Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro – Umkämpfter Sport und Stadtraum

in (26.04.2016)

Amateurfußball gilt in Brasilien, wie in anderen Ländern, in denen Fußball als Nationalsport angesehen wird, als männliche Sportpraxis. Verstanden als das intensive und organisierte Fußballspielen in der Freizeit, hat sich Amateurfußball im 20. Jahrhundert als eine ausgedehnte Freizeitkultur in brasilianischen Städten herausgebildet. Fußballflächen und ‑plätze sind im Stadtraum der brasilianischen Metropolen von besonderer Bedeutung. Sie sind überall sichtbar und Fußball spielende Akteure, Teams sowie Wettkämpfe bestimmen das soziale Leben und den Alltag in der Stadt.Keywords: Gender, urban space, sport, amateur football, Brazil

Schlagwörter: Geschlechterverhältnisse, Stadtraum, Sport, Amateurfußball, Brasilien

Amateurfußball gilt in Brasilien, wie in anderen Ländern, in denen Fußball als Nationalsport angesehen wird, als männliche Sportpraxis. Verstanden als das intensive und organisierte Fußballspielen in der Freizeit, hat sich Amateurfußball im 20. Jahrhundert als eine ausgedehnte Freizeitkultur in brasilianischen Städten herausgebildet. Fußballflächen und ‑plätze sind im Stadtraum der brasilianischen Metropolen von besonderer Bedeutung. Sie sind überall sichtbar und Fußball spielende Akteure, Teams sowie Wettkämpfe bestimmen das soziale Leben und den Alltag in der Stadt.

Jungen und Männer hatten in Brasilien von Beginn des 20. Jahrhunderts an einen vergleichsweise einfacheren Zugang zu öffentlichen Sport‑ und Fußballorten als Frauen. Aus‑ und abgrenzende Prozesse fanden zwar anfangs ebenso im Männerfußball statt. So bildeten die großen Fußballvereine in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Orte, an denen die weiße Mittel‑ und Oberschicht Spieler der Unterschicht ausschloss.[1] Mit der fortschreitenden Professionalisierung in den 1920er Jahren öffneten sich die Fußballplätze und Clubs jedoch für Personen afrobrasilianischer Herkunft und unterer sozialer Schichten (Filho 1964: 31). Frauen hingegen bildeten eine Minderheit. Verbote verhinderten lange Zeit die aktive Ausübung des Sports durch Frauen, Vereine schlossen Frauen als Spielerinnen aus. Ein 1941 verabschiedetes Gesetz, das Frauen offiziell das Fußballspielen verbot, wurde erst 1979 aufgehoben (Rial 2013: 121). Vor allem in Rio de Janeiro und São Paulo, den Geburtsstätten des brasilianischen Fußballs, bildeten sich städtische Sport‑ und Amateurfußballräume zu exklusiv männlichen Räumen heraus und wurden eng mit traditionellen Auffassungen von Männlichkeit verknüpft (Damo 2005: 151f, 158).

Fußball spielt in Brasilien seit seiner Einführung Ende des 19. Jahrhunderts eine besondere gesellschaftliche Rolle. Seit den 1920er Jahren stellen Amateur‑ und professioneller Fußball Orte der sozialen und nationalen Integration dar. Im Zuge des Vereinigungs‑ und Konstruktionsprozesses einer neuen brasilianischen Nation war es bereits wenige Jahrzehnte nach der Abschaffung der Sklaverei (im Jahr 1888) Personen afrobrasilianischer Herkunft möglich, an ihnen teilzunehmen. Seitdem hat Fußball in Brasilien den Ruf, ein Beispiel für die Umsetzung demokratischer Prinzipien und der Gleichstellung von Personen unterschiedlicher Hautfarbe und sozialer Herkunft zu sein. Fußball wurde zum nationalen Symbol (vgl. Soares 2000: 113). Als unterschiedliche Gruppen europäischer Auswanderer im Vorfeld und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Brasilien eintrafen, galt der alltägliche Straßenfußball als eine Praxis, die den Einwandererkindern die Integration in den brasilianischen Großstädten ermöglichte. Das gemeinsame Fußballspiel trug im Kontext der Fremdheit zur Schaffung eines gemeinsamen brasilianischen Zugehörigkeitsgefühls bei. Heute hat Fußball in Brasilien, dem fünfmaligen Weltmeister im Herrenfußball, weiterhin eine zentrale Bedeutung für das nationale Selbstverständnis. Dies wurde bei der letzten Herrenfußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien für das internationale Fernsehpublikum sichtbar, als das unerwartete Ausscheiden der Nationalmannschaft im eigenen Land bei Stadionbesucher*innen und in großen Teilen der Bevölkerung große Traurigkeit und einen Schock auslöste.

Brasilianische Frauen sind trotz einer weiterhin bestehenden männlichen Dominanz heute als Spielerinnen entschieden präsenter. Ende der 1990er und im Laufe der 2000er Jahre wurden in brasilianischen Großstädten wie São Paulo und Rio de Janeiro neue Frauenfußballligen und ‑teams gegründet. Sportclubs wie die Traditionsvereine América Futebol Clube in Rio de Janeiro oder Santos Futebol Clube in São Paulo öffneten ihre Türen für den Frauenfußball. Die Frage, wie Frauen in diese urbanen und privilegierten sozialen Sporträume vordringen und in ihnen zur Wahrnehmung gelangen können, geht aufgrund der jahrzehntelangen männlichen Dominanz und der gesellschaftlichen Bedeutung der Sportart weit über eine bloße Frage des Frauensports hinaus.

