Kommerzielle Sicherheit auf dem urbanen Marktplatz
Kommerzielle Sicherheitsdienste sind in der Bundesrepublik – und in Deutschland – kein neues Phänomen. In den vergangenen rund 30 Jahren jedoch hat die Branche ein exorbitantes Wachstum erl
Wo Sicherheit zur Ware wird, realisiert sich deren Gewährleistung auf einem Markt, dem Sicherheitsmarkt. Damit werden Bürger und Staat zu Kunden bzw. Konsumenten, Bundes- und Landespolizeien zu Konkurrenten. 1 Mag sehr gut sein, dass sich Geschichte nicht wiederholt, aber was wir gegenwärtig beobachten, ist die Re-Kommodifizierung von Sicherheit, die zu unterscheiden ist von ihrer Privatisierung (Nogala 1995) 2 – letztgenannter geht es darum, wer die Leistung erbringt. 3 Kommodifizierung verdeutlicht demgegenüber den Warencharakter kommerzieller Sicherheit(sdienste). Zur Gewinnorientierung und Profitmaximierung benötigt das Gewerbe Nachfrage – die es zu generieren gilt. Es trifft dabei auf einen (National)Staat, dem es im Zuge neoliberaler Wirtschaftspolitik um das Outsourcing einer Vielzahl von Dienstleistungen und Verantwortlichkeiten zu tun ist. Im Vergleich zu Nordamerika oder Großbritannien hat das deutsche Sicherheitsgewerbe sicher Nachholbedarf (Rigakos 2002; Jones/Newburn 2006; Eick et al. 2007), doch die Fortschritte – insbesondere an der Dienstleistungsperipherie des Sicherheitsmarktes – können sich sehen lassen. Sie sind Gegenstand des nachfolgenden Beitrags.Das Gewerbe in Zahlen
Kommerzielle Sicherheitsdienste sind in der Bundesrepublik – und in Deutschland – kein neues Phänomen. Schon 1901 wurde der erste Wach- und Sicherheitsdienst in Hannover gegründet, seine Vorläufer finden sich etwa in den Nacht- und Brandwachen des 17. Jahrhunderts. In den vergangenen rund 30 Jahren jedoch hat die Branche ein exorbitantes Wachstum erlebt. Nachdem zunächst kurz Wachstum, Umsatz und Umfang des privaten Sicherheitsgewerbes skizziert werden, stellt der zweite Abschnitt gegenwärtige und zukünftige Arbeitsfelder des Gewerbes dar. Ein paar Worte sollen sodann zu den – staatlichen und den ebenfalls privaten, aber nicht kommerziellen – Konkurrenten der gewerblichen Sicherheitsdienste verloren werden. Schließlich werden die Befunde in den Kontext eines neoliberalen Stadt- und Staatsumbaus eingeordnet. Das exorbitante Wachstum der Unternehmen (und Mitarbeiter) der Sicherheitsbranche ist nicht nur beredter Ausdruck von Neoliberalisierung (vgl. Harvey 2006), 4 sondern hat zudem diverse Sozialwissenschaftler veranlasst, von einer (Re)Feudalisierung der Kriminalpolitik zu sprechen: Erstens, weil staatliche Sicherheitsagenturen wie die gute alte Polizey aus privaten Agenturen heraus entstanden und mit der Herausbildung von (National)Staaten eng verbunden sind (Knöbel 1998) und diese Entwicklung zumindest in Teilen auf private Akteure zurückgedreht zu werden scheint (Murck 1993; Shearing 1997). Zweitens ist mit diesem Begriff auch eine (Re)Orientierung an Zugangsrechten in den öffentlichen Raum und die Partikularisierung von Normen und Wertvorstellungen angesprochen, die auf ständischen Vorstellungen neofeudaler Prägung zu basieren scheint. Folgende Tabelle zeigt zunächst für die Bundesrepublik, wie sich die Branche in den vergangenen gut 30 Jahren entwickelt hat (Tabelle 1). 5Tabelle 1:
Anzahl, Umsatz und Mitarbeiter im kommerziellen Sicherheitsgewerbe -------------------------------------------------------- ......................1970....1980.....1990......2002......2005 Unternehmen....325.....542..... 835.......3.000.....3.000 Mitarbeiter....47.400..61.700...105.000...145.000...200.000 Umsatz, Mrd. Euro/Jahr...0,3.....0,5......1,2.......4,0.......6,0 ----- Quellen: Olschok 1999, 2004; eigene Berechnungen, z.T. Schätzungen Der Markt der im Angelsächsischen als Rent-a-cops beschriebenen Mitarbeiter und Unternehmen ist in Deutschland oligopolistisch organisiert: Die zehn größten Unternehmen halten einen Umsatzanteil von rund 50 Prozent oder, anders formuliert: Zwölf Prozent der bundesweit 3.000 gemeldeten Unternehmen (1978: 472; 1992: 900) teilen 81 Prozent des Umsatzes unter sich auf und beschäftigen zwei Drittel aller (registrierten) Mitarbeiter. Zu berücksichtigen sind Konzentrations- und Globalisierungstendenzen: So hat der Weltmarktführer der Branche, die Group4Security (420.000 Beschäftigte), seinen Sitz in London, der zweite der Branche, die Securitas AB (217.000), im schwedischen Stockholm – beide Unternehmen sind aber weltweit tätig, zusammen in mehr als 100 Ländern, in denen sie zum Teil auch die größten Anbieter stellen (Seavey 2006, 5f). Allein die sechs größten Unternehmen weltweit decken 20 Prozent Marktanteile ab. Richtig (und wichtig) ist weiter, dass es sich (mit den üblichen Ausnahmen wie etwa hoch spezialisierten Personenschutz- oder Sicherheitsanalyse-Diensten) 6 um einen klassischen Niedriglohnsektor handelt, selbst wenn – was keinesfalls in allen Bundesländern der Fall ist – Tarifvereinbarungen existieren. 7 Unter diesen Vorzeichen gilt als sicher, dass die kommerzielle Sicherheitsindustrie weiter wachsen wird, nach Angaben der Freedonia Group, einem Wirtschaftsforschungsinstitut in Cleveland (Ohio), in Deutschland bis zum Jahr 2013 auf über zehn Milliarden Euro Umsatz mit dann rund 270.000 Beschäftigten (zit.n. ver.di 2006, 4). Dabei wird das zentrale Charakteristikum der Branche – Niedriglohn, niedriger Ausbildungsstand –, abgesehen von einigen Nischenmärkten wie (internationaler) Risiko- oder Sicherheitsanalyse, vermutlich weitgehend erhalten bleiben.Sicherheit an der (urbanen) Dienstleistungsperipherie
