Wie Bildungsabbau: Negativspirale ,nach unten'
Wer als Privatmensch seine Schulden nicht bezahlt, bekommt Ärger. So muss vermutlich die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau dafür herhalten, dass das politische Ziel des Staatsschuldenabbaus kaum auf öffentlichen Widerstand stößt. Klemens Himpele widerspricht und begründet, wie eine falsche Finanzpolitik die öffentliche Infrastruktur zerstört.
Die Debatte um die Staatsverschuldung steht seit Jahren im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Fast alle Kürzungsmaßnahmen bei Sozialleistungen und Rente sowie zahlreiche höhere Kostenbelastungen für Bürgerinnen und Bürger wurden mit fehlenden Mitteln der öffentlichen Hand und der steigenden Staatsverschuldung begründet. Der investitionsbezogene Staatsverschuldungsbegriff, nach dem Schulden für öffentliche Investitionen zulässig waren, gilt dabei schon lange nicht mehr. Er wurde durch das so genannte ,Maastricht-Kriterium' - die Nettoneuverschuldung dürfe drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen - ersetzt. Diese ,europäische Schuldenbremse' ist nicht ökonomisch begründet, sondern politisch gesetzt. Doch selbst diese Begrenzung reichte CDU/CSU und SPD offenbar nicht aus, und sie verankerten im Sommer 2009 mit der Föderalismusreform II eine deutsche ,Schuldenbremse' im Grundgesetz. Damit ist die politische Handlungsfähigkeit insbesondere der Bundesländer stark eingeschränkt und bei einer Weiterführung der derzeitigen Politik ein weiterer Bildungs- und Sozialabbau vorprogrammiert. Ab 2011 werden die ersten Bundesländer die Auswirkungen der Schuldenbremse zu spüren bekommen.
Staatsverschuldung in Deutschland
Im Jahr 2008 betrug die Verschuldung des Gesamtstaates 1.580 Mrd. Euro oder 63,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der größte Teil der Schulden entfiel dabei mit rund 986 Mrd. Euro auf den Bund.1 Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen, 1991 betrug sie noch 39,1 Prozent des BIP. Im Vergleich der Industriestaaten liegt Deutschland nach Prognosen für das Jahr 2010 dennoch unter dem Durchschnittswert der EU und weit hinter Ländern wie Japan, den USA oder Frankreich.2 Dennoch ist die Staatsverschuldung auch in Deutschland ein Problem, da die Zinszahlungen die öffentliche Hand belasten und den Handlungsspielraum des Staates stark einschränken. Staatsverschuldung ist jedoch nicht - wie häufig argumentiert - ein Problem der Generationengerechtigkeit. Dem Schuldner Staat stehen GläubigerInnen entgegen, also Personen, die dem Staat Geld leihen. Eine Generation vererbt der nächsten nicht nur die Schulden, sondern auch die Forderungen, so dass ein Blick über die Generationen hinweg keinerlei Ungerechtigkeit zeigt. Das Problem besteht nicht zwischen Alt und Jung, sondern - auf Grund der Rolle der Staatseinnahmen und der Zinszahlungen - zwischen Arm und Reich.
Staatsverschuldung ist darüber hinaus nicht grundsätzlich oder an sich ein Problem. Allgemein kann mit Corneo gesagt werden, dass "[d]ie first-best-Regel der Finanzpolitik verlangt, daß diese so ausgewählt wird, daß die soziale Wohlfahrt des Landes bei Einhaltung der Budgetbeschränkungen [...] maximiert wird."3 Dies bedeutet, dass Staatsverschuldung dann sinnvoll ist, wenn der durch diese Verschuldung erzielte Nutzen größer ist als die Kosten (etwa in Form von Zinszahlungen). Was einfach klingt, ist so einfach nicht zu operationalisieren, da die Frage des Nutzens (sozialer Zusammenhalt, Wirtschaftswachstum, Verteilungsgerechtigkeit ...) auch politischen Prioritätensetzungen und Einschätzungen unterliegt. Die weit verbreitete Ansicht, dass Staatsschulden per se etwas Negatives seien, lässt sich mit einer Optimierung der Wohlfahrt allerdings nicht begründen. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche gute Argumente, die für die Aufnahme neuer Schulden sprechen können. Neben dem Ausgleich kurzfristiger Schwankungen bei den Steuereinnahmen nennt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik etwa folgende Gründe für eine Staatsverschuldung:4
Staatsverschuldung ist demnach ein zentraler Bestandteil unseres Wirtschaftens. Diese zu verteufeln ist mit ökonomischem Sachverstand nicht zu vereinbaren. Gleichzeitig gilt: Staatsverschuldung zieht Kosten nach sich und sie ist daher gut zu begründen. Es bedarf jeweils einer Einschätzung des ökonomischen Umfelds, wenn über die Frage neuer Staatsverschuldung entschieden wird.
