Experten und Öffentlichkeit

Welche Art von Wissenschaft nötig ist

Bei Weichenstellungen für wissenschaftliche und technische Entwicklungen gelten ExpertInnen als der bessere Ersatz für eine demokratische Öffentlichkeit, der i. a. Unmündigkeit unterstellt wird.

Experten kommen von Unis und großen Forschungseinrichtungen, Experten sind meisten "EN" und selten "INNEN", Experten haben wichtige Titel und viel publiziert. Experten sitzen in Kommissionen und beraten die Regierung. Experten entscheiden was richtig ist ...
Die rasante Entwicklung von Wissenschaft und Technik beeinflusst mehr denn je das Leben der Menschen. Das Bild von Wissenschaft, das von den Medien der Öffentlichkeit vermittelt wird, schwankt zwischen göttlicher Allmacht und teuflischer Gefahr. Die Darstellung hat oft wenig mit den realen Möglichkeiten der Wissenschaft und den ernstzunehmenden Gefahren zu tun, aber sehr viel mit dem Absatz von Printmedien und den Einschaltquoten der TV-Sender. Deshalb werden uns auf der einen Seite abwechselnd das ewige Leben durch Biotechnologie, der bevorstehende endgültige Sieg über Krebserkrankungen oder die immensen Vorteile der neuen Informationstechnologien vorgestellt. Auf der anderen Seite lauert die Gefahr der genetischen Auslese von Menschen, der geklonte Mensch, Orwells gläserner Mensch oder die gesundheitliche Gefahr des Elektrosmogs. Spektakulär und neu muss es sein, deshalb haben Treibhauseffekt, Ozonloch, und Atomenergie bestenfalls dann eine mediale Chance, wenn die Polarkappen schmelzen oder wenn Tschernobyl noch übertroffen würde.
Bei der Einführung neuer Technologien ist es immer wieder die Frage nach den damit verbundenen Risiken, die die Gemüter erhitzt. Globalisierung und Liberalisierung der Märkte schaffen Tatsachen, oft lange bevor deren Folgen absehbar sind. Sicherheitsforschung und Gesetzgeber hinken meist weit hinter den technischen Innovationen hinterher. Unter dem internationalen Konkurrenzdruck drängt die heimische Wirtschaft auf Zulassung neuer Verfahren und Produkte, auch wenn die Folgen nicht umfassend bekannt sind.
Traditionell herrscht in der Öffentlichkeit Österreichs Skepsis gegenüber Wissenschaft und Forschung, was vor allem historische Wurzeln hat: In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Wissenschaft und Kunst weitgehend aus dem Land vertrieben, und nach 1945 hat sich die österreichische Politik kein bisschen bemüht, die Flüchtlinge und Vertriebenen wieder zurückzuholen. Sie blieben auf amerikanischen und kanadischen Universitäten - Österreich hatte keinen Platz für sie. Denn hier saßen nicht wenige alte Nazis auf den Lehrstühlen und anderen Dienstposten. Schaurige Berühmtheit erlangte z.B. der Fall Gross, der ein Paradebeispiel für den österreichischen Umgang mit NS-Verbrechen geworden ist. Am 15.4.1945 wurde im Totenbuch der Wiener Nervenklinik Am Spiegelgrund das letzte von 789 Kindern vermerkt, die der NS-Euthanasie hier zum Opfer gefallen sind. Am 1.4.1948 wird Gross, zuvor Nervenarzt am Spiegelgrund, verhaftet und 1950 wegen Mitschuld am Totschlag zu zwei Jahren Haft verurteilt. Nach Berufung wird der Prozess durch den Staatsanwalt eingestellt. 1955 kehrt Gross als Arzt in die Nervenheilanstalt Am Steinhof, auf deren Gelände die NS-Morde stattgefunden haben, zurück und wird 1957 Leiter der II. Psychiatrischen Abteilung. 1960 wird Gross gerichtlich beeideter Sachverständiger für Neurologie bzw. Psychiatrie, was er auch 1995 noch ist. Nachdem mehrere Versuche, die Anklage von 1950 wieder aufzunehmen, von Staatsanwälten vereitelt wurden, braucht es bis zum Jahr 1998 bis eine Voruntersuchung gegen Gross wegen Mordverdachts an Kindern vom Spiegelgrund begonnen wird. Der Prozess kann auch diesmal nicht stattfinden, da Gross wegen seines Alters als nicht verhandlungsfähig gilt . "Heinrich Gross hat es geschafft.", schreibt der Wiener Arzt, Werner Vogt zum 55 Jahre dauernden Justizskandal Gross. "Was er uns Jahrzehnte vorgespielt hat, ist, laut Gutachter Haller, biologisch eingetreten: Er ist vergesslich. Die Demenz, laut klinischem Wörterbuch "die erworbene Verblödung" hat ihn und damit auch alle, die ihn deckten, gerettet. Kein Urteil. Österreich bleibt rein."

