>Querfront<?

zur Kapitalismuskritik und Diskurspiraterie der Neuen Rechten

Richard Gebhardt

 

>Querfront<?

Zur Kapitalismuskritik und Diskurspiraterie der Neuen Rechten

 

Die Aktionen der sogenannten >Montagsmahnwachen< sowie die nachfolgenden Kampagnen >Friedenswinter< oder >Stopp Ramstein< sorgten in den letzten Jahren für heftige Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung und politischen Linken.[1] Den Initiatoren wurde vielfach eine >Querfront<-Strategie bzw. mangelnde Abgrenzung von extrem rechten Aktivisten vorgeworfen. Ein Beispiel für die Kontroverse: Nachdem Monty Schädel von der DFG/VK im März 2015 in einem Interview mit der jungen welt scharfe Kritik am >Friedenswinter< übte, verließ junge-welt-Stammautor Rainer Rupp – als Spion >Topas< ein prominenter >Kundschafter des Friedens< der DDR in der NATO – das Blatt und warf in einem Offenen Brief jenen Linken, die auf eine dezidierte Rechtsabgrenzung bestehen, eine >sektiererische Position< vor. Rupp plädierte vehement für die politische Vielfalt in der Friedensbewegung und bilanzierte: >Wenn sich Anfang der 1980er Jahre die Organisatoren der damaligen Friedensbewegung gegen die nukleare Aufrüstung der NATO so verhalten hätten wie heute DFG-VK-Chef Schädel, dann wäre es nie zu Massendemonstrationen wie im Bonner Hofgarten mit fast einer halben Million Menschen gekommen< (zit. n. Achelpöhler 2016).

Seit 2014 die Kontroversen über die Bündnispolitik innerhalb der >neuen< Friedensbewegung entbrannten, wurde viel über (einstige) Aktivisten der >Mahnwachen< wie den ehemaligen RBB-Moderator Ken Jebsen (heute Leiter der im Internet zirkulierenden Sendung >Ken FM<) oder Jürgen Elsässer (Mitbegründer der Monatszeitschrift Compact), über das seinerzeit in der >neuen< Friedensbewegung anzutreffende Geraune über die Macht der >Federal Reserve< oder den historischen Einfluss der >Rothschilds< auf die Weltpolitik gestritten. Mit Blick auf Exponenten wie Jebsen oder Elsässer – letzterer ist pikanterweise ein ehemaliger Kader des Kommunistischen Bundes (KB) und heute u.a. ein gefragter Redner bei Veranstaltungen des völkischen Flügels der Alternative für Deutschland (AfD) oder der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) – wurden neben dem Vorwurf der >Querfront< die Verdikte >Verschwörungstheorie< bzw. >Antisemitismus< erhoben (Culina/Fedders 2016). In diesem (z.T. stark personalisierten) Disput sind die Konfliktlinien auch künftiger innerlinker Auseinandersetzungen angelegt, denn die damit berührten zentralen Fragen der Bündnispolitik bleiben aktuell.

Eine wichtige Dimension wird oftmals verkannt: Aufmerksam beobachtet wird die Kontroverse über die Bündnispolitik der Friedensbewegung auch im Lager der sogenannten >Neuen Rechten<. Hier wird die linke Kapitalismuskritik wieder intensiv rezipiert (exemplarisch Kaiser 2016 u. 2017). Das im engeren Sinne >neurechte< Milieu[2] kann auch deshalb, wie zu zeigen ist, nicht ahistorisch als Teil eines >konservativen Spektrums< deklariert werden. Ihre Positionierung erfolgt in ausdrücklicher Abgrenzung von den klassischen Parteien des Konservatismus, und ihren Ansatz entnimmt sie ausdrücklich von (z.T. zumindest zeitweise) faschismusaffinen Denkern. Wichtige Autoren der Neuen Rechten arbeiten über das klassische Lagerdenken hinaus an der Aufhebung und Synthese der links-rechts-Dichotomie, weshalb die Spezifika dieser >Kapitalismuskritik< analysiert werden müssen.

 

 

>Metapolitik< der Neuen Rechten

 

Die Neue Rechte agiert traditionell als elitärer intellektueller Zirkel, der ein >metapolitisches< Konzept verfolgt: Die Einflussnahme auf Debatten sowie die Setzung und Umdeutung politischer Begriffe steht im Zentrum von – in strategischen Fragen durchaus heterogenen – Periodika und Institutionen wie der Wochenzeitung Junge Freiheit oder der Zweimonatszeitschrift Sezession, die vom Institut für Staatspolitik im sachsen-anhaltinischen Schnellroda herausgegeben wird (zur Genese der Neuen Rechten jüngst Weiß 2017). Karlheinz Weißmann, langjähriger Kopf der Neuen Rechten und ebenso wie Kubitschek Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik, hat die Strategie so beschrieben: >Uns geht es um geistigen Einfluss, nicht die intellektuelle Lufthoheit über Stammtischen, sondern über Hörsälen und Seminarräumen interessiert uns, es geht um Einfluss auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, um so besser< (zit. n. Weiß 2017, 73f.).

In den Neunzigern wurden die Protagonisten der Neuen Rechten durch ihr offensives Werben für eine >selbstbewusste Nation< (Schwilk 1994) und ihren Protest etwa gegen die Bewertung des 8. Mai 1945 als >Tag der Befreiung< bekannt (Lohmann 1994). Mit der AfD und Pegida verfügt die Neue Rechte nun in den Parlamenten und auf der Straße über einen politischen Resonanzraum, der über ihr Zirkelwesen hinausgeht (Wölk 2016). Ihr Agieren beschränkt sich nicht mehr auf Symposien oder punktuelle öffentliche Interventionen und geht weit über die Exegese der Klassiker der >Konservativen Revolution< (Armin Mohler) hinaus. Der >Einfluss auf die Köpfe< in den sozialen Bewegungen von rechts bzw. der AfD ist aktuell nicht zu unterschätzen: Neurechte Protagonisten wie Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik erhalten eine zuvor nie dagewesene Medienpräsenz, der Spiegel brachte unter dem Titel >Der dunkle Ritter< beispielsweise ein siebenseitiges Porträt über den Publizisten und Verleger (Rapp 2016). Das vom Hausverlag der Neuen Rechten, dem Verlag Antaios, posthum veröffentlichte Buch Finis Germania des Umwelthistorikers Rolf Peter Sieferle (ein ehemaliges Mitglied des SDS, das vom rechtsintellektuellen Milieu nach seinem Freitod zum Meisterdenker verklärt wird) wurde nach einer Posse des Literaturbetriebs[3] sogar zum Verkaufserfolg für den bislang außerhalb des eigenen Spektrums kaum beachteten Verlag Antaios (Sieferle 2017).