Staatseinnahmen
Eine Nettoneuverschuldung des Staates ist dann notwendig, wenn die Staatsausgaben die Einnahmen übertreffen. Ein Abbau der Nettoneuverschuldung ist abstrakt demnach möglich, indem entweder die Ausgaben gekürzt oder die Einnahmen erhöht werden. Eine Neuverschuldung muss keinesfalls auf überzogene Staatsausgaben hinweisen, wenngleich genau dies in den vergangenen Jahren wiederholt behauptet wurde. Die staatsfeindliche Losung des ,Starve the beast' (etwa: hungert die Bestie aus) feiert fröhliche Urstände - die Staatsverschuldung sollte ausschließlich durch Ausgabenkürzungen reduziert werden, da alle ,über ihren Verhältnissen gelebt' hätten. Eine einnahmeseitige Konsolidierung, die ebenfalls möglich wäre, wenn politisch gewollt, findet nicht statt. Im Gegenteil: Seit den Regierungen Schröder sind die Steuern in erheblichem Ausmaße gesenkt worden: Die Körperschaftsteuer ist durch mehrere Reformen dramatisch verringert worden, der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer wurde mehrfach reduziert, ebenso der Eingangssteuersatz, zuletzt hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Umsatzsteuer für Gastronomiebetriebe gesenkt (,Mövenpick-Steuer'). Dem entgegen steht die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte durch die Große Koalition. Würde heute das Steuerrecht des Jahres 1998 gelten, so könnte der Staat alleine 2010 über Mehreinnahmen von 51,5 Mrd. Euro verfügen.5 Diese 51,5 Mrd. könnten noch deutlich höher ausfallen, wenn Deutschland eine Vermögensbesteuerung einführen und seine Erbschaftsbesteuerung auf ein international übliches Niveau anheben würde. Stattdessen haben vor allem die rot-grünen Regierungen insbesondere Besserverdienende und Unternehmen entlastet. Die Ursachen der steigenden Staatsverschuldung in Deutschland sind demnach Steuersenkungen, der Verzicht auf eine angemessene Besteuerung von Vermögen und Erbschaften und die Bewältigung der Wirtschaftskrise und eben nicht zu hohe Ausgaben der öffentlichen Hand. Die Kosten dieser Umverteilung nach oben und der Krise sollen nun jedoch der breiten Bevölkerung über Kürzungen der Staatsausgaben aufgebürdet werden - das Instrument hierzu ist die so genannte Schuldenbremse.
Die Schuldenbremse
Bis zum Jahr 1969 orientierte sich das in der Bundesrepublik geltende Staatsverschuldungsrecht an Artikel 87 der Weimarer Reichsverfassung, in dem die Kreditfinanzierung öffentlicher Aufgaben nur im Ausnahmefall zugelassen wurde. Mit der Großen Finanzreform von 1969 wurden Kredite neben Steuern ein reguläres Finanzinstrument für allgemeine Staatsaufgaben und einer Haushaltspolitik, die sich am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht und einer aktiven Konjunkturförderung ausrichtet (Artikel 115 und 109 Grundgesetz). Der Umfang der Kreditaufnahme wurde an die Investitionen gekoppelt, d.h. die Kreditaufnahme durfte in der Regel nicht höher liegen als die Ausgaben für Investitionen (,Goldene Regel'). Mit dieser ,Goldenen Regel' gab es bereits vor der Schuldenbremse eine institutionelle Beschränkung der Kreditaufnahme, da diese die Investitionen nicht übersteigen durfte. Eine erste Ergänzung erfuhr dieses Schuldenrecht durch den Maastricht-Vertrag und die dort festgelegte Beschränkung der Staatsverschuldung in den Euro-Staaten.
Die Große Finanzreform von 1969 mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz gilt bis heute als "das herausragende Beispiel für den kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland"6. Gleichzeitig orientierte der investitionsbezogene Staatsverschuldungsbegriff auf den Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen. "Die Revision der Finanzreform von 1969 durch die Föderalismusreform I (Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben im Bildungs- und Hochschulbereich) und die Föderalismusreform II (Abschaffung der ,Goldenen Regel', Einführung der Schuldenbremse) ist somit ein Bruch mit den finanzverfassungsrechtlichen Prinzipien, die den Ausbau des Wohlfahrtsstaats und erhebliche Investitionen in Infrastrukturen und öffentliche Bildung ermöglicht haben."7
Die nun im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse teilt die Staatsverschuldung in zwei Komponenten auf: Eine (erlaubte) konjunkturelle Neuverschuldung und eine (verbotene) strukturelle Neuverschuldung. Als konjunkturelle Neuverschuldung werden dabei Schulden begriffen, die aufgrund einer von der Normallage abweichenden Konjunktur aufgenommen werden dürfen. Umgekehrt muss bei einer guten konjunkturellen Entwicklung ein Teil der bestehenden Schulden abgebaut werden. Alle über diese konjunkturelle Komponente hinausgehenden strukturellen Schulden sind für die Bundesländer ab 2020 verboten, der Bund darf ab 2016 nur noch 0,35 Prozent des BIP an struktureller Neuverschuldung ausweisen. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, wie die konjunkturelle Komponente der Neuverschuldung zu ermitteln ist und wie stark Konjunkturschwankungen auf das jeweilige Budget wirken.
