Zur Deutung des ostdeutschen Wandels seit 1989 im mittelosteuropäischen Kontext
Auch zwanzig Jahre nach dem Herbst 1989 bleibt trotz der Füllung ganzer Bibliotheken zum „Untergang des Kommunismus", den „Transitionen" und „Modernisierungen des Ostens" strittig, worum es sich im annus mirabilis und bei den mittelosteuropäischen Umwälzungsprozessen seit 1989 gehandelt hat. Dabei ragt - gleichsam in Fortsetzung der alten „Sonderweg"-Debatte - der ostdeutsche Fall heraus. Gerade für diesen wurde nicht nur der revolutionäre Charakter des Umbruchs 1989 in Frage gestellt, sondern ebenso heftig diskutiert, ob denn nach dem Beitritt überhaupt eine Transformation wie in Mittelosteuropa stattgefunden habe oder nicht vielmehr von einem postsozialistischen „Unfall" gesprochen werden muss. Der folgende Beitrag setzt sich mit diesem doppelten Interpretationsproblem auseinander. Er beginnt mit einer ereignisgeschichtlichen Skizze des demokratischen Umbruchs im Jahr 1989, um anschließend die Prozesslogik nach dem Beitritt zusammenzufassen. Eine Bestimmung des Wandlungstypus Gesellschaftstransformation und seiner postsozialistischen Form liefert dann den Rahmen, um den 89er Umbruch hinsichtlich seines revolutionären Charakters und die Qualität der ostdeutschen Transformation nach 1990 in komparativer Perspektive gehaltvoll zu interpretieren.
Umbruch in der DDR - eine ereignisgeschichtliche Skizze1
Die erste wirkliche Manifestation der erschütterten Machtfundamente erfolgte in und durch die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989. Oppositionsgruppen kontrollierten erstmals fast repräsentativ die Stimmenauszählung und deckten den massiven Wahlbetrug auf, der durch informelle Kanäle und westdeutsche Massenmedien öffentlich wurde. Den offiziellen 98,85% Ja-Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front standen etwa 10% Gegenstimmen gegenüber, die unabhängige Wahlbeobachter ermittelt hatten (Kowalczuk 2009: 330). Im Unterschied zu den Wahlen zuvor setzten breite informelle Diskussionsprozesse zum Betrug und der Notwendigkeit einer demokratischen Erneuerung ein. Diese schlossen den Herrschaftsapparat und wichtige Teile der sozialistischen Intelligenz ein. Das zeigte, wie tief die Legitimationsbasis der Herrschaft bereits zerrüttet war. Es musste und würde sich etwas ändern; die Frage war allerdings: wie.
Die entscheidende Beschleunigung der heraufziehenden Systemkrise erfolgte durch die schrittweise Öffnung des Eisernen Vorhangs an der ungarisch-österreichischen Grenze zwischen dem 2. Mai und dem 11. September 1989. Deren Folge war eine rasch anschwellende Flüchtlingswelle, die sich in die südöstlichen Nachbarstaaten der DDR ergoss und nach den Eindämmungsversuchen der DDR-Regierung durch neue Visa-Bestimmungen und faktische Grenzschließungen zur Massenflucht von DDR-Bürgen in die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in den Hauptstädten Mittelosteuropas führte. Die DDR-Führung erwies sich als unfähig, dieser illegalen Ausreisewelle im Sommer und Frühherbst des Jahres 1989 wirksam zu begegnen. Das Regime erschien über Wochen gelähmt und wusste jenseits repressiver und propagandistischer Maßnahmen keine Antwort. Die kam stattdessen aus der sich formierenden Bürgerbewegung mit ihren Wurzeln in Friedens-, Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, die in vielen Fällen von protestantischen Gemeinden unterstützt wurden und ab Juli/August 1989 mit neuen Organisationsgründungen, zirkulierenden Aufrufen und Zulassungsbegehren als politische Parteien (wie das Neue Forum oder die Sozialdemokratische Partei) in die Offensive ging. Ihre vermutlich wichtigste öffentliche Initiative formierte sich im Anschluss an die Tradition der von der Nikolai-Gemeinde organisierten Friedensgebete in den Leipziger Montagsdemonstrationen seit dem 4. September 1989, die Woche für Woche mehr Zulauf erfuhren. Am 2. Oktober nahmen ca. 20.000 Menschen teil, die Reisefreiheit und andere demokratische Rechte einforderten.
Den eigentlichen Umschlagpunkt bildeten die Feiern zum 40. Jahrestag der DDR, die einerseits - trotz der berühmten Sentenz Michael Gorbatschows: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" - keine Reformaussichten der Politbürokratie der DDR erkennen ließen und andererseits Anlass waren, Gegendemonstrationen der Bürgerbewegungen unter dem Motto „Wir sind das Volk!" am 7., 8. und 9. Oktober 1989 in Leipzig, Dresden, Berlin und anderen Städten mit teilweise brutalem Polizeieinsatz aufzulösen. Dieses Vorgehen, seine Ablehnung durch die Bevölkerungsmehrheit sowie die nicht abebbende Ausreisewelle stürzten die alte Führungsriege in die finale Krise. Am 18. Oktober musste Erich Honecker als Parteichef und Staatsratsvorsitzender zurücktreten, Ministerrat und Politbüro folgten in den kommenden drei Wochen.
In den Monaten November und Dezember 1989 initiierte die neue Führung unter dem Generalsekretär und neuen Staatsoberhaupt Egon Krenz sowie mit Hans Modrow als neuem reformorientierten SED-Ministerpräsidenten unter dem Schlagwort einer Wende die Erneuerung des Sozialismus in der DDR. Im Zuge der Bemühungen um eine Liberalisierung der Reisegesetze kam es jedoch am Abend des 9. November 1989 zum unerwarteten Fall der Berliner Mauer. Kurze Zeit später, zuerst am 13.11., tauchten auf der Montagsdemonstration in Leipzig Spruchbänder mit der Losung „Deutschland einig Vaterland" auf; eine Losung, die seit Dezember massenhaft Verbreitung fand.
Die neue Führung reagiert auf diese Situation mit zwei einschneidenden Schritten: Hans Modrow schlug der Bundesrepublik am 17.11. in seiner Regierungserklärung eine Vertragsgemeinschaft vor und am 22.11. stimmte das Politbüro des ZK der SED Gesprächen mit der Opposition zu; am 7.12.1989 fand die erste Beratung des Zentralen Runden Tisches in Berlin statt.
Trotz des faktischen Vereinigungsangebotes, des Zugehens auf die Opposition und der Einleitung substanzieller Reformen wie der Streichung der führenden Rolle der SED in der Verfassung (3.12.) oder der uneingeschränkten Zulassung privaten Produktionsvermögens (12.1.1990) nahm die Unzufriedenheit im Zeitverlauf zu. Das Bekanntwerden von Privilegien und Korruption unter der alten Nomenklatura sowie von Aktenvernichtungen in den Bezirkszentralen des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) sorgten für neuen Zündstoff. Es kam zu Besetzungen von Stasi-Zentralen (ab 5.12.) und weiteren Rücktritten oder Ablösungen von Mitgliedern der Herrschaftselite. Egon Krenz verlor Anfang Dezember all seine Posten (3.12./7.12). Auch die Bemühungen um eine Reform der SED, die sich auf einem Sonderparteitag im Dezember den Zusatznamen Partei des demokratischen Sozialismus (SED-PDS) gab und mit Gregor Gysi einen neuen unverbrauchten Parteivorsitzenden wählte (9.12.), änderten nichts am rasanten Herrschafts- und Staatszerfall. Zahlreiche Massendemonstrationen im Dezember 1989 und Januar 1990 richteten sich gegen die Verschleppung von Reformen und des Vereinigungsprozesses.
