Ohne Mut und arrogant

Harte Worte - was denn sonst - sind angebracht, wenn eine Partei bei Wahlen die Hälfte ihrer Wählerstimmen verliert. Der Linkspartei.PDS in Berlin ist das am 17. September geschehen.

Aber was heißt denn "ist das geschehen"? Das ist zu schwach formuliert. So passiv war das nicht. Die Partei hat es herbeiregiert. Selbst. Und darüber müßte sie sich klarwerden.

Nicht daß sie regiert hat, ist ihr Problem, sondern wie sie es getan hat. Ihre führenden Köpfe haben von Beginn an Signale der Schwäche, der Unterordnung, des fehlenden Mutes ausgesandt. Und solche Signale haken sich in den Köpfen fest - egal, was dann auch immer zu ihrer Deutung und (V)erklärung hervorgebracht werden mag.

Sicher, an solchem Vorgang ist manches ungerecht. Die Mühsal des alltäglichen Kampfes wird vergessen gemacht. Kaum jemand würdigt noch die Leistung der Selbstbehauptung, obwohl es doch am Anfang, 2001/2002, eine große war - schließlich hatte der Meinungshauptstrom alles getan, um der PDS erstens alle Regierungsfähigkeit überhaupt abzusprechen und zweitens den Teufel an die Wand zu malen mit dem Satz, daß kein Investor je wieder seine Schritte in eine Stadt lenken würde, in der die Roten im Rathaus sitzen. Und ganz gewiß unterschätzt werden die vielen nur scheinbar "kleinen" Dinge, mit denen die Partei fünf Jahre lang das Gesicht Berlins mitgeprägt hat - einer Stadt, die durch die Politik der Vorgängerregierungen von CDU und SPD zum Sanierungsfall gemacht worden ist und darum noch stärker als andere unter den Wirkungen des unseligen Agenda-2010-Paketes mit Hartz IV und anderen sozialen Grausamkeiten zu leiden hat. Die Anstrengungen zur Milderung von Hartz-IV-Folgen, die Bemühungen zur Bewahrung öffentlichen Eigentums, die Suche nach Kompromissen bei Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst, das Bestehen von Bewährungsproben bei der Gewinnung von Investoren für die Stadt, die Leistungen bei der Bewältigung der zahlreichen Konflikte beim Erhalt der anspruchsvollen Kulturlandschaft - all das wird nun nur wenig honoriert.

Aber ist das die Schuld der Wählerschaft? Daß die Signale der Schwäche mehr Kraft gewonnen haben als die der Alltagsarbeit? Und daß in der Alltagsarbeit keine Signale der Kraft entwickelt wurden, die die der Schwäche hätten ausgleichen können? Natürlich nicht. Es ist die Schuld derer, die diese Signale der Schwäche aussandten und nicht erkannten, von welch herausragender Bedeutung sie sein würden. Und warum haben sie dies nicht erkannt? Weil zum fehlenden Mut noch etwas Zweites kam: die Arroganz. Die Arroganz zu glauben, nicht mehr aufnehmen zu müssen, was in der Basis und Wählerschaft gedacht und empfunden wird.

Und so entwickelten die Signale der Schwäche ihre nachhaltige Wirkung. Da war als erstes die Bereitschaft, in der Koalitionsvereinbarung von 2001 Aussagen zur DDR-Geschichte zu treffen, die ein einseitiges, die DDR und die Sowjetunion in Alleinverantwortung für Gewalt und Unrecht nehmendes Geschichtsbild zementieren. Niemand glaube, es sei da lediglich um akademische Fragen gegangen, die "die Masse" sowieso nicht interessierten. Nein, es ging um ein von sehr vielen sehr wohl verstandenes und aus tiefstem Grunde als falsch erkanntes Prinzip. Dann folgte die Unterordnung der drei Senatsmitglieder unter den Willen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der verlangt hatte, daß sie bei den Protestdemonstrationen gegen US-Präsident Bush im Mai 2002 keine aktive Rolle spielen. Und schließlich gab es den höchst umstrittenen Rücktritt Gregor Gysis vom Amt des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Frauen im Juli 2002 - mithin des Mannes, der mit seiner Kandidatur im Herbst 2001 das überragende Wahlergebnis von 22 Prozent und das Zustandekommen der Koalition überhaupt erst möglich gemacht hatte.

