Pflegenotstand, Ökonomisierung und Widerstand – Klassenkämpfe in der Krankenpflege

Die Ökonomisierung der Krankenhäuser setzt besonders die Pflege massiv unter Druck, die Arbeitsbedingungen befinden sich seit 20 Jahren in einer katastrophalen Abwärtsspirale. Die Krise war lange vor Corona da und hat sich durch die Pandemie noch einmal zugespitzt.

Leidtragende von schlechten Arbeitsbedingungen im Krankenhaus sind immer auch die Patient*innen, wie es das zentrale Motto der Entlastungsbewegung zum Ausdruck bringt: „Mehr von uns ist besser für alle!“

Die im Pflegebereich Beschäftigten verstehen es immer besser, selber Druck aufzubauen, in den letzten zehn Jahren ist durch die „Tarifbewegung Entlastung“ eine beachtliche gewerkschaftliche Gegenbewegung mit gesellschaftspolitischer Dimension entstanden. Diese Entwicklung wollen wir hier dokumentieren.

Die Kämpfe für Entlastung und mehr Personal stehen in einem engen Wechselverhältnis zur Krankenhauspolitik: Die Klassenkämpfe werden ‚von oben‘ wie ‚von unten‘ geführt. Wechselwirkungen zwischen den betrieblichen, gewerkschaftlichen und politischen Kämpfen auf der einen und der bundesdeutschen Gesundheitspolitik auf der anderen Seite versuchen wir im Folgenden genauer zu beschreiben und einzuordnen, um das Potenzial für zukünftige Kämpfe deutlich zu machen.

Von „Anhaltszahlen“ zur Pflegeprotestbewegung 1988/89

Als Reaktion auf zunehmende Auseinandersetzungen darum, was im Krankenhaus als wirtschaftlich gilt und damit von den Krankenkassen zu bezahlen ist, veröffentlichte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)[1] 1969 „Anhaltszahlen“ für den ärztlichen Dienst und den Pflegedienst. Mit pauschalen Minutenwerten pro belegtem Bett wurden Richtwerte für das Verhältnis von Personal zu Patient*innen festgelegt.[2] So ließen sich Planstell-Zahlen berechnen, die dann zur Grundlage für Budgetverhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen wurden.

Die Anhaltszahlen galten schnell als veraltet, weil die ermittelten Planstellen nicht mit der Ausweitung und Intensivierung des Leistungsgeschehens der Krankenhäuser in den 1970er Jahren standhalten konnten. Deswegen erteilte die Bundesregierung 1981 den gesetzlichen Auftrag an die DKG und die Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherung, ein neues Instrument zur Personalbedarfsermittlung zu entwickeln. Von 1983 bis 1989 konnte in insgesamt über 50 Verhandlungsterminen keine Einigung erzielt werden, die Interessengegensätze waren zu groß (Simon 2014: 14).

Im Juli 1989 nahm das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA)[3] seine Verpflichtung wahr, bei Nicht-Einigung der Selbstverwaltung eigene Personalvorgaben festzulegen. Es wurden Expertengruppen eingesetzt, die eine Personalregelung für psychiatrische Krankenhäuser (Psychiatrie-Personalverordnung) und eine für die Krankenpflege auf Normalstationen (Pflegepersonalregelung – PPR)[4] erarbeiteten, die 1991 bzw. 1993 in Kraft traten.

Der Entscheidung des BMA im Juli 1989 waren seit Sommer 1988 Pflegeproteste vorausgegangen. „In einem großen Münchner Klinikum war die gesamte Belegschaft, einschließlich Ärzteschaft, wegen der desolaten Personalsituation im Pflegebereich auf die Straße gegangen. Das war die Solidarität, die der Pflegebereich benötigte. Die Medien waren auf unserer Seite, die öffentliche Diskussion kam in Gang, der Druck auf die Politik wuchs.“ (Peretzki-Leid, zitiert nach Lasch 2011: 3) „Stern“, „Spiegel“ und „Zeit“ brachten im Herbst 1988 Reportagen über „Pflege-Notstand“, „Fließbandpflege“ und drohende Lebensgefahren durch Personalmangel. ARD und ZDF berichteten ebenfalls über die Situation der Pflegekräfte (Hackmann 2011: 502). Eine breite öffentliche Debatte über Pflegenotstand, Personalmangel und Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern war in Gang gekommen, die bis Anfang der 1990er Jahre anhielt (Simon 2014: 13). Höhepunkt der Protestbewegung war im Februar 1989 eine Kundgebung von 20.000 Pflegekräften in der Dortmunder Westfalenhalle, zu der der Deutsche Berufsverband für Krankenpflege (DBfK)[5] und die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) gemeinsam mobilisiert hatten (Rommeswinkel 1989: 23).

In der Bewegung wurde auch über Pflegestreiks diskutiert[6], die es bis dahin in Deutschland nur ganz vereinzelt und nicht flächenmäßig gegeben hatte. Eine breitere Diskussion über Streiks in Krankenhäusern wurde in der ÖTV überhaupt erst ab 1986 geführt. Im Februar 1988 kam es im Rahmen der Tarifrunde in mindestens neun westdeutschen Großstädten zu kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen in kommunalen (Groß-)Krankenhäusern, die nicht mit der ÖTV koordiniert waren (Andersch 1990: 162f).[7] In der folgenden Tarifrunde im Mai 1989 wagte die ÖTV den Schritt, es beteiligten sich 50.000 Krankenhausbeschäftigte am allerersten flächendeckenden Krankenhaus-Warnstreik in Deutschland. Für 90 Minuten legten sie (symbolisch) die Arbeit nieder (Die Zeit 1989).