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl nutzte die Gunst der Stunde. Kohl legte schon Ende November seinen „10-Punkte-Plan" vor, der zunächst eine deutsch-deutsche Konföderation und mittelfristig eine Föderation vorsah. Mitte Dezember 1989 bei einem Besuch in Dresden forcierte er seine Vorstellungen einer deutsch-deutschen Vertragsgemeinschaft und begann parallel Sondierungen der außenpolitischen Lage.
Die eskalierenden Verhältnisse erzwangen im Januar 1990 Verhandlungen der SED-PDS-Regierung mit der Opposition. Es wurde ein „Vier-Punkte-Programm" sowie die Bildung einer DDR-Regierung der „nationalen Verantwortung" mit acht Oppositionspolitikern als Minister ohne Geschäftsbereich vereinbart und der Termin für die ersten freien Volkskammerwahlen auf den 18.3.1990 vorverlegt.
Hans Modrow reiste Ende Januar 1990 nach Moskau, um mit der sowjetischen Führung die Möglichkeit einer Wiedervereinigung zu diskutieren. Bei seiner Rückkehr unterbreitete er der westdeutschen Regierung einen Vereinigungsplan („Deutschland einig Vaterland"), an dessen Ende eine neutrales Deutschland ohne NATO-Mitgliedschaft stehen sollte. Dieser Plan wurde von der Regierung Kohl kategorisch abgelehnt. Gleichzeitig wurde jedoch vorgeschlagen, die im Modrow-Plan angedachte Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (WWSU) zu verwirklichen, wobei die Verhandlungen dafür erst mit der neuen Regierung ernsthaft geführt werden sollten.
Der beginnende Wahlkampf in der DDR bewegte sich zwischen den Polen: reformierter Sozialismus in einer mindestens mittelfristig eigenständigen DDR vs. schnellstmögliche Vereinigung mit der Bundesrepublik unter Übernahme ihres Modells eines demokratischen Wohlfahrtskapitalismus („soziale Marktwirtschaft"). Die Wahlen wurden stark von den westdeutschen Parteien geprägt, die ihre ostdeutschen Schwesterparteien vielfältig unterstützten und damit die Bürgerbewegungen (namentlich Bündnis 90) an den Rand drängten. Die Wahl am 18.3.1990 endete mit einem Sieg der konservativen Allianz für Deutschland unter Führung der Ost-CDU mit ihrem Vorsitzenden Lothar de Maizière (48% der Stimmen), der bereits am 12. April die erste Regierung einer Großen Koalition (Allianz für Deutschland, SPD, Liberale) ohne kommunistische Beteiligung bildete.
Die neue Regierung begann sofort mit den Verhandlungen über die vollständige Vereinigung. Diese Verhandlungen standen nicht nur unter dem Eindruck weiterer Ausreisen, sondern auch von ersten Streiks gegen drohende Westkonkurrenz und Arbeitslosigkeit mit dem Inkrafttreten der WWSU am 1. Juli 1990 sowie gegen das Wirken der mit der Privatisierung der volkseigenen Betriebe (VEB) seit März 1990 beauftragten Treuhandanstalt (THA).
Die seit Juli energisch vorangetrieben deutsch-deutschen Einigungs- und außenpolitischen Zwei-plus-vier-Verhandlungen führten unerwartet rasch zu Erfolgen. Über die Geschwindigkeit und den Modus der Vereinigung sowie die konkreten Vertragsinhalte zerbrach aber am 19. August 1990 die Große Koalition durch Rückzug der SPD endgültig, nachdem bereits vorher Minister anderer Parteien das Kabinett verlassen hatten.
Nach hitzigen Debatten beschloss die Volkskammer am 23. August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes zum 3.10.1990.
Der Beitritt und seine Folgen: Zur Transformationslogik in den neuen Bundesländern
Mit dem Vollzug des Beitritts zur Bundesrepublik war nicht nur das staatssozialistische Herrschaftsregime der DDR sinnfällig an sein Ende gekommen. Mit diesem staatsrechtlichen Akt wurden auch die autochthonen Reform- und Umgestaltungsprozesse in der DDR in Teilen suspendiert. Parallel hatten die fünf neuen Bundesländer und Ostberlin - bis auf eine Reihe von Übergangsbestimmungen - die komplette demokratisch-wohlfahrtskapitalistische Akteur- und Institutionenordnung der Bundesrepublik gleichsam handstreichartig übernommen und sich der Bundesrepublik angeschlossen (vgl. Artikel 1, 3, 8 und 9 des Einigungsvertrages).
Die mit und nach dem Beitritt realisierte Transformations- und Vereinigungslogik wurde maßgeblich durch die von den herrschenden staatspolitischen Eliten verfolgte Strategie einer exogenen Top-down-Transformation nach dem Vorbild der alten Bundesrepublik im Sinne einer Blaupause bestimmt. Sie verkörperte eine exogene Strategie, weil sie weder von Ostdeutschen konzipiert noch von diesen geleitet wurde.2 Sie folgte mustergültig einer Logik der Planung und Durchsetzung von oben, d.h. von den bundesstaatlichen, später auch länderstaatlichen Exekutiv- und Legislativmächten hinab zu den ostdeutschen Kommunen und Lebenswelten, und sie beinhaltete in den ersten fünf Jahren ein weitgehend ungetrübtes Modell des vollständigen Akteur- und Institutionentransfers von West nach Ost und der - im doppelten Wortsinn - erwartbaren soziokulturellen Anpassung der Ostdeutschen an diesen. Dabei können drei miteinander zusammenhängende Transferprozesse unterschieden werden.
(1) Institutionen- und Akteurtransfer: Neben dem mit dem „Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland" per 3. Oktober 1990 vollzogenen Transfer aller westdeutschen Basisinstitutionen der zur Situation eines - wie es Richard Rose nannte - „ready made state" führte, wurden auch die wesentlichen Korporativakteure des Rechts- und Sozialstaates (von der Polizei und Verwaltung bis zu den Sozialversicherungen) sowie der politischen und Zivilgesellschaft (Parteien, Verbände, Vereine) transferiert. „Transferiert" wurden aber infolge der Treuhandprivatisierung auch die westdeutschen Großunternehmen und Banken, die sich etwa 75% des volkeigenen Produktivvermögens aneigneten.
(2) Finanz- und Gütertransfer: Nicht nur in solidarischer Absicht im Sinne des Imperativs „gleichwertiger Lebensverhältnisse" (Art. 72, Abs. 2 des GG), sondern auch als zwingende Konsequenz des Institutionen- und Akteurtransfers im Bereich des Wohlfahrtsstaates wurden massive finanzielle Überweisungen an die neuen Bundesländer erforderlich. Zwischen 1991 und 2005, d.h. in den ersten fünfzehn Jahren, dürften zwischen 750 Mrd. und etwas mehr als 1 Billion Euro als Nettotransferleistungen in die neuen Bundesländer geflossen sein (Busch 2002; Schroeder 2006), die von einem kaum geringeren Gütertransfer begleitet wurden. In den ersten fünf Jahren sind etwa 30-40% aller im Osten konsumierten Güter im Westen (mit-)produziert worden, was eine beispiellose Vereinigungskonjunktur in den alten Ländern auslöste.