Auch in Österreichs Schulen blieben die LehrerInnen nach 1945 weitgehend dieselben. Kein Wunder, dass sowohl die während des Krieges ausgebildete als auch die nachfolgende Generation der HochschulabsolventInnen mehr zu Disziplin, Fleiß, Treu und Glauben und weniger zu Selbständigkeit, Kritikfähigkeit und Selbstreflexion erzogen wurde. Erst die StudentInnenbewegung der Sechzigerjahre hat das Thema "Naziideologie an österreichischen Hochschulen" öffentlich angeprangert und so für die Beseitigung der ärgsten Missstände gesorgt.

Kurzer Frühling

Auch aus seiner jüngeren Geschichte hat Österreichs Wissenschaft - ganz anders als im angloamerikanischen Raum - wenig Erfahrung in der öffentlichen Auseinandersetzung über ihre Aufgaben, Ergebnisse und Zielsetzungen. Erst unter dem vorigen Wissenschaftsminister Caspar Einem, der nach der unseligen Wahl vom 3. Oktober 1999 der schwarz-blauen Koalition weichen musste, kam es zum ersten Mal zu einem ausführlichen, offenen Diskussionsprozess über die Entwicklung einer Forschungsstrategie und eines Maßnahmenplans zur Förderung der Wissenschaft.
In diesen Prozess waren tatsächlich alle InteressentInnen einbezogen. Für Österreich reichlich ungewohnt war es endlich ein Prozess, an dem teilzunehmen weit mehr als nur Universitäten, Großforschungsinstitute und Sozialpartner eingeladen wurden und in dem alle Diskussionsgrundlagen auf der Webseite des Wissenschaftsministeriums öffentlich zur Verfügung standen. SozialforscherInnen, FrauenforscherInnen, UmweltforscherInnen und viele der oft kleinen außeruniversitären Institute hatten erstmals Gelegenheit, gleichberechtigt mit etablierten Großforschungszentren und akademischen Institutionen in einen Diskussionsprozess einzutreten.
Entstanden ist dabei nicht nur eine ambitionierte Diskussion, sondern auch ein Maßnahmenplan für die Förderung von Wissenschaft und Forschung, der versucht, den unterschiedlichen Zugängen und Interessen Rechnung zu tragen. Das Dokument ist ein Kompromiss zwischen den techologiepolitischen Interessen der Wirtschaft und den gesellschaftspolitischen Ansprüchen an die Forschung, einen Beitrag zur Lösung der sozialen und ökologischen Probleme des 21. Jahrhunderts zu leisten.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch noch in einigen der Fragen wider, die die jetzige Österreichische Regierung von dem gerade eingesetzten Rat für Forschung und Technologieentwicklung beantwortet haben will:
"Die Förderung der Forschung wird als eine primäre Aufgabe des Staates gesehen, vor allem in jenen Bereichen, die der Markt nicht oder nur unzureichend stimuliert, die jedoch für die Weiterentwicklung der Wissenschaft und Gesellschaft langfristig unentbehrlich sind. Wie verhält sich die staatliche Förderung der langfristigen Forschung, vor allem der Grundlagenforschung, oder (weitergefasst) der wissenschaftlichen Forschung, die in der Regel über autonome Förderorganisationen erfolgt, zur kurzfristigen bzw. angewandten und technologischen Forschung, die vornehmlich im Interesse von Nutzern (einschließlich des Staates) erfolgt? (...)

In welcher Form ist heute die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu sichern bzw. neu zu gestalten? Was ist daran staatliches, öffentliches Interesse? Inwiefern soll eine Schwerpunktbildung in Forschung und Technologie "bottom up" und "top down" erfolgen? (...)
Gesellschaftliche Bedürfnisse, wie insbesondere Fragen der sozialen und nationalen Sicherheit, der nachhaltigen Entwicklung, Wachstumspolitik und Umwelterhaltung, einer umfassenden Gesundheitssicherung und -vorsorge, des sozialen Zusammenhanges in und außerhalb von Familien, machen Forschung in vielen Problembereichen unentbehrlich für die Bestandsaufnahme, Hypothesenentwicklung und die darauf basierende Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für Regierungsstellen. Wie verhält sich die Förderung der Forschung als Beitrag zur Wissenschaftsentwicklung zu dieser Beauftragung von Lösungsvorschlägen für nationale gesellschaftliche und/oder für europäische Probleme?"
Pläne und Programme sind aber nur die eine Seite der Wissenschaftspolitik. Die andere Seite wird bestimmt durch die Verteilung der Mittel, und die kann unter Umständen auch die besten Pläne konterkarieren.