Die Entscheidung des BMA vom Juli 1989 erfolgte insofern nicht aus freien Stücken. Die Entwicklung und Einführung der PPR kann als Erfolg der Pflegproteste und der gewerkschaftlichen (Streik-)Aktivitäten 1988/89 betrachtet werden.

Anfang und Ende der Pflegepersonal-Regelung

Zwischen 1992 und 1995 bewirkte die PPR einen Stellenzuwachs im allgemeinen Pflegedienst der Normalstationen von über 21.000 Vollkräften[8] (Simon 2014: 17). Die Bundesregierung hatte schon 1992 den Erwartungshorizont auf insgesamt 26.000 zusätzliche Stellen gedeckelt, die durch die PPR zwischen 1993 und 1996 entstehen sollten (BT-Drs. 12/3209: 42). Als die Krankenkassen Ende 1995 fälschlicherweise behaupteten, dass dieses Ziel bereits erreicht sei, wurde die PPR zum 01.01.1996 ausgesetzt. Der Personalmangel in der Pflege sei nun behoben, deswegen bestehe kein Bedarf mehr für Personalvorgaben.

Die PPR sah sich der Kritik einer breiten, vorwiegend neoliberal angetriebenen Allianz ausgesetzt, zu der das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP sowie die Krankenkassen gehörten. Selbst die DKG übte eher Kritik, als dass sie das Instrument verteidigte (Simon 1995, 1112f). Der ebenfalls neoliberale „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ bezeichnete die Personalvorgaben der PPR in einem Gutachten 1995 als „Hindernisse für eine Flexibilisierung“ des Personaleinsatzes und der Personalkostenfinanzierung (zitiert nach KsF 2020: 170).

Hier liegt der eigentliche Grund für die schnelle Wiederabschaffung der PPR: Die krankenhausindividuelle Festlegung von ausfinanzierten Planstellen steht der Finanzierungslogik von Fallpauschalen (DRG - Diagnosis Related Groups) diametral entgegen und war somit ein Hindernis für die damals bereits betriebene schrittweise Einführung der DRGs. In der Begründung zur Abschaffung der PPR räumte die Bundesregierung dies im November 1996 freimütig ein.[9]

Dementsprechend setzt ab 1997 ein Jahrzehnt massiven Personalabbaus im Pflegedienst ein, der sich Ende 2001 mit dem Bundestagsbeschluss zur (vollständigen) Einführung der DRGs drastisch beschleunigte: Zwischen 1997 und 2001 wurden 15.000 Stellen abgebaut (-4,7 Prozent), zwischen 2002 und 2007 gingen knapp 33.000 Stellen verloren (-10,7 Prozent). Zwischen 1997 und 2007 wurden also insgesamt 48.000 Stellen abgebaut, 15 Prozent des gesamten Pflegedienstes der Krankenhäuser.

Die Triebfeder des rapiden Stellenabbaus durch die DRGs[10] steckt in der Art und Weise, wie darin die Personalkosten berechnet und in Konkurrenz zueinander gesetzt werden. Die DRGs werden aus den Durchschnittskosten der Krankenhäuser (Ist-Kosten) berechnet, die auch pro Berufsgruppe ermittelt werden. Die einzige Rechengröße, anhand derer Personalbesetzungen abgeleitet werden, sind diese Ist-Kosten. Ein ‚Soll-Wert‘, wie ihn PPR oder Anhaltszahlen vorgegeben haben, existiert nicht mehr: „Dadurch wird eine Personalbesetzung, die über dem Durchschnitt liegt, finanziell bestraft und Unterbesetzung finanziell belohnt. […] Wie auch immer man es dreht, im DRG-System lohnt sich Stellenabbau und Unterbesetzung. Kliniken, die ihre Personalbesetzung über das Durchschnittsniveau heben, müssen dies aus anderen Erlösanteilen querfinanzieren, oder sie laufen Gefahr Verluste zu erleiden.“ (Simon 2020: 179) Vor allem für den Pflegedienst führte dies zum sogenannten ‚Kellertreppeneffekt‘: Da alle Kliniken versuchen, mit ihren Personalkosten unterhalb des allgemeinen Durchschnitts zu bleiben, sinken bei jeder Neuberechnung der Ist-Kosten die Durchschnittskosten ab (KsF 2020: 173).

Für die Pflege und alle anderen nicht-medizinischen Bereiche kommt verschärfend hinzu: Ihre Arbeit gilt im DRG-System in den meisten Bereichen nicht als ‚erlösrelevant‘. Mit den DRGs werden medizinische Leistungen und Prozeduren vergütet, die von Ärzt*innen erbracht werden. Wie viel pflegerische Arbeit für den jeweiligen Fall aufgewendet wurde, spielt für die Vergütung des Krankenhauses in der Regel keine Rolle. Entsprechend stieg die Zahl der Vollkräfte im ärztlichen Dienst zwischen 2001 und 2018 von 105.747 auf 157.069 (+48,5 Prozent), während der Pflegedienst im gleichen Zeitraum ein Minus von 2,3 Prozent verzeichnete (2001: 307.309, 2018: 300.109 Vollkräfte).[11]

Gegenbewegungen:
Proteste, neue Kämpfe und ‚echte‘ Pflegestreiks

Zu ersten größeren Protesten gegen die sich kontinuierlich verschlechternden Arbeitsbedingungen im Pflegedienst kam es 2008. Im Juni übergaben der DBfK und ver.di 185.000 Unterschriften an die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die sie im Rahmen der gemeinsamen Kampagne „Uns reicht’s!“ gesammelt hatten. Am 25. September demonstrierten 130.000 Krankenhausbeschäftigte in Berlin unter dem Motto „Der Deckel muss weg!“ für bessere Arbeitsbedingungen und eine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser. Zu dieser Demonstration – die größte Mobilisierung in der Geschichte des deutschen Gesundheitssystems – hatte ver.di gemeinsam mit den Arbeitgebern, der DKG, mobilisiert.