Das neue Staatsverschuldungsrecht ist ein erheblicher Bruch mit der bisher geltenden Finanzverfassung in Deutschland. Es zieht zudem zahlreiche Probleme nach sich. So wird nicht einmal mehr versucht, die first-best-Lösung nach Corneo zu erreichen. Der Staat verzichtet von vorneherein auf einen entsprechenden Gestaltungsspielraum, und es gibt keinerlei ökonomische, sondern lediglich mechanische Begründungen für die Höhe der jeweiligen Schuldenaufnahme. Bereits früh konnte nachgewiesen werden, dass das neue Schuldenrecht prozyklisch wirkt, Krisen also verschärfen wird und so die Wachstumspotentiale einer Volkswirtschaft untergräbt.8 Die Schuldenbremse wird damit zu einer Wachstumsbremse werden.
Schon 2011 geht es los
Die Schuldenbremse selbst greift ab 2016 für den Bund und ab 2020 für die Bundesländer. Letztere sind dabei in besonderem Maße betroffen, da ihre Einnahmen wesentlich durch Bundesgesetze bestimmt sind und ihre Ausgaben vielfach durch Personalausgaben und Bundesgesetze (bspw. BAföG) festgelegt sind. Sie können alleine ihre Einnahmen nicht wesentlich steigern, da zur Änderung des entsprechenden Steuerrechts eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig wäre. Wie stark die Länder mit dem Rücken zur Wand stehen, zeigt sich an der mehrmonatigen Weigerung, eine minimale BAföG-Erhöhung im Bundesrat mit zu tragen oder generell die Hochschulhaushalte entsprechend dem Wachstum der Studierendenzahlen zu erhöhen - Studierende sind mithin Opfer der Schuldenbremse.
Bis 2020 vergehen noch ein paar Jahre, aber die Schuldenbremse beginnt bereits Anfang 2011 zu wirken. Bei den Beratungen zur Einführung der Schuldenbremse wurde als wesentliche Voraussetzung postuliert, dass diese auf ausbalancierte Haushalte aufsetzen und diese stabilisieren solle. Daher hatte man sich darauf verständigt, die Schuldenbremse nicht unmittelbar einzuführen. Vielmehr wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass der Bund 2011 einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen könne, zahlreiche Länder sogar schon früher. Die haushalts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, mit denen in der Föderalismuskommission und im Deutschen Bundestag über die Machbarkeit der Schuldenbremse diskutiert und entschieden wurde, bestehen allerdings nicht mehr - der Bund plant 2011 mit einer Nettoneuverschuldung von 57,5 Mrd. Euro. Bereits bei den Beratungen zur Schuldenbremse haben fünf Bundesländer angegeben, einen ausgeglichenen Haushalt bis 2011 nicht aus eigener Kraft erreichen zu können: Berlin, Bremen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Diesen Ländern wurden für die Jahre 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Mio. Euro jährlich in Aussicht gestellt. Die Bedingung: Sie müssen ab 2011 jährlich 10 Prozent ihres strukturellen Defizits abbauen, um dann 2020 ebenfalls ohne strukturelle Neuverschuldung auszukommen. Es ist demnach kein Zufall, dass insbesondere die Regierungen des Saarlands und Schleswig-Holsteins bereits erhebliche Sparpläne vorgelegt haben. Aber auch die anderen Länder und der Bund müssen sich auf die Schuldenbremse vorbereiten. Das aktuell angekündigte 80-Mrd.-Sparpaket der Bundesregierung, das im Wesentlichen zu Lasten sozial Schwächerer und kaum zu Lasten der KrisenverursacherInnen gehen wird, hat seine Ursache auch in der Schuldenbremse.
Milliardenkürzungen an falscher Stelle
Zwei Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Länder erhebliche Einsparungen vornehmen müssen, wenn sie die Schuldenbremse einhalten wollen und die Steuereinnahmen nicht erhöht werden.9 Dabei werden die notwendigen Kürzungen in den derzeitigen Finanzplanungen der Länder zu einem großen Teil noch nicht einmal abgebildet, das heißt, die bisher angekündigten Einsparungen reichen zum Einhalten der Schuldenbremse nicht aus.