Physische Praktiken wie der Amateurfußball haben einen starken räumlichen Bezug (vgl. Van Ingen 2003: 203). Anhand der auf den materiellen Raum bezogenen theoretischen Ansätze der kanadischen Geographin Cathy van Ingen (2003), der US‑amerikanischen Historikerin Anne Enke (2007) sowie des französischen Raumforschers Henri Lefebvre (1991) analysiere ich in diesem Beitrag die sport‑ und geschlechterspezifischen Dynamiken im Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro. Ich konzentriere mich dabei auf die zwei Teams América Futebol Clube und Estrela Nova sowie das soziale Fußballprojekt Craque do Amanhã. In meinem Beitrag vertrete ich die These, dass es sich bei dem Frauenamateurfußball um ein gendered und contested space, einen von ungleichen Geschlechterverhältnissen geprägten Raum handelt, in dem zwischen dominierenden und marginalisierten Akteur*innen Aushandlungsprozesse stattfinden. Im Anschluss an Doreen Massey (1994) und Van Ingen definiere ich Raum als einen lokalen geographischen und sozialen Ort, der von gesellschaftlichen Akteur*innen angeeignet und gestaltet wird. Gender verstehe ich als eine sozial konstruierte und demnach sozial veränderbare Kategorie, auf Grundlage derer – und in ihrer Verflechtung mit Kategorien wie race, Alter oder Sexualität – Macht ausgeübt wird und Personen diskriminiert werden (vgl. Anthias & Yuval-Davis 1992). Ich beziehe mich in diesem Beitrag mit dem Konzept Gender in erster Linie auf die Unterscheidung zwischen den Kategorien „Mann“ und „Frau“.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Im ersten Teil werde ich die zen­tralen Punkte der Diskussion zu Geschlechterbeziehungen, Stadtraum und Sport nachzeichnen und die theoretischen Ansätze von Enke und Van Ingen erläutern. Anschließend folgt eine Beschreibung des Frauenamateurfußballs in Rio de Janeiro aus historischer und gegenwärtiger Perspektive. In den nachfolgenden Teilen schließen Überlegungen zu den geschlechterspezifischen Aushandlungsprozessen auf den Fußballplätzen Rio de Janeiros und im Bereich des Frauenamateurfußballs sowie eine Zusammenfassung an.

Der Beitrag beruht auf qualitativen Daten, die ich während zweier Feldforschungsauftenthalte von je sechs und zehn Wochen in Rio de Janeiro in den Jahren 2012 und 2015 erhoben habe. Die Daten basieren auf teilnehmenden Beobachtungen bei Trainingseinheiten von mehreren weiblichen Amateurfußballteams, Turnieren des Männer‑ und Frauenamateurfußballs sowie auf zwölf qualitativen Leitfadeninterviews mit Spieler*innen, Organisator*innen und Mitgliedern Fußball affiner NGOs.

Die Dominanz von Männern im Amateurfußball stellt weltweit und in vielen lateinamerikanischen Ländern ein weit verbreitetes Phänomen dar. Der Fall des Frauenamateurfußballs in Rio de Janeiro erleichtert das Verständnis geschlechterspezifischer Aushandlungsprozesse in lateinamerikanischen Stadt‑ und Sportkontexten.

Geschlechterbeziehungen in der Stadtraum‑ und Sportforschung

Der Stadtraum ist ein Ort, der von den Akteur*innen, die ihn nutzen, gestaltet wird, an dem Macht ausgeübt wird, sich hierarchische Strukturen widerspiegeln und Ungleichheit herrscht. Hierauf hat bereits Lefebvre (1991) verwiesen. Der urbane Raum steht im engen Zusammenhang zum Herrschaftssystem der jeweiligen Zeit. Die verschiedenen gesellschaftlichen Akteur*innen sind an der Produktion der geographischen und städtischen Räume beteiligt, eignen sich Straßen und Plätze an und gestalten sowie prägen diese durch ihre Praktiken (Rau 2013: 52). In ihrem Buch Space, Place and Gender beschreibt die Geographin Massey (1994) das Verhältnis von Stadtraum und Geschlechterbeziehungen.[2] Ihr zufolge manifestiert sich die Dominanz von Männern über Frauen in bestimmten sozialen Bereichen an Plätzen und Orten und wird durch Diskurse und physische Praktiken in Räumen forciert. Geschlechteridentitäten entwickeln und verfestigen sich in räumlichen Verhältnissen (ebd.: 186). Das bedeutet, in Räumen wie dem Elternhaus erlernen Jungen und Mädchen mit Männlichkeit und Weiblichkeit assoziierte Werte und Verhaltensformen und Geschlechterhierarchien.

Dass sich Geschlechter‑ und soziale Identitäten auch in Sporträumen herausbilden und sich diese oftmals durch asymmetrische Machtbeziehungen und Diskriminierungen bezüglich des Geschlechts, der Sexualität, von race sowie der Verflechtung dieser Kategorien auszeichnen, erläutert Van Ingen (2003: 207). Sie verwendet den Begriff geography of power um die Verräumlichung von (ungleichen) Machtbeziehungen im Sport zu beschreiben und erklärt, dass in vielen Sportkontexten die Vorstellung von „weißer, heterosexueller Maskulinität“ dominiert (ebd.: 208, 212). Akteur*innen, die den hegemonialen Kategorien spezifischer Sporträume nicht entsprechen, befinden sich demnach in diesen in einer unterlegenen Position oder werden ausgeschlossen. Da der Sportraum durch die sozialen Praktiken von Akteur*innen sowie durch gesamtgesellschaftliche Umbruchprozesse kontinuierlich gestaltet und verändert wird, haben marginalisierte Gruppen und Personen in ihm die Möglichkeit sich gegen bestehende Machtordnungen aufzulehnen (ebd.: 210f).