(3) Personal-, Eliten- und Wissenstransfer: Wenn in praktisch allen gesellschaftlichen Sphären eine Abwicklung der alten DDR-Institutionen und eine parallele Übertragung der westdeutschen stattfindet, entsteht zwingend ein massenhafter Bedarf an der Neubesetzung von Positionen der staatlichen und staatsnahen Funktionseliten. Für diese Neubesetzungen kamen Ostdeutsche wegen mangelnder formaler Qualifikation, informeller Kompetenzen und moralischer Integrität nur sehr begrenzt, in einigen Bereichen zunächst gar nicht in Frage.3 Im Ergebnis wurde nicht nur temporär Fachwissen von West nach Ost transferiert, sondern der notwendige Austausch der DDR-Eliten im Kern als Elitentransfer vorgenommen, sieht man von den ostdeutschen Delegationseliten, d.h. vor allem den Parlamentarien aller Ebenen ab. Bei den Ernennungseliten, d.h. von Fach- oder politischen Entscheidungsgremien auf Positionen berufenen Führungskräften, schwankte der Anteil der Ostdeutschen in den ersten fünf Jahren zwischen 0% (Bundes- und Länderspitzenbeamte, oberste Militär-, Polizei- und Justizebene selbst in den neuen Ländern) und ca. 5% (Geistes- und Sozialwissenschaften, überregionale Massenmedien oder Parteien und Verbände) (Derlien 2001; Kollmorgen 2005: Kap. 3-5.).
So sehr diese Transfer-Strategie erfolgreich und folgenreich war; die Umwälzungsprozesse folgten nicht allein dieser Transformations- und Vereinigungslogik. Das verdankt sich zunächst dem Charakter der Bundesrepublik als demokratisch-föderativer und „halbsouveräner Staat" (Peter Katzenstein). Das Politik-, Wirtschafts- und Sozialmodell der Bundesrepublik basiert wesentlich auf der Kooperation staatlicher, halbstaatlicher (etwa Sozialversicherungen) sowie ausdrücklich zivilgesellschaftlicher bzw. Dritter-Sektor-Akteure (Verbände, Vereine). Trotz der Dominanz westdeutscher Akteure, öffnete diese Struktur alten und neuen ostdeutschen Akteuren die Möglichkeit der Aktivität, eigensinnigen Wahrnehmung und Ausgestaltung der grundsätzlich transferierten Institutionenordnung, wie etwa das Beispiel der Volkssolidarität und viele andere lokale NGOs im Bereich der freien Wohlfahrtspflege zeigen. Analoges gilt für den Wirtschaftsbereich, in dem zwar keine industriellen Großunternehmen ostdeutscher Eigentümer existierten, wohl aber die große Mehrheit der Klein- und mittelständischen Betriebe ostdeutsche (Mit-)Eigentümer aufweist (vgl. Pohl 2000), wobei die rechtlich reformierten landwirtschaftlichen Genossenschaften (ehemalige LPG) herausragen. In diesen Unternehmen wurden und werden Marktstrategien angewandt und herrschen betriebliche Sozialbeziehungen, die sich von typischen westdeutschen unterscheiden und jedenfalls eine lange Zeit, zum Teil heute noch auf Traditionen und Mentalitäten der DDR-Zeit zurückgreifen. Selbst im politischen Kernbereich zeigt die postkommunistische PDS und ab 2005 ost-westdeutsche Partei „Die Linke", dass der Akteurtransfer nicht durchgehend glückte. Kurzum, die Strategie der top-down realisierten Blaupause konnte nicht vollständig durchgesetzt werden, sondern musste wegen der Verfasstheit des Modells selbst partiell scheitern.
Dieses partielle Scheitern eines vollständigen Transfers lässt sich freilich umgekehrt insofern als „erfolgreiches Scheitern" (Wolfgang Seibel) begreifen, da es nicht nur die Funktionalität und Systemintegration der neuen Ordnung in Ostdeutschland nicht behinderte, sondern die Sozialintegration sogar beförderte, d.h. die normative und sozialmoralische Einbindung der Ostdeutschen in die neue Ordnung und deren politische Partizipation. Das lag einerseits an der damit möglichen Fokussierung harscher Kritik am Gang der Vereinigung auf nicht-staatliche Akteure (vor allem die THA). Andererseits war den Ostdeutschen mit dem Scheitern eine schrittweise Identifikation mit der neuen Ordnung möglich, weil durch die Chancen eigensinnigen und partiell eigenständigen Handelns diese nicht nur als Staatsordnung anerkannt, sondern schrittweise auch sozio-praktisch gelebt und damit legitimiert wurde. Überhaupt gilt, dass der Aneignungsprozess von formellen Institutionen immer - und insbesondere in demokratischen Gesellschaften - eine reine Enkulturations- oder Assimilationslogik überschreitet. Dabei werden übertragene Institutionen in der längerfristigen aktiven Aneignung informell und ggf. selbst formell verändert, d.h. ihrerseits den handelnden Individuen und deren konkreten sozialen Umwelten angepasst. Das kann, auch unter Rückgriff auf Traditionsbestände, innovative Rekombinationen einschließen. Die längerfristigen ostdeutschen Transformationsprozesse zeigen höchst anschaulich, dass und wie vielfältig dies geschah und weiter geschieht. Nur exemplarisch ist auf die (Wieder-)Einführung des 12-Klassen-Abiturs, die (Wieder-)Einführung von „Polikliniken" als ambulante Behandlungszentren im Gesundheitswesen oder das System der Kinderbetreuung zwischen Kinderkrippe und Ganztagsschule zu verweisen. Interessanterweise strahlten diese Rekombinationen allesamt auf die alten Länder aus. Insofern spielte die ostdeutsche „Teilgesellschaft" in wichtigen institutionellen Reformen der späten 1990er Jahre und Anfang des neuen Jahrhunderts in einigen Bereichen sogar eine Vorreiterrolle (exemplarisch für diese Debatte: Engler 2002; Kollmorgen 2005; Bahrmann/Links 2005; Berliner Debatte 2006; Links/Volke 2009).
Zusammenfassend lässt sich von einer ostdeutschen Gegenlogik sprechen, die die dominierende exogene Top-down-Strategie fortschreitend endogen und von unten gebrochen, ergänzt und reformiert hat. Ihre Bedeutung ist seit Mitte der 1990er Jahre - nicht zuletzt im Kontext der Konsolidierung der neuen Länder und ihrer politischen und Zivilgesellschaften - deutlich gewachsen.
