Der andere Blick

Das Werk der anarchistischen Fotografin Kati Horna im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939)


Der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) war gewiss nicht der meistfotografierte Krieg des 20. Jahrhunderts. Dafür aber war er der Krieg, in dem ein Foto von der Aragón-Front, veröffentlicht in einem europäischen Massenblatt, die Politik ganzer Staaten beeinflussen konnte. Wenn der Vietnamkrieg „der erste Fernsehkrieg der Geschichte“ war, so war der Spanische Bürgerkrieg der „Krieg der FotografInnen“. Er markiert die Geburtsstunde der modernen Kriegsfotografie. Stilprägende Pioniere und Pionierinnen wie Robert Capa, David „Chim“ Seymour und Gerda Taro sahen in dem neuen Medium nicht bloß eine Aufsehen erregende technische Innovation, die die Presselandschaft weltweit nachhaltig verändern sollte. Für sie hatte Kriegsfotografie Partei zu ergreifen – für die Sache der II. Republik in Spanien, für Frieden und Emanzipation weltweit. Paradoxerweise war der Spanische Bürgerkrieg aber auch der Moment, in dem dieser Anspruch, kaum formuliert, zur Makulatur verkam: Der blasierte Medienprofi betrat die Szene, und „das Leiden anderer“ (Susan Sontag) wurde zur austauschbaren Ware auf dem Nachrichtenmarkt. Es gab allerdings Möglichkeiten, sich den Regeln des kapitalistischen Geschäfts mit Bildern zu entziehen; Möglichkeiten zu einem anderen fotografischen Blick.
Das Werk Kati Hornas ist praktisch unbekannt. Es umfasst gerade einmal 270 Negative – kaum eine Hand voll Kunststoffstreifen. In einer kleinen Blechkiste schmuggelte sie bei ihrer Flucht 1939 ihre Fotos aus Spanien heraus. Das spanische Kulturministerium entschloss sich 1979, kaum vier Jahre nach Francos Tod und noch zu Lebzeiten der Künstlerin, ihre Arbeiten zu erwerben. 1992 wurden Hornas Fotos im Archivo General de la Guerra Civil in Salamanca einem größeren Publikum vorgestellt.
Kati Horna wurde, wie übrigens auch Robert Capa, in Ungarn geboren – am 19. Mai 1912. Und wie Robert Capa reiste sie auf eigene Faust nach Spanien. Während Capa aber, trotz aller aufrichtigen Sympathie für die Sache der Republik – er stellte seine Fotos beispielsweise bereitwillig und kostenlos der republikanischen Propaganda zur Verfügung –, ganz journalistischer Nachrichtenprofi blieb, der souverän die Regeln des weltweiten Geschäfts mit Neuigkeiten überschaute, versuchte Horna nie, auch nur eines ihrer Fotos zu verkaufen. Im Gegenteil: Ganz der – im Übrigen höchst wirren, brüchigen und widerspruchsvollen – anarchistischen Ästhetik des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, begriff Horna ihre fotografischen Arbeiten als Kunst. Kunst aber hatte nach anarchistischer Überzeugung mit kapitalistischem Warenmarkt nichts zu schaffen: Kunst war allgemeines Menschenrecht, war kreativer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und zugleich Sprache und Kampfmittel der revolutionären Befreiung des/der Einzelnen und der Gesellschaft. Entsprechend uneitel war Hornas Verhältnis zu ihrem fotografischen Werk: „Sie sah sich stets als Arbeiterin der Kunst, verwickelt in den Spanischen Bürgerkrieg aus ideologischer Nähe zu den Libertären, gleichwohl sie nie irgendeiner Organisation angehörte.“[1] Unermüdlich war sie in der republikanischen Zone unterwegs; zunächst von Januar bis Juni 1937 für das Komitee für Auslandspropaganda der CNT [Confederación Nacional del Trabajo, anarchosyndikalistische Massengewerkschaft], dann für anarchistische Zeitschriften wie Umbral, Tierra y Libertad (Zentralorgan der FAI [Federación Anarquista Ibérica, Iberische Anarchistische Föderation]), Tiempos Nuevos oder Libre-Studio. Eine Zeit lang arbeitete sie als Grafik-Redakteurin für Umbral. Ihre wichtigsten Arbeiten aber stellte sie der Zeitschrift der revolutionären Frauenorganisation Mujeres Libres zur Verfügung, mit deren Direktorin María Jiménez sie eine enge Freundschaft verband. Es sind nicht zuletzt die Fotos von Kati Horna, die die Lektüre der Mujeres Libres – Zeitschrift und Organisation trugen denselben Namen: „Freie Frauen“ – noch heute zu einem nicht nur inhaltlich ansprechenden Unternehmen machen. In der gelegentlich recht eintönigen Bleiwüste der libertären Presse jener Jahre ist die Mujeres Libres mit ihren Grafiken, gewagt schräg eingerückten Textpassagen und zahlreichen Fotos eine zeitungsästhetische Oase.
Horna fotografierte nicht nur Szenen des Krieges und der Zerstörung. Neben einer Reihe von Portraits – unter anderem von der bekannten Anarchistin Emma Goldman und von Germinal Sosa, dem „Direktor“ der FAI – besteht ihr Werk in erster Linie aus mit der Kamera festgehaltenen Alltagsszenen. Unpolitisch sind natürlich auch solche Motive nicht: Horna fotografierte das pueblo, das einfache spanische Volk – und damit nach anarchistischer Überzeugung den einzigen Träger wahrer sozialer Emanzipation. Der Hunger, das Elend des ländlichen Spaniens und die tiefen politischen und gesellschaftlichen Risse im republikanischen Lager werden ebenso ins Licht gerückt wie der ungebrochene Lebenswille der Bevölkerung unter den Bomben der deutschen Legion Kondor. Ungebunden und an keinen publizistischen Vorgaben orientiert, fotografierte Horna nur, was ihr interessant erschien; von der an einer Dorfecke verlorenen Konservenbüchse bis hin zum Foto jenes republikanischen Milizionärs, der, Schuhe und Strümpfe ausgezogen, mitten in der unendlichen Weite Aragóns, den Rücken an einen Erdwall gelehnt sitzt und höchst konzentriert einen Brief schreibt. Es ist, als würde der Krieg für einen Augenblick die Luft anhalten. In nichts steht das Werk Kati Hornas künstlerisch dem ihres Kollegen Robert Capa nach. Es ist ihm gelegentlich, durch den entschiedenen und niemals der Aktualität geopferten Kunstanspruch, vielleicht sogar überlegen.
Nach der Niederlage der Republik floh Kati Horna zunächst nach Frankreich, später nach Mexiko. Sie sollte Zeit ihres Lebens der anarchistischen Idee und Bewegung verbunden bleiben. Ihre Fotos sind bis heute ein „Geheimtipp“ der Bürgerkriegsfotografie.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Winter 2008/2009, „Die Macht des Faktischen“.



[1] Antonio González Quintana, Alberto Martín Expósito und Juan Antonio Péret Millán: Presentacion, in: Ministerio de Cultura (Hg.): Kati Horna. Fotografías de la guerra civil española (1937-1938), Salamanca 1992, S. 9-11, hier S.10 [Übers. d. Autors].