Das Beispiel für einen von asymmetrischen geschlechterspezifischen Machtbeziehungen geprägten Sportraum, an dem bestehende Machtverhältnisse angefochten werden, gibt Enke in ihrer Monografie Finding the Movement: Sexuality, Contested Space, and Feminist Activism (2007). Anhand von Interviews und der Analyse von Zeitungsartikeln untersucht Enke die Konflikte, die durch die Sportplatznutzung eines weiblichen Softball-Teams in einem zentralen, öffentlichen Park in Detroit in den 1960er und 1970er Jahren ausgelöst wurden (ebd.: 4).[3] Die Sportanlagen des Parks wurden überwiegend von männlichen Angehörigen der weißen Mittelschicht genutzt. Weibliche Sportlerinnen wurden innerhalb des patriarchal geprägten Sport‑ und Raumkontextes ausgeschlossen. Als das Frauen-Softball-Team motown soul sisters, das zu einem hohen Anteil aus afroamerikanischen Spielerinnen bestand, begann, einen der Sportplätze für ihre Trainingseinheiten zu nutzen und durch sportliche Erfolge Aufmerksamkeit erlangte, führte dies zu Konfrontationen. Die temporäre Aneignung des Ortes durch die Frauen stellte in den Augen der bisherigen Nutzer einen provozierenden Akt dar. Der Sportplatz verwandelte sich in einen umkämpften Raum, in dem nicht allein die Nutzung, sondern zudem gesellschaftliche Paradigmen zu Geschlechter‑ und sozialen Identitäten verhandelt wurden (ebd.: 7). Mit ihrer Präsenz auf den Sportplätzen stellten die Sportlerinnen bisher geltende Machtverhältnisse in Frage.

Die Bedeutung geschlechterspezifischer Konflikte und Aushandlungsprozesse in lateinamerikanischen Großstädten veranschaulicht die Soziologin Paula Soto Villagrán (2013) in ihrem Aufsatz „Zum Geschlecht (in) der Stadtforschung“. Sie präsentiert die Arbeiten lateinamerikanischer Stadtforscher*innen zu urbanen weiblichen Akteuren, die durch ihren zivilgesellschaftlichen Aktivismus sowie durch Alltagspraktiken Widerstand gegen patriarchale Strukturen in der Stadt ausüben. Die Akteurinnen sind weibliche Straßengang-Anführerinnen, die sich durch ein selbstsicheres Auftreten und entsprechende Bandenpraktiken ehemals von Männern dominierte Straßen und Plätze aneignen, und Großstadtbewohnerinnen, die durch ihr Engagement in Nachbarschaftsvereinigungen Einfluss auf die Gestaltung des Wohn‑ und Stadtraums nehmen (Soto Villagrán 2013: 188). Durch die alltäglichen Praktiken auf der Straße und ihren Aktivismus beeinflussen und bestimmen Frauen die Raum‑ und Stadtnutzung.

Ich nutze Enkes und Van Ingens theoretische Ansätze zu contested und gendered space und geography of power sowie Soto Villagráns Beschreibungen weiblicher urbaner Akteure in lateinamerikanischen Großstädten um geschlechterspezifische Aushandlungsprozesse im Kontext von sportiven Stadträumen in Rio de Janeiro zu analysieren. Ich verstehe unter gendered und contested space Sport‑ und Stadträume, die sich durch ungleiche Machtverhältnisse sowie normative Vorstellungen von Geschlechterrollen, Klasse, race und Sexualität charakterisieren, jedoch von marginalisierten Akteur*innen in Frage gestellt werden. Ebenso bedeutend ist für mich die Vorstellung von urbanen Akteur*innen, die durch ihr zivilgesellschaftliches Engagement Geschlechterungleichheiten in sozialen und materiellen Räumen in lateinamerikanischen Großstädten in Frage stellen (Soto Villagrán 2013).

Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro in der Vergangenheit und heute

Seit der Einführung der Sportart in Brasilien Ende des 19. Jahrhunderts spielten einzelne Frauen in Rio de Janeiro in organisierter Form Fußball. 1913 dokumentierten erstmals Zeitungen in São Paulo die Amateurspiele zwischen weiblichen Teams (Rigo u.a. 2008: 174). Von Beginn an wurden Frauen jedoch von gesellschaftlichen Akteuren wie den Medien oder von den eigenen Familien an der Ausübung der Sportart gehindert. Anders als Männer erhielten sie von ihrem Umfeld keine Unterstützung. Wenn Spiele zwischen weiblichen Amateurteams stattfanden, wie dies beispielsweise zu Beginn der 1940er Jahre in Rio de Janeiro der Fall war, kommentierten das männliche Publikum und Journalisten diese in den Lokalzeitungen mit spöttischen und abwertenden Aussagen (ebd.: 174; Goellner 2005: 146). Zu diesem Zeitpunkt herrschte die patriarchale Vorstellung, dass für Frauen und Männer klar definierte Positionen und Rollen in der Gesellschaft vorgesehen waren. Frauen und Männer wurden von einer Mehrheit als von Natur aus grundlegend unterschiedlich und ungleich wahrgenommen, wobei erstere aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen als schwächer galten. Der Platz der Frau war dem häuslichen Raum zugeordnet. Aufgaben, die das öffentliche Leben betrafen, wurden hingegen der Verantwortung von Männern zugeschrieben. Sport galt als einer der Bereiche, in dem die Teilnahme von Frauen innerhalb konservativer Kreise, nicht nur in Brasilien, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt, in besonders entschiedener Weise abgelehnt wurde. Die Besonderheiten des weiblichen Körpers und seine vorgebliche Verletzlichkeit waren Argumente, um die Unvereinbarkeit von Frauen und Sport zu belegen und in vielen Ländern für den Ausschluss von Frauen aus bestimmten Sportarten zu plädieren, beziehungsweise diesen per Gesetz durchzusetzen. In Brasilien verbot der Nationale Sportrat 1941 Frauen das Fußballspielen. Trotz der Existenz einiger weiblicher Fußballgruppen entwickelten sich durch den Ausschluss der Frauen Amateur‑ und professioneller Fußball in Brasilien in der Folge als männliche Bereiche (vgl. Goellner 2005: 147, Rigo u.a. 2008: 174).[4]