Die Bundesregierung reagierte darauf 2009 mit einem „Pflege-Förderprogramm“, das 17.000 zusätzliche Pflegestellen zwischen 2009 und 2011 schaffen sollte, aber nur 8.000 neue Stellen brachte.[12] Angesichts der Dimension des Stellenabbaus in den 15 Jahren und bei kontinuierlich steigenden Fallzahlen konnte so keine nennenswerte Entlastung verzeichnet werden. Von Seiten der Bundesregierung passierte nach dem ersten Pflegeförderprogramm erst einmal lange nichts, von der Schwarz-Gelben Bundesregierung (2009-2013) wurden keinerlei politische Maßnahmen ergriffen.[13]

Aus der Erfahrung, dass ein gemeinsames Eintreten mit den Arbeitgebern für mehr Geld nicht zur Entlastung der Pflege führte, zog ver.di Konsequenzen und stellte die Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung stärker in den Fokus. In den folgenden Jahren verbreiterte sich die Forderung nach einer Personalbemessung, unterschiedliche Konzepte wurden vorgeschlagen.[14] Die DKG trat dabei stets als (erbitterte) Gegnerin solcher Konzepte in Erscheinung (bis 2019, s.u.).

Auf die Frage, wie Entlastung, mehr Personal sowie gesetzliche Personalvorgaben nicht nur gefordert, sondern auch durchgesetzt werden können, entwickelte die ver.di-Betriebsgruppe an der Berliner Charité Anfang der 2010er Jahre eine eigene Antwort: Personalbemessung per Tarifvertrag.[15] Diesen Ansatz konnten die gewerkschaftlich Aktiven an der Charité aus einer Position der Stärke vorantreiben. Im Frühjahr 2011 hatte ver.di mit einem fünftägigen Streik die halbe Charité lahmgelegt um Lohnunterschiede zum Flächentarif abzubauen. Von 3.300 Betten waren 1.500 gesperrt, 90 Prozent der Operationen mussten ausfallen, die Charité erlitt massive finanzielle Verluste (Wolf 2015: 24).

Die Durchschlagskraft entstand durch das Konzept des Betten- und Stationsschließungsstreiks, das hier erstmalig angewendet wurde: Ver.di meldet dem Arbeitgeber mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf die Betten und Stationen, die wegen der Streikbereitschaft der Kolleg*innen nicht betrieben werden können. Dieser trägt dann Verantwortung dafür, dass diese Betten zum Streik tatsächlich leer sind, so dass die Pflegekräfte ihr Streikrecht wahrnehmen können, ohne ihre eigenen professionellen Maßstäbe zu verletzen, weil sie so keine Patient*innen gefährden. Das professionelle Ethos der Beschäftigten, das oft als Bremse für Arbeitskämpfe angesehen wurde („die Pflege streikt nicht“) kann so als widerständige Ressource mobilisiert werden. Zumal die Ökonomisierung der Pflege zu wirklicher Durchschlagskraft verholfen hat: Ein mit Betten- und Stationsschließungen geführter Pflegestreik richtet, anders als symbolische (Delegierten-) Streiks, erheblichen wirtschaftlichen Schaden an, weil die Krankenhäuser durch die DRGs pro Fall und nicht kostendeckend finanziert werden.

Vom Streik 2011 bis zum Abschluss des bundesweit ersten Tarifvertrags, der Personalvorgaben und Personalaufwuchs in einem Krankenhaus regelt,[16] vergingen fünf Jahre. Höhepunkt war der elftägige Erzwingungsstreik im Juni/Juli 2015, bei dem über 20 Stationen komplett geschlossen und insgesamt 1.000 Betten leergestreikt wurden. Die Auseinanderersetzung verlief in Konjunkturen, mit etlichen Höhen und Tiefen. Wahrscheinlich gerade deshalb wurde die Tarifbewegung zu einem Laboratorium für Arbeitskämpfe im Krankenhaus, in dem neue Formen der Organisierung und Beteiligung entwickelt wurden.[17]

Bis zum Abschluss des Tarifvertrags stand ver.di an der Charité mit diesem Ansatz allein auf weiter Flur, die Belegschaft keiner anderen Klinik wollte diesen Weg einschlagen bzw. traute sich diese Auseinandersetzung zu. Aber nach dem Streik und dem Tarifabschluss konnten sich die Ehrenamtlichen wie die Hauptamtlichen der Charité vor Anfragen von Betriebsgruppen aus anderen Kliniken und ver.di-Gliederungen kaum retten. Die Charité-Kolleg*innen konnten wichtige Impulse und Instrumente für eine konfliktorientierte Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung in Krankenhäusern in die Republik tragen.