Das neurechte Milieu bezieht sich im Anschluss an Armin Mohler auf die >Konservative Revolution<, zu der Mohler – der diese >Tradition< eher konstruiert denn freigelegt hat – Autoren wie Ernst Jünger, Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck oder Oswald Spengler zählte (kritisch dazu Breuer 1993). Maßgeblich für das Denken in der Nachfolge der radikal >konservativen< (de facto häufig faschismusaffinen) Gegner der Weimarer Republik ist ein Satz, der 1922 von Moeller van den Bruck, einem Vertreter des >deutschen Sozialismus<, geprägt wurde: >An Liberalismus gehen die Völker zugrunde< (zit. n. Weiß 2017, 21). Spengler wiederum verachtete >die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an< und bezeichnete sie >als den Verrat des minderwertigen Teils unseres Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war<. Spengler zielte auf den >Sturz< der Folgen von 1918 (zit. n. Assheuer/Sarcowicz 1992, 145). Es gelte – wieder nach den Worten Moeller van den Brucks – >Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt< (zit. n. Weiß 2017, 124). Gerade in diesem Impetus liegt die Besonderheit, die Mohlers Linie vom klassischen Konservatismus abgrenzt – die Neuschaffung, nicht die Bewahrung steht im Zentrum dieser Denktradition.

Darüber hinaus übernahm der neurechte Kampf um die >kulturelle Hegemonie< bzw. >Macht< seine Stichworte auch von linken Theoretikern. Im Januar 1968 konstituierte sich in Frankreich der >Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne< (G.R.E.C.E) – nicht als Antwort auf >1968<, sondern zunächst als Reaktion auf die Algerienfrage (Wölk 2015). Später erfolgte der offensive Bezug auf linke Theoriebildung. G.R.E.C.E.-Vordenker Alain de Benoist gab Mitte der 1980er Jahre das Leitmotiv einer >Kulturrevolution von rechts< (de Benoist 1985) aus. >Gramscianismus von rechts< war zudem der vielbeachtete Titel eines Symposiums des G.R.E.C.E. De Benoist plädierte derart für eine Aneignung linker Theoreme. Was Ernst Bloch im Nazismus als >Entwendung aus der Kommune< beobachtete, wird bei de Benoist und seinen Nachfolgern zur gezielten Entwendungsstrategie – die Begriffe Gramscis werden umfunktioniert und geraten zu taktisch eingesetzten Vokabeln. Aus der Erlangung der kulturellen Hegemonie wird das elitäre Streben nach politischer Macht über den Umweg der Zivilgesellschaft. An die Stelle des organischen Intellektuellen, der die Selbstermächtigung der popularen Klassen fördert, tritt – ganz im Gegensatz zur Intention Gramscis – der elitäre Intellektuelle, der den >Volkswillen< wieder zur Geltung bringt. Rechte Intellektuelle des G.R.E.C.E waren so Vordenker der >Volksgemeinschaft< (Demirović 1990, 355), die mit ihrer kryptischen Bezugnahme auf die alte germanische und griechische Kultur hinter den modernen Begriff vom – durch Christentum und bürgerliche Traditionen geprägten – >westlichen Abendland< zurückgehen und zugleich für einen radikalen Bruch mit marxistischen oder liberalen Traditionen stehen: >Der Gegensatz von liberalen und marxistischen Werten ist […] eine Scheinopposition, denn faktisch stünden sie in derselben Tradition und entstünden auf einer ideologischen Matrix, der alle ^Zugehörigkeiten wie Volk, Kultur, antagonistische(r) Wille der Menschen wie Gruppen^^ zerstöre< (Demirović 1990, 356). Von dem so rezipierten Gramsci bleibt die Entdeckung der zentralen Bedeutung des vorpolitischen Raums, also die Erweiterung des Blicks auf die società civile als Arena der Machtpolitik – das originäre Denken des italienischen Marxisten aber wird jedweder klassenpolitischer und emanzipatorischer Spezifika entkleidet.

In Deutschland treten rechte Bewegungsunternehmer wie Kubitschek derzeit bei den sozialen Bewegungen von rechts als intellektuelle Wortführer im Namen des wahren, jedoch durch Reeducation und Multikultur verfälschten Volkswillens auf. In Deutschland umfasst die Neue Rechte dabei ein heterogenes Spektrum aus akademischen Solitären, Theorie-Zirkeln und publizistischen Projekten. Auch wenn gerade das Plädoyer des G.R.E.C.E. für die Wiederentdeckung des Heidentums bzw. Paganismus weniger Beachtung erhielt – zentral für die Neue Rechte ist – bei allen divergierenden Schattierungen und strategischen Differenzen – eine identitäre Ausrichtung, die das >Eigene< und >Besondere< der autochthonen Bevölkerung und Kultur betont und dabei als programmatisches Wesensmerkmal einen völkischen Nationalismus propagiert (Kellershohn 1994).

 

 

Rochaden zwischen links und rechts

 

Traditionell findet das neurechte Milieu seine Foren innerhalb der Burschen- bzw. Gildenschaften oder konservativen kirchlichen Gruppierungen. Von besonderer Bedeutung sind für die Neue Rechte in Deutschland zudem aber nationalrevolutionäre Zirkel, die sich nicht zuletzt um die 1964 in Hamburg gegründete Zeitschrift Junges Forum gruppierten. Dieses – in seiner Wirkungsgeschichte kaum erforschte – Blatt widmete sich verstärkt der Auflösung der alten links-rechts-Unterscheidung, da – so die Selbstdarstellung dieses Organs – >die alten Ideologien ^rechts^^ und ^links^^ im Zustand der Mumifizierung< (Junges Forum 1-2/1984, Innenumschlag) seien. >Was heißt Sozialismus unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution?< (ebd.), lautete eine der Fragen, denen sich das Junge Forum gemäß seiner redaktionellen Richtlinien widmete.

Im Sommer 1984 erschien das Themenheft >Metapolitik – Was ist das?<, das Beiträge von de Benoist (>Was ist die Neue Rechte?<), Jaques Marlaud (>Die Eroberung kultureller Macht. Gramscis Theorie der Metapolitik und ihre Anwendung durch die Neue Rechte<) sowie Piet Tommissen (>Das metapolitische Konzept des Alain de Benoist<) versammelte. In vermeintlich randständigen Organen wie dem Jungen Forum wurde die Arbeit der Nouvelle Droite spätestens seit Mitte der 1980er Jahre – dem Höhepunkt der dortigen Gramsci-Rezeption – einem interessierten deutschen Publikum vorgestellt. Zu den stark vom französischen Schrifttum oder den >Nationalbolschewisten< der Weimarer Republik wie Ernst Niekisch oder Karl Otto Paetel beeinflussten Nationalrevolutionären zählte als führenden Exponent der Kultursoziologe Henning Eichberg. Eichberg begründete die Theorie des Ethnoplurarismus, die ein unverfälschtes territoriales Nebeneinander der >Völker< samt ihrer ethnisch-kulturellen Identität fordert. Der im April 2017 verstorbene Kultursoziologe Eichberg hatte bereits früh die Arbeiten der Nouvelle Droite rezipiert. Da ihm in Deutschland eine akademische Karriere versagt blieb, war er als Professor an der Universität Süddänemark tätig und Mitglied der linken Sozialistischen Volkspartei Dänemarks (Socialistisk Folkeparti). Offenkundig hat Eichberg im Gegensatz zu seinen nach rechts gewendeten Zeit-Genossen den umgekehrten Weg eingeschlagen: Nach einem kurzen Gastspiel in der CDU war Eichberg in den 1970ern in Kleinstgruppen wie Sache des Volkes/Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation (SdV/NRAO) aktiv. Die SdV/NRAO bezog sich vor allem auf die Schriften Ernst Niekischs und versuchte, Einfluss auf das maoistische Spektrum zu nehmen (Mecklenburg 1996, 172). Gerade in maoistischen Zirkeln war eine Rhetorik üblich, die neben dem epigonenhaften Nachvollzug der offiziellen chinesischen Parteilinie mit pathetischen Wendungen wie >dem Volke dienen< aufwartete. – Gruppen wie die SdV/NRAO versuchten, an nationalkommunistische Linien anzuschließen: Überdeutlich wird hier die Anleihe an Karl Radeks Schlageter-Rede aus dem Jahre 1923: >Die Sache des Volkes zur Sache der Nation gemacht, macht die Sache der Nation zur Sache des Volkes. Geeinigt zu einem Volk der kämpfenden Arbeit, wird es Hilfe anderer Völker finden, die um ihre Existenz kämpfen< (Weber 1972). Auch wenn Eichberg innerhalb der Neuen Rechten längst umstritten ist[4], stehen seine damaligen Interventionen für eine bemerkenswerte Einflussnahme auf linke oder friedenspolitische Diskurse bzw. die damaligen Alternativszenen in der ökologischen Bewegung bzw. Gründung der Partei >Die Grünen<.

