Ein besseres Leben ist möglich
Am 16. August 2015 verbreiteten die Pressesprecher*innen der Aktion „Ende Gelände“ im rheinischen Dorf Lützerath folgende Erklärung: „Im Sommer hat die Bundesregierung den Braunkohlekonzernen ein Milliardengeschenk gemacht, anstatt endlich mit dem Kohleausstieg ernst zu machen. Ende 2015 sind auf der Klimakonferenz in Paris ebenfalls keine großen Schritte für den Klimaschutz zu erwarten. Deshalb nehmen Menschen den fossilen Ausstieg jetzt selbst in die Hand. Ende Gelände macht unmissverständlich klar, dass die Zeit gekommen ist, sich auch mit massenhaftem zivilem Ungehorsam für den Klimaschutz einzusetzen.“
Genau das war am Vortag geschehen. An die tausend Klimaschützer*innen waren an Polizeiketten vorbei in den Tagebau Garzweiler hinabgestiegen und hatten den dort stattfindenden Braunkohleabbau für Stunden blockiert.
Der großartige Erfolg des Klimacamps im Rheinland und der „Ende Gelände“-Aktion besteht vor allem darin, dass die Dringlichkeit des Kohleausstiegs unüberhörbar auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Wer am 15. August den Kommentar von Jürgen Döschner auf „tageschau.de“ las, traute den eigenen Augen nicht: „Hut ab! Die Klima-Aktivisten im rheinischen Braunkohle-Revier verdienen Hochachtung und Respekt!“ Döschner lobt die Strategie des zivilen Ungehorsams und der gewaltfreien Regelübertretung, macht auf die Absurdität des (formaljuristisch vielleicht zutreffenden) Vorwurfs des „Hausfriedensbruchs“ gegen die Klimaaktivist*innen aufmerksam – erhoben vom RWE-Konzern, der dort mit seinen Braunkohlebaggern hunderte von Häusern seit Jahrzehnten nicht nur in ihrem Frieden stört, sondern zerstört und ihre Bewohner*innen vertreibt. Der WDR-Journalist konkludiert: „Die Proteste im rheinischen Braunkohlerevier mögen nicht immer legal gewesen sein, aber sie sind angesichts der Ignoranz von Geld und Macht und angesichts der Bedrohung, die es abzuwehren gilt, völlig legitim.“
Döschner hat recht, und die Baggerblockade der Klimacamp-Leute scheint auf ihn abgefärbt zu haben; denn was er schreibt, ist für einen Journalisten im öffentlich-rechtlichen System ebenfalls ein Zeichen von Zivilcourage. Hoffen wir, dass es Schule macht.
Neben dem Erfolg in der Sache – Kampf gegen die Politik der ungebremsten Klimazerstörung – stellt das Klimacamp 2015 und die „Ende-Gelände“-Aktion aber auch ein politisches Lehrstück erster Güte dar. An dem Camp nahmen am Wochenende mehr als 1500 Personen teil, die aus aller Welt angereist waren. Man hörte überwiegend Englisch, wenn man über den Platz schlenderte, auch viel Deutsch, Französisch, Spanisch ... Das Wichtigste, was schriftlich und mündlich zu kommunizieren war, wurde auch in viele Sprachen (mindestens aber ins Englische) übersetzt. Aus über 40 Ländern waren die Leute zum Tagebaugebiet Garzweiler gekommen, und die Verständigung war mühelos.
Und dies ist nur ein Aspekt der großartigen Selbstorganisationsleistung, die hier erbracht wurde. Alleine die Campküche zu beobachten, wie sie in gigantischen Töpfen warmes Essen für tausend Leute zubereitete, war äußerst imponierend, und die „reibungslose“ Koordination setzte sich durch die Bezugsgruppen-Struktur in alle organisatorischen und politischen Fragen weiter durch. (Am Freitag vor der großen Blockade-Aktion fand im Hauptzelt eine Delegiertenversammlung der Bezugsgruppen statt, mit alleine schon über hundert Teilnehmer*innen; da dort die Aktionsdetails geplant wurden, war die Presse (und damit auch ich) davon ausgeschlossen, aber bereits vorher war unter dieser bunten Zirkuskuppel die beeindruckende basisdemokratische Disziplin zu spüren, die dann am Samstag zum Erfolg der Aktion beitrug.) Hier war wirklich mit Händen zu greifen, dass ein besseres Leben möglich ist.
Auch die andere Seite war zu kreativer Grenzüberschreitung imstande. Döschners Kommentar weist auch darauf hin: Den Blockierer*innen stand eine Public-Private-Partnership aus RWE-Werkschutz und Polizei gegenüber. In dem unwegsamen Gelände am Boden des Braunkohlelochs ließen sich die Uniformierten von den RWE-Geländefahrzeugen chauffieren, und wie es in der Presseerklärung von „Ende Gelände“ heißt, wurden Aktivist*innen teilweise durch bunte Teams von Staatsbediensteten und „Werkschutz“-Leuten eingekesselt. Rechtsstaatlich vielleicht nicht ganz astrein, diese Allianz von Bauhelmen und Polizeihelmen, die – mit welchen Befehlsketten auch immer – eine verlorene Sache verteidigen mussten.
Die kulturelle Hegemonie lag an diesem Tag auf der Seite des Protests. Das merkte man auch auf der Unterstützungs-Demo unter dem Motto „Kohleausstieg jetzt!“, die im fast schon komplett „umgesiedelten“ Dorf Immerath bei Regenwetter von 800 Menschen besucht wurde. Es hätten ruhig ein paar mehr sein dürfen, aber immerhin haben wir dort die eine oder andere Hundertschaft und Reiterstaffel „gebunden“, die dadurch nicht die Aktivist*innen unten in der Grube belästigen konnten. Und wir hörten Reden u.a. von einer Indigena aus Kanada, wo man gegen die Ausbeutung von Teersand in riesigen Regionen kämpft, sowie von einer Aktivistin aus Indien – beide betonten, wie inspirierend der Kampf hier im Rheinland für ihre eigenen Klimaschutz-Kampagnen sei. Und sie bewirkten so, dass diese Inspiration keine Einbahnstraße ist. „System change – not climate change“, das ist die weltweite Devise. Vielleicht kann man Jürgen Döschners Kommentar auch darauf münzen, wenn er sagt: „Noch glaubt RWE, diesen Wandel mit Schlagstöcken und Pfefferspray aufhalten zu können. Aber so wie an der Börse wird der Energieriese auch in den Braunkohlegruben früher oder später scheitern.“ Im Namen des Klimas: Gerne früher!
Rüdiger Haude
Siehe auch Artikel auf Seite 4 f. und die Beiträge zum Thema u.a. in: GWR 398, 399 & 400
Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 401, September 2015, www.graswurzel.net