Verteilungskämpfe

Themenschwerpunkteditorial iz3w 322 (Januar/Februar 2011)

»Das ist meins!« Schon von klein auf stellt sich die Verteilungsfrage. Doch was im Sandkasten eine harmlose Zankerei und Mittel der Persönlichkeitsbildung ist, ist im globalen Maßstab zu einem Hauen und Stechen mit massiven negativen Folgen für die Enteigneten geworden. Die weltweite Konkurrenzgesellschaft hat Verteilungskämpfe zum integralen Bestandteil fast jeden Wirtschaftens werden lassen. Einer jagt dem anderen Anteile ab, jede/r eignet sich an, was er oder sie kann. Und selbst das Sparen in Zeiten der Krise ist bloß eine Form der Umverteilung. »Das Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer«, brachte der Kabarettist Matthias Deutschmann einmal das Wesentliche an den gegenwärtigen Spardebatten auf den Punkt.

Die prominentesten Verteilungskämpfe finden regelmäßig um die Löhne statt, früher wurden sie unter der Bezeichnung »Klassenkampf« zusammengefasst. Doch bei Verteilungsfragen sind nicht nur die Lohnarbeitenden betroffen, oft geht es um viel Grundsätzlicheres: Wem gehört die Welt, in der wir leben? Wer hat Anspruch auf die Westsahara? Gehört das Agrarland in Kolumbien den Großgrundbesitzern oder einer Gemeinde? Sollen bolivianische Trinkwasserquellen in private Hand oder in kommunale Selbstverwaltung kommen? Und überall gilt die Frage: Soll staatliches Geld für Umweltschutz oder Straßenbau, für Kultur oder Wirtschaftsförderung ausgegeben werden?

Gegenstand von Verteilungskämpfen sind inzwischen sehr oft Güter und Dienstleistungen, die bisher als öffentlich galten. Dazu zählen zum Beispiel die Böden und das Meer, aber auch Bildung oder Verkehr. Der Zugang zu ihnen war im Prinzip frei zugänglich, und das Aneignungs- und Konkurrenzprinzip des Marktes war hier lange Zeit zumindest partiell ausgesetzt. Öffentliche Güter oder Allmendegüter kannten fast alle Gesellschaften, und potentielle Rivalität gab es darum schon immer. Aber mit der totalen Durchdringung des Eigentumsprinzips in alle Poren der Gesellschaft wird der Bereich dessen, was als öffentlich gilt, immer stärker eingeschnürt. Der Kampf um öffentliche Güter ist heute oft eine defensive Reaktion auf die Privatisierungspolitik, die immer mehr an Dynamik gewinnt. Gemäß der Marktlogik und aufgrund leerer Staatskassen wird an private Investoren übergeben, was früher zumindest theoretisch allen gehörte. Im globalen Süden sind Verteilungskämpfe etwa um Land sehr oft Kämpfe gegen bedrückende wirtschaftliche Not, sie verdienen allein deshalb große Aufmerksamkeit. Dort wie hier artikuliert sich in ihnen aber auch, welches Modell des Zusammenlebens gewünscht wird.

Im Einleitungsartikel dieses Themenschwerpunkts wirft Gerhard Hanloser einen Blick darauf, dass die Geschichte der Menschheit immer auch eine Geschichte von Verteilungskämpfen war. Die Fortentwicklung zur klassenlosen freien Gesellschaft, in der Allen Alles gehört, gelang aber nur in theoretischen Großentwürfen. Heute werden kleinere Brötchen gebacken. Zuletzt versucht beispielsweise die Debatte um die so genannten Commons, der Verteilungsfrage einen neuen Impuls zu geben. Letztlich sollen hier Selbstverwaltungsansätze vom Weideland einer indigenen Gemeinschaft in Südmexiko bis hin zu Creative Commons im Internet vereint werden. In Debattenbeiträgen stellen unsere Autoren Stefan Meretz und Winfried Rust die Chancen und Grenzen des Ansatzes dar.

Eine soziale Bewegung für kostenlosen Personennahverkehr in Brasilien zeigt, welchen Paradigmenwechsel solche Verteilungskämpfe bewirken können. Anstatt dass die Armen weiter an ihre Orte gebunden sind, wird ihre Mobilität gefordert. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, mal eben durch die Stadt fahren zu können, gilt nämlich bei weitem nicht für alle StädterInnen dieser Welt, wie Katja Polnik zeigt. Eine andere Selbstverständlichkeit, nämlich dass die Fischer in der Bucht von Sepetiba bei Rio de Janeiro fischen können, ist durch ein neues Stahlwerk mit der einhergehenden Verschmutzung des Wassers durchkreuzt. Die Fischer kämpfen gegen diese Art der Umverteilung, die ihre wirtschaftliche Existenz zugunsten des Profits von ThyssenKrupp gefährdet.

In Südafrika leiden Menschen aus den armen Schichten unter Wohnungsnot und wohnen in informellen Siedlungen. Ihre Kämpfe gegen Abriss und Zwangsräumungen erhalten dabei offensive Momente, etwa wenn sie sich auf die kostenlose Aneignung von Land oder Elektrizität ausweiten, wie Gerhard Kienasts Beitrag zeigt. Ein weiteres, offensives Moment ist die Ausweitung der Kämpfe zu einer sozialen Bewegung, die in Debatten wie dem »Recht auf Stadt« gänzlich andere Verteilungsweisen fordert. In anderen Ländern tut sich also etwas in der Verteilungsfrage. Auch in Projekten wie Gemeinschaftsgärten in Nord- und Südamerika (siehe den Beitrag von Ella von der Haide/ Severin Halde) oder der Genossenschaft Piedra Canteada in Mexiko (Samuel Weber) werden Umverteilung und Selbstaneignung praktisch erprobt.

Schwieriger wird es im großen Maßstab. Die Verteilung der Meeresressourcen wie Fisch und deren Nutzung im Einklang mit der Umwelt und den globalen menschlichen Bedürfnissen sprengen den Projektcharakter. Christoph Spehr zeigt, dass es nicht um ein paar Fischkutter geht, denn allein der beteiligte Lebensmittelkonzern Unilever beschäftigt über 150.000 Menschen. Wie sich die Einzelnen hier assoziieren und wirkungsvoll agieren können, ist unklar. Einfluss auf Regierungen nehmen? Die Machtverhältnisse bei den wirtschaftlichen Akteuren ändern?

Verteilungskämpfe finden in jedem Fall weiter statt. Schlechtenfalls heißt es aber nur zwischen den Konzernen: »Das ist meins!«

die redaktion