Die Aufhebung bzw. Synthese des links-rechts-Gegensatzes sowie die Forderung nach Kooperation und Aneignung linker Theorien ist für de Benoist weiterhin programmatisch. 2012 bekennt er sich im Interview mit der Jungen Freiheit zu einer kritischen Marx-Lektüre: >Die Art und Weise, wie er (Marx, Anm. RG) den Kapitalismus wahrnimmt und analysiert, zeugt […] von bemerkenswerter Klarsicht. Seine Anmerkungen zur Verdinglichung der sozialen Beziehungen oder zum Warenfetischismus sind heute aktueller als je zuvor< (2012). Das Interview wurde unter dem bezeichnenden Titel >Meinetwegen bin ich ein rechter Linker< geführt. Im Gespräch mit Benedikt Kaiser verdeutlicht er 2014 den Bezug auf Moeller van den Bruck: >Der Hauptfeind heißt Liberalismus< (2014). Diese Losungen sind exemplarisch für die neurechte Kritik des Kapitalismus.

Unverkennbar ist neben der Feindmarkierung die Präferenz für die Auseinandersetzung mit den Klassikern der Kapitalismuskritik. Diese Schwerpunktsetzung ist in Frankreich häufiger anzutreffen; >französisch< denkende Autoren der Sezession wie Benedikt Kaiser sind in Deutschland nicht der Regelfall. Hingegen kultivieren andere, in Strategiefragen durchaus unterschiedlich orientierte Vordenker der deutschen Neuen Rechten wie Weißmann oder Kubitschek in Deutschland vor allem einen dezidierten Kulturpessimismus, eine Kritik der Dekadenz. Deutlich wird gerade im Fall von de Benoist die >feindliche Übernahme< von Inhalten und politischen Zeichen, die meist der Linken zugeordnet werden. >Diskurspiraterien<, wie Alfred Schobert vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) die Strategien der Aneignung linker Positionen und Symbole nannte, prägen seit je die aktuelle Strategie der Neuen Rechten.[5] Deutlich wird dies auch an den Aktionen der >Identitären Bewegung< (Weiß 2017, 93ff), die ihre Stichworte vom Institut für Staatspolitik bezieht. Ihre >subkulturellen< Aktionsformen – Blockadeversuche vor Ministerien, Demonstrationen, Besetzungen von Moscheen, symbolische Grenzschließungen – schließen an den Agitprop von rechts an, den Kubitschek 2007ff kurzzeitig mit seiner >Konservativ-subversiven Aktion< (KSA) propagierte (Kellershohn 2009). Die >KSA< rief mit gezielt provokativen Aktionen ein Medienecho hervor, das diese Gruppe bekannt machte. Zu diesen Vorstößen zählten u.a. Störungen von Lesungen mit Günter Grass oder Podiumsdiskussionen mit Daniel Cohn-Bendit sowie eine Aktion auf einer berliner Veranstaltung der Studentenorganisation Linke.SDS. Auftritt und Tonfall dieser >Provokationselite< (Kellershohn) waren nicht selten martialisch – in seinem Büchlein >Provokation< erklärt Kubitschek der politischen Klasse den >geistigen Bürgerkrieg< (2007, 26). Der politische Stil verdeutlicht die Aneignung linker Protestformen, die freilich nicht mit deren Inhalten zu verwechseln sind. Links und rechts trennen zentrale Kategorien – >Die Internationale erkämpft das Menschenrecht<, nicht die Volksgemeinschaft. Die Rechte misstraut ohnehin Abstraktionen wie >Menschenrecht< im Sinne von Carl Schmitts >Wer Menschheit sagt, will betrügen< (1932, 55). Eine Aufhebung dieser kategorialen Differenz zwischen >links< und >rechts<, eine Ersetzung des Internationalismus durch den Kult des Besonderen (einer >Rasse<, Region oder Nation) käme einer Selbstaufgabe linker Theorie und Praxis gleich.

Es ist vor diesem Hintergrund jedoch bemerkenswert, dass mit Günter Maschke und Frank Böckelmann (heute Mitherausgeber der in Dresden erscheinenden Zeitschrift Tumult, in der zuletzt auch Sieferle publizierte) zwei führende Köpfe der >Subversiven Aktion< (der auch Rudi Dutschke[6] angehörte) dem Lager der Neuen Rechten zugeordnet werden. Die von ihnen vorgenommenen (scheinbaren) biographischen Bruchlinien werfen die Frage nach den Voraussetzungen für diese links-rechts-Rochaden auf.

 

 

Neurechte Kapitalismuskritik

 

In der einschlägigen Publizistik wird der rechten Kapitalismuskritik derzeit verstärkt Raum geboten. In der Sezession[7] veröffentlichte Benedikt Kaiser einen Grundsatzartikel über die >offenen Flanken des Antiimperialismus< (Kaiser 2016). Kaiser plädiert für einen >zeitgemäßen Antiimperialismus<, der >Kapitalismuskritik, Interventionskriege und Migrationsbewegungen< kritisch untersuchen müsse (15). Seine Überlegungen, in einem jüngst erschienenen Büchlein ergänzt und systematisiert,[8] weisen Kaiser – ganz im Sinne seines Inspirators de Benoist – als eifrigen Exegeten linker Literatur aus. Der gönnerhafte Tonfall, mit dem er sich dem politischen Gegner widmet (>einer der wenigen klugen Köpfe der Linken< o.ä.) wirkt angesichts der (noch) überschaubaren Vita des 1987 geborenen Politikwissenschaftlers unfreiwillig komisch. Es zeugt von dem prätentiösen Selbstverständnis, Teil einer Gegen-Elite im Wartestand zu sein – eine nationale Elite, die während der Krise der Repräsentation an einem politischen Formwechsel arbeitet. Die Arbeiten von Sahra Wagenknecht, Andreas Wehr, Michael R. Krätke, Chantal Mouffe oder George Labica werden hier oftmals zustimmend zitiert, zwischen Alain de Benoist und Slavoj Žižek arbeitet er Ähnlichkeiten in der Kritik des Multikulturalismus heraus (2017, 74). Kaiser pflichtet Werner Pirkers Darstellung bei, der die >Wesensänderungen imperialistischer Propaganda< so charakterisierte: >Stellte sie früher einen offenen Appell an niedrige Instinkte und atavistische Triebe dar, so artikuliert sie sich nun übernational und menschenrechtlich. Der Krieg mit menschlichem Antlitz< (zit. n. ebd., 61f.).

