Das politische Mandat als Machtinstrument

Der gerichtliche Streit zwischen dem Präsidium und der Studierendenschaft der Goethe-Universität über die Übertretung des hochschulpolitischen Mandats hat keine Rechtssicherheit geschaffen. Statt allgemeinpolitische Äußerungen per se unter Strafe zu stellen, muss in den Hochschulgremien eine offene Debatte über die Verknüpfung von hochschul- und allgemeinpolitischen Themen etabliert werden, fordert der AStA der Uni Frankfurt.

Am 12. Juli 2018 setzte die damals amtierende Präsidentin der Goethe-Universität, Birgitta Wolff, ihre Unterschrift unter einen rechtsaufsichtlichen Bescheid des universitären Justitiariats. Dieser Bescheid enthält die Aufforderung an die Studierendenschaft, "künftig allgemeinpolitische Äußerungen, insbesondere jegliche Äußerungen, die als Aufruf zu Gewalt gegen Personen oder Sachen verstanden werden können, zu unterlassen". Sollte die Studierendenschaft dieser Aufforderung nicht nachkommen, drohe ein Bußgeld in Höhe von 4.000 Euro.

Was war geschehen? Der AStA der Goethe-Universität hatte zwei Wochen zuvor auf seiner Facebook-Seite einen Demonstrationsaufruf geteilt, nachdem es in Folge des G20-Gipfels in Hamburg zu Hausdurchsuchungen in Frankfurt und Offenbach gekommen war. Darüber hinaus ersuchte das Uni-Präsidium bei der Studierendenschaft auch eine Auskunft darüber, "welche Personen Zugriffsrechte zu den Accounts der sozialen Medien […] haben". Insbesondere aufgrund dieses Auskunftsgesuchs legte der AStA Widerspruch gegen den Bescheid ein. Der Fall ging somit an das Verwaltungsgericht Frankfurt, welches die Sachlage in einer mündlichen Verhandlung am 11. März 2021 erörterte.

Kurz vor Prozessbeginn legte die Frankfurter Uni-Leitung nochmals nach: Der AStA erhielt Anfang Februar 2021 erneut einen rechtsaufsichtlichen Bescheid mit der Aufforderung, einen Artikel der Kampagne NIKA (Nationalismus ist keine Alternative) aus der digital verfügbaren Ausgabe der AStA-Zeitung zu entfernen, da dieser gegen das hochschulpolitische Mandat verstoße. Spätestens damit war klar, dass sich der Streit nicht mehr nur um den Ausgangsbescheid von 2018 dreht. Vielmehr geriet die grundsätzliche Frage danach, inwieweit sich Studierendenschaften allgemeinpolitisch äußern dürfen, ins Zentrum.

Eine konstruierte Trennung

Der Streit zwischen dem Präsidium und der Studierendenschaft der Goethe-Universität ist weder der Sache noch der Form nach neu. Seit mindestens 50 Jahren ist die vermeintliche Überschreitung des hochschulpolitischen Mandats immer wieder ein kontroverser Gegenstand der Rechtsprechung. Prinzipiell billigt die Rechtsprechung den Studierendenschaften seit nunmehr zwanzig Jahren die Möglichkeit zu, einen "Brückenschlag" von hochschul- zu allgemeinpolitischen Themen vorzunehmen. Allgemeinpolitische Äußerungen sind demnach legitim, solange dabei ein hochschulpolitischer Bezug erkennbar ist.

Die Rechtsprechung trägt somit der Tatsache Rechnung, dass die Trennung zwischen Hochschul- und Allgemeinpolitik unscharf ist. Äußerungen etwa zum Mangel studentischen Wohnraums oder zu diskriminierenden Übergriffen am Campus besitzen unverkennbar einen studentischen Bezug und daher hochschulpolitische Relevanz. Indessen kann sich ohne die Thematisierung der allgemeinpolitischen Dimension, die solchen Problemen innewohnt, gar kein vollständiges Bild dieser Probleme ergeben.

Gegenüber der Rechtsprechung der vorangegangenen Jahrzehnte stellt die Möglichkeit des "Brückenschlags" sicherlich einen Fortschritt dar. Zugleich knüpfen sich daran einige Fragen an, die wiederum zu neuen Streitfällen führen können: Wann liegt ein hinreichender Hochschulbezug vor? Erfolgt der Brückenschlag noch von der hochschul- zur allgemeinpolitischen Äußerung oder steht letztere bereits im Vordergrund?

