Digitalisierung und Arbeitsplätze, die neue Ordnung

Digitalisierung und Arbeitsplätze, die neue Ordnung

Vorbemerkung: Die nachfolgenden Überlegungen des ehemaligen Direktors des Instituts für Kybernetik und Robotik der Universität Valencia beziehen sich zwar auf die spanische Situation der Massenarbeitslosigkeit, lenken aber die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Hochtechnologie und Arbeitslosigkeit, der mit dem jetzt einsetzenden neuen Schub der Digitalisierung sich zuspitzen wird und vor dem die europäische Politik insgesamt die Augen verschließt.

Wolfgang Fritz Haug

Eine neue ökonomische Ordnung mit einschneidenden Folgen für die Beschäftigung hat sich etabliert, ohne dass die europäischen Behörden, geschweige die spanischen, weder die Unternehmer noch die Gewerkschaften es begriffen zu haben scheinen. Selbst in den USA, Wiege und Achse der digitalen Entwicklung, herrscht Alarm. Die Synergien, die sich aus den Technologien der Programmierung, Robotik, Telekommunikationen und Mikroelektronik herleiten, haben schnellere und billigere Arbeitsspeicher, größere Mobilität und Allgegenwart der Information sowie intelligente Maschinen geschaffen, die in Verbindung mit anderen Wissenszweigen zum Beispiel der Medizin oder der Klimatologie insgesamt ein neues Universum hervorgebracht haben: das der Digitalisierung. Es ist dies ein Universum, das wie seinerzeit die Elektrizität die menschlichen Verhaltensweisen durchtränkt sowie Quantität und Qualität der Arbeitsplätze grundlegend verändert. Mehr noch als die Ersetzung des Menschen durch die Maschine, die die bisherigen industriellen Revolutionen prägte und zugleich Arbeitsplätze in neuen Wirtschaftssektoren schuf, ist es heute das Auftauchen neuer Produkte und Gewohnheiten, was viele Arbeitsplätze zerstört.

Die Implikationen dieser neuen Ordnung und die Sorgen, die sie ausgelöst hat, sind längst nicht mehr ausschließlich die der Technologen. Endlich sind auch die Ökonomen aufgewacht (Foreign Affairs, Juli/August 2014; The Economist, 4.10.2014) und haben begriffen, dass das optimistische Prinzip der >schöpferischen Zerstörung< von Arbeitsplätzen sich diesmal nicht halten lässt. Dem durch die Digitalisierung verursachten Verlust von Arbeitsplätzen steht keine Schaffung neuer Arbeitsplätze gegenüber, die einen Ausgleich der Bilanz bewirken würden. Nicht einmal die so lautstark als Beschäftigungsquellen ausposaunten Neugründungen (start ups) funktionieren. Im September 2014 räumte die wissenschaftliche Gemeinschaft in Boston auf Basis der us-amerikanischen Unternehmensstatistik ein, dass die Arbeitsplatzschaffung seitens dieser Neugründungen seit Jahren zurückgeht. Die überlebt haben, sind solche der Selbstbeschäftigung oder haben weniger als fünf Mitarbeiter. Instagram oder WhatsApp haben nicht mehr als hundert Beschäftigte, obgleich sie bahnbrechende Produkte in die Welt gesetzt haben, die von ^Großgewinnern^^ gegen ein Heidengeld aufgekauft worden sind. Doch diese immensen Kapitalerträge haben keine positiven Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt. Ähnlich hohe Investitionen hätten in der Ära der klassischen Industrie Tausende Arbeitsplätze geschaffen. Als Eric Schmidt, der Vorstandsvorsitzende von Google, jüngst vor Tausenden von Unternehmern in der madrider Stierkampfarena Las Ventas behauptete, die start ups würden Arbeitsplätze schaffen, sagte er nicht die Wahrheit.