Wesentlich für die Entwicklung von organisatorischer Stärke und Durchsetzungsfähigkeit war – neben der Etablierung des Betten- und Stationsschließungsstreiks – die Entwicklung einer Struktur von „Tarifberater*innen“.[18] Als Delegierte ihres Teams übernahmen sie eine zentrale Multiplikatorfunktion zwischen der Tarifkommission und den Beschäftigten – bei der Weitergabe von Informationen über den Stand der Tarifbewegung, der (Streik-) Mobilisierung und der Rückkopplung von Verhandlungsergebnissen. Es entstand damit ein „neuer Typus von Gewerkschaftsaktiven“ (Wolf 2015: 28), der auf die teamorientierte Arbeitsorganisation im Krankenhaus abgestimmt ist. Diese Struktur hat sich, in ähnlicher oder abgewandelter Form („Teamdelegierte“), mittlerweile in konfliktorientierten Auseinandersetzungen in Krankenhäusern etabliert.

Im September 2017, eine Woche vor der Bundestagswahl, befand sich nicht nur die Charité wieder im Streik.[19] In sieben Kliniken in sechs Bundesländern gab es erstmals gleichzeitig (und bisher einmalig) bundesweit Warnstreiks für Entlastung (ver.di 2017b). „Der Spiegel“ kommentierte: „Ein nie dagewesener Kampfgeist hat Krankenhäuser in ganz Deutschland erfasst. Ausgehend von der Berliner Charité, an der Pflegekräfte mit Streiks feste Personalschlüssel durchgesetzt haben, begehrt das Personal an Kliniken in Bayern und Baden-Württemberg, in Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen auf: Augsburg, Dachau, Tübingen, Freiburg, Heidelberg und Ulm, Essen, Düsseldorf, Hannover. Mancher Krankenhausbetreiber versuchte, sich vor Gericht gegen Streiks zu wehren – und verlor.“

2017 und 2018 gelang es ver.di an einigen Kliniken, Entlastungstarifverträge durchzusetzen, z.T. mit vorhergehenden Streiks, allerdings nicht immer mit Personalvorgaben. Ein Problem hatten die Tarifverträge mit Personalvorgaben aber allesamt, auch an der Charité: Was passiert, wenn die Klinik die tariflich festgelegten Schichtbesetzungen nicht einhält? Wirksame Sanktionsmechanismen gab es bis dahin nicht.

Im Herbst 2018 konnten am Uniklinikum des Saarlands (UKS) und am Klinikum Augsburg in dieser Frage erstmals Durchbrüche erzielt werden: Die getroffenen Vereinbarungen legen fest, dass Beschäftigte, die in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen, „Belastungstage“ gutgeschrieben werden. Ab einer bestimmten Zahl von Belastungstagen entsteht ein individueller Anspruch auf einen zusätzlichen freien Tag. Erstmals gibt es damit für die Kliniken deutlich spürbare Sanktionen, die zur Einhaltung der Schichtbesetzungen ‚motivieren‘. Durchgesetzt werden konnte dies in beiden Kliniken durch starke betriebliche Mobilisierungen, die mit Druckkampagnen auf einen Erzwingungsstreik hin ausgerichtet waren.[20]

Auch die Beteiligung der Teamdelegierten wurde weiterentwickelt. Am UKS und auch bei der Entlastungsbewegung am Uniklinikum Jena (UKJ) im Sommer 2019 waren sie während der Verhandlungen in Nebenräumen anwesend und wurden regelmäßig unterrichtet, so dass sie Einfluss auf wichtige Entscheidungen nehmen konnten.[21] Nach dem erfolgreichen Abschluss am UKJ im Oktober 2019 konnten, mit jeweils ähnlichen Strategien, Abschlüsse an der Universitätsmedizin Mainz (Dezember 2019) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (Februar 2020) erkämpft werden.

Reaktionen der Politik und Zwischenerfolge

Anfang 2017 wurden vom BMG die sogenannten „Personaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen“ erfunden. Bis dahin existierten beide Begriffe weder in der pflegewissenschaftlichen oder gesundheitspolitischen Diskussion noch in den Sozialgesetzbüchern. Sie wurden 2019 zunächst in nur vier Bereichen[22] eingeführt und werden seitdem sukzessive erweitert.

Das einzig Positive daran ist, dass die Bundesregierung sich endlich dem Druck beugen und eingestehen musste, dass Personalvorgaben in Krankenhäusern notwendig sind. Jenseits davon ist das Instrument allerdings eine Farce: Für die Festlegung der Untergrenzen wird die tatsächliche Personalbesetzung in den jeweiligen Bereichen der Krankenhäuser ermittelt. Der Personalschlüssel, der als gesetzliche Untergrenze (willkürlich) festgelegt wird, ist die Besetzung, die statistisch zwischen dem schlechtesten und dem zweitschlechtesten Viertel liegt. Anstatt den Personalbedarf mit einem Soll wissenschaftlich zu ermitteln (wie bei der PPR), wird bei den Untergrenzen die Soll-Besetzung aus der Ist-Besetzung abgeleitet. Es ist also keine Maßnahme gegen den Pflegenotstand, sondern seine staatliche Legitimierung.[23] Entsprechend groß war und ist die Kritik an diesem Instrument.[24]

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD brachte im Februar 2018 eine große Überraschung. Die Parteien einigten sich darauf, die Pflegepersonalkosten (ca. 16 Mrd. Euro jährlich) aus den DRGs herauszunehmen und sie wieder kostendeckend zu finanzieren. Seit 2004 erfolgte die Finanzierung der Betriebskosten der Krankenhäuser ausschließlich über DRGs. Dass diese Systematik nun durchbrochen werden sollte, wurde von unserer Seite äußerst positiv, von der Gegenseite mit blankem Entsetzen[25] aufgenommen.