Als Frauen nach der Aufhebung des Verbots im Jahr 1979 erneut in größeren Zahlen Fußball spielten, besaßen Männer nicht nur in Bezug auf die Spielpraxis einen großen Vorsprung. Sie hatten die Sportart jahrzehntelang geprägt und ihr spezifische, kulturelle Bedeutungen verliehen. Hegemoniale Vorstellungen von Attributen der Männlichkeit wie physische Kraft und Kampfgeist bestimmten den Amateurfußball. Infolgedessen betrachtete die brasilianische Gesellschaft in den 1980er Jahren Fußball spielende Frauen mit Skepsis (Goellner 2005: 148). Frauen mussten gegen die dominierende Vorstellung ankämpfen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts nicht in der Lage seien, Fußball zu spielen. Wenn sie bewiesen, dass sie spielen konnten, wurden oftmals die Geschlechteridentität und die sexuellen Neigungen der Spielerinnen von ihrer sozialen Umgebung, Familienangehörigen, Bekannten oder männlichen Mitspielern, hinterfragt. So wurde das Fußballspielen bei Frauen mit einem „männlichen“ Charakter oder einer homosexuellen Orien­tierung und somit einem nicht der Norm entsprechenden Geschlechterbild assoziiert. Auf der anderen Seite erlebten professionelle[5] Spielerinnen in den 1980er und 1990er Jahren, dass ihr äußeres Erscheinungsbild in medialen Berichterstattungen hervorgehoben wurde und spielerische Fertigkeiten unkommentiert blieben. Nicht das Fußballspiel von Frauen, sondern ihr Aussehen stand im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht nur in der brasilianischen Öffentlichkeit, auch in den zentralen Institutionen des brasilianischen Fußballs, der Nationalen Fußballvereinigung und den großen Sport‑ und Fußballclubs, existierte wenig Interesse an Fußball spielenden Frauen. Der Widerstand gegenüber weiblichen Akteuren in dieser Sportart führte dazu, dass sich Frauenamateur‑ sowie Frauenprofifußball in großen Teilen Brasiliens in den folgenden Jahrzehnten nur unter enormen Schwierigkeiten, wie fehlenden und kontinuierlich stattfindenden, professionell organisierten Turnieren, entwickeln konnten. Infolge der geringen Unterstützung für den Frauenamateur‑ und professionellen Fußball in Brasilien, sind das relativ gute Abschneiden der brasilianischen Frauennationalmannschaft bei internationalen Wettkämpfen in den 1990er und 2000er Jahren (Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2004) sowie die fünffache Auszeichnung der brasilianischen Spielerin Marta Vieira da Silva als weltbeste Spielerin, als außerordentlich gute sportliche Leistungen zu bewerten (vgl. ­Goellner 2005: 148f, Franzini 2005: 325).

Der Staat Rio de Janeiro gilt, meinen Interviews mit Expert*innen des Frauenfußballs in Rio de Janeiro zufolge, heute im nationalen Vergleich als einer der Standorte mit einer sehr geringen Unterstützung für Frauenamateurfußball. Im Rahmen meiner Feldforschung 2012 erfuhr ich, dass es in der Stadt wenige Strukturen, Vereine oder Teams gibt, die es Fußball interessierten Mädchen ermöglichen, in ihrer Freizeit Fußball zu spielen (vgl. Haß 2013). Im Sportunterricht an Schulen werden Mädchen dazu ermutigt, andere Sportarten als Fußball, wie Volley‑ oder Handball auszuprobieren. Fußball spielende Mädchen und Frauen erhalten von ihren Familien oftmals keine oder eine nur geringe Unterstützung für ihr Hobby. Während das Fußballspielen der Jungen als etwas Natürliches wahrgenommen wird, wird die Praxis bei Mädchen oftmals von den Eltern mit Skepsis betrachtet. In einigen Fällen verbieten die Eltern den Mädchen das Spielen im Team.

Dennoch hat die Bedeutung von Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro zugenommen. Neben der Gründung zahlreicher weiblicher Amateurfußballteams in den vier populärsten Fußballvarianten, futebol society, Kleinfeldfußball auf Kunstrasenplätzen mit sieben Spielerinnen in jedem Team, fútsal (oder Hallenfußball), Strandfußball und Feldfußball mit elf Spielerinnen pro Mannschaft, sind neue Organisationen und Ligen entstanden, die Amateurfußballturniere für Frauen organisieren.[6] In den letzten Jahren gründeten sich zudem Nichtregierungsorganisationen wie Streetfootballworld und Estrela Nova und soziale Fußballprojekte wie Craque do Amanhã, die Mädchen und Frauen mit sozial schwachem Hintergrund in ihrer sportlichen Ausbildung sowie ihrer persönlichen Entwicklung fördern.[7] Im Amateurfußball trainieren die Spielerinnen einer Mannschaft zu festen Zeiten, in der Regel mehrmals wöchentlich, auf einem Fußballplatz. An den Wochenenden finden Turniere oder Freundschaftsspiele gegen Teams mit einem ähnlichen Leistungsniveau in öffentlichen oder privaten Fußballräumen statt. Von anderen Fußballformen wie dem Straßenfußball unterscheidet sich Amateurfußball unter anderem durch die Intensität sowie die Verbindlichkeit, mit der die Spielenden den Sport ausüben. Frauen und Männer spielen in Wettkämpfen und in der Regel im Training getrennt voneinander Fußball.[8]

Frauen als Spielerinnen und Trainerinnen auf den Fußballplätzen des Aterro do Flamengo in Rio de Janeiro