Die Länder können nur die Ausgaben kürzen, die nicht durch Bundesgesetz oder andere Gesetze festgelegt sind. Es ist daher zu befürchten, dass insbesondere bei den Sozialleistungen der Länder und im Bereich öffentlicher Bildung, die überwiegend über Länder und Gemeinden finanziert ist, gekürzt werden wird, zudem werden in den meisten Finanzplanungen Personalabbaupläne benannt. Es muss daher klar sein, dass ein Festhalten an der Schuldenbremse erstens die Konjunktur ausbremsen wird. Zweitens werden erhebliche Kürzungen in den Ländern auf uns zu kommen, die weit schärfer sein werden als die bisher dagewesenen Kürzungshaushalte. Zudem bereiten die Südländer - trotz anderer Zusagen im Rahmen der Verhandlungen zur Föderalismusreform II - einen Angriff auf den Länderfinanzausgleich vor. Um diese fatalen politischen Entwicklungen zu verhindern, muss die Schuldenbremse gekippt werden - wozu es entweder einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf oder eines Erfolgs der Klage des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesverfassungsgericht. Hier argumentiert das Land, dass der Bund über die Schuldenbremse zu stark in das Königsrecht des Parlaments - die Haushaltsaufstellung - eingreife.
Eine Haushaltskonsolidierung ist zwar wünschenswert, ökonomisch jedoch nicht so zwingend notwenig, wie oft suggeriert wird. Der enorme Druck ist selbst gemacht und Ergebnis einer politischen Entscheidung. Eine sinnvolle Haushaltkonsolidierung und eine bessere ökonomische Entwicklung in Deutschland werden nur mit einer anderen Steuerpolitik möglich sein. Statt durch Ausgabenkürzungen muss die Konsolidierung einnahmeseitig erfolgen. Konzepte dazu liegen vor (bspw. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft10). Die Profiteure und Profiteurinnen der Umverteilungspolitik der Regierungen Schröder und Merkel müssen dabei in erheblichem Ausmaß belastet werden. Die deutsche Volkswirtschaft ist keinesfalls arm, ein guter Sozialstaat ist bezahlbar. Die Bedingung hierfür ist aber, dass der enorme private Reichtum (konzentriert in den Händen weniger) zu größeren Teilen in öffentlichen Reichtum überführt wird.
Anmerkungen
1) Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2010: Monatsbericht des BMF. März 2010, Berlin.
2) Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2009: Monatsbericht des BMF. Oktober 2009, Berlin.
3) Corneo, Giacomo, 2009: Verschuldung und Konsolidierung, Berlin, S.5.
4) Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 2005: Memorandum 2005. Sozialstaat statt Konzern-Gesellschaft, Köln, S.155 und Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 2008: Memorandum 2008. Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht. Alternativen zur Bedienung der Oberschicht, Köln, S.174ff.
5) Truger, Achim / Teichmann, Dieter, 2010: IMK-Steuerschätzung 2010-2014. Kein Spielraum für Steuersenkungen, Düsseldorf.
6) Münch, Ursula / Meerwaldt, Kerstin, 2002: "Politikverflechtung im kooperativen Föderalismus", in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung (Heft 275), Bonn.
7) Himpele, Klemens, 2010: Die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse in den Ländern. Studie im Auftrag der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKEN, Wien, S.22.
8) Vgl. Horn, Gustav / Truger, Achim / Proaño, Christian, 2009: Stellungnahme zum Entwurf eines Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform BT Drucksache 16/12400 und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes BT Drucksache 16/12410, Düsseldorf sowie Horn, Gustav et al., 2008: Zu den Wirkungen der BMF-Schuldenbremse, Düsseldorf.
9) Vgl. Himpele, Umsetzbarkeit, a.a.O. und Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2010: Ermittlung der Konjunkturkomponenten für die Länderhaushalte zur Umsetzung der in der Föderalismuskommission II vereinbarten Verschuldungsbegrenzung. Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Essen.
10) Das GEW-Steuerkonzept ist abzurufen unter http://www.gew.de/Steuerkonzept_der _GEW_solidarisch_und_effektiv.html
Klemens Himpele, Diplom-Volkswirt, ist Referent im Vorstandsbereich Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Mitglied im Beirat des BdWi.