Passieren konnte dies nach unserer Kenntnis, weil SPD und CSU[26] sich in den Verhandlungen gegen die CDU durchsetzen konnten. Die SPD verspürte nach den Protesten und Arbeitskämpfen der Jahre zuvor (Entlastungsstreiks, Volksbegehren, Petitionen, Aktionen und die beständige mediale Berichterstattung über Pflegenotstand, Personalmangel, Unterfinanzierung etc.) offenbar so großen Druck, dass sie sich für einen (teilweisen) Paradigmenwechsel in der Krankenhausfinanzierung einsetzte. Bemerkenswert war dieser Schritt auch deshalb, weil er vorher in keinem Wahlprogramm, Positionspapier etc. auch nur andeutungsweise formuliert wurde.

Die gesetzliche Umsetzung dieser Vereinbarung lag in der Hand des BMG und zeigt, wie groß auch dort der Unwille war, diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Denn das für die Finanzierung der Pflegepersonalkosten neu geschaffene „Pflegebudget“ ist so konstruiert, dass die jetzt kostendeckende Finanzierung ohne größeren Aufwand auf Pflegepauschalen umgestellt werden könnte (Simon 2018: 82f). An der Wirkung ändert das aber erst einmal nichts: Dem Anreiz zum hemmungslosen Stellenabbau im Pflegedienst ist die Triebfeder genommen (s.o.), da die Krankenhäuser mit niedrigen Pflegepersonalkosten jetzt keine Gewinne – und umgekehrt mit hohen Kosten keine Verluste – mehr verbuchen können. Überschüsse wie Defizite werden mit den Krankenkassen verrechnet.

Die DKG bewertet die geänderte Finanzierungssystematik positiv, sieht aber ebenfalls mittelfristig die Gefahr der Ersetzung durch Pflegepauschalen. Auf dieser Grundlage vollzog sich innerhalb der verschiedenen Fraktionen der DKG ein Positionswechsel, bei dem sich die öffentlichen und freigemeinnützigen Träger gegen die privaten durchsetzen konnten: Nachdem er sich mehr als zehn Jahre gegen ein verbindliches Personalbemessungsinstrument gewehrt hatte, beschloss der DKG-Vorstand im März 2019, genau dies jetzt aktiv voranzutreiben (DKG 2019).

Dieser Positionswechsel kann zum einen auch dem gewerkschaftlichen, politischen und medialen Druck zugeschrieben werden. Zum anderen führte das geringe Vertrauen der DKG in die Beständigkeit eines selbstkostendeckenden Pflegebudgets zu der Einschätzung, dass ein bedarfsgerechtes Bemessungsinstrument, an dem sich auch die Finanzierung ausrichten muss, ein Bollwerk für die Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen sein kann, wie es – wie oben dargestellt – Anhaltszahlen und PPR gewesen sind.

Im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“, die 2018 von Gesundheits-, Familien- und Arbeitsministerium als Maßnahme gegen den Pflegenotstand einberufen wurde, kam es zu der Vereinbarung, dass die DKG, gemeinsam mit ver.di und dem Deutschen Pflegerat, einen „Interims-Vorschlag für ein Pflegepersonalbemessungsverfahren“ entwickelt, der dann vom BMG „ergebnisoffen“ geprüft werden soll (Bundesregierung 2019: 47).

Die Hoffnung im BMG dürfte gewesen sein, dass die in dieser Frage ungewöhnliche Dreierkonstellation zu keiner gemeinsamen Lösung kommt und der politische Druck dadurch abnimmt. Tatsächlich verlief die Erarbeitung nicht konfliktfrei, endete aber in einer Einigung: Im Januar 2020 wurde dem BMG die „PPR 2.0“[27] zur Prüfung vorgelegt, die ihre Praktikabilität vorher bereits in einem Probelauf in 44 Krankenhäusern unter Beweis gestellt hatte (ver.di 2020).[28] Das BMG versicherte noch im selben Monat: „die Ergebnisse der Prüfung werden zeitnah kommuniziert“ (BT-Drs. 19/16951: 64). Die kurz darauf einsetzende Corona-Pandemie war dann offenbar ein willkommener Anlass, die Prüfung des aus Sicht des BMG unliebsamen Konzepts zu verschleppen. Über ein Jahr nach der Vorstellung der PPR 2.0 gibt es im Januar 2021 noch keinerlei öffentliche Äußerung dazu aus dem Gesundheitsministerium, geschweige denn eine Initiative zur Umsetzung.

Pandemie und Ausblick

Mit dem Beginn der Pandemie ab März wurde die Situation von Pflegekräften (Gesundheitsarbeiter*innen allgemein) noch einmal katastrophaler und die Forderungen existenzieller: Fast überall fehlte persönliche Schutzausrüstung (Masken, Kittel etc.). Regelmäßige Coronatests der Beschäftigten fanden in den allerwenigsten Einrichtungen statt. Die Ausdünnung des Reinigungspersonals verschärfte vielerorts die Überlastung. In Krisenstäbe wurden Pflegekräfte so gut wie nirgends einbezogen. „Wir bleiben für euch da! Bleibt ihr für uns Zuhause!“ war auf Fotos und in sozialen Medien ein häufig genutzter Appell von Gesundheitsarbeiter*innen, um der drohenden Überlastung der Krankenhäuser entgegenzuwirken.

