Transfeminismus und Gender-Mikropolitiken in der farmapornografischen Ära

Wir erleben gegenwärtig einen Wandel der biopolitischen Dispositive der Produktion und der Kontrolle des Körpers, des Geschlechts, der Ethnizität und der Sexualität. Diese Transformation in großem Ausmaß, die auch die Prozesse der Produktion des Lebens im Kapitalismus betrifft, wird ebenfalls die Topografie der Repression und die Bedingungen modifizieren, unter denen Kampf und Widerstand möglich sein werden. Es wird notwendig sein, neue Formen des Kämpfens zu entwickeln, die dem dialektischen Paradigma der Viktimisierung, aber auch den Logiken der Identität, der Repräsentation und der Sichtbarkeit entkommen, die in großem Ausmaß von den Apparaten des Marktes, der Medien und der Hyperüberwachung als neue Kontrollinstanzen re-absorbiert worden sind. Ein Teil der politischen Herausforderung wird darin bestehen, wie die sexuellen Minderheiten und die Körper, deren menschlicher Status oder deren Rang der BürgerInnenschaft durch hegemoniale Zirkel der Biotanatopolitik in Frage gestellt worden sind, Zugang zu den Produktionstechnologien der Subjektivität erlangen werden, um den demokratischen Horizont zu redefinieren.

Dieses versuchsweise Diagramm könnte dazu dienen, den Weg der Grammatiken des klassischen Feminismus zu denen eines queeren und postkolonialen Transfeminismus zu kartografieren:

Hetero-weißer Feminismus Queerer und postkolonialer Transfeminismus
   
Feminismus des Freihandels Queerer und postkolonialer Transfeminismus
Feminismus des Freihandels/Fordismus Postfordismus/ Farmapornoismus
Subjekt Prozesse der Subjektivation
Frau Queere Multituden
Essenz Performative Materialisierung
Identität Deidentifikation
Autonomie Relationalität
Geschlecht Sex ©
Gender Technogender
Sekundäre Geschlechtsmerkmale Gender-Biocodes
Transsexualität Transgender
Normalisierung Ungehorsam
Weiß/schwarz Mulitethnisch
Hetero-/Homosexualität Pansexualität
Natur/Kultur  
Essenzialismus/Konstruktivismus Lebendige Architekturen
Disziplinen Weiche Technologien
Wissenschaftliches Wissen Situiertes Wissen
Nationalismus Transnationale Allianzen
Lokal/global Glokal
Dialektik der Repression Bio-Tanato-Politiken
Identitätspolitik Experimentieren/Mutation
Sichtbarkeit Nicht-Wahrnehmbarkeit
Opferstatus Handlungsmacht
Natur-Ökologismus Ökotechnofeminismus
Porno-Propaganda Post-Pornografie

Der queere und postkoloniale Transfeminismus distanziert sich einerseits von dem, was Jackie Alexander und Chandra Tapalde Mohanty den „Feminismus des freien Marktes“ nennen und der seinerseits Forderungen der Überwachung und der Repression durch Biomacht gestellt und deren Anwendung (Zensur, Bestrafung, Kriminalisierung...) im Namen und für den Schutz „der Frauen“ gefordert hat. Aber er entsteht anderseits auch in Opposition zu einer normalisierten Homosexuellenbewegung, deren Befreiungsrhetoriken durch die Sozialisationsagenturen Individuum/Familie/Nation vereinnahmt worden sind, in Opposition zu einer zahmen und amnesischen Schwulenbewegung, die den Konsens, den Respekt gegenüber der tolerierbaren Differenz und die Integration sucht und die nicht selten in ihrer eigenen Spektakularisierung der Differenz auf einen multikulturellen Fetisch reduziert bleibt.