Ein wahrhaftiger >Antiimperialismus< müsse jedoch – so Kaiser – >zwangsläufig ins Rechte übergehen, wenn er konsequent zu Ende gedacht wird< (2016, 15). Kaiser betont eine gemeinsame Gegnerschaft zu NATO, USA und transnationalen Konzernen und beklagt, ähnlich wie der verstorbene jw-Autor Pirker, die Abkehr breiter Teile der Linken vom Antiimperialismus. An dessen Stelle sei eine Bejahung des >Westens< und seiner >Menschenrechtskriege< getreten. Kaiser knüpft hier an eine Kritik des >rot-grünen Projekts< an, die Zustimmung auch außerhalb seines politischen Zirkels finden kann. Ausdrücklich wendet er sich gegen den >Angriffskrieg gegen Serbien<, den er als >Imperialismus Marke Bundesrepublik< (2017, 61) geißelt. Die Syrienpolitik der USA wird geostrategisch als Kampf um Öl, Gas, Wasser und Transportwege eingeordnet. Kaiser verkennt an dieser Stelle jedoch, dass >Antiimperialismus< als Kategorie seit Lenin zum festen Traditionsreservoir der Linken gehört. Selbst die >nationalbolschewistischen< Traditionen kamen nicht ohne zumindest phraseologischen Rekurs auf das linke Vokabular aus. Die von Kaiser behauptete >Zwangsläufigkeit< eines >rechten Antiimperialismus< ist pure Ideologie. Zudem blendet er die Kritik der rot-grünen Basis an den >Menschenrechtskriegen< vollständig aus – die Bejahung der >Menschenrechtskriege< wurde schon durch das >deutsche Nein< zum Irakkrieg im Jahre 2002 konterkariert. Die Widersprüche innerhalb des >rot-grünen Bellizismus< interessieren Kaiser nicht.

 

 

>Querfront<

 

Die publizistische Intervention von Kaiser macht nochmals deutlich, dass es lange vor der Auseinandersetzung mit den sogenannten >Montagsmahnwachen< eine neurechte >Querfront<-Strategie gab, die später auch in die Antikriegsbewegung wirken wollte. In seiner >historischen Annäherung< (2017, 12ff) ruft er Ruth Fischers >nationalbolschewistischen Kurs< gegen die Besetzung des Ruhrgebiets 1923 ebenso in Erinnerung wie den Röhm-Putsch oder den Strasser-Flügel in der NSDAP. Der Verweis auf den gemeinsam von NSDAP und KPD unterstützten Streik gegen die Berliner Verkehrsbetriebe 1932 darf ebenso nicht fehlen. Wichtiger sind ihm aber die >geistigen Querfronten<, für die der junge radikalnationalistische Ernst Jünger steht. Dessen 1929 formulierte Losung >Weil wir die echten, wahren und unerbittlichen Feinde des Bürgers sind, macht uns seine Verwesung Spaß< (zit. n. Kaiser 2017, 24) gehört zur aggressiven Rhetorik der >Querfront<-Versuche jener Jahre. Autoren wie Ernst Niekisch werden von Kaiser anerkennend zitiert, die >linken Leute von rechts< (wie Kurt Hiller 1932 das linksnationale Milieu in der Weltbühne nannte) dienen als Referenzen. Von der Kooperation von Georges Sorel mit dem Royalisten Charles Maurras im Cercle Proudhon bis hin zur Zusammenarbeit von Syriza mit ihrem rechten Koalitionspartner Anel zieht Kaiser eine Linie, deren Brüchigkeit – aufgrund der lediglich durch gemeinsame Gegner erfolgten Zusammenarbeit – durchaus betont wird.

Zwar lobt Kaiser die Versuche des Austauschs, er zweifelt aber an ihrer Übertragbarkeit auf die Gegenwart. Seine Exkurse sind keine direkte Aufforderung zur Bildung einer >Querfront< für die Jahre 2017ff. Er will mit der – aus seiner Sicht ideologisch mehrheitlich unzuverlässigen – Linken nicht kooperieren, sondern diese beerben. Er will eigene Inhalte setzen, keine klassische >Querfront< propagieren.

In Querfront heißt es exemplarisch, die >Neue Rechte< müsste sich von >neokonservativ-neoliberalen Vorstellungswelten< absetzen und sich folglich gegen die >Vorherrschaft des Westens<, sprich: die >universale Islamfeindschaft, libertäre Marktgläubigkeit und konservative Kapitalismusaffirmation< stellen. Er plädiert für eine Neue Rechte, die sich >geopolitisch für eine ^Pluralisierung der Hegemonien^^ ausspricht< und die >soziale Frage wieder als ureigenes Sujet entdeckt<. Er will eine Neue Rechte, die >in der Lage ist, die größeren politökonomischen Zusammenhänge beim Großen Austausch und der aktuellen Lage des Finanzmarktkapitalismus zu analysieren und Gegenentwürfe zu entwickeln< (2017, 84f.). Eine >solche Neue Rechte< habe >es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern für eine Querfront zu suchen< (85).

 

 

Der rechte Flügel der Friedenstaube

 

Aufforderungen zur Querfront wurden trotz der historischen Negativbeispiele auch in der Bundesrepublik formuliert. Die neuen >linken Leute von rechts< setzten auf einen >linken< Patriotismus, der – so ihre Interpretation eines Begriffs von Carl Schmitt – die deutsche Nation gegen die >raumfremden Mächte< verteidigen sollte. So bot seit den 1970er Jahren die nationalrevolutionäre Zeitschrift Wir selbst – Zeitschrift für nationale Identität Intellektuellen, Künstlern und Autoren ein Forum, die in enger Verbindung zur damaligen Friedensbewegung standen. Die Kritik an der Auflösung von Nation bzw. Identität bildete das Zentrum der >nationalrevolutionären< Kritik an den bundesdeutschen Zuständen. Zu ihnen zählten etwa Rudolf Bahro, Joseph Beuys oder Alfred Mechtersheimer. Wir selbst konnte mit Autoren wie Peter Brandt, Walter Grab, Hans Magnus Enzensberger, Günter Nenning oder Sebastian Haffner aufwarten, die sämtlich der Linken zugerechnet wurden. Hennig Eichberg zählte jedoch zu den strategisch führenden Autoren. Herausgeber Siegfried Bublies[9] (bis 1979 Mitglied der NPD) bot im Heft zudem zahlreichen (neu-)rechten Vordenkern wie Bernard Willms oder Hellmut Diwald ein Forum. Beide galten als Stichwortgeber der Republikaner (REP) und konnten in Wir selbst zusammen mit Vertretern des rechten Flügels der Grünen – wie Herbert Gruhl oder Rolf Stolz vom Debattenzirkel >Linke Deutschland Diskussion< – veröffentlichen. Mechtersheimer, der für einen >Nationalpazifismus< warb, steht dabei exemplarisch für jene, die damals – bildlich gesprochen – den rechten Flügel der Friedenstaube stärken wollten. Und mit Gruhl und Baldur Springmann zählten auch Vertreter des rechtsökologischen Flügels der frühen Grünen zu den Autoren von Wir selbst.

