Bush kann triumphieren. Er hat erreicht, was er zu erreichen vorgab. Der Sieg in Afghanistan aber war ein Pyrrhussieg. Der Haß gegen die USA wird zunehmen.
Die Taliban sind geschlagen. Nicht in einem Krieg, der irgendwie vergleichbar wäre mit den militärischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit, wo vor allem Armeen gegen Armeen kämpften. Im ersten Krieg des dritten Jahrtausends wurde ein Territorium zum Reich des Bösen erklärt und einfach mit Bomben zugedeckt, und die ausgehaltenen Söldner brauchten den umgepflügten Boden nur noch zu besetzen. Es war zu spüren, daß ihnen das schnelle Tempo des Vormarsches mehr Schwierigkeiten bereitete als das Kämpfen.
Es ist also ein Sieg auf der ganzen Linie, errungen sogar gegen die düsteren Prophezeihungen jener, die da meinten, ein Land wie Afghanistan sei nie zu erobern. Tatsächlich frage ich mich, warum die Sowjets seinerzeit so kläglich gescheitert sind. Daß das Land zerrüttet war, ahnte man. Aber wenigstens die Armee schien doch noch intakt zu sein. Wahrscheinlich kann keine Armee funktionieren, wenn das Land nicht funktioniert.
Der einzige Schatten, der heut auf das sonst so imposante Bild fällt: Den Söldnern Washingtons ist es bis zur Stunde noch nicht gelungen, die beiden Anführer, die das Böse personifizieren, Mohammed Mullah Omar und Osama Ben Laden, zu fassen und einer amerikanischen Gerechtigkeit auszuliefern. Doch: Ob man sie erwischt oder nicht, es ist nur noch aus Gründen des Images wichtig, ob die beiden einen Ehrenplatz als Märtyrer an der Seite Allahs finden oder die Gelegenheit erhalten, sich unerkannt dem Studium des Korans in einer friedlichen Moschee hinzugeben.
Es geht um ganz andere Beträge: um die Wiederherstellung der Vormachtstellung der USA in dem Gebiet zwischen Golf und Indien, die Washington nach dem Desaster im Iran verloren hatte, und um die Sicherung der Transportwege für das Erdöl der Region. Bush kann triumphieren. Er hat erreicht, was er zu erreichen vorgab.
Merkwürdigerweise will sich der richtige Freudentaumel in der von den USA dominierten Welt nicht einstellen. Die USA haben zwar dank ihrer technischen Überlegenheit gewonnen, aber sie haben dabei den Feind vor der Zeit verloren. Wenigstens den einigermaßen leicht bestimmbaren Feind. Bisher konnte Bush ein Land, eine politische Bewegung und ein paar Personen vorweisen, die es zu vernichten galt. Doch was wird er nun machen?
Nichts deutet darauf hin, daß er gewillt ist, seine Leute nach getaner Arbeit wieder nach Haus zu holen. Schon gar nicht ist damit zu rechnen, daß er die Ereignisse nutzen wird, um eine echte Wende in den internationalen Beziehungen einzuleiten. Denn diese Wende müßte Schluß machen mit der Anmaßung, die Reichtümer der Welt nach eigenem Gutdünken zu verwalten, müßte zu mehr Gerechtigkeit führen.
Die Frage, wer denn der Feind ist und wo er steht, ist nach dem Ende der Taliban viel schwieriger zu beantworten als vorher. Bush zieht sich auf die Position zurück: Der Feind ist der internationale Terrorismus. Doch wo wird er ihn aufspüren? Wo niederbomben? In Somalia? Im Irak? Die Welt ist mit einer ungeheuren Bedrohung konfrontiert. Denn Bush wird herausfinden: Der Feind ist überall.
Seit König Pyrrhus vor mehr zweitausend Jahren für seinen Sieg bei Herakleia große Teile seiner Armee opfern mußte, spricht man vom Pyrrhussieg: Noch ein solcher Sieg, und wir sind verloren! Nun, die USA haben keine nennenswerten Verluste erlitten. Aber Bush hat der armen Welt von Indonesien bis Westafrika gezeigt, wie er gedenkt, ihrem Aufbegehren gegen Hunger und Elend, gegen Unterdrückung und Not zu begegnen. Bush hat gezeigt, daß er entschlossen ist, den Schrei nach mehr Gerechtigkeit im Bombenhagel zu ersticken. Die Sorgen achtenswerter Amerikaner, die - in ihrer Ruhe aufgestört - fassungslos fragen, warum die USA so gehaßt werden, hat er nicht zur Kenntnis genommen. Oder er vertraut darauf, daß vernünftige Gedanken von den Wogen des Nationalismus bald wieder hinweggeschwemmt werden. Leider wird er da Recht behalten.
Nur die ganz und gar der Denkfähigkeit Beraubten glauben an ein Ende der Auseinandersetzungen. Gewiß, die USA haben ihre strategische Position in diesem Raum zwischen dem Golf und Indien wieder stabilisieren können, ein Ziel, daß sie nach ihrer Vertreibung aus dem Iran nie aus den Augen verloren haben. Aber ihre globalstrategischen Positionen haben sich verschlechtert. Denn der Haß der im Elend lebenden Völker, der nach Nahrung Hungernden, nach Wasser Dürstenden, um Bildung und ein Leben in Würde Betrogenen wird durch die Art, wie der jüngste Konflikt ausgetragen wurde, weiter wachsen. Die Bewegung der Armen gegen die Vorherrschaft der Reichen wird zunehmen. Die Herrschercliquen, die sich mit dem Westen arrangiert haben und dabei unermeßliche Reichtümer zusammenraffen, werden in arge Bedrängnis kommen, und die Kraft des starken Amerikas wird nicht ausreichen, sie zu schützen. Neue Omar Ben Ladens werden heranwachsen - schneller, als viele glauben.
Eben deshalb war der Sieg in Afghanistan ein Pyrrhussieg. Washington hat nichts wesentliches erreicht. Der Haß gegen die USA wird zunehmen. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit wird weitergehen. Der Zulauf zu den Fundamentalisten wird anschwellen. Jene Herrscher in der armen Welt, die sich mit dem Westen arrangieren und sich daran auf Kosten ihrer Völker schamlos bereichern, werden ins Schlingern geraten. Unruhige Zeiten stehen allen bevor, die dem Kurs einer verblendeten Supermacht folgen.
Leider gerät der, der solches sagt, in den Ruch, antiamerikanisch zu denken. Ich bedauere das. Denn ich fühle ich mich jenen zugehörig, die sich an dem letzten Versuch beteiligen, sich als Freund der Amerikaner zu erweisen.