Postsozialistische Gesellschaftstransformationen: Ein Erklärungsrahmen
Wenn man nicht bei der Beschreibung von Ereignisketten oder Transferprozessen stehenbleiben, sondern gehaltvoll erklären und bewerten will, bedarf es eines theoretisch-konzeptuellen Analyserahmens. Bekanntlich hat nicht nur die Revolutionsforschung, sondern vor allem die Transformationsforschung seit 1989/90 entsprechende konzeptuelle Angebote in großer Zahl und Varianz unterbreitet, die hier nicht zur Diskussion stehen. Aus einer von mir favorisierten historisch-soziologischen Vergleichsperspektive zeichnet sich der Wandlungstypus Gesellschaftstransformation durch folgende Eigenschaften aus (siehe Kollmorgen 2005: Kap. 1, 2006):
- durch den bewussten und inszenierten Versuch einer radikalen, systemisch gesteuerten gesamtgesellschaftlichen Umwälzung, deren Ziel eine beschleunigte Modernisierung und das Aufschließen zu den jeweils führenden Nationalstaaten in der Weltgesellschaft ist;
- durch die Führungs- und Steuerungskapazitäten elitärer Akteure, die sich im Kampf gegen Verteidiger des alten Systems auf säkulare soziale Bewegungen stützen und bürokratische Steuerungsinstitutionen in Anspruch nehmen;
- durch eine (weitgehend autonome) Modellorientierung im Modernisierungsprozess, wobei die Modelle bzw. (rekombinierten) Modellelemente der neuen Institutionenordnungen von mächtigen und erfolgreichen Staaten „geliehen" oder „importiert" werden;
- durch die Idee des „institutions first", d.h. einer vorauslaufenden Institutionenbildung zu Beginn des Umwälzungsprozesses, die Ausgangspunkt veränderten Massenhandelns sein soll;
- durch eine (bis heute) im Kern nationalstaatliche Organisation, was die Einbindung in weltregionale Umgestaltungs- und Hegemonialprojekte (etwa des „sowjetischen Imperiums" oder der „Europäischen Integration") ausdrücklich einschließt;
- durch eine eigentümliche Prozessstruktur, die neben einer groben Periodengliederung (Initialisierungsphase bzw. Durchbruch der neuen Machtkonstellation, Institutionalisierung der neuen Ordnung in der Transitionsperiode, langfristige Um- und Durchgestaltung der neuen Gesellschaft in der Strukturierungsperiode) kleinere politisch-gesellschaftliche Transformationszyklen beinhaltet, in denen die charakteristischen Dilemmata der Gleichzeitigkeit, mit denen sich Gesellschaftstransformationen konfrontiert sehen4, bearbeitet und bewältigt werden. Insgesamt beanspruchen gelingende Gesellschaftstransformationen mindestens zwei Generationswechsel, also 35-55 Jahre, um in all ihren Aspekten und Dimensionen als abgeschlossen gelten zu können, wobei ein Gelingen des pfadabhängigen Gesamtprojekts keineswegs durch den erfolgreichen Beginn verbürgt wird.
Die postsozialistischen Transformationen Ende des 20. Jahrhunderts in Europa und Asien stellen eine markante Welle von Systemtransformationen dar. Unter Konzentration auf die mittelosteuropäischen Fälle (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien) können als deren wichtigste Merkmale genannt werden:5
(1) Neben der Überwindung der staatsozialistischen Herrschaftsregime ist die Errichtung einer an westlichen Modellen orientierten modernen Gesellschaft das positive Transformationsziel. Deren Basisinstitutionen sind: repräsentative Konkurrenzdemokratie, Rechtsstaat, kapitalistische Marktwirtschaft mit Wohlfahrtsstaat und Massenkonsum sowie eine plurale und individualisierte Kultur.
(2) Die demokratischen Durchbrüche im Verlaufe des Jahres 1989 wurden von oppositionellen Bürgerbewegungen erzwungen, die sich als späte Massenbewegungen aus allen Schichten der Bevölkerung rekrutierten, und/oder in Reaktion auf die sich zuspitzende Systemkrise von Reformkräften des alten Regimes (mit)initiiert.
(3) Die Transitionen wurden im Regelfall durch demokratische Gründungswahlen fortgesetzt, in denen die aus den Bürgerbewegungen hervorgegangenen politischen Parteien - zuweilen in Koalitionen mit national-konservativen, liberalen oder Bauernparteien - die politische Macht eroberten und rasch mit der formell-rechtlichen Institutionalisierung eines demokratischen Wohlfahrtskapitalismus begannen. In diesen mit den angesprochenen Dilemmata der Gleichzeitigkeit beladenen formellen und informellen Transformationsprozessen wurde im Kern auf bestimmte westeuropäische Institutionenordnungen zurückgegriffen. Exemplarisch kann auf die frühe Orientierung Polens am französischen Wahl- und Regierungssystem (bis 1997) oder auf die Leihe teils skandinavischer, teils liberaler Wohlfahrtsstaatsmodelle durch die baltischen Länder (herausragend: Estland) verwiesen werden. Dabei wurden die Modelle in selektiver Weise importiert und im Verlaufe der Zeit zunehmend an die autochthonen Bedingungen und Konstellationen angepasst, mit tradierten institutionellen Versatzstücken und Kulturen rekombiniert und so zu eigentümlichen Ordnungen und Praxen amalgamiert.
(4) Für den strategischen Umgang mit den Dilemmata der Gleichzeitigkeit und insbesondere dem zwischen radikalen wirtschaftlichen und politischen Reformen wurden in den ersten Jahren mit maßgeblicher Unterstützung externer Akteure und unter Inanspruchnahme alternativer (wissenschaftlicher) Ideologien zwei Lösungsansätze entworfen. Es handelt sich zum einen um die so genannte Big-Bang-Strategie oder auch Schocktherapie, die gleichsam schwertartig mit der alten Gesellschaft, deren machtvollen Trägergruppen und Kulturen brechen will, um auf dieser Grundlage einer Tabula-rasa-Situation die neuen Ordnungen ohne Torpedierung durch die negativen Erbschaften des Staatsozialismus (legacies) sich entfalten zu lassen. Als alternative Strategie wurde der Gradualismus entwickelt, bei dem die (vermuteten) Blockaden im Kern durch zeitliche Streckung und sozialpolitische Abfederung entschärft werden sollen, da so nicht nur die ökonomischen Belastungen gedämpft und die Transformationszumutungen für die Individuen gemindert, sondern auch eine schrittweise Aktivierung vorhandener positiver Handlungsressourcen der alten Gesellschaft (assets) sowie Anpassungs- und Lernprozesse auf Seiten der Individuen möglich erscheinen. In der gesellschaftlichen Praxis wurde keine der beiden Strategien rein angewandt, sondern fanden Kombinationen unter jeweils strategischen Dominanzen statt.
(5) Die postsozialistischen Transitionen und Strukturierungen hatten in vielen Fällen territoriale Reorganisationen des Staates und Reformierungen kollektiver Zugehörigkeiten und Identitäten zu bewältigen.
(6) Die mitteleuropäischen und südosteuropäischen Transformationen sind wesentlich unter dem Ziel der „Rückkehr nach Europa" und ab 1993 unter der Verschränkung mit den Beitrittsprozessen zur Europäischen Union realisiert worden.