Im Bundestag wurden die Gesundheitsarbeiter*innen mit Standing Ovations beklatscht, während Bundes- und Landesregierungen sowie Krankenhausbetreiber den Hammer kreisen ließen: Die Personaluntergrenzen wurden vollständig ausgesetzt, das Arbeitszeitgesetz vom Bund so gelockert, dass Bundesländer die Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden/Woche (sonst 48 Stunden) hochsetzen konnten, was einige auch taten. Früh begannen die Diskussionen, ob mit Corona infizierte Beschäftigte weiterarbeiten müssen, manche Bundesländer erwogen Zwangsverpflichtungen von Menschen mit medizinischer oder pflegerischer Ausbildung. Insgesamt wurden – besonders auf Ebene der Krankenhäuser und unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit – viele Arbeits- und Mitbestimmungsrechte ausgehebelt.

Die Beschäftigten reagierten mit einer Welle von kaum zu überblickenden Petitionen, Unterschriften- und Fotoaktionen – in Ermangelung anderer Aktionsmöglichkeiten. In mehreren Hochburgen dieser Aktivitäten war vorher bereits für einen Tarifvertrag Entlastung gekämpft worden. Zwei Online-Petitionen von Pflegekräften wurden bis Mitte April von mehr als einer halben Million Menschen unterschrieben.[29] Offene Briefe an die jeweiligen Ministerpräsidenten und Landesgesundheitsminister*innen wurden in Baden-Württemberg von mehr als 300 betrieblichen Interessenvertretungen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen (ver.di 2020b) und in Niedersachsen/Bremen von 60 Interessenvertretungen der Krankenhäuser (ver.di 2020c) unterzeichnet. Neben unmittelbaren Forderungen werden dort auch Forderungen nach grundlegenden Veränderungen im Gesundheitssystem artikuliert (Abschaffung der DRGs, Rücknahme aller Privatisierungen, Einführung der PPR 2.0).

Die zweite Welle der Pandemie ab Herbst 2020 hat auch die gewerkschaftlichen Aktivitäten in den Krankenhäusern überrollt. Es ist deutlich stiller als im Frühjahr, während die Krankenhäuser sich in einem für die Bundesrepublik bisher einmaligen Ausnahmezustand befinden, der die erste Welle im Frühjahr bei weitem übertrifft.

Wohl in keiner anderen Branche ist – zumindest der Sache nach – das Bedürfnis der Beschäftigten nach einer Abkehr von der Profitlogik und einem grundlegenden, am Gemeinwohl orientierten Systemwechsel so groß wie im Gesundheits- und Pflegesystem. Dies war schon vor der Pandemie so, aber es dürfte im letzten Jahr noch einmal deutlich zugenommen haben. Die Wut in den Krankenhäusern ist nach unserem Eindruck groß. Auch die beachtliche Beteiligung der Kliniken in der Tarifrunde öffentlicher Dienst im letzten Herbst ist hierfür ein Indikator.

Die letzten Jahre haben in den Krankenhäusern gezeigt, wie das Berufsethos von Gesundheitsarbeiter*innen als Machtressource erschlossen werden kann, wie neue demokratischere Formen von Arbeitskämpfen geführt und zu gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen gemacht werden können.[30]

Es gibt, wie wir oben dargestellt haben, einen anhaltenden Bewegungszyklus in den Krankenhäusern. Dieser verläuft nicht linear und nicht in rasanter Geschwindigkeit. Aber die tariflichen Entlastungskämpfe bauen aufeinander auf, sind aufeinander bezogen, lernen voneinander und treiben gewerkschaftliche Erneuerung in den Krankenhäusern voran. Sie werden weitergehen, wenn die Pandemie es wieder zulässt und sie haben, wenn sie ausgeweitet werden, ein hohes Potenzial, die Krankenhauspolitik weiter aufzumischen. Um endlich die PPR 2.0 durchzusetzen, halten wir dies für den vielversprechendsten Hebel.

 

Literatur

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ver.di - ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen/Fachbereich 3 (2020c): Offener Brief zur Corona-Pandemie von Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen aus Krankenhäusern in Niedersachsen und Bremen
https://nds-bremen.verdi.de/branchen-und-berufe/gesundheit-soziale-dienste-wohlfahrt-und-kirchen/aktuelles/++co++57b87dec-7998-11ea-acd8-001a4a160110 (letzter Zugriff am 24.01.2021)

ver.di - ver.di Bezirk Berlin/Fachbereich 3 (2017): Mehr von uns ist besser für alle! Der Kampf um Entlastung und Gesundheitsschutz an der Berliner Charité. Broschüre, Berlin, 2.Auflage. https://tinyurl.com/brosch-verdi-charite (letzter Zugriff 20.01.2021)

ver.di - ver.di Bund/Fachbereich 3 (2018): Durchbruch an der Saar. Interview mit Michael Quetting. https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/entlastung/++co++99586f f8-bbf5-11e8-8fd8-525400f67940 (letzter Zugriff 26.01.2021)

Wolf, Grit (2014): Charité-Streik für mehr Personal: »Wir schreiten voran, andere werden folgen«. Interview. http://pflegestreik.de/charite-streik-fuer-mehr-personal-wir-schreiten-voran-andere-werden-folgen/ (letzter Zugriff 20.01.2021)

Wolf, Luigi (2015): „Mehr von uns ist besser für alle!“ Die Streiks an der Berliner Charité und ihre Bedeutung für die Aufwertung von Care-Arbeit, in: Fried, B./Schurian, H. (Hg.): Umcare. Gesundheit und Pflege neu organisieren. Materialien der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nr.13, Berlin, S.23-31

 

[1]   Die DKG ist ein Zusammenschluss von Landes- und Spitzenverbänden der Krankenhausträger und als solcher ihre bundesweite Interessenvertretung.

