Volkspalast

Volkspalast. Anna Lührmann hat das Wort in die Debatte gebracht am 19. Januar, als es im Deutschen Bundestag um den Palast der Republik gegangen ist. Anna Lührmann ist 22, und sie stammt nicht- wie

... man vielleicht hätte erwarten können - aus dem Osten Berlins, sondern aus Hofheim am Taunus, und im Parlament sitzt sie für die Grünen. Mit dem alten Palast der Republik, sagte sie, habe sie "nicht so wahnsinnig viel zu tun", aber sie sei "sehr beeindruckt" von den Möglichkeiten, die "selbst eine solch unrenovierte Ruine", wie sie der Palast jetzt darstellt, "für die Kultur bietet", und eben darum stelle sie die Frage, warum man "diesen einzigartigen Palast der Kultur" einem "nicht finanzierbaren Konzept für ein Luftschloß opfern" wolle. Mit Vehemenz und Charme stritt sie für den Antrag ihrer Partei auf ein Abrißmoratorium, denn: Wenn man mit der Zwischennutzung des Gebäudes wie bisher fortfahre - und die hatte mehr als eine halbe Million Besucher angezogen -, bewahre man dem Platz nicht nur seine Lebendigkeit, sondern gewinne auch Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken, "wie wir den Rohbau sinnvoll in ein zukünftiges Gebäude integrieren können". Volkspalast eben.

Aber die Mehrheit der Parlamentarier will von einem solchen Moratorium und den mit ihm verbundenen Chancen nichts wissen. Und was sie sich einfallen ließ, um diese Ablehnung zu begründen, ist in seiner Absurdität bestens geeignet, mitten im Stahlgerüst des ausgeweideten Palasts als Farce auf eine grob gezimmerte Bühne gebracht zu werden.

"Ein Bauwerk, das Diktatur symbolisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen", begründete Dr. Friedbert Pflüger, der aus Hannover stammende neue Hoffnungsträger der Berliner CDU, sein Abriß-Ja allen Ernstes, und man hätte ihn am liebsten gleich an die Hand genommen und zu des Nazi-Kriegsmarschalls Göring Luftfahrtministerium geführt und zum Flughafen Tempelhof wie auch zum Olympiastadion von 1936, welches wie kaum ein anderes Bauwerk der Nazizeit nicht nur diktatorische Macht, sondern auch Lüge und Volksverführung symbolisiert und mit seinen denkmalsgeschützten Insignien jener Zeit in ein paar Monaten nichts Geringeres als Weltmeisterschaftsfußball beherbergen wird.

Christoph Waitz, FDP-Mann aus dem sächsischen Markkleeberg, wußte zu berichten: "Dieser Palast sollte die in Stein und Stahl gegossene Verheißung der Ideale des Kommunismus sein. Hier gab es Einrichtungen und Ausstattungen im Überfluß, die im Rest der Republik Mangelware waren oder gar nicht existierten. Es gab Freizeiteinrichtungen, Konzerte und Diskos und sogar eine zuvorkommende Bedienung in den Gaststätten." Will Waitz nun auch das in der DDR wieder entstandene Leipziger Opernhaus der Abrißbirne preisgeben und das ebenfalls aus der DDR stammende neue Gewandhaus? Und müßten das Schauspielhaus in Berlin und die Semperoper in Dresden nicht ebenfalls wieder zertrümmert werden, weil Erich Honecker einstens deren umfängliche und wahnsinnsteure Restaurierung nicht anders als den Bau des Palastes mit einem - wie CDU-Bauspezialist Wolfgang Börnsen aus Bönstrup in Schleswig-Holstein anklagend in den Plenarsaal rief - "bewußten Beschluß der SED" herbeigeführt hatte? Und auch diese beiden Häuser doch ganz gewiß "Prachtbauten" (Börnsen über den Palast) und "Prestigeprojekte mit identitätsstiftender Wirkung für die DDR-Bürger" (nochmal Börnsen über den Palast) gewesen sind? In denen es "Einrichtungen und Ausstattungen im Überfluß" (Waitz über den Palast) gegeben hat?

Für SPD-Bartträger Wolfgang Thierse zählt zu den Abrißgründen, daß der Palast "auch - ich bitte, das nicht zu vergessen - eine Kundgebungstribüne für die SED-Herrschaften sein sollte". Da wird man den Ur-Prenzlauer Berger wohl dem Hannoveraner Pflüger bei dessen Rundgang zu anderen Tribünen in der Stadt hinterherschicken müssen.

Wo soviel Ideologie war, half es gar nichts, daß Linksfraktionschef Gregor Gysi geradezu flehend dazu aufrief, doch davon abzulassen, "Politik über Gebäude zu machen", und einen Lernprozeß beschwor, in dessen Resultat es vielleicht doch möglich sein müßte, zu erkennen, daß man auf den ideologisch begründeten Abriß des kriegszerstörten Schlosses durch die SED im Jahre 1950 nicht mit dem ebenso ideologisch begründeten Abriß des Palastes der Republik im Jahre 2006 antworten dürfe.

Denn sie wollen Ideologie, und sie wollen Symbole. Freidemokrat Waitz will, daß "durch die Integration der Schloßfassade" in das neu zu errichtende Gebäude "symbolisch deutlich wird, daß dieser deutsche Staat zu seiner geschichtlichen Verantwortung steht, Verantwortung nicht nur für die großen Stunden der deutschen Geschichte, sondern auch für Fehler und Verbrechen, die im Namen Deutschlands begangen wurden". Im Namen Deutschlands , aha. Und auch Christdemokrat Pflüger will Geschichte und nochmals Geschichte. Das Schloß müsse wieder aufgebaut werden, "denn eine Stadt, die sich zu ihrer Geschichte bekennt, ist eine gute Stadt".

Zu aller Geschichte wollen sie sich bekennen - nur zur Geschichte der DDR nicht. Der Palast erlebt nun endgültig, was Zehntausende entlassene Hochschullehrer, Richter und Staatsbeamte der DDR bereits erleben durften: daß die DDR als einziger nicht-integrierbarer "Ausrutscher" in der deutschen Geschichte gilt.

Und ist sie es nicht auch gewesen? Beweisen die nach der Abrißbirne Gierenden nicht gerade dies: daß ihnen die DDR-Symbole tatsächlich unerträglicher sind als die des Dritten Reiches?

Dies weiterzudenken, macht schaudern. Anna Lührmann - das ist ein Trost - hat mit ihrer Rede eine andere Zukunft aufblitzen lassen. Wird es mehr Leute geben wie sie - und auf der angekündigten grünen Wiese am Spreeufer entsteht irgendwann tatsächlich ein Volkspalast?

in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 6. Februar 2006, Heft 3