(7) Die postsozialistischen Transformationen stellen wie alle Gesellschaftstransformationen langzeitige Umwälzungsprozesse dar. Zwar wurden in Mittelosteuropa Mitte der 1990er Jahre der politisch-rechtliche Kern der Transitionsperiode abgeschlossen und bis 2000/2002 die neuen Basisinstitutionen strukturiert und konsolidiert. Aber nicht nur die Beitrittsprozesse (1999-2004/2007) mit ihren Anforderungen an einen weiteren Institutionenumbau, sondern auch wirtschaftliche Krisenprozesse (1997/98, seit 2008) sowie die anhaltenden soziokulturellen Veränderungsdynamiken plausibilisieren nachdrücklich, dass die Transformationen noch nicht in Gänze abgeschlossen wurden.
Der Herbst 89 - (k)eine Revolution?
Auch wenn von den meisten Beteiligten wie der Mehrheit der wissenschaftlichen Beobachter die Ereignisse im Herbst 1989 in der DDR und darüber hinaus in Mittelosteuropa als Revolution begriffen und verteidigt werden (für viele: Dahrendorf 1990; Zwahr 2000; Kowalczuk 2009), gibt es nicht wenige Kritiker eines solchen (Selbst-)Verständnisses. Dabei werden vor allem vier Argumente für eine gänzliche Ablehnung oder doch Einschränkung des revolutionären Charakters vorgetragen.
Erstens seien es keine Revolutionen gewesen, weil sie „friedlich", also nicht gewaltförmig verliefen. Gewalt sei aber ein grundsätzliches Merkmal revolutionären politischen Wandels. Zweitens, sich dabei auf eine These Hannah Arendts beziehend (Arendt 2000: 33-42), fehle das Moment des Neuen. Die Ziele und Resultate seien lediglich „nachholend" oder „rückspulend" (Habermas 1991; vgl. auch die Arbeiten F. Fukuyamas oder F. Furets). Dabei zeige der Fall der DDR durch den Beitritt zur Bundesrepublik diesen Charakter in besonders drastischer Weise (so etwa Bluhm 1998). Drittens - und damit eng verbunden - hätten sich die osteuropäischen „Revolutionen" als theorielose Unternehmen gezeigt. Zu echten Revolutionen gehöre aber eine entfaltete Programmatik der in Angriff genommenen Umwälzung. Viertens schließlich wäre der ostdeutsche Umbruch gleichsam vor der Zeit „abgebrochen" oder nicht „vollendet" worden. Dabei bezieht sich eine Variante auf die „Friedlichkeit" und das Schonen der Vertreter des ancien régime (zuletzt Loest 2009). Eine zweite Variante vertritt umgekehrt den Standpunkt, die Revolution wäre qua Vereinigung „abgebrochen" (z.B. Bollinger 1999) oder gar den ostdeutschen Bürger(bewegunge)n von den westdeutschen Eliten auf dem Wege des Beitritts „gestohlen" worden (Helmut Ridder, vgl. auch Dümcke/Vilmar 1996).
Referiert man auf den skizzierten transformationstheoretischen Analyse- und Vergleichsrahmen, werden diese Argumente gegen eine (allzu emphatische) Einschätzung der mittelosteuropäischen Umbrüche als Revolutionen einer konzeptuell gestützten Reformulierung und zum Teil neuen Interpretation zugänglich. Dabei ist auch auf die disparaten revolutionären Bezugsdimensionen einzugehen, die sich von der Ebene einer politischen Revolutionen bis zur Dimension einer revolutionären Epoche (Karl Marx) erstrecken und zuweilen miteinander vermengt wurden (zur Ebenendifferenzierung: Skocpol 1979; Bluhm 1998; Wende 2000).
Grundsätzlich werden durch den transformationstheoretischen Rahmen alle mittelosteuropäischen Auf- und Umbrüche zwischen Frühjahr und Spätherbst 1989, einschließlich jener in der DDR, als Moment und genauer: als die initiale Periode des demokratischen Durchbruchs innerhalb postsozialistischer Gesellschaftstransformationen erkennbar. Gegenüber den von der Revolutionsforschung herausgearbeiteten allgemeinen Merkmalen politischer Revolutionen (etwa Tilly 1993; Wende 2000; Goldstone 2001) zeichnen sich diese infolge der funktionalen System- und allgemeinen Legitimationskrise der Staatssozialismen, der Parteikontrolle über die polizeilichen und militärischen Machtapparate sowie wegen der von fast allen maßgeblichen Akteuren geteilten Orientierung an westlichen Demokratie- und Wirtschaftsmodellen durch einen übergreifenden „refolutionären" Charakter (Ash 1989), mithin einen (sehr) geringen Grad militärischer Gewaltanwendung aus. In Anlehnung an Typologisierungen der vergleichenden Transitions- und Demokratisierungsforschung (etwa Karl/Schmitter 1991) können drei Subtypen in Mittel- und Osteuropa unterschieden werden: „Pakt" (wenn alte Herrschafts- und oppositionelle Eliten einen multilateralen Pakt für den Übergang schließen), „Reform" (wenn starke Reformfraktionen der alten Elite selbst die Demokratisierung [mit-]initiieren) sowie „Revolution" (wenn die demokratischen Übergänge durch Massenmobilisierung und Massenprotest auf den Straßen, ggf. in Anwendung und Abwehr militärischer Gewalt erzwungen werden). Offensichtlich liefert Polen ein Beispiel für die Kombination von Revolutions- und Pakt-Modell, die meisten südosteuropäischen Staaten wie Slowenien und Bulgarien Exempel für deutlich reformdominierte Übergänge, während die CSSR ein klassisches Beispiel für einen revolutionären Durchbruch repräsentiert.
Die DDR weist infolge des bis zuletzt rigiden, „eingefroren post-totalitären" Herrschaftsregimes (Linz/Stepan), der „geteilten Nation" mit all ihren materiellen und symbolischen Aspekten - von den ökonomischen Sonderbedingungen über die Flucht- und Ausreisemöglichkeiten bis zur Wiedervereinigung als ein Problemlösungs- und Zukunftshorizont - sowie wegen der deutlich protestantischen Färbung der Oppositionsbewegung (Neubert 1998) gegenüber den anderen mittelosteuropäischen Fällen einige Spezifika auf. Der demokratische Durchbruch fand unter der Kombination von stetig anschwellender „Abwanderung" (Flucht in den Westen vor und nach der Öffnung des „Eisernen Vorhangs") und explosionsartig wachsendem „Widerspruch" auf der Straße („Montagsdemonstrationen", Mitgliedschaften in den Bürgerbewegungen) im Kern als Delegitimierungs- und Protestexplosion und parallele Implosion des Herrschaftsregimes, insofern auf revolutionäre Weise statt. Dabei sah sich das alte Regime binnen weniger Monate bereits entscheidend entmachtet und konnte nur noch durch Öffnungen und Doppelherrschaft bis zu den demokratischen Wahlen (18.3.1990) überhaupt überleben. Mit den Runden Tischen und der Kooptierung oppositioneller Minister erhielt der Übergangsprozess zuletzt Züge eines paktierten Übergangs. Von einem im starken Sinne Sonderfall der Entwicklungen in der DDR kann aber, wie nicht zuletzt ein Vergleich mit den Herbstereignissen in der CSSR zeigt, keinesfalls gesprochen werden.