[2]   Die Minutenwerte waren unabhängig von der Pflegbedürftigkeit der Patient*innen. Deswegen ist es ein relativ ungenaues Verfahren, das aber dennoch Mindeststandards setzte. Wurden diese Vorgaben unterschritten, konnten Beschäftigte und Interessenvertretungen dagegen vorgehen (KsF 2020: 170f).

[3]   Bis 1991 lag der Bereich „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ in der Zuständigkeit des BMA.

[4]   „Die wesentliche Neuerung durch die Pflege-Personalregelung war nun eine Differenzierung in verschiedene Minutenwerte für verschiedene Leistungsbereiche in der allgemeinen Krankenpflege. Weiter enthielt die PPR detaillierte Vorgaben für die Berechnung und Vereinbarung der Personalstellen.“ (Simon 2000: 242)

[5]   Seit Mai 1991 „Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe“ (DBfK).

[6]   Einen interessanten Einblick in die Debatten und Aktivitäten der Protestbewegung geben die Ausgaben der Zeitschrift Dr. med. Mabuse (Hefte 58-62, 1988/89). Artikel-Überschriften sind z.B. „Pflegestreik. In Frankreich und bald hierzulande?“, „Uns reicht's! Pflegenotstand! Pflegeaufstand?“ oder „Berührungsangst. Pflegerische Basisgruppen und die ÖTV“.

[7]   Andersch berichtet von 1.200 Beschäftigten in fünf Berliner und 1.300 Beschäftigten in zwei Münchner Krankenhäusern, die die Arbeit kurzzeitig niederlegten, sowie ähnlichen Aktionen in Hamburg, Hannover, Dortmund, Essen, Köln, Frankfurt und Stuttgart (Andersch 1990: 162).

[8]   Alle Angaben zu Personalstellen im Text werden als „Vollkräfte“ (VK) bzw. „Vollzeitäquivalente“ angegeben, die in der Krankenhausstatistik ausgewiesen werden. Diese Einheit „wird ermittelt, indem die Summe der tatsächlichen Arbeitszeit aller Vollzeitbeschäftigten, Teilzeitbeschäftigten und der nur vorübergehend in Krankenhäusern beschäftigten Mitarbeiter auf Stellen mit voller tariflicher Arbeitszeit umgerechnet wird“ (Simon 2014: 8). Die Zahl der insgesamt Beschäftigten ist höher, bietet aber keine Vergleichbarkeit für das tatsächlich vorhandene Arbeitszeitvolumen.

[9]   „Das für den stationären Bereich weiterentwickelte Vergütungssystem enthält verstärkt wettbewerbliche Elemente, mit denen die Pflege-Personalregelung nur bedingt kompatibel ist, da ihre Konzeption in einer Zeit erarbeitet wurde, als der Krankenhausvergütung noch das Selbstkostendeckungsprinzip zu Grunde lag. […] Mit der Aufhebung der Pflege-Personalregelung wird – auch im Sinne der Deregulierung – die Verantwortung wieder in die Hände der Selbstverwaltungspartner von Krankenhäusern und Krankenkassen gelegt.“ (BT-Drs. 13/6087: 36)

[10] Zur Funktionsweise der DRGs siehe die informative Broschüre vom „Bündnis Krankenhaus statt Fabrik“ (KsF 2020), besonders das Kapitel „Was sind DRGs und wie funktionieren sie?“ (23ff).

[11] Wobei auch im ärztlichen Dienst die Arbeitsbelastung innerhalb dieses Zeitraums zugenommen hat (vgl. Simon 2020: 186).

[12] Eine ausführlichere Darstellung und Kritik des Programms findet sich bei Simon (2018: 17ff).

[13] Laut Berechnungen von Michael Simon fehlten 2013, gemessen an den PPR-Standards von 1993 und unter Berücksichtigung gestiegener Leistungsanforderungen, mindestens 100.000 Pflegekräfte auf den Normalstationen der allgemeinen Krankenhäuser (Simon 2015: 36ff).

[14] Eine Übersicht zur Debatte zwischen 2007 und 2013 gibt Simon (2014: 31ff).

[15] Ein Tarifvertrag wurde und wird dabei politisch immer als Zwischenschritt zu einem Gesetz gesehen, für das mit den Tarifkämpfen Druck aufgebaut wird (vgl. z.B. Wolf 2014).

[16] Nach unserer Kenntnis hat es bis dahin in der BRD überhaupt nur einen vergleichbaren, von der IG Druck und Papier 1978 erkämpften Tarifvertrag gegeben, der Besetzungsregelungen für die Druckindustrie festlegte: vgl. Pickshaus/Roßmann 1978.

[17] Über den Verlauf und die Entwicklungen der Tarifbewegung haben die Ehren- und Hauptamtlichen Gewerkschafter*innen der Charité eine sehr lesenswerte Broschüre veröffentlicht (ver.di 2017a). Interessante Einblicke und Analysen zur Charité-Bewegung bieten auch Wolf (2015) und Artus (2019).

