Machtkampf der Unternehmer

Ende des Arbeitskampfs Ost: Es geht um mehr als drei Stunden weniger

Das Scheitern der IG Metall, die 35-Stunden-Woche in den ostdeutschen Bundesländern durchzusetzen, weckt Erwartungen. Nachdem man in den vergangenen Monaten ...

... auf widerständige Gewerkschaften kräftig eingeprügelt hat, zelebriert man nun deren "historische Niederlage". Opfer werden zu Schuldigen. Metaller, die gegen die soziale Spaltung zwischen Ost und West kämpften, werden zu Schuldigen für den Absturz Ost erklärt. Und aus Brandstiftern werden Biedermänner: Unternehmervertreter, die mit dem Flächentarifvertrag einen Stützpfeiler des gesamtdeutschen Sozialsystems kippen, werden als Biedermänner hofiert, denen nichts anderes als das Gemeinwohl am Herzen läge. Verkehrte Welt? Nein! Das hat Methode, besser: folgt einer politischen Strategie, wie ein Rückblick auf den Arbeitskampf zeigt.

Nach kurzem Streik gab es bereits am 7. Juni einen Abschluss für einen Flächentarifvertrag zur Einführung der 35-Stunden-Woche in den neuen Bundesländern: In drei Stufen (2005/7/9) wird die Arbeitszeit in der Stahlindustrie um jeweils eine Stunde verkürzt. Niemand erwartete, dass daraus nachhaltige ökonomische Probleme für die Branche erwachsen würden. Die tarifliche Angleichung der Wochenarbeitszeit Ost an Weststandards würde die Löhne in der Metall- und Elektroindustrie nominal um 8,6% verteuern. In dem langen Zeitraum bis 2009 entspricht dies einer jährlichen Belastung um 1,2%. Selbst die kann bei Stahl möglicherweise noch unterschritten werden. Denn Bestandteil des Tarifabschlusses ist eine Überprüfungsklausel, wonach bei einer gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage über die Verschiebung der Arbeitszeitverkürzung um ein Jahr verhandelt werden kann.

Man kann auch anders rechnen: Seit 2001 liegen die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe der ostdeutschen Bundesländer unter Westniveau - im vergangenen Jahr bei 94,5%, im kommenden voraussichtlich bei 90%.[1] Aus dieser Differenz wäre die 35-Stunden-Woche sogar kurzfristig zu finanzieren. Problematisch wird es, wenn dies nicht geschieht: Der kräftige Anstieg der Produktivität (zwischen 5,1 und 7,4% pro Jahr seit 1998) wirkt sich bei verlangsamtem Wirtschaftswachstum negativ auf die Beschäftigung aus. Arbeitszeitverkürzung kann Arbeitsplätze zumindest sichern helfen - eine positive Umverteilung der vorhandenen Arbeit ist in einem Zeitraum bis 2009 allerdings nicht zu erwarten.

Doch "rechnen" war in dieser Auseinandersetzung nicht die Sache der Unternehmerverbände. Für Hundt (BDA) und Kannegiesser (Gesamtmetall) war der Stahlabschluss von Übel. In einer von vornherein konzertierten Aktion der Metallarbeitgeberverbände Ost und West erzwangen sie eine Ausweitung des Konflikts. Ihnen geht es um Grundsätzlicheres: Zum einen darum, die längere Arbeitszeit im Osten festzuklopfen, um im Westen die Kampagne zu verstärken, dass viel zu kurz gearbeitet wird. Es geht um die Revision der als bittere Niederlage empfundenen Durchsetzung der 35-Stunden-Woche im Jahre 1984. Und bei dieser Revision geht es um Arbeitszeitverlängerung Plus. Dieser Zusatz heißt zweierlei: umfassende Flexibilisierung statt generelle Arbeitszeitregelungen und unbedingter Vorrang betrieblicher Vereinbarungen. Da für die politische Orchestrierung gesorgt ist, schätzten sie den Zeitpunkt als günstig ein, den langfristigen Trend der Arbeitszeitverkürzung - einer der entscheidenden zivilisatorischen Fortschritte im Kapitalismus - umzukehren.

Ebenso grundsätzlich ist Ziel Nr. 2: Nicht die Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in einem Land, sondern umgekehrt die Instrumentalisierung deutlicher Unterschiede als dauerhafter Konkurrenzvorteil. Dazu passt die Initiative von CDU-Ministerpräsidenten, Ostdeutschland in eine Sonderwirtschaftszone zu verwandeln. Die Beteiligung ihrer Kollegen aus Bayern und Baden-Württemberg macht deutlich, dass auch hier die Ausstrahlung auf den Westen kalkuliert ist. Referenzpunkt ist immer mehr der europäische Binnenmarkt, in dem es für die Verbände darum geht, regionale Standortvorteile durchzusetzen, auszubauen, zu optimieren - und gegeneinander auszuspielen. Was liegt näher, als in Deutschland die Brechstange im Osten anzulegen.