Diese drei Entscheidungen markierten nicht irgendein Randproblem, sondern sie gingen in dramatischer Weise direkt an den Kern dessen, was Mitglied- und Wählerschaft sich eigentlich vorgestellt hatten. Ein Mitregieren wollten sie, bei dem das Profil der Partei so deutlich wird, daß man stolz darauf sein kann, mit seiner Stimme an all dem beteiligt zu sein. Ein deutlich vernehmbares Selbstbewußtsein wollten sie, ein couragiertes "Hier sind wir, und wenn ihr mit uns wollt, müßt ihr auf uns hören", und dafür hätten sie gern auch hin und wieder mal einen Koalitionskrach riskiert: einen, bei dem die Bevölkerung Gelegenheit hat, Position zu beziehen; einen, bei dem man an Infoständen und bei Demonstrationen Solidarität beweisen kann mit seinen Regierenden und kämpfen kann um die eigenen Ziele und Positionen; einen, dessen Überwindung sichtbar Positives für die Stadt erbringt. Aber bekommen haben sie etwas ganz, ganz anderes: eine vom stärkeren Regierungspartner SPD, der im Bundesmaßstab Hartz IV und Kriegseinsätze zum Maßstab aller Dinge erhob, hoch gelobte Stille.
In dieser Stille war nichts, in dem man sich mit seinen Sorgen und Nöten und Wünschen wiederfinden konnte, und wer darüber laut wurde in der Partei, wer seinem Ärger Luft machte gegenüber denen "da oben", der stieß auf Zurückweisung oder gar Diffamierung. Widerspruch aus der Basis zum Geschichtspassus in der Koalitionsvereinbarung? Kann nur von unverbesserlichen, ostalgischen Starrköpfen kommen. Protest gegen die Selbstbescheidung bei der Anti-Bush-Demonstration? Sieht nach Kalter-Kriegs-Mentalität aus. Unmut über die Stille in der Koalition? Gründet sich auf mangelnde Sachkenntnis und wird sich legen, wenn "wir" nur alles ein bißchen besser rüberbringen.

Und um das Maß voll zu machen, hatte Stefan Liebich, damals Landes- und Fraktionsvorsitzender in einem, den fatalen Einfall, die sich formierende Berliner WASG als "Gurkentruppe" zu bezeichnen. Das war nicht nur für die WASG eine Beleidigung, sondern auch für einen beträchtlichen Teil der eigenen Partei - für jene Mitglieder nämlich, die sich mit den regierungskritischen Positionen der WASG weitgehend identifizierten, aber dennoch der Linkspartei die Treue hielten. Ist da weit und breit eine andere Parteiführung, von der solche Verhöhnung der eigenen Mitgliedschaft bekannt ist?

Nun wurde also ein gewaltiger Teil der Basis und Wählerschaft verprellt, und als ob das nicht schon reiche, wurde eine neue Wählerschaft nicht gewonnen. Solches hatte man ja lesen können hier und da: daß es schon passieren könne, daß es bei "den Alten" Verluste gäbe - man werde diese dann mit Gewinnen bei "den Jungen" wieder ausbügeln. Die Wahlbilanz indes zeigt: Auch bei "den Jungen" ist die nun wirklich junge Berliner Linkspartei-Führung nicht angekommen.

Vielfacher Anlaß zur Einkehr wäre also gegeben. Kann aber die Selbstkritik gelingen, wenn eine ganz einfache Tugend wie die, Verantwortung für eine Niederlage zu übernehmen, in Vergessenheit gerät? Wenn also in der Führung nicht nur der Mut zu couragierter Politik, sondern auch zum - jetzt tatsächlich notwendigen - Rücktritt fehlt?

Die Berliner Linkspartei.PDS braucht einen Neuanfang. Findet sie den nicht und favorisiert statt dessen ein "Keine Fehlerdiskussion" und ein "Überwinden im Vorwärtsschreiten" à la Walter Ulbricht, wird der weitere Niedergang nicht aufzuhalten sein. Das aber ist nicht nur eine parteiinterne Angelegenheit - wie sich spätestens dann erweist, wenn man auf die weiter wachsende Zahl der Nichtwähler und den Einzug der Rechtsextremen in einige Stadtbezirksversammlungen zu sprechen kommt.

in:>/i> Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 2. Oktober 2006, Heft 20

aus dem Inhalt:>/i>
Sibylle Sechtem: Ohne Mut und arrogant; Stefan Bollinger: Pflegeleicht angekommen; Uwe Stelbrink: Der Wähler als Überraschungsgast; Hermann-Peter Eberlein: Päpstliche Vernunft; Heerke Hummel: Ein Geniestreich (II); Achim Engelberg: Der Epilog zu den großen Kriegen; Bernhard Romeike: Budapest im September; Erhard Crome: Santiago, 11. September 2006; Klaus Hart, Saõ Paulo: Befreiungstheologie und Kuba; Mirjana Wittmann: Das Lied öffnet die Berge; Hartmut Pätzke: Ein sehr teures Buch; Felix Ackermann: Bänke an der Oder; Ove Lieh: Komplexe Zusammenhänge;