Zwar blieb dieser Flügel eine Minorität in den damaligen neuen sozialen Bewegungen. Die lagerübergreifende Kooperations- und Diskussionsbereitschaft ist aus heutiger Sicht allerdings frappierend. Gemeinsamer Nenner dieser Publizisten war die dezidierte Gegnerschaft zu den USA, von deren Vorherrschaft sich das geteilte Deutschland lösen solle. Die deutsche Wir-Identität wurde hier dem >Amerikanismus< bzw. >Liberalismus< entgegengesetzt. Propagiert wurde ein >befreiungsnationalistischer< Völker-Kult, der als Gegenentwurf zur >dekadenten< Westbindung galt, zumal >Westen< und >Dekadenz< identisch genutzt werden. Schon seit den Autoren der >Konservativen Revolution< war die Umdeutung der Begriffe ein zentraler Bestandteil der politischen Strategie. Aus der >Volksgemeinschaft< wurde so nicht nur bei Moeller van den Bruck der >deutsche Sozialismus<, der als massenwirksamer Begriff auf den Anschluss an die Arbeiterbewegung zielte (Weiß 2012). Die links-rechts-Unterscheidung sollte negiert und im völkischen >Wir< aufgehoben werden. Die Nivellierung dieses Unterschieds schwächt die politische Urteilskraft: Die Nachwirkungen der – gerade in den Reihen der frühen Grünen populären – Losung >Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern vorn<, hallt bis heute nach.

 

 

>An Liberalismus gehen die Völker zugrunde<

An diese Tradition knüpft Benedikt Kaiser an, wenn er in seinen Veröffentlichungen für einen rechten – ergo: völkischen – Antiimperialismus plädiert. Die Linke habe, so Kaiser, keinen Bezug zur Bedeutung der Nation im Rahmen der >kapitalistischen Globalisierung<, sie betrachte nationale Traditionen als bloße Erfindungen und denunziere Patriotismus nur als bloßes Ressentiment. Aufgrund ihrer elitär-linksliberalen Minderheitenpolitik habe sie auch den Kontakt zum >Kleinen Mann< verloren. Die >eklatanten Widersprüche des liberaldemokratischen Kapitalismus< blieben von der Linken unerkannt (2017, 66). Kaiser übersieht jedoch, dass die Analyse dieser Widersprüche zentral zur linken Theoriebildung gehört. Wenn Marx und Engels 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei den Satz >Die Arbeiter haben kein Vaterland< schreiben, ergänzen sie sogleich die entscheidende Pointe: >Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben< (MEW 4, 479). Die Auflösung und die Widersprüche des Nationalen angesichts des Weltmarkts waren schon für die frühen Kommunisten ein Thema. In der Linken wird trotz aller Debatten über eine >Identitätspolitik< bis heute den – von der Neuen Rechten negierten – Klassengegensätzen zentrale Bedeutung zugewiesen. Völkische Autoren kennen aber keine Klassen, nur nationale Kollektive und Regionen, ihre Marxlektüre bleibt – wie bei de Benoist – eine Aneignung des Vokabulars. Von der Logik der >Verwertung des Werts< (Marx) hat Kaiser ebenso wenig einen Begriff wie von der doppelt freien Lohnarbeit. Der Kern ihrer Kritik ist, entgegen aller quasi->modernistischen<, >konservativ-revolutionären< Rhetorik, die Verteidigung des >Ständischen und Stehenden<, des entweihten Heiligen, ihr Wunsch ist die Wieder-Verzauberung einer bewahrenswerten Welt, die Wiedereinsetzung der zerstörten >feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse< (MEW 4, 464). Die von den Protagonisten der Neuen Rechten vielfach zitierte >Krankheitsmetapher< (Volker Weiß) des Arthur Moeller van den Bruck (>An Liberalismus...<) bleibt das typische Leitmotiv des neurechten >Antikapitalismus<.

Auffällig wird an dieser Stelle die Heterogenität und der Eklektizismus jener Neuen Rechten, die in der AfD auch realpolitisch wirksam werden will. Marc Jongen, ehemaliger Assistent von Peter Sloterdijk und mit dem Institut für Staatspolitik eng verbundener neurechter Vordenker innerhalb der AfD, spitzt seine Kritik so zu: Die AfD werde >nur dann dauerhaft Erfolg haben, wenn sie eine positive Zukunftsvision für Deutschland und für Europa zu entwerfen vermag. In einer Zeit der permanenten Verdampfung alles ^Ständischen und Stehenden^^ steht dem konservativen politischen Temperament nur noch eine ^konservative Avantgarde^^ als starke Positionierung offen: Wo Bewahrenswertes noch lebendig ist, muss es gegen das weitere Fortschreiten der Korruption verteidigt werden. Wo aber der Amoklauf der Moderne sein ^Krise^^ genanntes Zerstörungswerk schon vollendet hat, müssen tradierungswürdige Zustände neu geschaffen werden< (2014). Hier zeigt sich ein eigentümlicher Rekurs der Neuen Rechten auf die Tradition der >Konservativen Revolution<. Während Arthur Moeller van den Bruck oder der frühe Ernst Jünger zeitweise auch radikal-modernistische Entwürfe propagierten, fallen ihre heutigen Epigonen realpolitisch vielfach nur auf genuin konservative (nicht aber >revolutionäre<) Vorstellungen zurück. Bei Jongen spielen >unsere Landessprache und die Familie< die >Schlüsselrolle< (ebd.). Die politischen Begriffe verschwimmen und werden nur noch diskurstaktisch eingesetzt: >Genuin liberal zu sein, heißt heute, konservativ zu sein. Zuweilen sogar reaktionär.< (Jongen 2014). Der reaktionäre Phantast aber, den Botho Srauß mit den Worten >Der Reaktionär ist Phantast, Erfinder (der Konservative dagegen eher ein Krämer des angeblich Bewährten)< beschworen hat (2013), bleibt eine literarische Figur, die politischen Interventionen gehen zunächst nicht über das >angeblich Bewährte< hinaus: >Die bürgerliche Mitte ist heute – paradox genug – die eigentlich revolutionäre Klasse. Der Endzweck dieser Revolution ist freilich nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern die Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft und der Souveränität des Volkes gegenüber dem Lobbyismus.< (Jongen 2014). Jongens Karneval der politischen Ideengeschichte entwirft eine >konservative Avantgarde<, die sich als >revolutionäre< >bürgerliche Mitte< der >sozialen Marktwirtschaft< verpflichtet sieht und dabei >liberal<, >konservativ< und >reaktionär< ist – ein solches Programm dient der Auflösung der politischen Kategorien, die durch neue ersetzt werden sollen. 