Daraus folgt Ziel Nr. 3: die Einpassung der Gewerkschaften in die regionale Standortkonkurrenz. Die Rolle der Gewerkschaften bei der Herstellung gleicher Konkurrenzbedingungen für das Kapital wird revidiert: Die Konkurrenz soll nicht mehr auf Produktivitätsvorteile bei gleichen Lohn- und Arbeitszeitregelungen begrenzt sein, sondern sich auf alle "Standortfaktoren" erstrecken. Dazu müssen Flächentarifverträge demontiert werden.

Die Durchsetzung dieser Ziele muss inszeniert werden. Dazu diente die Denunziation der Streiks der ostdeutschen Metaller als unrechtmäßige Diktatur einer renitenten Minderheit über eine arbeitswillige Mehrheit. Dass ihre Klage juristisch völlig unbegründet war, wussten die Arbeitgeber. Das juristische "Scheitern" wurde bewusst kalkuliert nach dem Motto: Wenn die Gerichte nicht helfen, muss "die Politik" tätig werden. Dort herrscht - mit Nuancen, aber quer durch alle Parteien - die Einschätzung vor, dass Streiks das falsche Instrument zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort seien (Clement). Die Debatte über Einschränkungen des Streikrechts, der Tarifautonomie und des Tarifvorrangs wurde dadurch neu entfacht.

Zur Inszenierung gehörte organisierter Streikbruch. Den Vogel schoss der Autozulieferer Federal Mogul in Dresden ab, der Beschäftigte und Material per Hubschrauber ins Werk einfliegen ließ. Ein recht teurer Transport, der der Firma aber sehr billig kam, da der Arbeitgeberverband die Hubschrauber bezahlte. Und eine unnötige Demonstration von Streikbruch, waren doch nur die gewerblich Beschäftigten, nicht aber die Angestellten zum Streik aufgerufen. Dafür aber eine gelungene Demonstration staatlichen Ordnungswillens mit über hundert Polizeikräften. Streikbruch wurde aber auch hinterrücks organisiert: So wurde versucht, die in Chemnitz bestreikte Motorenproduktion nach Salzgitter zu schmuggeln. Die Belegschaft hat sich dieser Arbeit verweigert und in einer fünfeinhalbstündigen Betriebsversammlung die Streikbruchstrategie des Unternehmens verhindert.

Zur Inszenierung gehörten die Produktionseinstellungen in der westdeutschen Automobilindustrie. Die erhöhte Störanfälligkeit der Produktion durch Just-in-time-Zulieferung ist eine durchaus kalkulierbare und politisch instrumentalisierbare Größe. Nicht umsonst hatte Gesamtmetall von Beginn an die Koordination übernommen. Und offenkundig wurde in Vorständen der Automobilkonzerne der Beschluss gefasst, Streiks auszuhalten - wegen des grundsätzlichen Charakters der Auseinandersetzung.

Und schließlich gehörte zur Inszenierung das insbesondere vom sächsischen Arbeitgeberverband praktizierte Verfahren, Unternehmen zum Verbandsaustritt (und Wiedereintritt in einen OT-Verband = ohne Tarifbindung) aufzufordern.

Im Laufe des Streiks hat die IG Metall mit neun Unternehmen Haustarifverträge vereinbart, in denen ähnlich wie bei Stahl die Arbeitszeit zumeist in drei Stufen (2005/7/9) auf 35 Wochenstunden abgesenkt wurde - in Einzelfällen sogar mit der Option, dies vorfristig zu realisieren, falls betriebsbedingte Kündigungen anstehen sollten. Haustarifverträge waren von vornherein ein zweischneidiges Instrument, weil dadurch die Sicherung des Flächentarifvertrages erschwert wird. Nun bleibt der IG Metall nichts anderes übrig als der Häuserkampf.

Divide et impera - nach diesem Motto wird die mediale Öffentlichkeit strukturiert. Ost gegen West, West gegen Ost, Deutsche gegen Polen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg wird instrumentalisiert für Systemveränderungen - auch die der Belegschaft des Getriebeherstellers ZF in Brandenburg/Havel, einer Stadt mit einer Arbeitslosenquote von 22,6%. "Statt die Arbeitszeit im Osten zu verkürzen, sollten wir lieber darüber nachdenken, wie wir im Westen wieder mehr arbeiten", erklärt BDI-Präsident Rogowski. Für ihn stand die Bewertung des Arbeitskampfes schon länger fest: "Die Gewerkschaften begehen Harakiri - leider viel zu langsam... Mittelfristig geht für die Gewerkschaften das Licht aus."

Dieses Lager führt eine grundsätzliche Auseinandersetzung, die es meint, aufgrund der Schwäche der Gewerkschaften in den neuen Bundesländern, ihrer Hoheit über den medialen Stammtischen und mit parteiübergreifender Unterstützung gewinnen zu können. Erneut wurde Arbeitszeitverkürzung zum Symbol einer Systemauseinandersetzung. Da es um Grundsätzliches geht, reichen die Auseinandersetzungen über den Arbeitskampf hinaus. Die Zukunft des Flächentarifvertrages, die Sicherung des Streikrechts und des Tarifvorrangs sind auf der Tagesordnung.

Horst Schmitthenner ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

[1] Siehe hierzu: Wirtschaftspolitische Argumentation der IG Metall zur Tarifrunde um Angleichung der Arbeitszeit in Ostdeutschland (Berliner Büro) - www.igmetall.de