Während Schmidt, dessen Firma mit ihren wunderbaren Hervorbringungen ein Geschäftsmodell mit besorgniserregenden Varianten monopolistischer Tendenz verfolgt, die Realität leugnet, wird sie in Europa schlichtweg ignoriert. Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, widmete in seinem gut einstündigen Vortrag in Jackson Hole über >Arbeitslosigkeit in der Eurozone< nicht eine einzige Minute den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt. Draghi beschränkte sich auf die traditionelle Beziehung zwischen Geldpolitik und Beschäftigung und ignorierte, dass die heutige Wirtschaft sich nicht mehr ausschließlich in Begriffen erklären lässt, die der klassisch industriellen Ära entstammen. Dieses Versäumnis charakterisierte auch die Europäische Ratsversammlung vom Oktober 2014 in Mailand, die sich als unfähig erwies, irgendeinen konkreten Etat für die >aktiven Maßnahmen zugunsten der Beschäftigung< vorzulegen. Das ^Aktive^^ in der Arbeitsmarktpolitik verkommt zu einer mediengerecht geprägten Floskel, die sich bislang als hohl herausgestellt hat. Wenn es um Digitalisierung geht, weiß die EU nicht, wohin mit den Mitteln. In Wirklichkeit fragen sich viele, ob die Programme für Forschung & Entwicklung, die sie finanziert, nicht viel produktiver für die digitalen monopolistischen Multinationalen Unternehmen sind als für die Beschäftigung in Europa. Dieses Unbehagen und die damit verbundene Desorientierung kann wie in Spanien dazu führen, den Unternehmern und den Gewerkschaften die Diskussion zu überlassen – mit sehr zweifelhaften Ergebnissen, was die Effizienz eingesetzter Mittel für den Arbeitsmarkt betrifft.

Das zeitliche Zusammenfallen der digitalen Konsolidierung der kapitalistischen Produktion mit der ökonomischen Krise erschwert natürlich die exakte quantitative Analyse ihrer Auswirkung auf den Arbeitsmarkt. Doch scheint die Feststellung nicht gewagt, dass die mit den Entwicklungen der Digitalisierung zusammenhängende Veränderung in der Arbeitsmarktstruktur impliziert, dass mehr Arbeitsplätze zerstört als neue hervorgebracht werden. Die Digitalisierung darf nicht mit einer Dritten Industriellen Revolution verwechselt werden. Zusätzlich zu den greifbaren Veränderungen vollführt das digitale Universum auch kognitive Aufgaben mit immateriellen Resultaten. Roboter, Rechner und Netze haben, im Verbund oder auch einzeln, Verhaltensweisen geprägt, die bisherige Formen des Arbeitens und der Geschäftsmodelle zum Verschwinden brachten. Der Rhythmus des Wandels ist beeindruckend: gegenwärtig werden in einer einzigen Minute mehr Fotos gemacht als in dem gesamten Jahrhundert, das der Liquidierung von Kodak im Jahre 2012 vorausging. Die zwischenmenschlichen Beziehungen haben sich radikal verändert; es gibt Roboter, die beim Arbeiten die Sicherheit der Personen respektieren; massenhafte offene und kostenlose Kurse stellen das universitäre Unterrichtsformat in Frage; das Ende der Gutenberg-Galaxis zeichnet sich ab, nachdem sie sechshundert Jahre bestanden hat…

Überraschenderweise vereint das digitale Produkt wachsenden Wert und schrumpfende Kosten. Es ist quasi unerschöpflich und ist jederzeit für Personen und Maschinen verfügbar; es hat eine enorme Fähigkeit der Akkumulation und des Zuwachses an Nutzungmöglichkeit, die Arbeit des Kunden selbst erweitert und verbessert sie und bringt vereinzelte Gewinner hervor in einem Markt, dessen Geschäftsmodelle nur von ihrer Universalität und ihrem Monopolcharakter her verstanden werden können; und die Grenzkosten der Reproduktion tendieren gegen null.