Die Debatte um die Staatsverschuldung steht seit Jahren im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Fast alle Kürzungsmaßnahmen bei Sozialleistungen und Rente sowie zahlreiche höhere Kostenbelastungen für Bürgerinnen und Bürger wurden mit fehlenden Mitteln der öffentlichen Hand und der steigenden Staatsverschuldung begründet. Der investitionsbezogene Staatsverschuldungsbegriff, nach dem Schulden für öffentliche Investitionen zulässig waren, gilt dabei schon lange nicht mehr. Er wurde durch das so genannte ,Maastricht-Kriterium' - die Nettoneuverschuldung dürfe drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen - ersetzt. Diese ,europäische Schuldenbremse' ist nicht ökonomisch begründet, sondern politisch gesetzt. Doch selbst diese Begrenzung reichte CDU/CSU und SPD offenbar nicht aus, und sie verankerten im Sommer 2009 mit der Föderalismusreform II eine deutsche ,Schuldenbremse' im Grundgesetz. Damit ist die politische Handlungsfähigkeit insbesondere der Bundesländer stark eingeschränkt und bei einer Weiterführung der derzeitigen Politik ein weiterer Bildungs- und Sozialabbau vorprogrammiert. Ab 2011 werden die ersten Bundesländer die Auswirkungen der Schuldenbremse zu spüren bekommen.
Staatsverschuldung in Deutschland
Im Jahr 2008 betrug die Verschuldung des Gesamtstaates 1.580 Mrd. Euro oder 63,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der größte Teil der Schulden entfiel dabei mit rund 986 Mrd. Euro auf den Bund.1 Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen, 1991 betrug sie noch 39,1 Prozent des BIP. Im Vergleich der Industriestaaten liegt Deutschland nach Prognosen für das Jahr 2010 dennoch unter dem Durchschnittswert der EU und weit hinter Ländern wie Japan, den USA oder Frankreich.2 Dennoch ist die Staatsverschuldung auch in Deutschland ein Problem, da die Zinszahlungen die öffentliche Hand belasten und den Handlungsspielraum des Staates stark einschränken. Staatsverschuldung ist jedoch nicht - wie häufig argumentiert - ein Problem der Generationengerechtigkeit. Dem Schuldner Staat stehen GläubigerInnen entgegen, also Personen, die dem Staat Geld leihen. Eine Generation vererbt der nächsten nicht nur die Schulden, sondern auch die Forderungen, so dass ein Blick über die Generationen hinweg keinerlei Ungerechtigkeit zeigt. Das Problem besteht nicht zwischen Alt und Jung, sondern - auf Grund der Rolle der Staatseinnahmen und der Zinszahlungen - zwischen Arm und Reich.
Staatsverschuldung ist darüber hinaus nicht grundsätzlich oder an sich ein Problem. Allgemein kann mit Corneo gesagt werden, dass "[d]ie first-best-Regel der Finanzpolitik verlangt, daß diese so ausgewählt wird, daß die soziale Wohlfahrt des Landes bei Einhaltung der Budgetbeschränkungen [...] maximiert wird."3 Dies bedeutet, dass Staatsverschuldung dann sinnvoll ist, wenn der durch diese Verschuldung erzielte Nutzen größer ist als die Kosten (etwa in Form von Zinszahlungen). Was einfach klingt, ist so einfach nicht zu operationalisieren, da die Frage des Nutzens (sozialer Zusammenhalt, Wirtschaftswachstum, Verteilungsgerechtigkeit ...) auch politischen Prioritätensetzungen und Einschätzungen unterliegt. Die weit verbreitete Ansicht, dass Staatsschulden per se etwas Negatives seien, lässt sich mit einer Optimierung der Wohlfahrt allerdings nicht begründen. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche gute Argumente, die für die Aufnahme neuer Schulden sprechen können. Neben dem Ausgleich kurzfristiger Schwankungen bei den Steuereinnahmen nennt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik etwa folgende Gründe für eine Staatsverschuldung:4
- Ohne Schulden gibt es in einer Volkswirtschaft keine Ersparnis, da jeder Geldforderung eine Verbindlichkeit in gleicher Höhe entgegenstehen muss. Wenn die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte steigt und die Ersparnisse nicht durch nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften (also Unternehmen, die nicht in erster Linie finanzielle Dienstleistungen anbieten) als Kredit aufgenommen werden (um zu investieren), sondern diese im Gegenteil selbst Überschüsse bilden und überdies die Verschuldung des Auslands begrenzt ist, finden die Ersparnisse zum Teil keine reale Verwendung. In diesem Fall muss der Staat "die ,Lückenbüßer'-Funktion übernehmen. Tut er das nicht, wird mangels binnenwirtschaftlicher Nachfrage die Produktion zurückgehen", bis die hierdurch rückläufigen Ersparnisse der Summe aus Investitions-, Staatsnachfrage und Exportüberschuss entsprechen.
- Auch gegen konjunkturelle Abschwünge ist Staatsverschuldung ein rationales Instrument, da die "Rationalitätsfalle zwischen dem Resultat einzelwirtschaftlicher Entscheidungen im Wettbewerb und dem an sich machbaren höheren Wirtschaftswachstum samt Beschäftigung" nur der Staat überwinden kann.
- Investitionen, die künftig zu nachhaltigen Vorteilen führen, können ebenfalls schuldenfinanziert werden.
