Was wollen Kritische Medien?

Editorial

Alltag ind den Massenmedien: Politische Kommentatoren geißeln soziale Errungenschaften, weil sie dem "Standort Deutschland" schaden. Afrika wird summarisch als ein Kontinent von Hunger ...

... und Chaos dargestellt. Reisesendungen reproduzieren Klischees von Paradiesinseln, während der Tourismus dort riesige ökologische Probleme produziert. Und wenn es mal gerade passt, kann all dies auch kritisiert werden.
Um den Massenmedien eine inhaltlich andere Art der Berichterstattung, aber auch eine andere Form der Kommunikation entgegen zu setzen, entstehen immer wieder neue Medienprojekte. Wir sprechen im Folgenden aber nur dann von explizit Kritischen Medien, wenn ihnen die Kritik gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse kein Beiwerk, sondern zentrales Anliegen ist. "Kritisch" ist dabei keine Marke, die sie sich einfach anheften könnten, sondern beinhaltet dauerhafte Auseinandersetzung und Selbstreflektion, also die Anwendung von Medienkritik auch auf das eigene Medium.
Auf dieser Grundlage befassen wir uns im Themenschwerpunkt mit verschiedenen Ansätzen von Medienkritik und konkreten Medienprojekten. In der Praxis lässt sich dabei kein rein abstrakter Begriff von Kritik durchhalten, denn dieser muss immer den konkreten gesellschaftlichen Kontext der Medienarbeit reflektieren. Das Internet wird beispielsweise von iranischen Traditionalisten gefürchtet, von westlichen Eliten jedoch begrüßt. Das Thema Meinungsfreiheit ist in einer Diktatur explosiv, im neoliberalen Staat ist es - in gewissen diskursiven Grenzen - ein Fundament der Herrschaft. Foren für Homosexuelle sind in Zimbabwe tabubrechend, der fortgeschrittenen Warengesellschaft jedoch kompatibel.
Vom 10. bis 12. Dezember fand der 1. UN-Gipfel über die Weltinformationsgesellschaft (WSIS) in Genf statt. Ein zentrales Thema: Trotz der globalen Vernetzung der Informations- und Kommunikationsmittel hat ein Großteil der Weltbevölkerung keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang dazu. Die Frage, wie Medienkritik auch für Kritische Medien gelten kann, stellt sich daher in Chiapas anders als in Deutschland. In Chiapas gibt es erst seit kurzer Zeit ein autonomes Radio. Die Verbreitung von Basisinformationen, um die sich Kritische Medien hier kaum kümmern müssen, hat dort einen viel höheren Stellenwert. Dies muss mitbedacht werden, wenn wir danach fragen, welche Rolle Kritische Medien in dieser Informationsordnung spielen.

Zwar existieren Kritische Medien meistens recht unbeachtet vom Großteil der Bevölkerung, doch ist die Szene in sich äußerst vielfältig. Vom feministisch-antirassistischen Agisra-Rundbrief aus Frankfurt am Main über das basisorientierte bushradio aus Kapstadt, dem chilenischen Lesben-Radio radionumerocritico bis zum asiatischen Studiennetzwerk arenaonline.org findet sich ein Dschungel, der auch in diesem Heft nur teilweise erhellt werden kann. Zur nötigen Eingrenzung des Gegenstands wird daher nicht von Flugschriften, Büchern oder TV die Rede sein, sondern von Freien Radios, Zeitschriften und Internet-Seiten. Viele dieser Medien wollen allgemein über Unterdrückung aufklären, andere mobilisieren als Spartenmedien für bestimmte soziale Kämpfe. Manche wollen einer Sozialen Bewegung ein Forum zur Selbstvergewisserung geben, andere zielen in die Mitte der Bevölkerung. Einige wollen die autoritäre Sender-Empfänger-Ausrichtung der etablierten Medien abschaffen, andere kritisieren vor allem die Warenförmigkeit der Information oder die mediale Schaffung des hegemonialen Konsenses. So genannte "souveräne" Medien wollen sich wiederum einfach selbst verwirklichen. Was die Empfänger mit dem Gesendeten anstellen (können), bleibt völlig offen.
Für wen produzieren nun Kritische Medien? Eine Mitarbeiterin erzählt einer Freundin, dass sie bei der iz3w mitarbeitet. Ein paar Wochen später treffen sie sich wieder. Die Freundin fragt: "Machst du immer noch in der fr4z mit?" Manche Projekte geben sich Namen, als ob sie partout auf ihrer Unbekanntheit bestehen wollten. Die permanente Suche nach dem kritischen Standpunkt ist dadurch zwar leistbar. Aber wie sieht es mit einer massenwirksameren Praxis aus? Diese Frage immerhin wird im Themenschwerpunkt aufgeworfen, auch wenn die iz3w weiter iz3w heißen wird.

Aus iz3w 274 (Jan./Feb. 2004)