Andere Autoren aus dem Spektrum der Neuen Rechten bedienen die klassischen Topoi rechter Kulturkritik. In der zum neurechten Kultbuch avancierten Publikation Finis Germania, die ebenso wie Kaisers Querfront-Schrift in der Reihe >kaplaken< des Verlags Antaios erschienen ist, polemisiert Rolf Peter Sieferle wider >Gesichtszüge< und >intellektuelles Format< der >älteren, eher dem Arbeiter- und Gewerkschaftsmilieu entstammenden Politikern<, die >ihre paradigmatische Verkörperung in Harry Tisch gefunden< hätten (22). Deutschland sei >ein ungeheuer egalitäres Land< (24), das von einem >fundamentalen Sozialdemokratismus< (25) und vom >hundertjährige(n) Neid der Gewerkschaftsbewegung< (29) geprägt sei. Die Polemik gegen die Gewerkschaften ist Resultat eines Denkens, das keine Klassen oder soziale Ungleichheit kennt. Die Kritik der politischen Zustände ist hier eine antiliberale Kritik der >Weltverzehrungsansprüche des dionysischen Individuums< (ebd.). – Nicht der >Vampyrdurst des Kapitals< (Marx) ist Gegenstand der Kritik, sondern – ganz im kulturpessimistischen Sinne – die Dekadenz: >Die Massenzivilisation ist deshalb so unkultiviert (und merkt dies nicht einmal), weil in ihr ein vulgärer Typus an der Herrschaft ist: der Massenmensch, für den Fast food und Entertainmentkultur geschaffen sind und dessen Bedürfnissen sie exakt entsprechen< (Sieferle 2017, 92). 

Diese Perspektive ist auf die Diagnose kultureller Verwerfungen fixiert, der (unverstandenen) Ökonomie wird lediglich eine Nebenrolle im tragischen Weltenlauf zugwiesen. Kaiser diagnostiziert in seinen weitaus konkreter formulierten Beiträgen dennoch ein >politisches Vakuum< (2017, 66), in das die Rechte treten könne. Er postuliert: >Weil diese beiden Pole – Kapitalismus und Imperialismus – aber untrennbar sind, weil beide die bewahrenswerte Vielgestaltigkeit der Welt auslöschen, muss die Rechte heute antikapitalistisch und antiimperialistisch sein< (Kaiser 2016, 17). Kaiser fordert einen >neuen Blick auf die Flüchtlingskrise und ihre Auslöser<. Für den von Renaud Camus sogenannten >großen Austausch< (den Transfer der autochthonen Bevölkerung in Europa durch >kulturfremde< Zuwanderer) werden bei Kaiser maßgeblich die multinationalen Konzerne und die ihr folgende Politik – und eben nicht >der< Islam oder >die< Flüchtlinge – verantwortlich gemacht (Kaiser 2017, 67ff). Die Krise der Politik besteht hier folglich – ähnlich wie im von Colin Crouch popularisierten Paradigma der >Postdemokratie< – in der Verlagerung der Entscheidungsmacht an ökonomische Machtblöcke. >Die Politiker<, schreibt Stieferle, >bilden nur noch den Scheitelkamm großer Wanderdünen, die von Elementarkräften bewegt werden< (2017, 54). Über diese >Elementarkräfte< erfahren die Leser aber – nichts. Bei Sieferle ist die >Wahrheit< nicht konkret, sondern kryptisch. Seine Intervention bleibt einer allgemeinen Kulturkritik der >Moderne< verhaftet, der die Wachstumsideologie von Realsozialismus und Kapitalismus zugleich verwirft. 

Die neurechte Kapitalismuskritik definiert sich über die Frontstellung gegen den modernen Liberalkapitalismus, dem, idealtypisch gesprochen, ein >farbenblindes< Interesse an der Verwertung der Ware Arbeitskraft eigen ist. Nicht Herkunft, sondern Qualifikation oder Arbeitsfähigkeit ist für dieses Verwertungsinteresse entscheidend. Deshalb geht der moderne Liberalkapitalismus mit der Forderung nach Migration von hochqualifiziertem Personal (und ggf. kostengünstiger Niedriglohnsektoren, in die auch Migranten eingebunden werden können) einher. Gegen diese >transnationalen< Forderungen setzt der neurechte >Antikapitalismus< die – auch bei Kaiser kaum ausgearbeitete – Beschwörung eines Europas der Regionen. Dieser >Antikapitalismus< erstreckt sich in der ideologischen Agitation gegen die modernistischen Konsequenzen eines >farbenblinden< Liberalkapitalismus. In den Worten Sieferles: >Gegner des Programms der Multikulturalität [ist] das indigene Volk der Industrieländer< (2017, 84). Kaiser spitzt die neurechte Kritik nochmals zu: >So, wie der blinde Fleck des linken Antiimperialismus und Antikapitalismus also das Ausblenden der nationalen Frage ist, ist der blinde Fleck der rechten Zuwanderungskritik die Vernachlässigung wirtschaftlicher und außenpolitischer Implikationen, die – bedeutend mehr als ^der Islam^^ oder ^die Multikultis^^ – als Motoren der Massenzuwanderung wirken< (2017, 68). Die >Islamisierung< ist also nach dieser Lesart nur ein Nebenwiderspruch, der Hauptwiderspruch wird von der >Zersetzungsarbeit< des transnationalen Hightech-Kapitalismus ausgelöst. Diesem wird so jedoch vor allem die Auflösung der >volklichen< und nationalen Bindungskräfte vorgeworfen, die klassenblinde Perspektive bleibt auf die Bewahrung der ethnischen Identität beschränkt. – Der Fluchtpunkt der neurechten Kapitalismuskritik ist die Sozialintegration innerhalb der Volksgemeinschaft, die jenseits der >Zumutungen< etwa der hybriden Einwanderungsgesellschaft Stabilität und Halt verspricht.

 

Wider die Gefahr der Vereinnahmung

 

Der von Kaiser geforderte >neue Blick< auf die sogenannte Flüchtlingskrise – die zuvorderst eine Krise der Politik ist – wird auch andernorts ausformuliert, zum Beispiel so: >Die USA bombardieren seit Jahren im Vorderen Orient, aber die Flüchtlingsströme sollen die Europäer bewältigen. Und Merkel erweist sich wieder einmal als treue Vasallin des großen Bruders. Dabei wäre es in erster Linie die Pflicht der USA, die Menschen aufzunehmen, die vor ihren Ölkriegen fliehen.< Ein bemerkenswertes Zitat. Denn gegen die zerstörerische Kriegspolitik der USA gibt es zahllose treffende Einwände. Die Polemik gegen die Bundeskanzlerin als >treue Vasallin< zeugt jedoch von einem Weltbild, in dem Deutschland – immerhin ein Exportvizeweltmeister, dessen Bundeswehr derzeit in 18 Ländern stationiert ist – nur als Vasall, als Knecht der US-Politik vorkommt. Die Folgen des >deutschen Neins< zum Irakkrieg oder die jüngsten Differenzen des – durchaus selbstbewusst agierenden – >Vasallen< mit der US-Administration unter Donald Trump bleiben ebenso unerwähnt wie die deutsche Rolle im >Angriffskrieg< gegen Serbien. Muss sich also tatsächlich ein >geknechtetes< Deutschland gegen die Weltmacht USA erheben?

