Widerspruch

Vor mehr als zwanzig Jahren gab es - wie in anderen Teilen des damaligen Landes DDR auch - einen Friedenskreis der Kirchengemeinde in Alt-Pankow (Berlin). Der verstand sich als DDR-Opposition und wurde sehr schnell von Behörden und Bürgern auch als solcher begriffen. Einmal gab es damals bei dieser Kirche einen Kasten, in dem Friedfertige das Kriegsspielzeug ihrer Kinder entsorgen konnten beziehungsweise andere Menschen dazu angeregt werden sollten. Und zu den Courage erfordernden Aktivitäten von Angehörigen des Friedenkreises gehörten natürlich auch Auftritte in Elternversammlungen jedweder Art. Weder in Kindergärten noch in Schulen, in denen sie ihre Kinder ideologischem Teufelszeug ausgesetzt sahen, hielten sie mit ihren Ansichten hinterm Berg: Ob es sich um grüne Spielzeugsoldaten aus Suralin handelte oder um leibhaftige Soldaten, die in jedem März anläßlich des NVA-Geburtstages zum Kaffeetrinken in Horte, Schulklassen oder Kindergärten herbeibeordert wurden - den kirchlichen Friedensfreunden mangelte es nie auch an Kleinteiligem, das aufopferungsvoll zu kritisieren war. Von Großem, zum Beispiel der schulischen Wehrerziehung, gar nicht zu reden.

Und eines Tages dann gab es das alles nicht mehr. Dachten sie. Oder - weil sie dem Neuen so zugetan waren - taten sie so, als ob sie das dachten. Sie gehörten, wie es wohl im nun abgelegten DDRdeutsch geheißen hätte, zu „Siegern der Geschichte".

Und offenbar sind nun diese Gruppen - in Pankow und anderswo - vermutlich nicht mehr aktiv. Macht das Siegen, das Gesiegthaben zufrieden? Glücklich? Käme so eine Friedensgruppe, ob nun kirchlich oder säkular, auch heutzutage auf die Idee, wieder einen Kasten bei der Kirche zu deponieren, in dem friedenssüchtige Bürger jedweder Provenience die von den Kindern und Jugendlichen so ungebrochen geliebten Panzer, Düsenjäger, Flinten, Pistolen und dergleichen als Schrott, als Abfall, als Müll hinterlassen könnten?  Zugegeben: Mit einem Holzkästchen, das ja auch früher mehr ein Symbol gewesen sein mag als praktische Lösung, machte man sich heute lächerlich. Was „damals" vielleicht angebracht erschienen sein mag, wäre heute absolut untauglich: Angesichts des riesigen Angebots an Kriegsspielzeug in den Fachgeschäften und Fachmärkten müßten Container aufgestellt werden, und zwar mehrere.

Wobei natürlich fraglich geblieben ist, ob das Sinn macht. Die Frage galt schon damals und gilt auch heute unverdünnt: Sind derartige Aktionen denn wirklich mehr als Propaganda, meinetwegen gutgemeinte Propaganda? Denn schließlich sind ja Eltern nie gezwungen (und nie gezwungen gewesen, nicht mal in der DDR, obwohl das gerne unterstellt würde ... ), ihren Gören solcherart Spielzeug zu kaufen.

Vielleicht aber treffen wir heute kaum auf jene kirchlichen Friedensbewegten von einst, weil sie mit dem jetzigen Staat und auch mit seinen Soldaten (und mit seinem Spielzeug?) im Reinen sind und ihm - zwar etwas zögerlich und vielleicht noch nicht ganz verinnerlicht - auch einen „gerechten Krieg" (Afghanistan) zugestehen. Auch darum las und hörte man bislang kaum etwas von basiskirchlichen Protesten gegen Werbeoffiziere der Bundeswehr an Schulen. Und auch von den sehr ehemals so beliebten Aktionen, damals gegen DDR-Kriegsspielzeug, wird nichts mehr vernommen. Aber das liegt vielleicht nun wirklich an dem kaum noch zu überschauenden Kriegsspielzeugüberangebot, zu dem die DDR zwar möglicherweise willens gewesen, aber nicht fähig gewesen war.

Sicher, es fällt nicht schwer, ungerecht zu urteilen, aber es sollte wohl auch nicht ohne Betracht bleiben, daß die früheren Kämpfer gegen die strammen Suralin-Soldatenfiguren in DDR-Kindergärten heute Opas sind und - vor allem! - großenteils auch diesen für sie neuen Staat tragende Bürger, staatstragende, gelegentlich Bundestagsabgeordnete. Interessanterweise führt auch der Umstand, daß zwei Drittel der Bevölkerung beispielsweise den Afghanistankrieg ablehnen, nicht zu einer merklichen (Wieder-)Belebung oder auffällige Neugründung von Friedenskreisen. Immerhin ist Krieg so nah und gegenwärtig, wie er zu keiner Zeit jemals in der DDR gewesen war. Auch gegen die Propagandalüge, besonders gern vom Bundesministerium für Verteidigung, vom Bundeswehrverband sowie den - geistig - eingebetteten Journalisten benutzt, daß es sich bei denen, die am Hindukusch ihr Leben einsetzen, um „unsere Jungs" handelt, regt sich kein Widerspruch. Von wegen „unsere Jungs"! Es sind Freiwillige, hochbesoldet! Es muß keiner dort dienen - obwohl es für viele viele Gründe gibt, es zu tun (s.o.).

Aber vielleicht tut sich nun doch bald etwas, diesen ganzen Klumpatsch aus Lügen, Wahrheiten, Verdrehungen, Richtigstellungen, der noch immer zu Kriegen gehört hat, zu thematisieren. Die „Kirchenunteren" bei den Protestanten haben immerhin etwas erfahren dürfen, was ihnen bisher und vor allem in den letzten zwanzig Jahren eher selten passiert war: Ihre Bischöfin Margot Kässmann riskierte nun laut und vernehmlich Kriegswiderspruch. Immerhin.