- Künftige Generationen erben nicht nur die Schulden, sondern auch den Nutzen der Staatsausgaben etwa in Form von öffentlicher und sozialer Infrastruktur. Daher können Investitionen ebenfalls nach dem Prinzip des pay-as-you-use über Staatsschulden finanziert werden.
Staatsverschuldung ist demnach ein zentraler Bestandteil unseres Wirtschaftens. Diese zu verteufeln ist mit ökonomischem Sachverstand nicht zu vereinbaren. Gleichzeitig gilt: Staatsverschuldung zieht Kosten nach sich und sie ist daher gut zu begründen. Es bedarf jeweils einer Einschätzung des ökonomischen Umfelds, wenn über die Frage neuer Staatsverschuldung entschieden wird.
Staatseinnahmen
Eine Nettoneuverschuldung des Staates ist dann notwendig, wenn die Staatsausgaben die Einnahmen übertreffen. Ein Abbau der Nettoneuverschuldung ist abstrakt demnach möglich, indem entweder die Ausgaben gekürzt oder die Einnahmen erhöht werden. Eine Neuverschuldung muss keinesfalls auf überzogene Staatsausgaben hinweisen, wenngleich genau dies in den vergangenen Jahren wiederholt behauptet wurde. Die staatsfeindliche Losung des ,Starve the beast' (etwa: hungert die Bestie aus) feiert fröhliche Urstände - die Staatsverschuldung sollte ausschließlich durch Ausgabenkürzungen reduziert werden, da alle ,über ihren Verhältnissen gelebt' hätten. Eine einnahmeseitige Konsolidierung, die ebenfalls möglich wäre, wenn politisch gewollt, findet nicht statt. Im Gegenteil: Seit den Regierungen Schröder sind die Steuern in erheblichem Ausmaße gesenkt worden: Die Körperschaftsteuer ist durch mehrere Reformen dramatisch verringert worden, der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer wurde mehrfach reduziert, ebenso der Eingangssteuersatz, zuletzt hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Umsatzsteuer für Gastronomiebetriebe gesenkt (,Mövenpick-Steuer'). Dem entgegen steht die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte durch die Große Koalition. Würde heute das Steuerrecht des Jahres 1998 gelten, so könnte der Staat alleine 2010 über Mehreinnahmen von 51,5 Mrd. Euro verfügen.5 Diese 51,5 Mrd. könnten noch deutlich höher ausfallen, wenn Deutschland eine Vermögensbesteuerung einführen und seine Erbschaftsbesteuerung auf ein international übliches Niveau anheben würde. Stattdessen haben vor allem die rot-grünen Regierungen insbesondere Besserverdienende und Unternehmen entlastet. Die Ursachen der steigenden Staatsverschuldung in Deutschland sind demnach Steuersenkungen, der Verzicht auf eine angemessene Besteuerung von Vermögen und Erbschaften und die Bewältigung der Wirtschaftskrise und eben nicht zu hohe Ausgaben der öffentlichen Hand. Die Kosten dieser Umverteilung nach oben und der Krise sollen nun jedoch der breiten Bevölkerung über Kürzungen der Staatsausgaben aufgebürdet werden - das Instrument hierzu ist die so genannte Schuldenbremse.
Die Schuldenbremse
Bis zum Jahr 1969 orientierte sich das in der Bundesrepublik geltende Staatsverschuldungsrecht an Artikel 87 der Weimarer Reichsverfassung, in dem die Kreditfinanzierung öffentlicher Aufgaben nur im Ausnahmefall zugelassen wurde. Mit der Großen Finanzreform von 1969 wurden Kredite neben Steuern ein reguläres Finanzinstrument für allgemeine Staatsaufgaben und einer Haushaltspolitik, die sich am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht und einer aktiven Konjunkturförderung ausrichtet (Artikel 115 und 109 Grundgesetz). Der Umfang der Kreditaufnahme wurde an die Investitionen gekoppelt, d.h. die Kreditaufnahme durfte in der Regel nicht höher liegen als die Ausgaben für Investitionen (,Goldene Regel'). Mit dieser ,Goldenen Regel' gab es bereits vor der Schuldenbremse eine institutionelle Beschränkung der Kreditaufnahme, da diese die Investitionen nicht übersteigen durfte. Eine erste Ergänzung erfuhr dieses Schuldenrecht durch den Maastricht-Vertrag und die dort festgelegte Beschränkung der Staatsverschuldung in den Euro-Staaten.