Die Fußballplätze im Park Aterro do Flamengo stellen einen wichtigen Ort für den Freizeit‑ und Amateurfußball Rio de Janeiros dar. Aufgrund der zen­tralen Lage sowie der Tatsache, dass die Fußballplätze kostenlos nutzbar sind, treffen sich Freizeit‑ und Amateurfußballspieler*innen aus der ganzen Stadt in dem 1965 als öffentlichem Naherholungsraum errichteten Park. An den Nachmittagen und Abenden, den wichtigsten Tageszeiten für Freizeit‑ und Amateurfußball, bieten überwiegend männliche Straßenverkäufer Snacks und alkoholische Getränke an. An Wochenenden zelebrieren viele Teams mit einem Grill-Event auf dem Gelände das gemeinsame Spielen. Aufgrund des jahrzehntelangen Ausschlusses der Frauen wurden die Fußballplätze des Aterro do Flamengo und die umliegenden Grünanlagen stets von Fußball spielenden und zuschauenden Männern dominiert (Canegal de Almeida 2012: 4, 10). Vergleichbar mit den narrativen und theoretischen Darstellungen von Enke und Van Ingen war der Amateur‑ und Freizeitfußballraum von ungleichen Machtbeziehungen und einer ungleichen geography of power geprägt, in denen Frauen eine marginalisierte Minderheit bildeten (vgl. Van Ingen 2003; Enke 2007).

Heute nutzen mehrere Frauenteams die Fußballplätze des Aterro do Flamengo. Das Team América Futebol Clube trainiert jeden Samstagnachmittag auf einem der Kunstrasenplätze des Parks. Eine Phase des Trainings bestreitet das Team zudem am wenige hundert Meter entfernten Strand im Stadtteil Flamengo. Die Amateurmannschaft wurde 2009 gegründet, gehört zum gleichnamigen traditionellen Herrenfußballverein und gilt als eines der leistungsstärksten weiblichen Kleinfeldfußballteams der Stadt. An Wochenenden nimmt das Team erfolgreich an Turnieren wie dem campeonato carioca oder der supercopa in futebol society, Strandfußball und fútsal teil. Eine finanzielle Unterstützung für Materialien und die Transportkosten zu Turnieren erhält das Team aus der Hand privater Förder*innen. Einige der vierzig zwischen 16 und 42 Jahre alten Spielerinnen gehen zur Schule oder studieren, andere Frauen sind berufstätig.

Während des Trainings tragen die Frauen Trikots und Trainingskleidung, die ihre Zugehörigkeit zum Verein kennzeichnen. Auch für unerfahrene Beobachter*innen kann erkennbar werden, dass die Spielerinnen von América Futebol Clube ausgeprägte spielerische und technische Fähigkeiten besitzen. Nur Frauen, die einen Leistungstest bestehen, werden im Team akzeptiert.

Die Mannschaft zeichnet sich durch ein überwiegend weibliches Trainer*innen-Kollektiv aus. Neben den Trainerinnen für futebol society, für Strandfußball, für die physische Kondition sowie für Assistenzaufgaben, sind allein der Torwarttrainer sowie der Physiotherapeut Männer. Die weibliche Dominanz unter den Trainer*innen stellt eine Seltenheit bei den Frauenteams der höchsten Amateurfußballligen von Rio de Janeiro dar, wie mir der Manager des Amateursportbereichs von América Futebol Clube und Gründer des Frauenteams, Julio, bestätigte[9]. Da Fußball in der brasilianischen Gesellschaft heute weiterhin als männliche Sportart wahrgenommen wird, werden Männern auf Grundlage ihres Geschlechts gesellschaftlich Kompetenzen zugesprochen, die Frauen verweigert werden. Die weiterhin bestehenden ungleichen Machtbeziehungen lassen sich demnach auch auf der Funktionärsebene des Frauenamateurfußballs nachvollziehen. Das Trainer*innen-Kollektiv von América Futebol Clube setzt sich jedoch bewusst mehrheitlich aus Frauen zusammen. Die Vorstellung, dass Frauen nicht in der Lage seien, als Trainerinnen leistungsstarke Fußballteams zu führen, soll durch die Präsenz der Frauen auf den Trainerbänken korrigiert werden. Dies gilt ebenso für die Spielerinnen von América Futebol Clube, die von Zuschauer*innen und Parknutzer*innen gelegentlich mit anerkennenden Worten bedacht werden. Das offensichtliche Beherrschen des Fußballspiels durch die Spielerinnen trägt dazu bei, diskriminierende Praktiken gegenüber Fußball spielenden Frauen stark in Frage zu stellen.

Einige Aussagen von Julio revidieren hingegen die ermächtigenden Prozesse, die den Verein und das Training von América Futebol Clube kennzeichnen. Das Team sei verpflichtet, sich während des Trainings im stadtweit bekannten Park stets in spielerisch überzeugender und vorbildlicher Weise zu präsentieren. In Rio de Janeiro haben nur wenige der größeren Fußballvereine ein Frauenteam und die Unterstützung der traditionellen Sportclubs für Frauenamateur‑ oder professionellen Fußball ist gering. Bei den Clubvorsitzenden in negativer Weise aufzufallen, könnte laut Julio für die Mannschaft zu Komplikationen führen. Die Befürchtung, dass ein unvorteilhafter Auftritt des Frauenteams in einem öffentlichen Fußballraum und an einem zentralen städtischen Ort negative Folgen für die Zukunft des Teams haben könnte, ist aussagekräftig bezüglich der lokalen Machtverhältnisse. Weibliche Akteure sind noch kein selbstverständlicher Teil des Sportraums von Rio de Janeiro und müssen innerhalb traditioneller Amateurfußballstrukturen um ihr Bestehen bangen und kämpfen.

