Solidarische Ökonomie 2011

Gähn. Das ist eine häufige Reaktion auf das Stichwort „solidarisches Wirtschaften". Die einen verbinden damit ländliche Gemeinschaften, in denen alle das Klo aus Liebe putzen, die anderen lateinamerikanische Frauen, welche mit dem Basteln halbsinnvoller Gegenstände etwas Geld verdienen. Doch heute zeichnen sich offene Formen solidarischen Umgangs miteinander ab, die sich der Geld- und Tauschlogik verweigern und trotzdem keinen Gruppenzwang voraussetzen, sondern als „strukturelle Gemeinschaft" (Stefan Meretz) alternatives Wirtschaften großflächig und wirkmächtig denkbar machen.

Doch noch ist es nicht soweit; es gilt, im Hier & Jetzt zu beginnen. „Es gibt keine Inseln im Falschen!" - diesen Vorwurf hören jene, die das versuchen, immer wieder. Aber warum muss es gleich die perfekte andere Welt in klein sein? Es reichen erst mal Halbinseln: Räume - seien es geographische (wie Kommunen) oder soziale (wie Netzwerke) -, in denen Menschen sich ein Stück weit eine andere Wirklichkeit erschaffen und ausprobieren, wohin es gehen könnte. Räume, die es Menschen durch die darin gelebten anderen Selbstverständlichkeiten erlauben, sich anders zu entwickeln, als dies außerhalb solcher Halbinseln möglich ist - und gerade dadurch wieder wesentlich werden können, wenn es darum geht, auch die große Welt in eine schönere zu verwandeln. Denn neue Denk- und Handlungshorizonte entstehen nur im Zusammenspiel von verändertem materiell-ökonomischem Alltag und sich verändernden Identitäten; beides bedingt und ermöglicht sich gegenseitig. Ermöglicht wird dies nicht zuletzt in Subkulturen.

So kommt zusammen, sich das eigene Leben schöner zu machen, und für die schönere Welt zu kämpfen. „Man muss halt irgendwo anfangen", drückt es Arno vom Kostnixladen Wien aus. Eine andere Gesellschaft, „das kann nicht aus dem Nichts kommen, wie so etwas funktionieren kann. Für mich verknüpft sich das ganz praktisch: Weil ich gut damit leben kann, ist das eine Perspektive, die mir persönlich Möglichkeiten gibt und die in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess etwas bewirkt."

In Kostnix- oder auch Umsonstläden kann alles gebracht werden, was jemand nicht mehr möchte, und genommen werden, was einem gefällt: ohne Geld und ohne Tauschlogik. Sie können als stellvertretend angesehen werden für die jüngsten Ansätze anderen Wirtschaftens im deutschsprachigen Raum, die von den Prinzipien der „Commonsbased Peerproduktion" - ich spreche auch von Ecommony - geprägt sind.

Dem englischen Wort commons entspricht das deutsche „Allmende". Was Commons sind, ist eine Frage dessen, was wir normal finden: im See einfach baden können oder, wie beispielsweise in der Gemeinde Hallstatt, dafür Pacht zahlen müssen. Den Park betreten zu können oder, im Fall von Eintrittsgeld einerseits und einer zu kleinen Rente andererseits, von draußen ein paar Fotos schießen müssen. Commons zeichnen sich also nicht durch Eigenschaften im Gut selbst aus, sondern durch die Art und Weise der gemeinschaftlichen Nutzung. Tatsächlich ist der Eigentumsbegriff unserer Zeit, der den Ausschluss der Nutzung durch andere in der Regel einschließt, erst im Zuge des Kapitalismus zur Normalität geworden. Weltweit überwogen auch in anderen Kulturen Besitz- oder Nutzungsverhältnisse, die dem Begriff des Commons wesentlich näher kommen. Im Kapitalismus kommt es zu einer Tragedy of the Commons, wie von der Wirtschaftswissenschaft postuliert, aber nur, weil eine Privatwirtschaft existiert, die erlaubt, die über den eigenen Bedarf angeeigneten Ressourcen in Geld zu verwandeln und als solches anzuhäufen. Ohne diese Möglichkeit hätte niemand daran Interesse, eine Ressource über den eigenen Bedarf hinaus zu übernutzen - Genuss aus Konsum unterliegt dem abnehmenden Grenznutzen und ist für Ökonomen erschreckend endlich.

Neben den natural commons bezieht sich der Terminus der commonsbasierten Peerproduktion auf digitial commons. Während fast niemand Tim Berners-Lee kennt und alle Bill Gates, liegt der Unterschied zwischen beiden vor allem darin, dass Gates die (bei weitem nicht nur) von ihm entwickelte Software Microsoft privatisierte, während Berners-Lee seine Erfindung als Open Source allen zur Verfügung stellte: das Internet.
Dies ist einer der zentralen Ansatzpunkte neuer Projekte: Ressourcen so offen wie möglich allen zur Verfügung zu stellen - eine Art open source-Einstellung, ein „Alles für Alle". ´Peerproduktion´ beschreibt darüber hinaus zunächst die Art und Weise, in der freie Software-Produktion betrieben wird, ohne dass es eine hierarchisch gegliederte Organisation gäbe oder Äquivalententausch eine Rolle spielen würde. Stattdessen handeln Peer-Produzent_innen, wie Untersuchungen zeigen, aus Vergnügen, aus Leidenschaft oder aufgrund des Wunsches, etwas Nützliches zu tun.

Zusammengefasst lassen sich vier Prinzipien der „Commonsbasierten Peerproduktion" bzw. Ecommony formulieren: Erstens „Besitz statt Eigentum", wonach nicht abstraktes Eigentum zählt, sondern wer was tatsächlich braucht und gebraucht. Werkzeuge, Bücher oder Transportmittel sind hierfür häufig gelebte Beispiele. Aber auch ein Umsonstladen kann so verstanden werden, dass es nicht ein Ort des Schenkens ist, wo Dinge von Privateigentum in Privateigentum übergehen, sondern ein Ort, wohin Dinge gebracht werden, die aus dem eigenen Besitz gefallen sind, da mensch sie nicht mehr benutzt. Das wesentlichste Element dieses Prinzips aber liegt sicher darin, dass es auch ganz generell für Produktionsmittel gelten kann - und aus bekannten Gründen sollte.

Das zweite Prinzip lautet „Teile, was du kannst" und bezieht sich neben Dingen auf Fähigkeiten und Dienstleistungen sowie jede Form von Tätigkeit. Dies wiederum geht über in das dritte, „Beitragen statt Tauschen": Statt die eigenen Fähigkeiten in Quantitäten ummünzen zu müssen, wie dies in einem Tauschring immer noch der Fall ist, wird aus einem Bedürfnis heraus aktiv gehandelt. Beispiele sind Nutzungsgemeinschaften oder die Nichtkommerzielle Landwirtschaft. Dies wiederum geht über in das nächste Prinzip von Freiwilligkeit und Freier Kooperation. Karl Marx und Friedrich Engels umschrieben ihr gesellschaftliches Ideal im Kommunistischen Manifest gar nicht so anders: „eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

 

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2011, „Anders Handeln".