Verdachtsmomente

Ebensolche Fragen standen dann auch im Mittelpunkt des Verfahrens zwischen dem Präsidium und der Studierendenschaft der Goethe-Universität. Um vor Gericht den Nachweis zu erbringen, dass die Übertretung des hochschulpolitischen Mandats durch die Studierendenschaft der Goethe-Universität kein Einzelfall, sondern vielmehr die Regel sei und daher akute Wiederholungsgefahr vorliege, zählte die Universitätsleitung drei Tage vor Prozessbeginn in einer Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht vermeintliche weitere Fälle auf, die als Verstoß gegen das hochschulpolitische Mandat anzusehen seien - darunter zwei Resolutionen des Studierendenparlaments der Goethe-Universität vom 04. Juni 2019 gegen die Israel-Boykottkampagne BDS und jeden Antisemitismus sowie vom 29. Oktober 2019 zur Unterstützung der Students for Future-Vollversammlung.

Kurzum: Präventiv listete die Rechtsabteilung der Universität einmal alle Äußerungen der Studierendenschaft aus der jüngeren Vergangenheit auf, die möglicherweise als eine Überschreitung des hochschulpolitischen Mandats angesehen werden könnten. Und obwohl das Verwaltungsgericht der Studierendenschaft zumindest mit Blick auf die beiden genannten Resolutionen Recht gab, ist dieses Vorgehen durchaus symptomatisch. Hinter Äußerungen solcher Art kann die Universitätsleitung nichts anderes sehen als Verdachtsmomente, konkret also potentielle Verstöße gegen das hochschulpolitische Mandat.

Diese Ansicht bekräftigte die Universitätsleitung auch während der mündlichen Verhandlung, als sie geltend machte, die hochschulpolitischen Äußerungen in den verschiedenen Resolutionen seien nur vorgeschoben, um sich ungehindert allgemeinpolitisch äußern zu dürfen. Es kommt der Universitätsleitung gar nicht erst in den Sinn, dass etwa die BDS-Resolution nicht einfach nur eine allgemeinpolitische Ansicht zum Ausdruck bringt, sondern auch ein konkretes Vorgehen, z.B. die Absage einer Veranstaltung mit BDS-Unterstützer*innen, politisch legitimiert. Und es darf ihr auch nicht in den Sinn kommen, da ein ebensolcher Zusammenhang die Unhaltbarkeit einer strikten Trennung von hochschul- und allgemeinpolitischen Themen demonstriert.

Schon seit Jahren ist das Verhältnis des Präsidiums der Goethe-Universität zur Studierendenschaft von solchen Verdachtsmomenten gezeichnet, was dem gegenseitigen Vertrauensverhältnis nicht gerade zuträglich war. Zu oft stellte sich die Universitätsleitung im Zweifelsfall nicht hinter, sondern gegen ihre eigene Studierendenschaft.

Machtgefälle

Das eigentliche Problem weist jedoch über den Streit an der Goethe-Universität hinaus. Die Rechtsaufsicht des Präsidiums über die Studierendenschaft ist Ausdruck eines faktisch bestehenden Machtgefälles. Die Studierendenschaften sind gegenüber den rechtsaufsichtlichen Maßnahmen der Präsidien weitestgehend ohnmächtig - und die juristische Praxis leistet dem Vorschub. Denn solange es kein allgemeinpolitisches Mandat gibt, bleibt die Entscheidungshoheit darüber, wann genau eine Übertretung des hochschulpolitischen Mandats vorliegt, in erster Instanz der präsidialen Rechtsaufsicht überlassen, sodass den Studierendenschaften in der Folge dann nur noch der kostspielige Weg über die Verwaltungsgerichte bleibt, die aber auch keine endgültige Rechtssicherheit herstellen können.

Solange die Rechtsprechung auf der unscharfen Trennung von Hochschul- und Allgemeinpolitik basiert, wird es immer neue Rechtsauslegungen geben. Diese werden notwendigerweise ebenso unscharf ausfallen wie die versuchte Trennung von Hochschul- und Allgemeinpolitik. Das eröffnet eine juristische Grauzone, die in erster Linie den Uni-Präsidien zugutekommt. Denn jene Trennung gibt ihnen die Möglichkeit an die Hand, juristisch gegen die unliebsamen Äußerungen ihrer ebenso unliebsamen Studierendenschaften vorgehen zu können.