Neben den gängigen und bekannten Aufgabenfeldern wie Wach- und Kontrolldiensten auf Flughäfen, Pförtnerdiensten, Sicherungsposten, Absperrdiensten oder Werkschutz sind in der jüngeren Vergangenheit neue Aufgabenfelder hinzugekommen (Tabelle 2).Tabelle 2:
Neue Tätigkeitsfelder kommerzieller Sicherheitsdienste (Auswahl) ------------------------------------------------------- Abschiebegefängnisse; Justizvollzugsanstalten; Umweltschutz/Ranger; City-Points; ÖPNV; Verkehrsüberwachung; Facility Management;Psychiatrische Kliniken;Videoüberwachung; Fahndung; Quartiersmanagement; Zweiter Arbeitsmarkt; --- Quellen: Olschok 2004; eigene Erhebungen. Wie aus dieser Auflistung hervorgeht, sind in den langen 1990er Jahren (zwischen Mauerfall und 9/11) vor allem zwei Bereiche zu Wachstumsmärkten für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe avanciert: Zum einen das, was als "Randgruppen-Management" innerhalb von Institutionen (Gefängnisse, Anstalten etc.) bezeichnet werden kann, zum anderen Aufgabenfelder, die im öffentlichen Raum – und damit der klassischen Domäne staatlicher bzw. kommunaler Sicherheits- und Ordnungspolitik – angesiedelt sind. Während es zahlreiche Orte gibt, zu denen Migranten keinen Zutritt haben, gibt es andere, die sie nicht – oder nur unter Auflagen – verlassen dürfen. Die Rede ist von rund 209.000 Menschen, die mit ungesichertem Aufenthaltstitel und als Bezieher von Unterstützungsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz potentiell in Lagern gehalten werden können (Beauftragte der Bundesregierung 2005, 571). Legt man die Angaben von Pieper (2006, 11) zugrunde, dann sind von ihnen gegenwärtig rund 104.000 in einem abgestuften, 900 Standorte umfassenden Lagersystem untergebracht. Am Anfang stehen die Zentralen Aufnahmestellen, gefolgt von dezentralen Sammellagern zur langfristigen Unterbringung – und schließlich die Abschiebegefängnisse. Auf dem Weg vom Sammellager in die Abschiebegefängnisse ist seit 1998 ein neuer Lagertypus installiert worden: die in erfrischendem Juristensprech als Ausreisezentren bezeichneten Unterkünfte, in denen mit einer "Zermürbetaktik", so der Leiter des Fürther Ausreisezentrums (zit.n. Thal 2003, 154), die "Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert" werden soll. 8 Während die Lager entweder in staatlicher Verwaltung oder unter der Kuratel der großen Wohlfahrtsverbände stehen, sind für die Sicherung der Lager häufig Sicherheitsdienste beauftragt. Dass die Mitarbeiter der Dienste dabei manchmal nicht nur wie Neofaschisten aussehen, sondern es auch tatsächlich sind, lässt sich nachlesen (Kröger/Veit 2004; Eick 2006b). Im Jahr 2003 berichtete etwa das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt von Bemühungen in der militanten Neonazi-Szene, den Sicherheitsmarkt zu erobern und nannte als Beispiel den SelbstSchutz Sachsen-Anhalt (SS-SA). Das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg nannte in einem internen Schreiben den Zarnikow Sicherheitsdienst, bis dorthin im Asylbewerberlager Rathenow tätig, der Verbindungen zur neofaschistischen Kameradschaft Hauptvolk hatte und "Kameraden" als Personal einstellte (Lorscheid/Röpke 2003). Die Kötter Security stellt rund 50 Prozent des Wachpersonals im Abschiebegefängnis Büren, im Ausreisezentrum in Fürth verdient die Arndt – Sicherheit und Service GmbH. am Migrantenmanagement. Dort werden die Insassen "zweimal wöchentlich verhört, bekommen ihre Essenspakete täglich, um ihre Anwesenheit sicherzustellen, erhalten kein Bargeld, werden hinter einer doppelten Umzäunung eingesperrt und leben völlig isoliert am äußersten Fürther Stadtrand", während die Arndt-Mitarbeiter den Pförtnerdienst übernehmen (res publica 2004, 1). Vergleichsweise stellt der Gefängnismarkt für Deutschland noch Neuland dar. Die Anzahl von Häftlingen in rein privat geführten Vollzugsanstalten ist allerdings auch weltweit noch relativ gering, der Markt aber verheißungsvoll. "Nimmt man die Ausländer in Abschiebehaft, die Personen in Polizeizellen, die auf Bewährung verurteilten Personen, die im elektronisch überwachten Hausarrest befindlichen Personen und diejenigen Verurteilten, die als Sanktion gemeinnützige