Trotz des Drucks, der auf leistungsstarken weiblichen Amateurteams wie América Futebol Clube lastet, hat das Spielen im Park Aterro do Flamengo im Sinne von Enke (2007) und Van Ingen (2003) eine stärkende Wirkung. Die Präsenz von Frauen und die temporäre Aneignung eines Fußballplatzes durch die Spielerinnen stellen den alleinigen Anspruch männlicher Akteure auf diesen Ort in Frage. Während und nach Beendigung des Trainings verhalten sich die Frauen außerdem anders als viele Männerteams im Park Aterro do Flamengo und prägen auf diese Weise den Ort. Sie üben die Sportart nicht mit unbekleidetem Oberkörper aus oder konsumieren kollektiv alkoholische Getränke nach dem Training, wie dies bei männlichen Sportakteuren in dem Park zu beobachten ist und wie es mit hegemonialen Formen von Maskulinität assoziiert werden kann. Stattdessen sitzen sie während der Pause oder nach dem Spiel in Ruhe zusammen. Auf dem Platz führen die Spielerinnen konzentriert die Trainingsübungen aus. Neue Praktiken und Ideen von Amateurfußball werden während des Trainings von América Futebol Clube eingeführt und geschaffen.

Geschlechterpolitisches Handeln auf dem lokalen Fußballplatz

Ein weiteres Team, das auf den Sportanlagen des Parks Aterro do Flamengo trainiert, ist Estrela Nova. Das Team wurde 2009 gegründet und bildete sich in den kommenden Jahren zu einem Amateursportverein und einer NGO heraus, in dem junge Frauen, Mädchen und Jungen trainieren. Neben dem sonntäglichen Training im Park Aterro do Flamengo erhalten die Mädchen und Frauen dienstags und donnerstags von der Gründerin Lima und zwei ehrenamtlichen Trainer*innen auf dem Gelände eines Sportclubs im Norden von Rio de Janeiro kostenlosen Fußballunterricht. Die erfahrenen Spielerinnen von Estrela Nova nehmen als Team an Turnieren teil.

Im Training spielen junge Männer und Frauen gemeinsam Fußball. Durch das geschlechtergemischte Spielen soll ein gegenseitiger Lernprozess bei den Beteiligten erzielt werden. Die Spielerinnen lernen von den Jungen, laut Lima, Spielabläufe, die sie noch nicht ausreichend beherrschen[10]. Die Jungen erfahren, wie sich das Erlernen des Fußballspielens bei Spieler*innen gestaltet, die nicht seit ihrer frühen Kindheit in der Sportart gefördert wurden. Aufgrund von Vorurteilen lehnten einige Spieler anfangs das gemeinsame Fußballspiel ab. Die Vorstellung, dass nur ein Spiel ohne weibliche Akteure dem wahren Charakter der Sportart entspricht und attraktiv sei, manifestierte sich an diesem Verhalten. Die wiederholten gemeinsamen Spiele führten jedoch zu einer Akzeptanz der Mitspielerinnen. Dass der Fußballplatz nicht ausschließlich männlichen Akteuren zur Verfügung steht, wurde von den Teilnehmenden letztendlich nicht mehr in Frage gestellt.

Das geschlechtergemischte Fußballspielen führt jedoch auch in der Interaktion mit externen Akteur*innen zu Aushandlungsprozessen. Laut Lima wurde auf das geschlechtergemischte Fußballspiel und die Anwesenheit weiblicher Spieler auf dem Fußballplatz einige Male von männlichen Nutzern der Sportanlage in Aterro do Flamengo mit erniedrigenden und sexistischen Kommentaren reagiert. Die entsprechenden Parknutzer nahmen das Spielen von Frauen und das gemeinsame Spiel männlicher und weiblicher Akteure augenscheinlich als Verstöße gegen auf Fußballplätzen geltende Normen und Vorstellungen von männlich dominiertem Amateurfußball wahr. Durch das geschlechtergemischte Spielen dekonstruiert Estrela Nova vorherrschende Paradigmen zum Amateurfußball und stellt städtische Raum‑ und Machtordnungen in Frage.

In dem Clubhaus, das Estrela Nova nutzt, wurde ein Ort eingerichtet, der an die Geschichte des brasilianischen Frauenfußballs erinnert. Die ausgestellten Fotos ehemaliger Spielerinnen der brasilianischen Nationalmannschaft dienen als weibliche Vorbilder für den Sport‑ und Lebensweg der heutigen Spielerinnen. Ihre Erfolge bei internationalen Wettkämpfen trotz gesellschaftlicher Widerstände können für die jungen Frauen eine motivierende Funktion erfüllen. Eine Geschichtsversion des brasilianischen Fußballs, in der Frauen als Spielerinnen unsichtbar sind, wird auf diese Weise angefochten. In den vergangenen Jahren hat sich Estrela Nova zudem an der Organisation geschlechterpolitischer Workshops und Konferenzen zu Frauenfußball in Rio de Janeiro beteiligt. Durch die Veranstaltungen tragen die Koordinatorinnen dazu bei, dem Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro mehr Präsenz und eine Stimme im öffentlichen sportpolitischen Raum zu geben. Initiativen, die Mädchen und Frauen das Erobern städtischer Amateurfußballräume ermöglichen möchten, erhalten neue Impulse.

Die Bedeutung der sozialen Herkunft im Kontext von Geschlechterdiskriminierung im Freizeit‑ und Amateurfußball in Rio de Janeiro

Ein besonderes Ziel von Estrela Nova ist es, Mädchen und Frauen niedriger sozialer Statusklassen den Zugang zum Fußballspiel zu ermöglichen. Die Mehrheit der Spielerinnen stammt aus armen Stadtteilen in Rio de Janeiro und ist in Familien aufgewachsen, in denen wenige materielle und ideelle Ressourcen für Bildungs‑ und Sportangebote zur Verfügung stehen. Dem sportlichen Defizit, von dem Mädchen niedriger sozialer Statusklassen stärker als Jungen betroffen sind, möchte Estrela Nova entgegen wirken. Denn die Erfahrungen, die das Ausüben von Sport sowie die Mitgliedschaft in einer Mannschaft bringen, werden von den Koordinatorinnen als entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Erwachsenen gesehen.