Die Große Finanzreform von 1969 mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz gilt bis heute als "das herausragende Beispiel für den kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland"6. Gleichzeitig orientierte der investitionsbezogene Staatsverschuldungsbegriff auf den Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen. "Die Revision der Finanzreform von 1969 durch die Föderalismusreform I (Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben im Bildungs- und Hochschulbereich) und die Föderalismusreform II (Abschaffung der ,Goldenen Regel', Einführung der Schuldenbremse) ist somit ein Bruch mit den finanzverfassungsrechtlichen Prinzipien, die den Ausbau des Wohlfahrtsstaats und erhebliche Investitionen in Infrastrukturen und öffentliche Bildung ermöglicht haben."7
Die nun im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse teilt die Staatsverschuldung in zwei Komponenten auf: Eine (erlaubte) konjunkturelle Neuverschuldung und eine (verbotene) strukturelle Neuverschuldung. Als konjunkturelle Neuverschuldung werden dabei Schulden begriffen, die aufgrund einer von der Normallage abweichenden Konjunktur aufgenommen werden dürfen. Umgekehrt muss bei einer guten konjunkturellen Entwicklung ein Teil der bestehenden Schulden abgebaut werden. Alle über diese konjunkturelle Komponente hinausgehenden strukturellen Schulden sind für die Bundesländer ab 2020 verboten, der Bund darf ab 2016 nur noch 0,35 Prozent des BIP an struktureller Neuverschuldung ausweisen. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, wie die konjunkturelle Komponente der Neuverschuldung zu ermitteln ist und wie stark Konjunkturschwankungen auf das jeweilige Budget wirken.
Das neue Staatsverschuldungsrecht ist ein erheblicher Bruch mit der bisher geltenden Finanzverfassung in Deutschland. Es zieht zudem zahlreiche Probleme nach sich. So wird nicht einmal mehr versucht, die first-best-Lösung nach Corneo zu erreichen. Der Staat verzichtet von vorneherein auf einen entsprechenden Gestaltungsspielraum, und es gibt keinerlei ökonomische, sondern lediglich mechanische Begründungen für die Höhe der jeweiligen Schuldenaufnahme. Bereits früh konnte nachgewiesen werden, dass das neue Schuldenrecht prozyklisch wirkt, Krisen also verschärfen wird und so die Wachstumspotentiale einer Volkswirtschaft untergräbt.8 Die Schuldenbremse wird damit zu einer Wachstumsbremse werden.
Schon 2011 geht es los
Die Schuldenbremse selbst greift ab 2016 für den Bund und ab 2020 für die Bundesländer. Letztere sind dabei in besonderem Maße betroffen, da ihre Einnahmen wesentlich durch Bundesgesetze bestimmt sind und ihre Ausgaben vielfach durch Personalausgaben und Bundesgesetze (bspw. BAföG) festgelegt sind. Sie können alleine ihre Einnahmen nicht wesentlich steigern, da zur Änderung des entsprechenden Steuerrechts eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig wäre. Wie stark die Länder mit dem Rücken zur Wand stehen, zeigt sich an der mehrmonatigen Weigerung, eine minimale BAföG-Erhöhung im Bundesrat mit zu tragen oder generell die Hochschulhaushalte entsprechend dem Wachstum der Studierendenzahlen zu erhöhen - Studierende sind mithin Opfer der Schuldenbremse.
Bis 2020 vergehen noch ein paar Jahre, aber die Schuldenbremse beginnt bereits Anfang 2011 zu wirken. Bei den Beratungen zur Einführung der Schuldenbremse wurde als wesentliche Voraussetzung postuliert, dass diese auf ausbalancierte Haushalte aufsetzen und diese stabilisieren solle. Daher hatte man sich darauf verständigt, die Schuldenbremse nicht unmittelbar einzuführen. Vielmehr wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass der Bund 2011 einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen könne, zahlreiche Länder sogar schon früher. Die haushalts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, mit denen in der Föderalismuskommission und im Deutschen Bundestag über die Machbarkeit der Schuldenbremse diskutiert und entschieden wurde, bestehen allerdings nicht mehr - der Bund plant 2011 mit einer Nettoneuverschuldung von 57,5 Mrd. Euro. Bereits bei den Beratungen zur Schuldenbremse haben fünf Bundesländer angegeben, einen ausgeglichenen Haushalt bis 2011 nicht aus eigener Kraft erreichen zu können: Berlin, Bremen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Diesen Ländern wurden für die Jahre 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Mio. Euro jährlich in Aussicht gestellt. Die Bedingung: Sie müssen ab 2011 jährlich 10 Prozent ihres strukturellen Defizits abbauen, um dann 2020 ebenfalls ohne strukturelle Neuverschuldung auszukommen. Es ist demnach kein Zufall, dass insbesondere die Regierungen des Saarlands und Schleswig-Holsteins bereits erhebliche Sparpläne vorgelegt haben. Aber auch die anderen Länder und der Bund müssen sich auf die Schuldenbremse vorbereiten. Das aktuell angekündigte 80-Mrd.-Sparpaket der Bundesregierung, das im Wesentlichen zu Lasten sozial Schwächerer und kaum zu Lasten der KrisenverursacherInnen gehen wird, hat seine Ursache auch in der Schuldenbremse.