Arbeit verrichten, aus der Statistik heraus, so befinden sich geschätzte neun Millionen Menschen weltweit im Strafvollzug" (Nathan 2005, 4f). Allein 2,1 Millionen Häftlinge sitzen in den USA ein, und rund 1,76 Millionen Häftlinge bevölkern die Gefängnisse in Europa und Asien. Sowohl in England und Wales als auch in Schottland (sie haben separate Gefängnisverwaltungen) befinden sich jeweils zehn Prozent der Häftlinge im privaten Vollzug. Mit Stichtag 30. Juni 2004 waren es in den USA 6,5 Prozent und in Australien 17,5 Prozent. Die beiden größten privaten Haftanstalten weltweit gibt es in Südafrika mit jeweils 3.000 Gefangenen (das sind knapp über 3% bei einer Gesamtgefangenenzahl von 187.446). Aus der Sicht des kommerziellen Sektors existiert damit ein riesiges, noch unerschlossenes Potenzial. Auch der Gefängnismarkt ist oligopolistisch organisiert: "Es sind nur einige wenige multinationale Unternehmen", so Stephen Nathan (2005, 4), "die die Strafrechtsysteme weltweit als ihre Zielmärkte ansehen"; es gehe derzeit um einen Markt von rund 324 Milliarden Euro, von dem Gefängnisse rund 48 Milliarden Euro ausmachten. Neoliberale Politik, Surplus-Bevölkerung (die überflüssigen Esser, das neue Prekariat) und Flüchtlinge insgesamt gehören so zum wachsenden Kundenstamm postfordistischer Kriminalpolitik, die sich zunehmend marktförmig organisiert (de Giorgi 2006). 9 Die von Profitinteressen getriebene Suche nach neuen Aufgabenfeldern verschiebt so nach und nach bisher bestehende Grenzen der Aufgabenwahrnehmung, wie sie etwa hoheitliche Regelungen darstellen. Aus Platzgründen verzichte ich auf die Darstellung der juridischen Einhegung des Gewerbes (vgl. Nitz 2000, Eick 2005b). Jedenfalls bedarf es bisher faktisch keiner besonderen Qualifikation, um im Sicherheitsgewerbe tätig zu sein, auch gibt es kein Gesetz, das (un)mögliche Einsatzfelder festlegt, 10 so dass lediglich die Übernahme hoheitlicher Aufgaben nicht bzw. nur unter der Bedingung der so genannten Beleihung erlaubt ist. 11 In Zeiten, in denen die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur, das Outsourcing von staatlichen Aufgabenbereichen, die Kommodifizierung öffentlichen Raums dem Neoliberalismus Tür und Tor öffnen, eröffnen sich so auch neue Betätigungsfelder für das Sicherheitsgewerbe. Insgesamt betrachtet, wird die Zurichtung des Gemeinwesens Stadt in betriebswirtschaftlicher Logik (unter Zuhilfenahme von Partikularnormen) zum Unternehmen Stadt betrieben, das entsprechend der Dienstleistungsperipherie immer neue Aufgabenfelder erschließt. Derzeit wird, auf ebenfalls unzureichender Datenbasis, angenommen, dass zwischen sieben und 13 Prozent aller Beschäftigten der Branche im öffentlichen Raum tätig sind. Zwar sind auch hier ihre Befugnisse staatlich eingehegt, doch stellen regelmäßig Recht(durch)setzung und Alltagspraxis ein umkämpftes Terrain dar. Schließlich sind in Privatbesitz befindliche Flächen zu nennen, die sich jedoch im Gemeingebrauch befinden (halböffentliche Räume), in denen Nutzungskonflikte ausgetragen, Ausgrenzungen manifest oder zu territorialen Kompromissen kleingearbeitet werden.Zwischen Exklusion und Containment
Es sind vor allem diese letztgenannten Flächen, in denen von Ausgrenzung bzw. Einschließung gesprochen werden muss. Die Deutsche Bahn AG ist dafür ein beredtes Beispiel, hat sie doch seit ihrer Privatisierung 1992 einen eigenen Sicherheitsdienst installiert, der, unterstützt vom mittlerweile in Bundespolizei umbenannten Bundesgrenzschutz, gegen Obdachlose, Trinker, Trebekids, (Migranten)Jugendliche und Drogenkonsumenten vorgeht; allein auf den Berliner Fern- und S-Bahnbahnhöfen kommt es so zu jährlich mehreren tausend Platzverweisen, Hausverboten und selbst Haftstrafen wegen unerwünschten Aufenthalts (Eick 1998). Der deutsche Einzelhandel betreibt nach eigenen Angaben rund 80 so genannte City-Streifen in Innerstädten; die diversen zu Interessensgemeinschaften zusammengeschlossenen Einzelhändler beschäftigen zudem weitere kommerzielle Sicherheitsdienste in ihren Fußgängerzonen, um diese von oben genannten Gruppen sauber zu halten. Darüber hinaus werden bundesweit gegenwärtig gesetzliche Grundlagen für die Installation so genannter Business Improvement Districts nach nordamerikanischem Vorbild geschaffen, die es den beteiligten Hauseigentümern in diesen räumlich abgegrenzten Arealen erlauben, eigene sauberkeits-, ordnungs- und sicherheitspolitische Strategien zu entwickeln und umzusetzen (Hoyt 2003). Weiter ist das Sicherheitspersonal des öffentlichen Personennahverkehrs angehalten, ebenfalls gegen Randgruppen und darüber hinaus, animiert durch Kopfgelder, gegen Schwarzfahrer vorzugehen (Brunst 2004). Damit sind einige innerstädtische Räume des Konsums benannt, in denen das Gewerbe die Ware Sicherheit an den Mann (und die Frau) bringt. Darüber hinaus müssen auch Wohnquartiere in den