Die Förderung von Frauen und Mädchen, die sich im Hinblick auf ihre sportliche und soziale Entwicklung in einer marginalisierten Position befinden, steht auch im Zentrum von Craque do Amanhã. Das Fußballprojekt der NGO Centro Integrado de Estudos e Programas de Desenvolvimento ­Sustentável bietet seit 2014 Fußballunterricht im Stadtteil Rio Comprido in Rio de Janeiro für Mädchen und Jungen aus den armen Stadtteilen der Umgebung an. Eine traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen in den Familien und die starke Einbindung von Mädchen bei Aufgaben im Haushalt bildet, der Projektleiterin Isabel zufolge, oftmals die Ursache dafür, dass Mädchen weniger Gelegenheiten als Jungen erhalten, sportlich aktiv zu werden.[11] Während sich die Jungen nach der Schule wie selbstverständlich außerhalb des Hauses bewegen und spielerische Aktivitäten wie Fußball ausüben, wird von vielen Mädchen erwartet, dass sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern und im Haushalt mithelfen. Die traditionelle räumliche Geschlechteraufteilung – Männer im öffentlichen, Frauen im häuslichen Raum – die auf einer traditionellen Verteilung der Geschlechterrollen basiert, spiegelt sich anhand der Gelegenheiten, Sport auszuüben, wider. Traditionelle Geschlechterrollen tragen demnach auch zu asymmetrischen Geschlechterhierarchien im öffentlichen Sport‑ und Amateurfußballraum bei. Im Rahmen des Projekts Craque do Amanhã kommunizieren die Mitarbeiter*innen mit den Eltern bezüglich der positiven Auswirkungen, die das sportive Engagement auf das Leben ihrer Töchter hat. Der Amateurfußball wird als ein Schlüssel gesehen, um Mädchen und junge Frauen niedriger sozialer Statusgruppen nicht nur die brasilianische Nationalsportart, sondern auch die öffentlichen Sporträume Rio de Janeiros entdecken und erobern zu lassen und ihnen den Weg in ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes Leben zu zeigen.

Zusammenfassung

In der Vergangenheit dominierten Männer und Jungen die Fußballplätze in Rio de Janeiro, anderen Städten Brasiliens und anderen Ländern der Welt. Frauen wurden mittels Diskursen und Praktiken von ihnen ausgeschlossen. Die städtischen Amateurfußballräume zeichneten sich infolgedessen jahrzehntelang durch ungleiche Geschlechterhierarchien aus und bildeten zentrale Orte für die Konstruktion traditioneller Geschlechterbilder und ‑ordnungen. Sie repräsentierten eine Weltsicht, in der Frauen „von Natur aus“ als zu schwach und ungeeignet für Praktiken wie das Fußballspielen galten. Die Frauen, die ihren Ausschluss von der Sportart Fußball und von den Sportplätzen nicht akzeptieren wollten, mussten gegen Verbote und Vorurteile ankämpfen. Ganz im Sinne von Van Ingen und Enke, handelte es sich bei den Fußballplätzen um gendered und contested space: Räume, die von asymmetrischen Geschlechterordnungen geprägt waren und in denen das Eintreten weiblicher Akteure Konflikte und Aushandlungsprozesse auslöste (vgl. Van Ingen 2003; Enke 2007).

Heute sind Frauen in Rio de Janeiro in diesen städtischen Räumen stärker präsent. Doch auch wenn Frauen das Recht haben, in gleicher Weise Fußballplätze zu nutzen wie Männer, sind Vorurteile weiterhin präsent, finden Aushandlungen zwischen weiblichen und männlichen Akteur*innen statt und handelt es sich beim Amateurfußball auch heute noch um ein umkämpftes Feld. Einige der Spielerinnen, die heute im Zentrum von Rio de Janeiro trainieren, werden auf dem Fußballplatz mit diskriminierenden Kommentaren konfrontiert. Das gemeinsame Spiel von Männern und Frauen ist ebenso ein Auslöser für Konflikte auf dem Fußballfeld. Frauenteams traditioneller und durch Männerfußball geprägter Sportvereine trainieren teilweise unter dem Druck, in der Öffentlichkeit ein „gutes Bild“ abgeben zu müssen, um die eigene Existenz nicht zu gefährden. Die geschlechterspezifischen Aushandlungen gestalten sich jedoch auch zu Gunsten der neuen weiblichen Akteure. Eine zunehmende Anzahl weiblicher Teams eignet sich während der Trainingszeiten die zentralen Sporträume der Stadt an. Anhand ihrer sportlichen und technischen Expertise beweisen Spielerinnen und Trainerinnen, dass sie gleichberechtigte Akteurinnen auf dem Platz und in der Sportart Fußball sind. Durch das wiederholte Spielen und die Einführung von nicht mit hegemonialer Männlichkeit assoziierten Verhaltensformen und Praktiken prägen die weiblichen Akteure den Amateurfußballraum.