Milliardenkürzungen an falscher Stelle
Zwei Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Länder erhebliche Einsparungen vornehmen müssen, wenn sie die Schuldenbremse einhalten wollen und die Steuereinnahmen nicht erhöht werden.9 Dabei werden die notwendigen Kürzungen in den derzeitigen Finanzplanungen der Länder zu einem großen Teil noch nicht einmal abgebildet, das heißt, die bisher angekündigten Einsparungen reichen zum Einhalten der Schuldenbremse nicht aus.
Die Länder können nur die Ausgaben kürzen, die nicht durch Bundesgesetz oder andere Gesetze festgelegt sind. Es ist daher zu befürchten, dass insbesondere bei den Sozialleistungen der Länder und im Bereich öffentlicher Bildung, die überwiegend über Länder und Gemeinden finanziert ist, gekürzt werden wird, zudem werden in den meisten Finanzplanungen Personalabbaupläne benannt. Es muss daher klar sein, dass ein Festhalten an der Schuldenbremse erstens die Konjunktur ausbremsen wird. Zweitens werden erhebliche Kürzungen in den Ländern auf uns zu kommen, die weit schärfer sein werden als die bisher dagewesenen Kürzungshaushalte. Zudem bereiten die Südländer - trotz anderer Zusagen im Rahmen der Verhandlungen zur Föderalismusreform II - einen Angriff auf den Länderfinanzausgleich vor. Um diese fatalen politischen Entwicklungen zu verhindern, muss die Schuldenbremse gekippt werden - wozu es entweder einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf oder eines Erfolgs der Klage des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesverfassungsgericht. Hier argumentiert das Land, dass der Bund über die Schuldenbremse zu stark in das Königsrecht des Parlaments - die Haushaltsaufstellung - eingreife.
Eine Haushaltskonsolidierung ist zwar wünschenswert, ökonomisch jedoch nicht so zwingend notwenig, wie oft suggeriert wird. Der enorme Druck ist selbst gemacht und Ergebnis einer politischen Entscheidung. Eine sinnvolle Haushaltkonsolidierung und eine bessere ökonomische Entwicklung in Deutschland werden nur mit einer anderen Steuerpolitik möglich sein. Statt durch Ausgabenkürzungen muss die Konsolidierung einnahmeseitig erfolgen. Konzepte dazu liegen vor (bspw. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft10). Die Profiteure und Profiteurinnen der Umverteilungspolitik der Regierungen Schröder und Merkel müssen dabei in erheblichem Ausmaß belastet werden. Die deutsche Volkswirtschaft ist keinesfalls arm, ein guter Sozialstaat ist bezahlbar. Die Bedingung hierfür ist aber, dass der enorme private Reichtum (konzentriert in den Händen weniger) zu größeren Teilen in öffentlichen Reichtum überführt wird.
Anmerkungen
1) Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2010: Monatsbericht des BMF. März 2010, Berlin.
2) Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2009: Monatsbericht des BMF. Oktober 2009, Berlin.
3) Corneo, Giacomo, 2009: Verschuldung und Konsolidierung, Berlin, S.5.
4) Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 2005: Memorandum 2005. Sozialstaat statt Konzern-Gesellschaft, Köln, S.155 und Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 2008: Memorandum 2008. Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht. Alternativen zur Bedienung der Oberschicht, Köln, S.174ff.
5) Truger, Achim / Teichmann, Dieter, 2010: IMK-Steuerschätzung 2010-2014. Kein Spielraum für Steuersenkungen, Düsseldorf.
6) Münch, Ursula / Meerwaldt, Kerstin, 2002: "Politikverflechtung im kooperativen Föderalismus", in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung (Heft 275), Bonn.
7) Himpele, Klemens, 2010: Die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse in den Ländern. Studie im Auftrag der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKEN, Wien, S.22.
8) Vgl. Horn, Gustav / Truger, Achim / Proaño, Christian, 2009: Stellungnahme zum Entwurf eines Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform BT Drucksache 16/12400 und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes BT Drucksache 16/12410, Düsseldorf sowie Horn, Gustav et al., 2008: Zu den Wirkungen der BMF-Schuldenbremse, Düsseldorf.
9) Vgl. Himpele, Umsetzbarkeit, a.a.O. und Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2010: Ermittlung der Konjunkturkomponenten für die Länderhaushalte zur Umsetzung der in der Föderalismuskommission II vereinbarten Verschuldungsbegrenzung. Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Essen.
10) Das GEW-Steuerkonzept ist abzurufen unter http://www.gew.de/Steuerkonzept_der _GEW_solidarisch_und_effektiv.html
Klemens Himpele, Diplom-Volkswirt, ist Referent im Vorstandsbereich Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Mitglied im Beirat des BdWi.