UNO am Ende?

Themenschwerpunkteditorial iz3w 378 (Mai/Juni 2020): 75 Jahre unvereinte Nationen

Es war klar, dass in Zeiten von Covid-19 andere Themen in den Hintergrund rücken – so auch der 75. ‚Geburtstag‘ der United Nations Organization (UNO). Aber die Maßnahmen gegen das Coronavirus laufen zuerst über die kommunalen, föderalen und nationalen Ebenen. Trotzdem ist die Absenz der United Nations (UN) erstaunlich, zumindest seit Corona als Pandemie ausgerufen wurde – also als weltumspannende Epidemie. Die Vorstellung, eine Pandemie mit Maßnahmen auf regional begrenzten Ebenen in den Griff zu bekommen, ist irreführend.

Ende März stellte die UNO einen »Globalen humanitären Plan« zur Bekämpfung der Pandemie vor. Auf die Titelseiten der Zeitungen schaffte es der Plan nicht. Er zielt auf die besonders verletzlichen Länder und Bevölkerungen in 38 Staaten, darunter etliche afrikanische Länder sowie Jemen, Syrien, Libanon, Irak, Iran und Venezuela. In den dortigen zahlreichen Slums und Flüchtlingslagern leben die Menschen ohne ausreichende sanitäre Anlagen und ohne wirksame Gesundheitsversorgung auf engstem Raum. Gerade dort kann sich Corona rasant ausbreiten und immenses Leid verursachen.

Die einzige globale Struktur, die dem entgegenstehen könnte, ist vermutlich die UNO mit ihren Sonderorganisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO oder ihren zahlreichen Nebenorganen wie dem Entwicklungsprogramm UNEP, dem Kinderhilfswerk UNICEF, dem Welternährungsprogramm WFP oder dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA. Sie müssten jetzt durchstarten.

Stattdessen muss erst einmal um Spenden gebettelt werden. Für die im UNO-Rahmen möglichen Maßnahmen werden nun 2,2 Milliarden US-Dollar gefordert (zum Vergleich: die USA planen zeitgleich ein 2-Billionen-Dollar-Programm zu Corona). UN-Generalsekretär Antonio Guterres versucht es mit einem Appell an den Eigennutz der Mitgliedstaaten: »Ohne schnelle Unterstützung für die besonders schwachen und hilfsbedürftigen Länder wird sich das Coronavirus nicht nur dort verbreiten, sondern von dort auch wieder in Staaten und Weltregionen zurückkehren, in denen das Virus zunächst erfolgreich eingedämmt wurde.« Trotzdem beschleicht eine*n das Gefühl: Die Spendenzusagen bekommt er nicht so schnell zusammen; und wirklich ausbezahlte Gelder schon zweimal nicht. Die Weltorganisation aller Staaten, ihre Nebenorgane und Sonderorganisationen, mit Nobelpreisen bedacht, stehen wieder einmal als Bittstellerin da.

Das ist eine alte, strukturelle Schwäche der UNO. Sie ist zwar mit übergroßen Ansprüchen ausgestattet, denn in ihrer Charta strebt sie nach dem Weltfrieden, generalisierten Menschenrechten, der Einhaltung des Völkerrechts und sozialem Fortschritt. Aber das egoistische Einzelinteresse der Nationalstaaten (mithin die Essenz der ‚Vereinten Nationen‘) dominiert über eine globale menschenrechtliche Perspektive. Eine UN-Generalversammlung ist oft weniger ein demokratisches Weltforum als ein Schaulaufen von Diktatoren.

Mit dem globalen Aufschwung der rechtspopulistischen und autoritären Regierungen von Russland, den Philippinen, Ungarn, Polen, Brasilien bis zu den USA wenden sich nun immer mehr Staaten von den UN ab (ähnlich wie von der EU). Die finanziellen Mittel für die UN und ihre zahlreichen Unterorganisationen werden zusammengestrichen oder vorenthalten. UN-bezogene Ziele wie Multilateralismus, Global Governance oder Peacebuilding erscheinen heute als gnadenlos veraltete Relikte aus der Willy-Brandt-Ära.

Die aktuelle »Krise des Multilateralismus« verdeutlicht, dass das nach 1945 etablierte System der internationalen Politik mit einer zumindest normativ starken UNO durchaus Errungenschaften vorweisen kann. Ein Beispiel: Im Dezember 2015 einigten sich bei der Pariser UN-Klimakonferenz spektakulärer Weise 197 Staaten auf ein (wenn auch mangelhaftes) globales Klimaschutzabkommen. Doch Ende 2019 reichten die USA offiziell ihre Austrittserklärung aus dem Abkommen ein.

Die UN sind eine umkämpfte Arena der Weltpolitik. Ihre Gründung, so führt der folgende Einleitungsbeitrag aus, war »nicht zuletzt eine Reaktion auf die Shoah und den Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschland«. Sie enthält eine Selbstverpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte. Die UN bewegen sich ständig zwischen einerseits antidemokratischer Herrschaftssicherung zahlreicher Diktaturen und andererseits einer Vielzahl sozialer und fortschrittlicher Projekte. So bilanziert der abschließende Artikel dieses Themenschwerpunktes, dass sich Frauenrechtler*innen in der UNO oftmals auf Feindesland bewegten und bewegen – inzwischen jedoch auch Rückenwind aus ihr heraus bekommen können.

Die UNO hat prinzipiell kein Durchsetzungsrecht gegenüber einem Einzelstaat. Sie lebt von den Brosamen, die ihr ihre 197 Chefs hinwerfen, damit sie einige lästige Aufräumarbeiten vollbringt. Zum 75. Geburtstag überreichen die Mitgliedsstaaten ihrer UNO nun Schaufel und Besen, damit sie die Corona-Pandemie bekämpft. Eine handlungsfähige Weltgemeinschaft sieht anders aus.

 

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