Überdies hat die Industrie ihre Produktionskette verändert: sie gestaltet mit Programmen, die von anderen und fern von dem, der fabriziert, geschrieben werden; sie setzt virtuelle Realität ein, um die kostspieligen Prototypen von dereinst überflüssig zu machen; die Logistik von Lieferanten und Klienten wird telematisch vollführt; die alte Fabrik reduziert ihre räumliche Ausdehnung mit der fortgeschrittenen Robotisierung… Das Digitale bewirkt, dass das Industrielle in den tertiären Sektor hinüberwächst. Im Zuge ihrer zunehmenden Ablösung von der örtlichen Fixierung verliert die Industrie nicht an Bedeutung, sie definiert sich aber neu.

Aus den Beziehungen des Alltags verschwindet die Vermittlung und mit dieser gehen Hunderttausende Arbeitsplätze verloren. Die Selbstbedienung ist eine unaufhaltbare Macht, die im Supermarkt und an der Tankstelle aufkam, gefolgt vom elektronischen Handel, und sich numehr mit dem Schwinden der Rollen von Produzent und Konsument im Rahmen der naiv gefeierten ^kooperativen Ökonomie^^ direkt gegen die Beschäftigung richtet. Die Arbeitsplätze werden weggefeilt (der Nutzer löst Taxifahrer, Hoteliers oder Immobilienmakler ab und schickt sich sogar an, zuhause mit dem 3-D-Drucker Gegenstände zu fabrizieren). Nichts von alledem geschah willkürlich. Auf die Frage, ob sie Arbeitsplätze hätten, entschieden diejenigen, die Apps für Apple machen, für Uber chauffieren, Airbnb-Hoteliers sein würden usw., dass ja. In Spanien wird dieser Vermittlungsabbau von der Schattenwirtschaft getragen, die für den verzweifelten Arbeitslosen typisch ist, sowie von der Selbstzufriedenheit eines Nutzers, der immer mehr zu tun und immer weniger (formelle) Beschäftigung hat.

Sich bedenkenlos an einem technologischen Wettrennen mit den USA zu beteiligen, ist für ein Land wie Spanien nicht das Intelligenteste, u.a. deshalb, weil die Ausgangsbedingungen ganz andere sind. Zunächst, weil die Beschäftigungen, mit denen sich die spanische Mittelklasse befasst, von der Wirtschaftskrise deutlich stärker betroffen sind. Die einzige Stärke liegt in den persönlichen Dienstleistungen. Man sagt, der Ausweg liege in der Qualifikation; doch kurz- und mittelfristig wird das den sechs Millionen Arbeitslosen wenig helfen. Wenn man den Anteil der Arbeitsplätze feststellt, die a) es binnen Kurzem geben wird oder geben kann – nicht diejenigen, die es geben könnte, hätten wir in der Vergangenheit anders gehandelt; b) die auf spanischem Boden erreichbar sind – und weder in Kalifornien, noch in China und auch nicht in Deutschland; und c) die sich nicht besetzen lassen wegen vermeintlich fehlender Ausbildung der Millionen un- oder unterbeschäftigten Personen, die es bei uns gibt, dann ist die Liste kurz. Der Erziehungs- und Ausbildungsweg dauert zumindest eine Generation, bevor er Resultate zeitigt; er löst nicht das Problem der neuen Ordnung von Digitalisierung und Beschäftigung. Arbeitsplätze sind wie die Energie eine knappe Ressource, die man vernünftig und demokratisch wird verwalten müssen. In der Ferne dämmert die ewig umstrittene Alternative, die Arbeit neu zu verteilen. Eine Möglichkeit, welche über die Technologie hinausgeht und eine harte politische Debatte eröffnet. Derweil aber müssen die Eliten die neue Ordnung begreifen lernen, die sich mit der Digitalisierung bereits etabliert hat.

Aus dem Spanischen von Wolfgang Fritz Haug