Der Verfasser dieser Zeilen ist jedoch kein neuer Rechter in der Tradition der >Nationalrevolutionäre<, sondern ein verdienstvoller alter Linker – das Zitat stammt aus dem Juni 2016 und ist ein Facebook-Kommentar von Oskar Lafontaine, dem grelle Rhetorik (>Fremdarbeiter<) keineswegs fremd ist (zit. n. Achelpöhler 2016). Der seit 2014 andauernde Streit über den Kurs der Friedensbewegung bleibt ungebrochen aktuell. Zur >Querfront gegen Bilderberger in Dresden< rief Jürgen Elsässers Compact im Mai 2016 auf, allerdings ohne nennenswerte Resonanz. Die um die Sezession gruppierte Neue Rechte liefert derweil eine eigenständige, mit >linken< Versatzstücken angereicherte Strategie jenseits der phrasenhaft-vulgären Appelle, für die Elsässers Blatt steht. Und über 2017 hinaus stehen für eine solche Intervention politische Akteure zur Wahl, die über das bisherige politische Spektrum hinausgehen bzw. – wie Pegida oder die AfD – die >Flüchtlingskrise< in anti-progressiver Absicht auf die Agenda setzen.

Zudem machen die Karrieren von einstigen Repräsentanten der Studentenrevolte von 1968 die Gefahr einer Aufhebung der inhaltlichen Trennlinien offenkundig. Die Biographien von Horst Mahler, Bernd Rabehl, Reinhold Oberlerchner, Frank Böckelmann, Günter Maschke oder Jürgen Elsässer geben davon ein beredtes Zeugnis (Seitenbecher 2013). Zwar liefern sie kaum Material für totalitarismustheoretische Gleichsetzungen von links und rechts. Sie schärfen aber den Blick dafür, wann auch innerhalb der Linken anzutreffende Ideologeme und Stilelemente wie Antiamerikanismus, Antizionismus, Antiliberalismus, die Bevorzugung de- bzw. sezessionistischer gegenüber deliberativer Politik, die Verklärung einer militanten >Propaganda der Tat< und der Fetisch der Unmittelbarkeit ein rechtes Pendant finden können. Diese Ex-Linken entledigen sich einstiger Kernkategorien wie Klassenpolitik oder Internationalismus. Von der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft bleibt der aufgesetzte antibürgerliche Gestus; die Rebellion verkümmert zur Stilfrage, das >Stahlgewitter< ersetzt den Klassenkampf. Die Selbstinszenierung als Wortführer der linken Avantgarde wird in den Kostümen der geistigen Elite wiederaufgeführt; erhalten bleibt der Status des (nunmehr rechten) Dissidenten und Vordenkers des Volkes. Der >Befreiungsnationalismus< wandelt sich zur >deutschen Frage<, an die Stelle der Klasse tritt die Nation, an der Fremdherrschaft bemängelt dieser rechte >Antiimperialismus< nicht die Herrschaft, sondern die Fremden.[10] Und beim ehemaligen SDS-Parteigänger Sieferle gerät die >progressive< Konsumkritik zur raunenden Kulturkritik.[11] So heterogen die Neue Rechte in der Antwort auf die soziale Frage auch sein mag[12] – die Verfallsklage wird in allen Strömungen des >rechtsintellektuellen Milieus< angestimmt.

Aus diesen hier angeführten Exempeln ist zu lernen: >Diskurspiraterien< bzw. Vereinnahmungen von rechts werden auch durch eine unbestimmte Zielsetzung einer auf Massenzustimmung fixierten Linken ermöglicht: >Wo das ^Anti^^ des Antikapitalismus es bei weitem davonträgt über das ^Pro^^ des sozialistischen Projekts, ist diese Gefahr besonders groß. Momentan lassen sich mit antikapitalistischer Rhetorik vielleicht Erfolge erzielen. Doch die dabei gewonnene Zustimmung ist zunächst Stimmung, und als solche unbeständig in Stärke wie in Ausrichtung. Vergleichbar der Einspannung von Menschenrechtsbestrebungen für die US-geführten Kriege können auch Motive des Antikapitalismus für reaktionäre Mobilisierungen eingespannt werden< (Haug 2007, 14).

Querfront-Debatten stärken traditionell die rechte Position; bürgerliche Progressive bzw. Linke haben hier nichts zu gewinnen. Radikal gegen >reaktionäre Mobilisierungen< steht die Forderung nach einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der alle >ohne Angst verschieden sein< (Adorno) können. Eine Rechte aber, die von individueller Ungleichheit ausgeht und nur die Besonderheit ihres homogen gedachten ethnisch-kulturellen Kollektivs beschwört, bietet für eine aufgeklärte Linke keine anschlussfähigen Positionen. Ihr Fluchtpunkt ist letztlich die Volksgemeinschaft, in der der Einzelne auf- und als Individuum somit untergeht. Das Verhältnis von Gleichheit und Differenz hat eine Linke in der Tradition Brechts ohnehin besser durchdacht, kann diese doch Sieferles Raunen gegen die >Gleichmacherei< selbstbewusst zurückweisen: >Erst wenn die Füße aller gleich hoch stehen, kann entschieden werden, wer höher ragt als andere< (Brecht, Me-ti, GW 12, 488).

>Links< wäre zudem eine Partizipationskultur, die keinen Ausschluss von Geflüchteten kennt. Gerade ein gegen die Beschwörung eines >Pluriversums< (Carl Schmitt) der >Völker< gerichtetes universalistisches Ethos, kann als >Pro< eines demokratisch-sozialistischen Projekts von der Neuen Rechten nicht okkupiert werden. Eine auf Emanzipation zielende Politik des Kulturellen verfällt nicht der reaktionären Klage über die >Dekadenz des Westens< und steht in Opposition zum elitären Kult völkischer >Vordenker<. Der Irrationalität des Hightech-Kapitalismus begegnet sie nicht mit irrationalem Geraune über die – freilich nur von Eingeweihten zu enthüllenden – Kabale der Mächtigen und ihrer Geheimpolitik. – Die Auseinandersetzungen 2014ff zeigen, dass in der politischen Linken Klärungsbedarf herrscht. Eine politische Linke oder Friedensbewegung aber, der Massenzustimmung wichtiger ist als inhaltliche Mindeststandards, wird nur geringe Möglichkeiten zur Kritik reaktionär-diffuser >Bündnispartner< oder Abwehr rechter Diskurspiraterien haben.  

 

 

Literatur

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Haug, Wolfgang Fritz, >Zur Dialektik des Antikapitalismus<, in: Das Argument 269, 49. Jg., 2007, H. 1, 11-34

 

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ders., >Die offenen Flanken des Antiimperialismus<, in: Sezession 71, April 2016, 14-17

 

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Mecklenburg, Jens (Hg.), Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996

 

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Seitenbecher, Manuel, Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?, Paderborn 2013

 

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Wölk, Volkmar, >Der gescheiterte Aufstieg<, in: Der Rechte Rand 157/2015, 8-10

ders., >Kreuzritter für das Abendland. Oder: Lutz Bachmann als Katechon der Apokalypse?<, in: Friedrich Burschel (Hg.), Durchmarsch von rechts. Völkischer Aufbruch: Rassismus, Rechtspopulismus, rechter Terror, Berlin 2016, 55-67

 

 

 

 

 

 

 

[1] Eine Übersicht bietet die im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung verfasste und vieldiskutierte Studie >^Querfront^^–Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks< (Stoph 2015) sowie Wilhelm Achelpöhlers Beitrag über die >falschen Friedensfreunde< in analyse & kritik Nr. 622 (Achelpöhler 2016).

