Dass Armut und Reichtum in diesem Land sehr ungleich verteilt sind, ist bekannt. Empörend ist der Befund, dass Bildungsabschluss und Einkommensverteilung direkt miteinander zusammenhängen.
Die Wahrscheinlichkeit, von Armut verschont zu bleiben, steigt mit dem Bildungsabschluss. In diesem kurzen Beitrag werden jüngste Belege für die Benachteiligung einkommensarmer Menschen in Deutschland vorgestellt und Handlungserfordernisse skizziert, um die fortdauernde Ungleichbehandlung zu beenden.Armuts- und Reichtumsbericht
Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt eine ungleiche Einkommensverteilung in Deutschland u. a. abhängig vom Bildungsabschluss und eine nachhaltige Ungleichheit hinsichtlich der Bildungsbeteiligung. Der Anteil der "Arbeiterkinder" unter Studierenden ist mit 13,3 % (1997) kaum verändert gering (1973: 12,0 %). Noch deutlicher zeigt sich diese Ungleichverteilung bei Betrachtung der Bildungsabschlüsse der Eltern von Studierenden: Mehr als die Hälfte hat einen Hochschulabschluss. Die Bildungselite rekrutiert sich also weitgehend aus sich selbst. Oder umgekehrt: Bildungsarmut führt zur Einkommensarmut. Der Bericht belegt eindrücklich den Zusammenhang von Chancengleichheit im Bildungssystem und Chancengleichheit im Hinblick auf den Zugang zum ökonomischen, materiellen und kulturellen Reichtum der Gesellschaft. Die Sicherheit vor Erwerbslosigkeit, die Stellung im Beruf und nicht zuletzt die erzielten Einkommen sind vom Bildungsstand abhängig. Eine Hochschulausbildung verbessert die individuellen Chancen erheblich, d.h.: Die Chancenungleichheit trägt entscheidend zu fortgesetzter sozialer und ökonomischer Benachteiligung bei.16. Sozialerhebung zur Lage der Studierenden
Der jetzt ebenfalls vorliegende Bericht zur sozialen Situation der Studierenden zeigt die Lage noch detaillierter. Schwarz auf weiß liegt damit das Versagen auch rot-grüner Bildungspolitik vor. Trotz vollmundiger Bekundungen wird die Benachteiligung Studierender mit einkommensschwacher und bildungsferner Herkunft fortgeführt und verstärkt - ganz so wie die 1998 abgelöste Regierung. Nur noch etwa ein Viertel der Studierenden stammt aus einem Elternhaus mit einem Nettoeinkommen bis 4.000 Mark. 1997 betrug ihr Anteil noch knapp ein Drittel. Die Zahl der Studierenden aus Familien mit mehr als 6.000 Mark netto ist dagegen gegenüber 1997 weiter um 6 % auf über ein Drittel angestiegen. Bemerkenswert ist dabei die Zunahme im Bereich über 8.000 Mark netto um 4 %. 1 Auch unter Rot-Grün ist also der Zugang zum Hochschulstudium für Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht erleichtert, sondern sogar erschwert worden. Paradox dabei: In Zukunft werden nicht weniger, sondern sehr viel mehr HochschulabsolventInnen benötigt. Offensichtlich besteht das Handlungsprogramm der Regierung darin, überwiegend Kindern Besserverdienender die Hochschulausbildung zu ermöglichen. Da helfen auch die zu zögerlich vorgenommenen Kurskorrekturen im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nicht. Laut Sozialerhebung trägt das BAföG nur mit 9,1 % zum Lebensunterhalt der ohnehin zu wenigen leistungsberechtigten Studierenden bei. 1997 waren es noch 10,1 %. 2 Angesichts dessen ist es zynisch, wenn die Bundesbildungsministerin an "Jugendliche aus Arbeiterfamilien" appelliert, sich häufiger für ein Studium zu entscheiden. 3 Mit einer nicht bedarfsgerechten Ausbildungsförderung, die ohnehin nur die wenigsten Studierenden erreicht, bleiben derlei Appelle hohle Phrasen - zumal schon die ein Studium überhaupt erst ermöglichende Schulausbildung nicht gefördert wird. Die PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt, wie deutlich die herkunftsabhängige Bildungsbeteiligung in Deutschland bereits in der Schule wirksam ist. 4Wertewandel: BAföG als Investition in die Zukunft?
Die Förderung in Form privatrechtlicher Darlehensverträge über die Deutsche Ausgleichsbank überholt ein sozialrechtliches Grundverständnis von Förderung, deren Regelungszweck "Ausgleich sozialer Gegensätze" und Schaffung einer "gerechten Sozialordnung" ist. 5 Sie entspricht einem Verständnis, das Bildung als Einkommensinvestition in die Zukunft sieht. Eine solche subventionsrechtlich verstandene Ausbildungsförderung zementiert die bestehende Ungleichheit und ist daher entschieden abzulehnen. Man stelle sich vergleichend vor, das Recht auf Erziehungsgeld bestünde darin, dass Anspruchsberechtigte das Recht erhalten, bei der Deutschen Bank einen Darlehensvertrag abzuschließen. Dieses "Recht" wird BAföG-Berechtigten zugemutet, wenn ihnen anstatt BAföG ein Vertrag mit der Deutschen Ausgleichsbank offeriert wird. Natürlich wird eine solche Ausbildungsförderung weiterhin genau diejenigen abschrecken, die mangels finanzieller Rückhalte einen solchen ungedeckten Scheck auf die Zukunft nicht ausstellen können. Angezeigt ist eine wirksame Ausbildungsförderung für diejenigen, denen es mangels eigener finanzieller Mittel nicht möglich ist, ihre Bildungsinteressen zu verwirklichen. Diese Losung des BaföG 6 muss auch weiterhin unverändert Bestand haben. Eine solche Leistung - existenzsichernd und altersunabhängig - könnte in ein Konzept existenzsichernder Förderung integriert werden, mit dem auch der Zusammenhang von Einkommensarmut und Bildungsstand durchbrochen werden könnte. Verteilungswirksam könnte dafür die wieder einzuführende Vermögenssteuer eingesetzt werden.Anmerkungen:
1 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der BRD 2000 - 16. Sozialerhebung des DSW, Bonn 2001, S. 124 f. 2 Ebd., S. 139. 3 SZ v. 20. Juli 2001, S. 5. 4 OECD (Hg.): Knowledge and skills for life: First results from PISA 2000, Paris 2001. 5 BVerfGE 1, 97/105; 22, 180/204; 35, 202/235 f.; 69, 272/314. 6 Bundestags-Drucksache VI/1975 (1971), S. 19.Literatur:
16. Sozialerhebung des DSW: www.studentenwerke.de Armuts- und Reichtumsbericht: www.bma.de PISA-Studie: www.mpib-berlin.mpg.de/pisa