Für das monierte Problem einer Gewaltabwesenheit in den Umbrüchen bedeutet die transformationstheoretische Kontextualisierung zweierlei: Einerseits differiert der revolutionäre Charakter in der postsozialistischen Fallgruppe. Am ehesten trifft er die Durchbrüche in der CSSR, der DDR und - in besonderer Weise - die rumänischen Ereignisse. Zugleich plausibilisiert die übergreifend schwache Präsenz militärischer Gewalt selbst in diesen revolutionären Fällen die bekannten Zusätze „friedlich" oder „samten". Andererseits bedeutete dies aber nicht die Abwesenheit jeglicher Gewalt. „In der DDR hat sich eine friedliche, aber keine gewaltfreie Revolution ereignet." (Zwahr 2000: 372). Diese nur auf den ersten Blick als Oxymoron erscheinende Aussage bezieht sich sowohl auf die Differenz zwischen überwölbendem Charakter und einzelnen Elementen des Umbruchs, mehr aber noch auf die Pluralität von Gewaltphänomenen, die nicht auf exekutierte militärische Formen eingeschränkt werden darf, sondern auch und wesentlich: deren (An-)Drohung sowie mannigfache Formen illegaler „ziviler" Gewalt von Blockaden bis zu Gebäudebesetzungen einschließt (siehe die Skizze unter 1.). Im übrigen gilt generell für das Problem revolutionären sozialen Wandels, dass jedenfalls in den modernen Gesellschaften des Nordwestens (einschließlich Mittelosteuropas) seit der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer kulturellen „Gewaltaversion" (Reemtsma 2009) sowie der Komplexität und Dichte staatlicher Herrschaft militärisch-gewaltförmige Umstürze nach dem Vorbild der Französischen (1789-1800) oder Russischen Revolution (1917-1921) hochgradig unwahrscheinlich sein dürften. Das hat auch die neuere Revolutionsforschung in ihren Definitions- und Bestimmungsversuchen anerkannt, die nicht mehr auf einer militärischen Gewaltförmigkeit politischer Revolutionen beharrt, sondern „Massenmobilisierungen" und „nicht-institutionalisierte Aktionen" der Untergrabung gegebener staatspolitischer „Autoritäten" als hinreichende Mittel ansieht (Goldstone 2001: 142; vgl. Tilly 1993; Wende 2000; Bartels/Stopinska/Kollmorgen 2007).
Auch das Problem des vermeintlich fehlenden sozial innovativen Moments oder eines „absolut Neuen" (Arendt 2000: 33) in den mittelosteuropäischen „Revolutionen" lässt sich unter Nutzung des transformationstheoretischen Rahmens in veränderter, zugleich nur paradoxer Weise aufklären. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich dieses Problem nicht länger auf der Ebene politischer, sondern auf jener „sozialer" (Skocpol 1979) sowie epochaler Revolutionen bewegt. Akzeptiert man den skizzierten Gehalt des Wandlungstyps Gesellschaftstransformation hilft eine moralische Empörung, wie sie etwa gegenüber Habermas` Diktum einer „rückspulenden Revolution" (Habermas 1991) vorgetragen wurde, analytisch nicht weiter: Gesellschaftstransformationen sind gewollt modellorientierte, auf Institutionenleihe setzende „Formationswechsel" mit der Absicht beschleunigter nachholender Modernisierung. In dieser Perspektive lassen sie sich als gleichsam alternative Modernisierungsstrategie jenseits der „großen sozialen Revolutionen" der Geschichte deuten, die in der Tat nichts weltgeschichtlich Neues hervorbringen wollten und unproblematisch auf eine eigenständige Theorie der Revolution verzichten konnten. Allerdings lässt sich diesem Deutungsversuch aus verändertem Blickwinkel mit gute Gründen widersprechen. Zunächst kann nicht bestritten werden, dass die Transformation von staatsozialistischen zu demokratisch-wohlfahrtskapitalistischen Gesellschaften, so „rückspulend" sie inhaltlich auch sein mag, in prozessorientierter Perspektive welthistorisch ein Novum repräsentiert. Das zeigt sich auch hinsichtlich ihrer theoretischen Fundierung, als zum einen die Konzepte und Programmatiken einer „sich selbst beschränkenden Revolution" (Jadwiga Staniszkis), wie sie in Polen bereits Ende der 1970er Jahre erarbeitet wurden, oder einer oppositionellen zivilgesellschaftlichen „Antipolitik" (György Konrad, Václav Havel) als innovative Antworten auf die staatsozialistische Herrschaftskonstellation und die Ziele ihrer Überwindung verstanden werden müssen. Dabei stellten sich diese Programmatiken - auch das eine Novität und Differenz zu allen bisherigen „großen sozialen Revolutionen" - explizit gegen überschießende Sozialutopien, vergleichbar allein mit der von Hannah Arendt herausgehobenen Amerikanischen Revolution (Arendt 2000: 147ff., 232ff.). Zum anderen lassen sich die oben angesprochenen alternativen Programmatiken und Strategien in der Transitionsperiode als Reaktion auf die dilemmatischen Lagen (Schocktherapie vs. Gradualismus) bis zu einem gewissen Grade neue „Theorien" und soziale Praxen interpretieren. Darüber hinaus und als wesentliches innovatives Moment wird in längerfristiger Perspektive erkennbar, dass sich keine der mittelosteuropäischen Transformationsgesellschaften, nicht einmal der Extremfall der neuen Länder, nur als Blaupause westlicher Akteur- und Institutionenordnungen begreifen lässt. Vielmehr führten selektive Institutionenleihe, Rekombinationen und Adaptionen zu institutionellen Verfasstheiten, Regimetypen und sozialen Praktiken, die das Korsett eines kopierenden Nachholens sprengten. Nur exemplarisch ist auf eigentümliche und also innovative Kapitalismen und Wohlfahrtsregime in Mittelosteuropa jenseits des rheinischen oder angelsächsischen Typs hinzuweisen, die - jedenfalls in bestimmten Dimensionen - das „alte Europa" in den letzten Jahren erheblich unter Wettbewerbsdruck gesetzt haben (Lane/Myant 2007; Kollmorgen 2009). Damit wird schließlich auch deutlich, dass mit dem Beginn der postsozialistischen Transformationen eine neue welthistorische Epoche, nämlich die postkommunistische eingesetzt hat, die die weltgesellschaftliche Moderne mit radikal veränderten sozialen und ideologischen Herausforderungen konfrontiert. Die finanzkapitalistische Krise des Jahres 2008 ist nur ein Ausdruck dieser neuen Konstellation.
Resümierend bleibt vor diesem Hintergrund zu konstatieren, dass postsozialistische Gesellschaftstransformationen als Projekt zwar ausdrücklich auf „Rückkehr", Nachholen und Imitation verpflichtet sind, der Realisierungsprozess aber diese Selbstbeschränkung zunehmend aufhob und innovative Momente generiert hat. Ob man daraus den Schluss zieht, dass Gesellschaftstransformationen doch Ähnlichkeiten mit „sozialen Revolutionen" aufweisen oder man diese Bezeichnung für solche Revolutionen reservieren möchte, die im strengen Sinne ein „absolut Neues" hervorgebracht haben, hängt von der konkreten, auch normativen Position und dem gewählten Forschungsansatz ab - wobei sich auch dann die Paradoxien oder Ambivalenzen nicht abschütteln lassen.
