysen zu relevanten Themen und Problemen in die öffentliche Auseinandersetzung einbringen würden, auch wenn das nicht mit dem zweifelhaften Applaus der Eliten be-lohnt wird.
* Der vorliegende Beitrag wurde Mitte April 2007 verfasst, also im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen. Der erste Wahlgang fand am 22. April statt, die Stichwahl am 6. Mai d.J. (Anm. d. Red.).