Blick genommen werden, denn mit der Privatisierung ehemaliger Sozialwohnungen (Eick/Sambale 2005) und der Installierung des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" haben sich neue Arbeitsfelder für das Sicherheitsgewerbe ergeben (DifU 2003, 124, Fn 95), die ebenfalls darauf hinauslaufen, spezifischen Bevölkerungsgruppen den Zugang zu (privatisierten) Spielplätzen und Fußgängerzonen (Grundrechte-Report 2004), zu öffentlichen Plätzen und Parks (und dabei gleich auch noch Obdachlosenhilfs- und Drogennotdiensten) zu verweigern bzw. ihnen spezifische Quartiere zuzuweisen, in denen sie sich noch aufhalten dürfen (Ronneberger et al. 1999; Eick 2005a). In allen genannten Fällen, zu deren empirischer Verdichtung hier der Raum fehlt, handelt es sich um die Durchsetzung von partikularen Norm- und Profit- bzw. Sauberkeits-, Ordnungs- und Sicherheitsvorstellungen, die auf einen Strukturwandel der Öffentlichkeit zu Lasten der Nichtkaufkräftigen oder der für den Verwertungszusammenhang Überflüssigen hinauslaufen. Das Sicherheitsgewerbe betont – gegenwärtig im Bereich Globalisierung und Terrorismus – gern die Unausweichlichkeit seiner Existenz und betreibt aktiv die Popularisierung des Sicherheitskurses. Allerdings ist das kommerzielle Sicherheitsgewerbe nicht allein, der (National)Staat und die Kommunen sind nicht untätig bei der Effektivierung des staatlichen Präventions- und Repressionsapparates – die Zivilgesellschaft 12 ist dabei einer der Ansprechpartner, wenn es um die Aktivierung für SOS-Dienstleistungen (Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit) geht.Neoliberales Stelldichein mit der Zivilgesellschaft
Als der ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig und derzeitige Bundesverkehrsminister, Wolfgang Tiefensee (SPD), Ende August 2006 mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat, Hartz IV-Empfänger als "Volkssturm gegen Al Kaida" einzusetzen, wie die Berliner Zeitung süffisant titelte (Leo 2006), wurde das Ansinnen des bekennenden Katholiken mit einem medial-säkularen DschihÄd 13 zurückgeschlagen, an dessen Spitze sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die Bündnis90/Grünen setzten (Keil 2006). Was war geschehen? Im Grunde nichts, denn der 52jährige Tiefensee hatte lediglich vorgeschlagen, Langzeitarbeitslose zu Sicherheits- und Ordnungsstreifen im öffentlichen Personennahverkehr zu verpflichten – eine Praxis, die aus den Niederlanden und Großbritannien seit Jahrzehnten ebenso bekannt sein könnte, wie sie in der Bundesrepublik seit Jahren Praxis ist (Andel 1989; Hauber et al. 1996; Eick 2003). Nur dass halt niemand gern darüber spricht, wenn die Durchsetzung partikularer Sicherheits- und Ordnungsnormen, die letztlich Profitinteressen bedienen, weitgehend unkontrolliert privatwirtschaftlichen Unternehmen, hoch gelobten zivilgesellschaftlichen Akteuren und staatlich angeleiteten Bürgerwehren übertragen wird. Ein kleiner Rundgang durch (lokal)staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationsbemühungen soll dieses Engagement beleuchten.Tabelle 3:
Ausgewählte staatliche and nicht-staatliche Sicherheitsakteure (Pluralization of Policing) staatlich zivilgesellschaftlich kommerziell -------------------------------------------------------- Polizeien der Länder; Nonprofits; Sicherheitsdienste; Bundespolizei (Ex-BGS; Bürgerwachten; Detekteien; Bundesfinanzpolizei (Zoll; Bürgerwehren; Personenschützer; Ordnungsämter; Neighborhood Watch; Türsteher; Sicherheitswachten; Sicherheitspartner; Werkschutz; Ordnungspartnerschaften; Freiwilliger Polizeidienst; (Sicherheitstechnologie); --- Quelle: eigene Darstellung. Ordnungsamtliche Außendienste: Wohn- wie innerstädtische Quartiere sind ein bevorzugtes Revier von Sicherheitsakteuren, zu denen insbesondere die Außendienste der kommunalen Ordnungsämter gehören, die gemeinsam mit ihren (phantasie)uniformierten Kollegen der kommerziellen Sicherheitsdienste für eine neue Unübersichtlichkeit, etwa in den Straßen und Unterführungen von Frankfurt/M. (Fuchs 1994; Beste 2000), aber auch in Berlin und zahlreichen anderen Städten und Gemeinden, sorgen. Der in Berlin lehrende Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Martin Kutscha, hat für den Berliner Ordnungsdienst diese neue Unübersichtlichkeit als grundrechtlich bedenklich beurteilt und zudem betont, dass "es für die Bürger als 'Kunden' der Ordnungsämter kaum überschaubar sei, über welche Eingriffsbefugnisse die ihnen gegenübertretenden Bediensteten der verschiedenen Gruppen jeweils verfügen" (Kutscha 2007, Hervorh. im Original). Während das in Berlin auch daran liegt, dass der aus rund 300 Personen bestehende Ordnungsdienst aus drei nicht verbeamteten Einzeldiensten mit unterschiedlichen Eingriffsbefugnissen besteht, hat auf den bundesdeutschen Bahnhöfen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sogar gezielt eine