Eine letzte Überlegung gilt den Thesen einer „unvollendeten" oder „abgebrochenen Revolution" im ostdeutschen Fall. Aus allgemeiner revolutionstheoretischer Perspektive ließe sich dieses Argument radikalisierend als Tautologie qualifizieren und insofern abweisen. Es gab noch nie eine „vollendete Revolution" und es wird sie auch zukünftig nicht geben, weil eines der Grundparadoxien jeder modernen, namentlich „großen" Revolution gerade ihre zeitliche, räumliche und sachliche Unabschließbarkeit ist, da ihr Ende, d.h. eine neue Institutionalisierung von Macht, ihren Inhalt suspendierte, obwohl zugleich der revolutionäre Inhalt die Einlösung der revolutionären Versprechen, also das Ende in einer neuen Ordnung einfordert (zur Diskussion: Bartels/Stopinska/Kollmorgen 2007). Diese Paradoxie war auch in den anti-kommunistischen Revolutionen 1989 unaufhebbar. Aus transformationstheoretischer und zugleich empirischer Perspektive thematisieren beide Varianten zunächst eine wichtige Eigenschaft dieses Wandlungstyps, da hier die „refolutionäre" Überformung, die „Übergabe" der Handlungsmacht an elitäre Akteure zur raschen Durchsetzung einer möglichst geordneten Modernisierung und Wohlstandsgewinnung ein zentrales distinktes Merkmal darstellt. Die zweite Variante, die von Abbruch und Diebstahl für den ostdeutschen Fall spricht, problematisiert aber darüber hinaus genau jene Beitrittslogik, die in den ersten Jahren zu einer fast ungetrübten exogenen Top-down-Transformation in den neuen Ländern führte.
Ostdeutschland: Idealfall oder Unfall postsozialistischer Transformationen?
Die Frage, die sich daraus ergibt und abschließend diskutiert werden soll, ist, ob damit die Gesellschaftstransformation insgesamt als abgebrochen, unvollendet und gestohlen, insofern als „Unfall" einer postsozialistischen Umwälzung zu bestimmen ist oder ob umgekehrt eben wegen der Beitrittslogik die ostdeutsche Transformation nicht einem Idealfall nahe kommt (vgl. zur Diskussion: Pickel/Wiesenthal 1996; Thomas 1998; Bollinger 1999; Wiesenthal 1999; Kollmorgen 2005: Kap. 1, 2).
In Reflexion der idealtypischen Bestimmung von (postsozialistischen) Gesellschaftstransformationen kann die ostdeutsche Transformation nach dem Beitritt zwar insofern als Idealfall angesehen werden, als sie (a) in Umfang, Tiefe und Tempo des Umbaus (Idealfall der Schocktherapie bzw. Big-Bang-Strategie), (b) hinsichtlich der Idee der Institutionenleihe und des „institutions first" sowie (c) bezogen auf die Zentralität des Mediums einer Steuerungspolitik, durchgesetzt von Eliten und staatlichen Bürokratien, sich in einigen Aspekten unmöglich überbieten lässt. Qua „Beitritt" konnten die unter „Normalbedingungen" bestehenden Beschränkungen, Probleme bzw. Gleichzeitigkeitsdilemmata gleichsam übersprungen oder richtiger: auf welthistorisch einmalige Weise durch kognitive, institutionelle, personelle und materielle Externalisierungen bewältigt werden. Während entscheidende Mittel der Transformation von West nach Ost wanderten, wurden wesentliche Kosten des Radikalumbaus von Ost nach West transferiert. Der entscheidende Vorteil dieser Idealität von ready made state und ready made actors in der Transformation bestand in der Vermeidung all der Suchbewegungen, Blockaden und Lern- sowie Korrekturprozesse durch alte und neue Akteure, in der Existenz einer Homonomität, Funktionalität und Erprobtheit der neuen Akteur- und Institutionenordnungen sowie und nicht zuletzt: in der materiellen Stützung und Abfederung des Umbruchs. Welchen Wert all diese Vorteile besaßen, wird im Vergleich mit den anderen mittel- und osteuropäischen Transformationsgesellschaften augenfällig. Was in den neuen Ländern basisinstitutionell und materiell, d.h. hinsichtlich der sozioökonomischen Potenziale, Wachstumsdynamiken und des Wohlstandsniveaus, 2 bis 5 Jahre dauerte, beanspruchte in Mitteleuropa (z.B. in Tschechien, Polen oder Ungarn) institutionell 5-10 und materiell 10-15 Jahre. In Rumänien z.B. braucht(e) es 15-20 Jahre oder ist bis heute nicht erreicht worden.
Der Vergleich und die ostdeutschen Dynamiken unterstreichen aber auch, dass zwar die Makroebene in kürzester Zeit umgebaut werden kann, jedoch die sozio-praktischen Aneignungs- und Strukturierungsprozesse auf der Meso- und Mikroebene intermediärer Institutionen, von Gruppenorientierungen, Subkulturen und individuellen Handlungsweisen sich auch unter Transferbedingungen über Jahrzehnte und Generationswechsel spannen.
Damit ist aber nur eine Seite des Problems erfasst. Die Beschreibung als Idealfall erhält ernsthafte Kratzer, sobald weitere Merkmale herangezogen werden. Was nämlich zum einen mit dem Beitritt selbst zunächst ganz fehlte und nur langsam im Zusammenspiel von (erfolgreichem) Scheitern und Formierung von Gegenlogiken (wieder) eingeholt wurde, ist die Eigenschaft einer autonomen und selektiven Institutionenleihe und die Realisierung der Transformation durch autochthone soziale Trägergruppen. Zum anderen handelte es sich zwar institutionell um eine Big-Bang-Lösung, infolge der Transfers und sozialpolitischen Alimentierung der ostdeutschen Bevölkerung aber nicht um eine materielle Schocktherapie.
Die damit gegebene „Halbierung" einer idealen Gesellschaftstransformation zeitigte zwei markante Folgen. Zum einen beschnitt sie das Subjektsein bzw. die demokratische Subjektwerdung der Ostdeutschen. Transfererfahrung, westdeutsche Bevormundung und sozialpolitische Alimentierungen sorgten für eine Einschränkung oder Umlenkung sozialer und individueller Aktivitätspotentiale und die Förderung von Abhängigkeits- oder gar Resistenzeinstellungen, die zudem gut an staatssozialistische Lebensführungsmuster anschließen konnten. Wer in diesem Sinne von einer durch den Beitritt abgebrochenen Transformation spricht, trifft ein wesentliches Merkmal des ostdeutschen Falls. Eine zweite wesentliche Folge war das Oktroi westdeutscher Institutionenordnungen6, die keineswegs den jeweils „modernsten" Stand verkörperten, sondern selbst reformbedürftig waren, durch den Transfer aber gleichsam neue Legitimierung erfuhren. Das gilt für den weiten Bereich der „sozialen Marktwirtschaft" und des Wohlfahrtsstaates. Wie oben beispielhaft vermerkt, gelang es erst Jahre später und unter gestiegenem globalen Druck, neue Elemente - auch unter Nutzung von DDR- und ostdeutschen Erfahrungen in der Transformation - in den neuen und alten Bundesländern einzuführen (von Kinderbetreuung und Schulbildung bis zum Arbeits- und Sozialrecht).