Urbane zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie Estrela Nova und Craque do Amanhã unterstützen Mädchen und junge Frauen aus unteren sozialen Statusklassen, die öffentlichen Sportorte der Nachbarschaft zu nutzen und ermöglichen ihnen den Zugang zum Fußballspiel. Wie die Akteurinnen, die Soto Villagrán beschreibt, nehmen die Vereine Einfluss auf die Stadtraumnutzung und werden dabei von einem emanzipatorischen Denken geleitet. Sportive und geschlechterpolitische Maßnahmen wie das gemeinsame Fußballspiel von Jungen und Mädchen dekonstruieren die Mythen eines männlichen Fußballraums und sensibilisieren Spieler*innen und Zuschauer*innen für den Gedanken der Geschlechtergleichheit. Geschlechterhierarchien im sportiven Raum werden auf diese Weise verändert. Weibliche sportive Akteur*innen überschreiten soziale und geographische Grenzen in der Stadt und eignen sich temporär für sie lange Zeit nicht existierende urbane Räume an. Am Frauenamateurfußball in Rio de Janeiro wird deutlich, dass Sportorte in Großstädten umkämpfte geographische und soziale Räume sind, an denen Geschlechterfragen ausgehandelt und gesellschaftliche Umbruchprozesse sichtbar werden.

Literatur

Anthias, Floya, & Nira Yuval-Davis (1992): Racialised Boundaries. Race, Nation, Gender, Colour and Class and the Anti-Racist Struggle. London.

Canegal de Almeida, Ana Letícia (2012): Entrando em campo: as peladas no Aterro do Flamengo. 28ª Reunião Brasileira de Antropologia, São Paulo.

Damo, Arlei (2005): Do dom a professão. Uma etnografia do futebol de espetáculo a partir da formação de jogadores no Brasil e na França. Dissertation, Universidade Federal do Rio Grande do Sul, Porto Alegre.

Enke, Anne (2007): Finding the Movement. Sexuality, Contested Space, and Feminist Activism. Durham, NC.

Fermino Beverari, Rafael (2009): Futebol de várzea: Berço de insubordinações. Faculdade de ciências sociais. Unveröffentlichte Abschlussarbeit, Pontifícia Universidade Católica de São Paulo, São Paulo.

Filho, Mario (1964): O negro no futebol brasileiro. Rio de Janeiro.

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Women and Geography Study Group (1984): Geography and Gender. London.

Anschrift der Autorin:
Julia Haß
julia.hass@fu-berlin.de

Peripherie, Nr. 141, 36. Jg. 2016, Verlag Barbara Budrich, Leverkusen
Bestelladresse: info[at]zeitschrift-peripherie.de



[1]       Männliche Angehörige der weißen brasilianischen Oberschicht errichteten die ersten Fußballplätze auf privaten Grundstücken. Spieler unterer sozialer Statusgruppen und afrobrasilianischer Herkunft hatten zu diesen keinen Zugang. Sie nutzten infolgedessen unter anderem trocken gelegte Flussläufe am Stadtrand oder in urbanen Vororten für das Fußballspiel (Fermino Beverari 2009: 6).

[2]       Ende der 1970er Jahre gründete eine Gruppe englischsprachiger feministischer Geograph*innen die Women and Geography Study Group, heute: Gender and Feminist Geographies Research Group. Zu den zentralen Autor*innen gehören unter anderen Doreen Massey und Linda McDowell. Die Gruppe untersucht geschlechterspezifische Ungleichheiten in der Planung und Nutzung von Stadträumen und betrachtet die Rolle weiblicher Akteure im Stadtraum.

[3]       Enke beschreibt in ihrem Buch unterschiedliche Formen der urbanen Raumaneignung durch weibliche und teilweise (aber nicht ausschließlich) feministische Akteure aus einer historischen Perspektive. In dem für diesen Beitrag relevanten Aufsatz untersucht sie Stadträume in drei ausgewählten US‑amerikanischen Städten in den 1960er und 1970er Jahren.

[4]       In anderen Ländern verboten die nationalen Sport‑ oder Fußballvereinigen Frauen ebenfalls das Fußballspielen. Der Deutsche Fußballverband verbot seinen Vereinen zwischen 1955 und 1970 Fußball für Frauen anzubieten. Die englische Fußballvereinigung diskriminierte über mehrere Jahrzehnte hinweg weibliche Fußballteams.

[5]       Ich beziehe mich mit dem Begriff „professionell“ auf Spielerinnen, die in den höchsten Ligen spielen, an nationalen und internationalen Wettkämpfen teilnehmen und auf diese Weise gelegentlich Aufmerksamkeit von den Medien, jedoch für ihr Spielen nur geringe finanzielle Leistungen erhalten. Eine finanzielle Autonomie durch das Fußballspielen ist nur in seltenen Fällen im brasilianischen Frauenfußball möglich.

[6]       Anders als in Deutschland wird Amateurfußball in Brasilien von regionalen Sportvereini­gungen und teilweise von Privatpersonen koordiniert. Das Angebot an Turnieren hängt daher oft vom Engagement und den finanziellen Ressourcen einzelner privater Akteur*innen ab. In Deutschland hingegen organisiert der Deutsche Fußballverband den Amateurfußball und gewährleistet das kontinuierliche Stattfinden von Wettkämpfen und Ligen im Herren‑, Frauen‑ sowie Kinder‑ und Jugendbereich.

[7]       Streetfootballworld ist eine internationale NGO, die soziale Fußballprojekte, unter anderem mit dem Ziel der Herstellung von Geschlechtergleichheit, umsetzt. Seit wenigen Jahren hat die NGO einen Sitz in Rio de Janeiro.

[8]       Die Trennung zwischen den Geschlechtern in den Fußballteams wird von einigen Vereinen und NGOs in Rio de Janeiro im Rahmen von Trainingseinheiten oder Freundschaftsspielen aufgehoben, z.B. vom Team Estrela Nova (s.u.).

[9]       Interview mit Julio am 13.11.2015, Manager des Amateursportbereichs von América Futebol Clube.

[10]      Interview mit Lima am 5.11.2015, Gründerin und Trainerin des Vereins Estrela Nova.

[11]      Interview mit Isabel, 18.11.2015, Projektleiterin von Craque do Amanhã.