[18] Auch die Aktivitäten des für die Tarifbewegung gegründeten „Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ sollen hier zumindest erwähnt werden. In vielen Städten gründeten sich in der Folge ähnliche Bündnisse. Ausführlicher zur Funktion des Unterstützer*innenbündnis siehe Wolf (2015: 27ff), ver.di (2017: 25f) sowie die Webseite des Bündnis www.mehr-krankenhauspersonal.de (letzter Zugriff 21.01.2021).

[19] Ver.di hatte den Tarifvertrag zum 30. Juni 2017 auslaufen lassen, weil der Arbeitgeber die Vereinbarungen an vielen Stellen nicht eingehalten hatte. Deswegen sollten die Sanktionsmöglichkeiten im Tarifvertrag schärfer gestellt werden, was aber nur sehr bedingt gelang.

[20] Michael Quetting, ver.di-Sekretär, beschreibt die Phase kurz vor dem Abschluss am UKS so: „Wir haben die ganze Nacht verhandelt und die Vereinbarung erst wenige Minuten vor dem geplanten Streikbeginn um 6 Uhr früh unterzeichnet. Parallel zu den Verhandlungen trieben wir die Streikvorbereitungen voran. Wir hatten 440 von etwa 1.300 Betten sowie acht komplette Stationen zur Schließung angemeldet.“ (ver.di 2018)

[21] Manzey (2019) gibt einen sehr informativen Einblick in die Tarifbewegung am UKJ. Über die Verhandlungen schreibt er: „Auf dem Höhepunkt der zweiten Verhandlungsrunde waren über 130 gewählte Teamdelegierte anwesend. Nicht zuletzt die Aushandlung der Besetzungszahlen für die einzelnen Stationen wäre ohne dieses Beteiligungsmodell kaum denkbar gewesen.“ Vgl. auch den Beitrag von Ellen Ost in diesem Heft, S. 18ff.

[22] Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie.

[23] Ein besonderer Hohn ist, dass durch die Personaluntergrenzen Volksentscheide verhindert wurden, die 2018 in Berlin, Hamburg, Bayern und Bremen gestartet waren und mit denen verbindliche Personalvorgaben auf Landesebene durchgesetzt werden sollten. In den vier Bundesländern wurden dafür in den ersten Phasen insgesamt 190.000 Unterschriften gesammelt, aber alle Landesverfassungsgerichte urteilten, dass der Bund mit den Untergrenzen von seiner Gesetzgebungskompetenz „abschließend“ Gebrauch gemacht habe, so dass die Länder hier keine eigene Gesetzgebungskompetenzen mehr hätten.

[24] Eine ausführliche Darstellung und Kritik der Personaluntergrenzen liefert Simon (2018: 63ff).

[25] Aus einem Bericht über das DRG-Forum 2018, ein großes jährliches Stelldichein der Neoliberalen in der Krankenhauspolitik: „‚Das war wie ein Meteoriteneinschlag‘, sagt Dr. Wulf Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband. ‚Das ist völlig ankündigungslos in die Welt gekommen, irgendwann in einer Nacht von Donnerstag und Freitag.‘ Er habe sich gefragt, ob ‚die jetzt völlig durchgeknallt sind. Wie kann so etwas passieren?‘“ (PAG 2018: 2)

[26] In Bayern liegt der Anteil öffentlicher Krankenhäuser bei ca. 60 Prozent (Bundesdurchschnitt 2017: ca. 29 Prozent). Die Unterfinanzierung v.a. öffentlicher Kliniken durch die DRGs erfordert häufig, dass die finanziellen Verluste durch die Krankenhausträger – Kommunen und Landkreise – ausgeglichen werden müssen, in denen bis auf wenige Ausnahmen die CSU regiert. Die Sympathie für das DRG-System ist daher in der CSU nicht besonders hoch.

[27] Für die PPR 2.0 wurde die alte PPR als Grundlage genommen und überarbeitet.

[28] Den zusätzlichen Personalbedarf bei Umsetzung der PPR 2.0 schätzt die DKG auf 40.000, ver.di auf mindestens 80.000 Stellen.

[29] https://weact.campact.de/petitions/covid-19-gesundheitsarbeiter-innen-fordern-menschen-vor-profite und https://www.change.org/p/covid2019-gemeinsamer-pflegefachkr%C3%A4fte-aufruf-an-jensspahn-illner

[30] Ein erheblicher Teil der Ehren- und Hauptamtlichen Gewerkschafter*innen, die diese Kämpfe führen, sind Linke. Programmatisch ist DIE LINKE bis auf weiteres die einzige im Bundestag vertretene Partei, die eine Perspektive auf einen Systemwechsel im Gesundheitswesen anzubieten hat. Seit mehreren Jahren ist die Kampagne „Menschen vor Profite: Pflegenotstand stoppen!“ ein zentraler Schwerpunkt der Parteiaktivitäten. Organisatorisch schlägt sich dies in zunehmenden Parteieintritten und Wähler*innenstimmen von Beschäftigten aus den Gesundheits-, Pflege- und sozialen Berufen nieder. Um zu einem politischen Zuhause für diese Teile der Klasse werden zu können, von dem aus sie ihre Kämpfe führen können und Unterstützung dafür finden, bedarf es aber einer Erneuerung der Organisierungsformen, die Raum für Erfahrungsaustausch und Lernprozesse mit einer solidarischen politischen Kultur verbinden: „An diese Tendenzen in den Klassenkämpfen anzuknüpfen und diese zum Ausgangspunkt einer politischen Offensive zu machen, ist der Kern der gewerkschaftspolitischen Strategie einer verbindenden Partei.“ (Riexinger 2016)