Beide Halbierungen des Idealfallcharakters waren dafür verantwortlich, dass es in Ostdeutschland nach dem Beitritt nicht nur die schärfste sozioökonomische Krise (1990/91) und das Strohfeuer eines starken Booms (1992-1994), sondern eben auch die folgende Verlangsamung von Wirtschaftswachstum, Struktur- und Kulturwandel sowie den mitteleuropäisch schwächsten Unternehmer- und Innovationsgeist gab. Erst in den letzten Jahren zeigt sich unter Verbindung mit „post-transformatorischen" Prozessen eine neue Dynamisierung.
Reflektiert man den halbierten ostdeutschen Idealfall, wird plausibel, dass die konträre Ansicht eines ostdeutschen Un-Falls einer postsozialistischen Transformation spiegelbildlich zu bewerten ist. So sehr die Vertreter dieser Position mit ihrer Kritik an der Enteignung der Ostdeutschen nach dem Beitritt und der mangelnden Anerkennung der Ostdeutschen recht haben, so wenig kann angesichts der diskutierten Merkmale, der widersprüchlichen Komplexität der Transformationslogik und ihrer Veränderung in der Zeit von einem transformatorischen „GAU" für die ostdeutsche Umwälzung gesprochen werden.
Schluss
Resümiert man die bisher angestellten Überlegungen und Problematisierungen des ostdeutschen Falls im Hinblick auf Revolution und Transformation, so ist erstens und generell zu konstatieren, dass die Entwicklungen in der DDR und in den neuen Ländern nicht von vornherein einen Sonderfall verkörperten, sondern sukzessive zu einem solchen wurden. Aber selbst nach dem Beitritt teilt der ostdeutsche Fall materiell und symbolisch, inhaltlich und formal mit den mittelosteuropäischen Umwälzungen mehr, als viele ostdeutsche Nabelschauen der ersten, aber auch der letzten Jahre glauben machten. Das zeigt zweitens und zunächst das umstrittene Revolutionsproblem. Gerade im Rahmen eines transformationstheoretischen Modells und im Vergleich mit den anderen mittelost- und osteuropäischen Gesellschaften wird sowohl der revolutionäre Modus des landläufig und unzureichend als Wende bezeichneten demokratischen Durchbruchs in der DDR sicht- und begreifbar wie auch seine transformative Einbettung und - wenn man so will - Zügelung. Gesellschaftstransformationen sind eben nicht mit den klassischen „sozialen Revolutionen" des 18. bis 20. Jahrhunderts in eins zu setzen, sondern müssen als eigenständiger Wandlungstypus mit eigentümlichen, dabei ambivalenten Prozesseigenschaften erklärt werden. Drittens greift sowohl eine Deutung der ostdeutsche Transformation nach dem Beitritt wegen der Suspendierung autochthoner Reformen, multipler Transfer- sowie westdeutscher Ermächtigungs- und Hegemonialisierungsprozesse als Unfall zu kurz wie auch eine prozess- und an materiellen, insbesondere Massenwohlstandsindikatoren orientierte Idealfall-Typisierung. Der ostdeutsche Fall vereinigt auf widersprüchliche Weise beide Charakteristika und zeigt darin insbesondere in den ersten Jahren nach dem Umbruch Aspekte eines Vorauslaufens, dann aber auch eines Hinterherhinkens gegenüber mittelosteuropäischen Dynamiken. Mehr noch, durch die Stellung zwischen Ost- und Westeuropa, den Wechsel der Staatlichkeiten, das Aufeinandertreffen von autonomer und heteronomer Umwälzung, die Verschränkung von Transformation und Vereinigung und schließlich auch: durch die Zumutungen und Herausforderungen eines doppelten Umbruchs, d.h. des Zusammenpralls von Postsozialismus und Postmoderne, sitzt Ostdeutschland zwischen allen Stühlen und erscheint als einzigartiges soziales Experimentierfeld in Europa. Als ein solches begreife ich aber auch den Wandlungstypus der Gesellschaftstransformation, der sich mit den postsozialistischen Umbrüchen weltgesellschaftlich sicherlich nicht erledigt hat. Dafür werden nicht zuletzt die anhaltenden und - wie der Klimawandel bezeugt - eskalierenden globalen Probleme und weltgesellschaftlichen Konkurrenzen sorgen.
Anmerkungen
1 Ausführliche Darstellungen bei Bahrmann/Links 1995; Wiesenthal 1999; Bertram/Kollmorgen 2001; Zwahr 2000; Pollack 2002; Kollmorgen 2005; Kowalczuk 2009.
2 Diese Aussage gilt jedenfalls dann, wenn man von der Beteiligung ostdeutscher Akteure an den Vertragsverhandlungen zu deutschen Einheit und dem Volkskammerentscheid zum Beitritt absieht.
3 Ich muss hier die Frage, inwieweit die Unterstellungen und faktischen Urteile zu den fachlichen und moralischen Qualitäten der Ostdeutschen insgesamt und im Einzelfall zu Recht oder Unrecht vorgetragen bzw. gefällt wurden und welche Rolle dabei Macht- und Karriereinteressen Westdeutscher spielten, gänzlich undiskutiert lassen. Dass sie eine Rolle spielten, ist evident. Empirische Daten und Diskussionen bei Kollmorgen 2005: Kap. 3-5.
4 Diese Dilemmata beziehen sich (a) auf den grundsätzlichen Ziel-Mittel-Konflikt des Umbaus (die Moderne soll mit modernsten Mitteln erzeugt werden, die ausdrücklich noch nicht zur Verfügung stehen), (b) auf wechselseitige Behinderungen und Blockaden in den Transformationen von Gesellschaftsbereichen (wobei die zwischen tiefgreifenden politischen und ökonomischen Reformen die wichtigste ist), (c) auf die Unmöglichkeit, alle gesellschaftlichen Ebenen simultan zu transformieren sowie (d) auf das Problem an sich unmöglicher generationaler Träger: Gesellschaftstransformationen fehlt in den ersten zwei Dekaden eine adäquate generationale Trägergruppe: die alten Generationen wollen und können es nicht (mehr), die neuen Generationen sind noch zu jung. Ausführlich zu den Dilemmata und der Diskussionsverschiebung bis hin zur Leugnung des Bestehens dieser Dilemmata (und insbesondere des unter [b] genannten): Przeworski 1991; Offe 1994; Kollmorgen 2005: Kap. 1; Beyer/Wielgohs 2008.
5 Ausführlich zu den inhaltlichen und prozessualen Bestimmtheiten postsozialistischer Transformationen, die hier nur stark komprimiert dargestellt werden können: Offe 1994; Merkel 1999: Teil IV; Kollmorgen 2005; Beyer/Wielgohs 2008; Rose 2009.
6 Dieser Oktroi geschah aber - wie geschildert - unter Bedingungen grundsätzlicher (1990) und wiederholter demokratischer Legitimation in den Wahlen auf Landes- und Bundesebene. Schon deswegen handelt(e) es sich nicht um eine - wie linke Fundamentalkritiken meinen - Kolonialisierung der DDR (siehe Dümcke/Vilmar 1996) - obwohl diese Perspektive durchaus instruktive Vergleichmöglichkeiten eröffnet; vergleiche auch Wiesenthal 1999.
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Prof. Dr. Raj Kollmorgen, Sozoiologe, Otto-von Guericke-Universität Magdeburg
aus: Berliner Debatte INITIAL 20 (2009)4, S. 90-103