solche Desorientierung forciert: Der dort tätige kommerzielle Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn AG, die Bahn Schutz und Service GmbH, trägt auf sein Geheiß seit Frühsommer 2006 die gleichen Uniformen wie die Bundespolizei – und ist damit von Letztgenannten kaum noch zu unterscheiden (Holecek 2006). Freiwillige Polizeidienste: Weiter haben einige Bundesländer so genannte Hilfspolizeien gegründet: In Berlin wurde 1961 die Freiwillige Polizeireserve gegründet, die zunächst bis zu 4.000 Mitglieder hatte und deren Aufbau als Ausdruck des Kalten Krieges gelten darf. Sie wurde 1999 politisch aufgewertet und bekam mehr eigenständige Machtbefugnisse zugestanden, um bis 2002 als Freiwilliger Polizeidienst mit rund 560 aktiven Mitgliedern zu firmieren, bis der Dienst nach einer Reihe von Skandalen (Neofaschisten in den eigenen Reihen etc.) auch aus finanziellen Gründen aufgelöst wurde (Wieland 1999). 1963 gründete die baden-württembergische Landesregierung den Freiwilligen Polizeidienst, der bis heute mit rund 1.600 Freizeitpolizisten tätig ist (Posiege/Steinschulte-Leidig 1999, 45, 56). Sie haben die gleichen Befugnisse und Pflichten wie reguläre Polizeivollzugsbeamte, und 1999 wurde in Modellprojekten damit begonnen, die Freiwilligen für Präventionsmaßnahmen einzusetzen. Ihre Aufgaben sind das Bestreifen von Kinderspielplätzen, Schulen und Kindergärten, aber auch von Parkhäusern und öffentlichen Anlagen. In Esslingen, so Pütter und Kant (2000, 18), "werden die Polizeifreiwilligen auch gezielt gegen 'Randgruppen' eingesetzt" (Hervorh. im Orig.). Im April 1994 folgte Bayern, ebenfalls zunächst in Modellprojekten, mit seiner Sicherheitswacht (SiWa). Seit Januar 1997 ist die SiWa eine Dauereinrichtung mit mittlerweile 45 Wachten und 420 Freiwilligen. Ihre Haupttätigkeit sind Streifengänge in öffentlichen Parks, Grünanlagen, an Haltestellen des ÖPNV, Einkaufs- und Freizeitzentren sowie in größeren Wohnsiedlungen, im Umfeld von Asylbewerber-Unterkünften und Gebäuden. Die Sächsische Sicherheitswacht wird 1997 gegründet, ihr gehören rund 400 Sicherheitswächter an. Sie gelten dem Innenministerium als "Brücke des Vertrauens" zwischen Bürgern und Staat (Pütter/Kant 2000, 24). Sie haben das Recht zur Befragung, zur Identitätsfeststellung (Anhalten, Befragen, Verbringung zur Polizeidienststelle) und zur Sicherstellung von Gegenständen. Die Sicherheitswächter dürfen einfache körperliche Gewalt zur Durchsetzung dieser Befugnisse anwenden, haben aber lediglich Funkgerät, Fernglas, Diktiergerät und Reizspray zur Selbstverteidigung. Hessen folgte im Jahr 2000 ebenfalls mit einem eigenen Freiwilligen Polizeidienst, dessen Angehörige die Rechte und Pflichten von Polizeivollzugsbeamten haben: "Allerdings sind die Befugnisse aus dem Bereich des Gefahrenabwehrrechts darauf beschränkt, 'verdächtige oder auffällige Personen zu befragen', Personalien festzustellen und einen Platzverweis auszusprechen. Zudem können die ehrenamtlichen Helfer 'verdächtige Gegenstände' sicherstellen" (Pütter/Kant 2000, 25, Hervorh. im Orig.); der Dienst umfasste Mitte 2006 rund 530 Personen in 84 Städten (Hessischer Landtag 2006). Brandenburgs Sicherheitspartner gehen auf das 1992 etablierte Programm zur Kommunalen Kriminalitätsvorbeugung zurück. Verglichen mit den Konzepten der anderen Bundesländer hat sich Brandenburg, wie Pütter und Kant (2000, 26) schreiben "für eine 'Light-Version' entschieden" (Hervorh. im Orig.), denn die Sicherheitspartner besitzen keinerlei besondere Befugnisse. Das Tätigkeitsspektrum reicht von der Begleitung von Rentnern zur Bank bis zum Gespräch mit (vermeintlichen) jugendlichen Tätern, von Telefonketten, um Asylbewerberheime schützen zu können, bis zur Meldung von Müll auf den Straßen, von Streifengängen in der Gemeinde bis zur Beratung hinsichtlich technischen Diebstahlschutzes, von Präsenz am Bahnhof nach Einbruch der Dunkelheit über das Eingreifen dort, "wo es ungefährlich scheint" (Pütter/Kant 2000, 27); Bestandteil der Arbeit war offensichtlich auch, sämtliche Fahrzeuge mit Migranten zu notieren (ebd., 28f). Waren im Jahr 2000 in 80 brandenburgischen Orten 90 Sicherheitspartnerschaften mit 714 Personen aktiv, waren es Ende 2004 bereits 112 Sicherheitspartnerschaften in 86 Orten mit 847 Bürgern. Auch Niedersachsen wird ab 2007 in 14 Städten und Gemeinden einen Freiwilligen Sicherheits- und Ordnungsdienst aufbauen, dessen Mitarbeiter Kontrollen auf Spielplätzen, Schulhöfen und in Parks durchführen sollen. Den genauen Tätigkeitsbereich legen die Kommunen fest. "Die Freiwilligen hätten", so Innenminister Uwe Schünemann (CDU), "nur Rechte wie jeder andere Bürger auch" (zit.n. NDR 2006). Nonprofit-Sicherheitsdienste: Während Schünemann (2005) in einer aktuellen Stunde des Niedersächsischen Landtags betonte, "die Einrichtung eines freiwilligen Ordnungs- und Streifendienstes […] erfolgt