Um als Gegen-Bio-Tanato-Politik des Geschlechts funktionieren zu können, müssen die neuen sexuellen Mikropolitiken aufmerksam gegenüber den unablässigen Verschiebungen des konzeptuellen Rahmens sein, auf dem normale und pathologische Subjektivität redefiniert wird: Die Normalisierung der Homosexualität und die Einschreibung der genannten Geschlechterpolitiken in die administrativen und juristischen Organismen, die beim Aufkommen der neuen Kontrollformen zu beobachten waren (i.e. Intersexualität, Anorgasmus, erektile Disfunktion), ebenso wie eine wachsende Kriminalisierung der männlichen Sexualität (i.e. Pädophilie), die parallel zur staatlichen Institutionalisierung von Formen der Vergewaltigung und der misogynen und homophoben Gewalt verlaufen.

Angesichts dessen tauchen neue Ansprüche auf, die von den minoritären Körpern und ihren Formen der Wieder-Aneignung der farmapornografischen Technologien der Produktion von Identität her kommen: Forderungen nach Re-definition des Körpers und der sexuellen Identität und der Erfindung von Formen des „Geschlechterungehorsams“, die von transgender oder gender-queeren Kollektiven formuliert werden, aber auch Kritiken an den theologischen und medizinisch-juristischen Dispositiven der Geschlechterbestimmung in der frühen Kindheit, die von den intersexuellen Kollektiven oder transfeministischen Bewegungen in christlichen oder moslemischen Kontexten kommen, oder Vorschläge der Mulitplizierung oder Verzerrung der Formen sexueller Sichtbarkeit, die in postpornografischen Bewegungen aufkommen...

In einer neuen geopolitischen Situation haben die postkolonialen und dekolonisatorischen Kritiken den eurozentrischen Charakter des second wave-Feminismus hervorgehoben. Es gibt kein einheitliches und exportierbares feministisches Programm (und es kann es nicht geben), das sich von einer essenziellen Identität oder einer gemeinsamen Unterdrückung herleitet. In diesem Sinne könnten wir sagen, dass die gegenwärtige feministische Landschaft deleuzianisch ist: Sie besteht aus Minderheiten, Multiplizitäten und Singularitäten, und dies alles durch eine Vielfalt von strategischen Lesweisen, Wieder-Aneignungen und unbeugsame Interventionen den Slogans von der Verteidigung der „Frau“, der „Identität“, der „Freiheit“ oder der „Gleichheit“ gegenüber.

Man muss die regionale Bequemlichkeit des Feminismus als auf die Unterdrückung der Frauen spezialisierte Theorie hinter sich lassen, um aus einer transversalen Analyse der (körperlichen, rassistischen, gender-, sexuellen und ökonomischen) Unterdrückung eine Theorie der sozialen Transformation und der Redefinition der Grenzen der öffentlichen Sphäre zu machen. Angesichts der wesentlichen und unmittelbaren Interrelation der Totalität des Planeten, tritt der Bedarf an feministischen und queeren Theorien für umfassende Verknüpfungen und bewegliche Schwellen mehr denn je zu Tage. Es geht darum, Netze zu knüpfen, Strategien der kulturellen Übersetzung anzuregen, kollektive Prozesse des Experimentierens zu teilen; weniger darum, unerreichbare revolutionäre Modelle aufzuzeigen als vielmehr um das, was wir als das gemeinsames Herstellen „lebendiger Revolutionen“ bezeichnen könnten.

Als pazifistische und höchst selbstkritische Revolutionen verwandeln der Feminismus und die queeren Bewegungen sich schließlich – und das ist vielleicht ihr verheißungsvollster Aspekt – angesichts des Zusammenbruchs der großen Ideologien und der Ausbreitung des Modells der Terror-Politik in tatsächliche Laboratorien zukünftiger sozialer und politischer Revolutionen; in tatsächliche Gegen-Bio-Tanato-Politiken, die in der Lage sind, Formen des Widerstands gegen die Gewalt der Norm und Formen der Redefinition der Überlebensbedingungen der Multiplizität zu erfinden.

 

Aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.

 

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Herbst 2009, „Praxistheorien“.