Ein "gezieltes Vorgehen"

Ein ebensolches Machtgefälle kommt auch in der Aufforderung zum Ausdruck, der Uni-Leitung Auskunft zu erteilen über die Personen, welche die Social-Media-Kanäle des AStA bespielen. Gegenüber der Öffentlichkeit lässt die Universität nun verlautbaren, diese Nachfrage sollte "lediglich einem besseren Verständnis der üblichen redaktionellen Abläufe und Abstimmungsschritte dienen"1. Im Ursprungsbescheid liest sich die Rechtfertigung für dieses Auskunftsgesuch jedoch ganz anders: Es bestehe ein "berechtigtes Interesse der Rechtsaufsicht an der Kenntnis der konkret verantwortlichen Personen […], um zukünftig bei Überschreitung der Aufgaben der Studierendenschaft gezielter vorgehen zu können."

Das Verwaltungsgericht wies die Anfrage mit dem Verweis zurück, dass der universitären Rechtsaufsicht eine repressive und keine präventive Funktion zukomme. Dennoch ist auch hier der symptomatische Charakter dieser Anfrage hervorzuheben: In Gesuchen dieser Art - und von ihnen gab es zumindest seitens der Frankfurter Universitätsleitung in den vergangenen Jahren nicht wenige - zeigt sich der systematische Versuch, durch Sanktionsmechanismen und Drohszenarien Druck auf die eigene Studierendenschaft auszuüben.

Die Macht, welche die Uni-Präsidien ausüben, wird sich nur selten in offensichtlich überzogenen Maßnahmen widerspiegeln, die vor Gericht keinerlei Bestand hätten. Sie zeigt sich vielmehr im Detail: in Einzelabwägungen und Auskunftsgesuchen, die juristisch vielleicht gerade noch zu rechtfertigen sind. Zumindest ist das die Strategie, welche das Präsidium der Goethe-Universität seit Jahren verfolgt.

Der Verweis auf dieses Vorgehen soll das Zerrbild zurechtzurücken helfen, dem zufolge die Universitätspräsidien lediglich auf die Einhaltung des Hochschulrechts pochten, welches die Studierendenschaften permanent überschreiten würden. Universitätspräsidien sind - anders als es die Leitbilder und Öffentlichkeitsdarstellungen suggerieren - eben keine politisch neutralen Akteure, sondern vertreten - wie die Studierendenschaften auch - eine konkrete politische Agenda.

Mitbestimmung statt Exzellenz

Vor diesem Hintergrund muss das Verfahren vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht als Ausdruck eines tiefergreifenden Konflikts zwischen zumeist eher links ausgerichteten Studierendenschaften auf der einen Seite und neoliberal agierenden Universitätsleitungen auf der anderen Seite verstanden werden. Solange die Universitäten in erster Linie auf Exzellenz und die Einwerbung von Drittmitteln bedacht sind, müssen ihnen ASten, die ihre linke Gesinnung öffentlichkeitswirksam zur Schau stellen und potentielle Geldgeber*innen abschrecken, als Dorn im Auge erscheinen.

Es ist längst eine Selbstverständlichkeit, dass sich Universitäten als gesellschaftspolitische Akteurinnen begreifen, die in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet sind. Universitäten sind der Ort einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Diskursen und Kategorien. Diese Selbstverständlichkeit ist in zweifacher Hinsicht verräterisch. Sie verrät zum einen, dass die Trennung von hochschul- und allgemeinpolitischen Fragen konstruiert und schon allein deshalb nicht konsequent durchzuhalten ist. Und sie verrät zum anderen, dass die Frage nach dem Zusammenhang und der Trennbarkeit von hochschul- und allgemeinpolitischen Themen nicht bloß eine Frage für die Gerichte ist. Sie sollte Gegenstand eines wissenschaftlichen Diskurses sein, der von den hochschulpolitischen Gremien geführt wird. Ein solcher Diskurs mag vielleicht nicht der Exzellenz dienen - wohl aber der Demokratie und Mitbestimmung an den Hochschulen.

Anmerkung

1) https://taz.de/Uni-Frankfurt-gegen-Asta/!5753242/, abgerufen am 09. März 2021.

AStA der Goethe-Universität Frankfurt