nicht zu dem Zweck, nach Maßgabe von Hartz IV den Arbeitslosen eine Arbeitsgelegenheit – also einen Ein-Euro-Job – zu verschaffen", sind tatsächlich mittlerweile Tausende von Langzeitarbeitslosen in SOS-Diensten (Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit) in der Bundesrepublik tätig. Allein in Hamburg werden 1.098 Maßnahmen im Tätigkeitsbereich "Sauberkeit" (9,5%) und 947 (8,5%) im Bereich "Sicherheit & Ordnung" durchgeführt, insgesamt also 18 Prozent aller MAE-Maßnahmen 14 in der Hansestadt; für Berlin nennt die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg rund 130 MAE-Beschäftigte, folgt allerdings einer anderen Systematik (Eick 2007a). Auch über andere Maßnahmen aktivierender Arbeitsmarktpolitik, wie etwa Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder EU-Förderprogramme, werden Erwerbslose in die Sicherheitsproduktion eingebunden. In Berlin sind es neben den MAE-Beschäftigten jahresdurchschnittlich rund 700 Personen, die von beschäftigungspolitischen Trägern, so genannten Nonprofit-Organisationen, betreut und zum SOS-Einsatz gebracht werden. Zudem ist in das 1999 etablierte Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" im Jahre 2003 ein Handlungsfeld "Sicherheit" eingebaut worden, so dass auch über dieses Programm Sicherheits- und Ordnungsdienstleistungen finanziert und durchgeführt werden (Eick 2005a). Anders als in Großbritannien – dort sind explizit Security Police Community Support Officers (PCSOs) als Beschäftigungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose "for the purpose of carrying out anti-terrorist patrols" gegründet worden (Johnston, 2005, 243) –, hat man solche Alternativ-Sicherheitsdienste in Deutschland bisher nicht in derartige polizeiliche Aktivitäten integriert.Unternehmen Stadt: Mit Sicherheit gegen ein "neues Prekariat"
Sieht man von den Freiwilligen Polizeidiensten, dem inzwischen aufgelösten in Berlin und dem in Baden-Württemberg, ab, fällt unmittelbar auf, dass sich die in der angelsächsischen Debatte als Pluralization of Policing gehandelte Ausdifferenzierung im Sicherheits- und Ordnungsbereichs in Deutschland seit den frühen 1990er Jahren vollzieht. Es spricht aus meiner Sicht einiges dafür, diese Veränderungen daher in den Kontext einer intensivierten Neoliberalisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu stellen, die Jamie Peck und Adam Tickell (2002) als Roll-out neoliberalism charakterisiert haben, in dem nach einer Phase des Roll-back neue Institutionen, Kooperationsformen und Regularien geschaffen werden, nachdem die alten keynesianischen Artefakte, Vereinbarungen und Institutionen zerschlagen oder doch deutlich geschwächt worden sind (vgl. Brenner/Theodore 2002). Verdeutlichen lässt sich das etwa am Beispiel des Verkaufs von Sozialwohnungen an meist US-amerikanische Finanzinvestoren (Roll-back), also deren Privatisierung, die nachfolgend mit dem Einsatz von Videotechnologie, kommerziellen Sicherheitsdiensten und dem Aufbau von Concierge-Logen einhergeht (Roll-out); in diesen Kontext gehören auch die zahlreichen Kooperationsabkommen zwischen kommerziellen Sicherheitsdiensten und den Polizeien der Länder und des Bundes. Auch die zunehmende Vernichtung öffentlichen Raums durch Shopping Malls, Einkaufszentren oder die in der Bundesrepublik derzeit entstehenden Business Improvement Districts – also innerstädtischer Raum, der den dortigen Geschäftsleuten zur profitmaximierenden Verfügung und intensivierten Kontrolle übereignet, wenn auch nicht an sie verkauft oder verpachtet wird – stellen Ergebnisse eines Roll-out neoliberalism dar. 15 Für die Länder und Kommunen ist der Wille zum Einsatz solcher Dienste auch davon getragen, die fiskalische Belastung der Haushalte für solche öffentlichen Dienstleistungen zurückzufahren, also ebenfalls ein Ausdruck von dem, was zwar häufig und fälschlich als Rückzug des Staates, richtig aber als Ausdruck eines neoliberalen Politikverständnisses bezeichnet wird. Perfide wird es dann dort, wo unter der Überschrift von Bürgeraktivierung und -beteiligung nicht nur einer Eigenverantwortung für die eigene Sicherheit das Wort geredet, sondern im Zuge von Kommunaler Kriminalprävention oder dem Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" gar die soziale Integration vermeintlich in den Mittelpunkt solcher Initiativen gestellt wird. Tatsächlich zeigen die alternativen, aus den aktivierenden Beschäftigungsprogrammen finanzierten Sicherheits- und Ordnungspatrouillen alle Charakteristika dessen, was als "the poor policing the poor" (Eick 2003) bezeichnet werden kann. Sie sind damit dreierlei: Erstens stellen sie eine Subventionierung der Verkehrsbetriebe in den Städten und Gemeinden sowie der Deutschen Bahn AG dar, die auf diese Kräfte nahezu kostenfrei zurückgreifen können. Zweitens reduziert deren Einsatz auch die Kosten der Länder und Kommunen