Planwirtschaft?

Schwarzer Freitag für MV« titelte die Ostseezeitung. Die Wadan-Werften in
Wismar und Warnemünde sind pleite. Diese Werften waren einst Flaggschiffe
der DDR-Industrie, dann gerieten sie in den Strudel der weltweiten Verlagerung
des Schiffbaus von Europa nach Fernost, hatten aber immer noch genügend Aufträge. Zugleich wurden sie von einem Eigner zum nächsten gereicht;
vor einem Jahr landeten sie zu siebzig Prozent bei einer russischen Investmentgesellschaft
und zu dreißig Prozent bei einem südkoreanisch geführten
Schiffbau-Konzern. Heuschrecken haben keine Bindung an den Ort, den sie
leerfressen; und aus südkoreanischer Sicht ist es in Zeiten der Krise eher besser,
wenn die restliche europäische Konkurrenz verschwindet. So gehen nun
2400 Werftarbeiter in der ohnehin wirtschaftsschwachen Nordostregion zum
Arbeitsamt. Betroffen sind auch 260 Zulieferbetriebe mit insgesamt etwa
2700 Beschäftigten.
Zugleich haben sich Angela Merkel, der Wirtschafts- und der Finanzminister,
mehrere Ministerpräsidenten der Bundesländer und viele weitere hochrangige
Personen wochenlang damit befaßt, den Autobauer Opel zu retten.
Pfingstsonntag wurden Länderparlamente zusammengetrommelt, um zusätzliche
staatliche Bürgschaften für Opel zu beschließen, der Haushaltsausschuß
des Bundestages drehte Sonderrunden. Das alles für einen Autobauer, zu dem
der frühere Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbank-Vorstand Thilo
Sarrazin in einem seiner Berliner Abschiedsinterviews gesagt hatte, man solle
ihn pleite gehen lassen, weil die verbleibenden deutschen Autofirmen genug
Kapazitäten hätten, das auszugleichen. Aber Opel wurde gerettet, eine »deutsche
Weltmarke«, während sich keine Merkel und kein zu Guttenberg für die
Ostwerften interessiert haben.
Der Kaufhauskonzern Arcandor, zu dem die Kaufhauskette Karstadt und
der Quelle-Versand gehören, mußte seinerseits Insolvenz anmelden. Betroffen
sind deutschlandweit etwa 56 000 Beschäftigte. Die Regierenden meinten, der
Staat solle Banken und Firmen helfen, die durch die Weltwirtschaftskrise bedroht
sind, während die Gründe für die Schieflage des Kaufhaus- und Touristikkonzerns
länger zurücklägen und hausgemacht seien. Wer entscheidet das
eigentlich? Oskar Lafontaine forderte eine staatliche Bürgschaft für die Rettung
der Arbeitsplätze bei Arcandor, schließlich sind die Hauptgläubiger die
BayernLB und die Commerzbank, die beide am Tropf der Bundesregierung
hängen – man hätte sie also zur Kreditvergabe bewegen können, wenn man
gewollt hätte.
Was geschieht hier eigentlich? Nachdem jahrzehntelang staatliche Eingriffe
in die Wirtschaft verteufelt wurden, steigt der Staat zum deus ex machina
auf. In hektischen Tag- und Nachtsitzungen entscheidet ein junger,
smarter Wirtschaftsminister über das Schicksal tausender Arbeitsplätze. Es ist
in keinem Falle sicher, daß es genügend fundierte Analysen gibt, weshalb den
einen gegeben wird und den anderen nicht. Die Rating-Agenturen jedenfalls
wissen nichts; sie haben ja wesentlich zur Herbeiführung der Verhältnisse bei-
getragen, die zur Weltwirtschaftskrise geführt haben. Dennoch schaffen all
diese Entscheidungen veränderte Verhältnisse.
So scheint sich zu bestätigen: Ein Staatsmonopol ist »lediglich ein Mittel
zur Erhöhung und Sicherung der Einkünfte für Millionäre aus diesem oder jenem
Industriezweig, die dem Bankrott nahe sind«. Zugleich »führt der Kapitalismus
bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er
zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen
in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig
freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet.« Von wem
das stammt? Von Lenin, aus dem Jahre 1916. Vielleicht kommen wir da
tatsächlich gerade hin. Wir haben es nur noch nicht gemerkt.