Schulschließungen im Osten Deutschlands - Wie sie kommen, was sie bedeuten und wie sie vermeidbar sind.
"Stirbt der Osten wirklich aus?" Diese Frage weht immer öfter durch Zeitungen und Parlamente - leider nicht zu unrecht. Seit 1990 lassen ein extremer Geburtenrückgang und die zunehmende Abwanderung die Bevölkerung in den fünf ostdeutschen Ländern von Jahr zu Jahr schrumpfen. Im Schnitt sind die Geburtenraten um die Hälfte gesunken. Dazu kommt, dass das bis Klassenstufe zehn integrierte Schulsystem der DDR aufgegeben und stattdessen das stark gegliederte System der BRD übernommen wurde.
Aber nicht nur die Mehrgliedrigkeit wurde eingeführt: Im Rahmen von Umgestaltungs- und Sparmaßnahmen wurden die Klassen vergrößert. Die Lehrkräfte haben, wie so viele, aus Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren, Teilzeitmodellen zugestimmt, verdienen zum Teil die Hälfte des Lohns ihrer Kollegen im Westen oder wurden ganz entlassen.
So werden viel weniger Kinder in mehr Schultypen von weniger Lehrkräften unterrichtet. Die Folge ist natürlich, dass sich die Schulen leeren.
Die Kommunen im Osten sind verschuldet und wichtigstes Ziel ist "Unternehmensansiedlung". Also fließen finanzielle Mittel nicht in notwenige Schulentwicklung, sondern in die Errichtung von Gewerbegebieten o.ä.. Die Landesgesetze schreiben zudem vor, dass eine Schule mehrere Klassen eines Jahrgangs beherbergen muss (in der Regel 2 für Mittel-, Real- und Hauptschulen, 3 für Gymnasien). Und jede Klasse muss die gesetzliche Mindestzahl an Schülern erfüllen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, werden Lehrer entlassen und die Schulen geschlossen. Im Schnitt ist seit der Wende ein Drittel der Schulstandorte verschwunden.
Die Folgen von Schulschließungen sind dramatisch: Die Einzugsgebiete der übrigen Schulen werden vergrößert, die Schulwege verlängern sich. In manchen Gebieten müssen schon Grundschüler bis zu 140km am Tag mit dem Schulbus fahren. Und nicht nur dass manche Schüler mit Hin- und Rückfahrt einen längeren Arbeitstag haben als einige Erwerbstätige, im Rahmen von unsozialen Sparprogrammen werden auch die Elternbeteiligungen für die Schülerbeförderung immer wieder erhöht.
Nun sind Geburtenrückgang und Abwanderung im Osten Tatsachen, aber auch die selektiven Schulsysteme sind Teil der Umstände, die Schulschließungen angeblich nötig machen. Aus der Not heraus bekommen nun längst bekannte, progressive Bildungskonzepte neue Nahrung: Verkleinerung der Klassen, Unterricht in altersgemischten Gruppen, in denen erfolgreicher Unterricht nur dann möglich ist, wenn Lerntempo und -fortschritte jedes Einzelnen besonders berücksichtigt werden, Projektunterricht, Tages- und Wochenplanarbeit. Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern machen das nun zumindest an einigen Grundschulen vor. Sonst werden diese Maßnahmen aber weiter verhindert, obwohl kleine, integrierte Klassen und jahrgansübergreifender Unterricht nicht nur wohnortnahe Schulen erhalten, sondern auch Lernklima und -erfolge verbessern würde - auch in Schulen in bevölkerungsreichen Gebieten.