für die Einhegung und Disziplinierung derjenigen, die durch die Verwüstungen des Neoliberalismus sozioökonomisch ausgegrenzt und nun präventiv zu identifizieren und zu kontrollieren sind. Drittens schließlich, so wie in den privatisierten Wohnquartieren Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit an private Gebäudeeigner und kommerzielle Sicherheitsdienste delegiert werden, verfolgt der Einsatz solcher Dienste das Ziel, die Selbstregulation auch der abgehängten Quartiere zu ermöglichen. Dass sich dabei eine Vielzahl dieser Dienste in einem juristischen Graubereich bewegt, darf man angesichts der anhaltenden Weigerung, die Aufgaben sowohl der kommerziellen Sicherheits- wie alternativen Ordnungsdienste klar und gesetzlich zu fassen, wohl eher als gewollt interpretieren. Mit dem Einsatz solcher Dienste geht nämlich auch ein neues Verständnis von dem einher, was Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit sein sollen – partikulare Normen, Wohlanständigkeit, Widerspruchslosigkeit, Erfüllung im Konsum sollen als Stichworte genügen –, deren Durchsetzung, von Ort zu Ort und von Fall zu Fall durchaus differenziert, um so leichter fällt, wie man sich einer schriftlichen Normierung verweigert. Während kommerzielle Sicherheitsdienste zunehmend in das eingebunden werden, was als Terrorismusbekämpfung bezeichnet wird, und diese ihre Einbindung auch explizit fordern, gilt das für die Freiwilligendienste und ihre beschäftigungspolitischen Varianten kaum. Soweit es überhaupt um "Terror" geht, handelt es sich um den, der gegen diejenigen ausgeübt wird, die dem urbanen Neoliberalismus als überflüssig gelten und denen im vergangenen Herbst 2006 unter der Überschrift eines "neuen Prekariats" die neoliberalen Verwüstungen auch noch zum Vorwurf gemacht wurden.Literaturauswahl
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1. Für das Militär gilt das analog; schon heute setzt sich die zweitgrößte Streitmacht im Irak aus Söldnern, so genannten PMCs, Para Military Companies, zusammen (vgl. Duffield 2001). back 2. Zu den zivilgesellschaftlichen oder Nonprofit-Varianten bundesdeutschen Polizierens vgl. in empirischer Hinsicht Eick 2003; in eher theoretischer Perspektive Eick 2006a. back 3. Eine einschlägige Definition von Privatisierung gibt es nicht. Formelle (oder Organisations)Privatisierung beschreibt die Gründung einer Eigengesellschaft durch die jeweilige staatliche Stelle (als GmbH oder Aktiengesellschaft), die jedoch die Trägerschaft behält. Die Vermögensprivatisierung beschreibt den Verkauf oder die Übertragung von staatlichen oder kommunalen Vermögenswerten (etwa Liegenschaften). Bei der funktionalen Privatisierung (Teil-, Durchführungs- oder Erfüllungsprivatisierung; Public-Private Partnerships) verbleiben Aufgabenzuständigkeit und -verantwortung in staatlicher Hand, lediglich der Vollzug (Leistungserstellung, Aufgabendurchführung) geht an Private über. Schließlich ist die materielle (oder Aufgaben)Privatisierung zu nennen, bei der Aufgaben (und die Verantwortung) endgültig an Private übertragen werden; sie entspricht insoweit den Begriffen Entstaatlichung, Entkommunalisierung, umgangssprachlich "echter" Privatisierung (vgl. im Überblick Mohrdieck 2004: 11ff). back 4. Unter Neoliberalismus verstehe ich mit Jessop (2002) die Stärkung des freien Wettbewerbs, das Zurückdrängen der Rolle von Recht und Staat, den (Aus)Verkauf der öffentlichen Infrastruktur, die Verbreitung der Marktlogik im verbliebenen öffentlichen Sektor und den "freien" Handel nach Innen; der Begriff Neoliberalisierung soll darauf verweisen, dass es sich dabei um ein aktiv gestaltetes politisches Projekt handelt, also um nichts, was gleichsam vom Himmel fällt. back 5. Die statistischen Grundlagen für solche Auflistungen variieren z.T. erheblich. So werden etwa Teilzeitbeschäftigte, Detekteien, Werkschutzkräfte nicht immer mitgezählt, z.T. die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zur Voraussetzung beim Zählen der Kohorten gemacht. Zutreffend scheint aber, dass die Zahl der Beschäftigten im deutschen Sicherheitsgewerbe – anders als etwa in den USA, Polen oder Großbritannien – unter der staatlicher Polizeikräfte (ca. 265.000) liegt – dies freilich unter der Voraussetzung, dass nicht auch Mitarbeiter in den Bereichen elektronische und mechanische Sicherheit miteinbezogen werden (vgl. Olschok 2004). back 6. Für die Befreiung des in Geiselhaft befindlichen Jan Philip Reemtsma etwa wurde ein privater Sicherheitsdienst zur Lösegeldübergabe beauftragt (vgl. Willenbrock 1998) und auch zur Blütezeit der Terroristenhatz in den bleiernen 1970er Jahren ist deren Einsatz belegt; wie sehr zudem die Grenzen zwischen zivilem und militärischen Einsatz Privater verschwimmen können, zeigt eindrücklich der Einsatz der Söldnerfirma Blackwater, die Kontingente ihrer Truppen aus dem Irak abzog, um sie nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans einzusetzen (Crespo/Scahill 2005). back 7. Um wenigstens einen Einblick davon zu geben, sollen hier kursorisch einige (Tarif)Stundenlöhne genannt werden (alle Angaben brutto/Stunde, 2004): 4,73 Euro (Bereich Separatbewachung), 4,60 Euro (Veranstaltungsdienste), 5,33 Euro (Geld- und Werttransport). back 8. So heißt es im Zuwanderungsgesetz in der Fassung vom 30. Juli 2004 entsprechend, die "Länder können Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer schaffen. In den Ausreiseeinrichtungen soll durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden" (ZuWG § 61, Abs. 2). back 9. Wesentliche Akteure: Serco Plc (operiert in Europa, im Nahen Osten, im asiatisch-pazifischen Raum und in Nordamerika); deren Tochtergesellschaft, Premier Custodial Group (PCG), ist in Großbritannien tätig. Serco betreibt seit kurzem das Gefängnis im deutschen Hünfeld. Group 4 Securicor (G4S), zweitgrößter Anbieter im Gefängnisbereich weltweit (Großbritannien, Nordamerika, sechs Gefängnisse in den Niederlanden, weiteres Engagement in Europa und Nordamerika, in der Karibik, in Mittel- und Südamerika, im Nahen Osten, in Afrika und der Asien-Pazifik-Region). Global Solutions Ltd. (GSL, bis 2004 im Besitz der Group 4, heute De Facto 1119 Ltd., die wiederum zwei Venture Capital-Gesellschaften gehört) ist in Großbritannien, Australien und Südafrika tätig. Sodexho (weltweit in 70, in Europa allein in mehr als 20 Ländern, darunter in drei Vollzugsanstalten in England, neun in Frankreich, 36 in Italien, 28 in den Niederlanden, elf in Portugal und acht in Spanien tätig; Verträge auch im Vollzugsdienst in Australien und Chile). Die Groupe Suez-Lyonnaise des Eaux (GEPSA, Tochtergesellschaft des Energieversorgers SUEZ) bietet seit 1990 Dienstleistungen in Gefängnissen an (u.a. 16 in Frankreich; zudem in Israel). Schließlich ist die früher unter dem Namen Wackenhut Corrections Corporation (WCC) berühmt-berüchtigt gewordene und sodann in GEO Group umbenannte Firma zu nennen, die Vollzugsanstalten in den USA, Australien, Südafrika, Neuseeland und in Kanada betreibt (Nathan 2005; vgl. Davis in diesem Heft). back 10. Geplante Gesetzesvorhaben scheitern regelmäßig an den Lobby-Organisationen der Branche – und dem willfährigen Bundeswirtschaftsministerium. back 11. Diese spezifische Rechtsfigur sowie einige andere Ausnahmetatbestände sollen hier nicht entwickelt werden, vgl. dazu Nitz 2000. back 12. Hier ist nicht der Raum, sich mit den divergierenden Konzepten zur Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen. Mit Joachim Hirsch, der sich auf Antonio Gramsci bezieht, soll Zivilgesellschaft als heterogenes Netzwerk von vom Staat formell mehr oder minder unabhängigen Organisationen gefasst werden, die der "Formulierung und Vertretung gesellschaftlicher Interessen, der politischen Willensbildung, der Meinungsäußerung und der öffentlichen Diskussion dienen. […] Bei genauerer Betrachtung handelt es sich […] um von der Struktur der kapitalistischen Gesellschaft bestimmte Bestandteile des institutionellen Regulationssystems, mittels dessen Herrschaft stabilisiert und der Akkumulationsprozess des Kapitals garantiert wird. Die Institutionen der zivilen Gesellschaft sind selbst von ökonomischen Macht- und politischen Herrschaftsverhältnissen geprägt" (Hirsch 2002: 59f). Insoweit geht der Bedeutungsgewinn der Zivilgesellschaft nicht mit dem Abnehmen von Zwang einher, sondern, eher im Gegenteil, mit seiner Zunahme. "Es ist freilich ein Zwang, der versucht, im Alltag so weit als möglich zu verschwinden" (Kebir 1991: 66). Zivilgesellschaft im gesellschaftlichen Mainstream-Diskurs fungiert demgegenüber häufig als klassischer Container-Begriff, in den gleichsam alles Gute gepackt werden kann (vgl. Eick 2007b). back 13. In Analogie zum islamischen größten DschihÄd (al-dschihÄd al-akbar), der dem Kampf gegen das niedere Selbst gilt, das zum Bösen verführt, und sich gegen die Schwächen und Fehler richtet, von denen niemand gerne spricht (an-nafs al-ammara), wurde Tiefensee von einer Koalition der Unwilligen und Unwissenden mit dem Streben nach moralischer Vervollkommnung und dem Tun guter Werke konfrontiert (vgl. Nasr 1987). back 14. MAE steht für Mehraufwandsentschädigung, die gewährt wird, wenn Langzeitarbeitslose solche und andere Aufgaben übernehmen (müssen): "(3) Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten nicht nach Absatz 1 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert, ist den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen" (§ 16, Abs. 3 SGB II). back 15. Dass dies auch unmittelbar das Recht auf freie Meinungsäußerung tangiert, hat unlängst das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, als es das Recht für Demonstranten verneinte, auf dem Frankfurter Flughafen Flugblätter zu verteilen (Fischer-Lescano/Maurer 2006). back