[2] In Abgrenzung zur im Journalismus vielfach anzutreffenden inflationären Verwendung dieses Begriffs für diffuse Akteure, meint >Neue Rechte< im vorliegenden Debattenbeitrag jene rechtsintellektuellen Zirkel, die sich seit ihrer Herausbildung in den 1960er Jahren auf das Konzept der >Metapolitik< beziehen und zugleich um einschlägige Periodika gruppieren.

[3] Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel hatte als Mitglied der Jury >Sachbuch des Monats<, die vom NDR und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wird, alle ihm zustehenden Punkte auf Sieferles Buch verteilt, bis dieses schließlich auf der Empfehlungsliste landete. Die Verfahrensmängel innerhalb der Jury sowie der in der Affäre zum Ausdruck kommende hilflose Antifaschismus (so hatte der Spiegel das bemerkenswert erfolgreiche Buch zunächst kommentarlos von seiner Spiegel-Bestsellerliste gestrichen und dadurch reichlich Spott geerntet), wären Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Der Erfolg von Sieferles Buch ist ein weitreichender Indikator für eine Krise der politischen Repräsentation.

[4] Karlheinz Weißmann, der immerhin den Ethnopluralismus als >Multikulturalismus von rechts< würdigt, schrieb in seinem unterkühlten Nachruf auf den >Renegaten< Eichberg in der Jungen Freiheit: >Über die Rechte sprach Eichberg jetzt nur noch in höhnischem Tonfall, über Deutschland in einer Mischung aus Herablassung und Ahnungslosigkeit. […] Gegen Einreden blieb er taub, von seinen Anfängen wollte er nichts mehr wissen oder behandelte sie wie bei Konvertiten üblich< (Weißmann 2017).

[5] Schoberts Neologismus bezog sich neben den erwähnten Beispielen auch auf weitere zeitgenössische Versuche der Nouvelle Droite, qua positiver Bezugnahme auf Karl Marx Anschlussstellen im linken Lager zu finden. >Befreien wir Marx vom Marxismus< titelte zum Jahreswechsel 2004/2005 das Cover der neu-rechten, von de Benoist redigierten Zeitung Éléments – Pour la civilsation européennee. Konkret geprägt wurde der Begriff im Jahre 2005 anlässlich der damaligen Kooperation des marxistischen italienischen Philosophen Constanzo Preve mit de Benoist (dazu Schobert 2009, 88ff).

[6] In der linken Zeitschrift Dasda/Avanti diskutierte Eichberg im November 1978 unter dem Titel >National ist revolutionär< Rudi Dutschkes zuvor erschienene >Thesen zur nationalen Frage< und zitierte dabei auch die >linken Leute von rechts< (Weiß 2017, 33). Herausgeber von Dasda/Avanti war seinerzeit Klaus-Rainer Röhl, der – einst Herausgeber der Zeitschriften Studentenkurier bzw. konkret und Mitglied der illegalen KP – 1993 bei Ernst Nolte über den Streik der Berliner Verkehrsbetriebe promovierte. Der Titel der Dissertation lautet >Nähe zum Gegner< (Röhl 1994).

[7] Der Name der Zeitschrift Sezession ist von einem der Schlüsseltexte der Neuen Rechten inspiriert. Der Dramatiker Botho Strauß veröffentlichte im Frühjahr 1993 im Spiegel (6/1993) den berühmt gewordenen Essay >Anschwellender Bocksgesang<. Die hier formulierte Gesellschaftskritik bot eine Losung, die von der Neuen Rechten als Leitmotiv übernommen wurde: >Man muß nur wählen können; das einzige, was man braucht, ist der Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream< (Strauß 1993, 206).

[8] Benedikt Kaiser (2017): Querfront – Die Publikationen weisen starke Ähnlichkeiten auf; zitiert wird – sofern nicht mit Kaiser 2016 anders angegeben – nach der Buchfassung.

[9] NPD-Aktivist Bublies verfolgte mit seinem >befreiungsnationalistischen< Ansatz eine Querfront-Strategie innerhalb der ökologischen Bewegung. 1978 war er Mitbegründer der >Grünen Zelle Koblenz<, die Einfluss auf die Parteibildung der Grünen nehmen wollte. Bublies vertrieb in der Bundesrepublik zudem Muammar al Gaddafis Grünes Buch (Mecklenburg 1996, 448). – Der Friedensforscher Alfred Mechtersheimer (>Friedenskomitee 2000<) kooperierte eng mit dem Kreis um >Wir selbst< und löste 1989 innerhalb der grünen Fraktion im Bundestag (der Mechtersheimer als parteiloser Kandidat für Baden-Württemberg angehörte) aufgrund seiner Verbindung zum Gaddafi-Regime eine Fraktionskrise aus (Mecklenburg 1996, 491).

[10] Georg Seeßlen schreibt in seiner Auseinandersetzung mit den o.g. neuen rechten Leuten von links: >Sie sind die ausgesprochen traurigen Bilder einer fundamental gescheiterten Befreiungsgeschichte. Aber sie sind auch, das ist die frohe Botschaft, notwendiger Bestandteil einer Selbstvergewisserungsgeschichte der Linken. Wir haben sie nicht verloren, die Konvertiten, wir sind besser dran ohne sie< (Seeßlen 2017).

[11] Es ist bezeichnend für das kurze Gedächtnis der medialen Öffentlichkeit, dass Sieferle als lediglich später Überläufer ins Lager der Neuen Rechten gilt. Dabei bemängelte schon der Rezensent der Politischen Vierteljahresschrift (PVS) anlässlich Sieferles 1995 erschienener Studie zur >Konservativen Revolution< die >unerträgliche(r)< und >mit unverkennbarer Faszination versehene(r) Distanzlosigkeit< zum Gegenstand seiner Forschung. Affirmative Passagen über die >Trennung von jüdischem und indigenem Volk< o.ä. erinnerten den Rezensenten, der in Formulierungen wie dieser keine Paraphrasierung anderer Autoren sah, an eine >Lehrschrift für die Hitlerjugend< (Köster 1997, 175). Für die PVS stach die >politisch-agitatorische Absicht des Autors< (176) bzw. dessen >Intention, die mit dem Historikerstreit vorläufig eingestellten Versuche zur Usurpation der kulturellen Hegemonie durch die Neue Rechte zu revitalisieren< (177) hervor.

[12] Dazu die Debatte zwischen Kaiser und Felix Menzel in Sezession 77 (April 2017). Dort vermerkt Kaiser selbst, dass die Antipoden in einer Zeitschrift diskutieren, die >ansonsten kaum ökonomische Themen behandelt< (Kaiser/Menzel 2017, 57).