Im Sommer 2000 wurde von den beiden derzeit für Forschung zuständigen Ministerien trotz des Bekenntnisses, Forschung auch jenseits der Technologieentwicklung fördern zu wollen, ein Rat für Forschung und Technologieentwicklung nominiert, dessen personelle Zusammensetzung eher dem Anspruch von Industrie und Wirtschaftsverbänden nach mehr Technologieförderung für die Wirtschaft Rechnung trägt. Die Hälfte der Mitglieder des Forschungsrates sind FirmenvertreterInnen, die andere Hälfte kommt von Uni-Instituten aus den Bereichen der neuen (oft auch umstrittenen) Technologien (siehe Kasten). Diese Zusammensetzung lässt zumindest Zweifel aufkommen, dass dieser Forschungsrat auch einen Garanten für die gesellschaftspolitischen Ansprüche an Forschung und Wissenschaft darstellen wird.

Es wäre jammerschade, wenn mit der Einsetzung des neuen Forschungsrates die Diskussion darüber, welche Art von Wissenschaft nötig ist - ob nun nur mehr wirtschaftlich Verwertbares erstrebenswerte Beiträge seien, oder ob es ebenso nötig wäre, dass sich Wissenschaft mit den gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt und hilft Lösungen zu entwickeln - schon wieder am Ende wäre.

Nutzen und Risiko

Am kapitalistischen Weltmarkt gilt Forschung schließlich nur dann als nützlich, wenn sie den meist kurzfristigen Erfordernissen des Marktes dient und ist Wissenschaft genau soviel wert, wie der Profit, den ihre Ergebnisse abzuwerfen versprechen. Gerade deshalb läßt die Diskussion darüber nicht nach, ob diese Art der profitablen Verwertbarkeit tatsächlich das einzige Mass sein darf an dem der Nutzen von Wissenschaft gemessen wird. Nach der Regierungsbildung im Feber 2000 wurde von zahlreichen österreichischen Universitätsinstituten Befürchtungen geäußert, daß der durch plakativen Populismus und Intoleranz gekennzeichnete Diskussionsstil der einen Regierungspartei auch Meinungsvielfalt und Freiheit der wissenschaftlichen Diskussion an den Hochschulen negativ beeinflußen könnte. Im Zuge der Diskussion darüber, ob es den Hochschulen angemessen ist, politischen Widerstand zu leisten, meldete sich auch der Präsident der Akademie der Wissenschaft zu Wort mit einem Statement, das die Bedeutung einer einzelnen Wahlentscheidung gegenüber den globalen Aufgaben der Wissenschaft sehr gut charaktierisiert:
"...Universitäten, Häuser der Wissenschaft, Einrichtungen, die sich so gerne auf ihre "Autonomie" berufen, ohne über diese Eigengesetzlichkeit jemals nachzudenken, alle diese Einrichtungen, die sich heute unsäglich schwer tun, über ihre Lebensberechtigung verständliche Auskunft zu geben, müssten als solche "Nester des Widerstandes" sein. Sie müssten Orte sein, an denen anders gedacht und gehandelt wird, anders als in der Politik, auf dem Markt, in den Medien. ......Dass Widerstand als intellektuelle und moralische Kraft für die Zukunft unserer wissenschaftlichen Institutionen wichtiger sein wird als alle Budgetansätze und Ressortverteilungen, davon bin ich tief überzeugt. Dass unsere Fähigkeit, aus "Wissen und Gewissen" handelnd, diese Institutionen lebendig zu erhalten, für die Zukunft unseres Landes entscheidender sein wird als alle Regierungskonstellationen, davon bin ich nicht minder überzeugt."

Österreich hat im heurigen Frühjahr seine erste Science Week über die Bühne gebracht. Sie wurde viel bejubelt und sollte das Volk mit neuen Technologien und dem wissenschaftlichen Fortschritt hautnah in Berührung bringen. Die Science Week war eine große Marketingveranstaltung für die Wissenschaft. Wirklich genutzt werden konnte sie vor allem von jenen, die über die für öffentliche Auftritte nötigen Ressourcen verfügen. Vielen kleineren Instituten (inner- und außeruniversitären gleichermaßen) fehlten die Mittel für eine Teilnahme an der Science Week, da zwar professionelle PR-Unterstützung, aber keine sonstige Finanzierung zur Verfügung stand. In der medialen Präsentation hatte die Science Week eine deutliches Übergewicht bei Biotechnologie, Gentechnik, Medizin, Technik und Naturwissenschaften.
Außerdem hat ein echter Dialog mit der Bevölkerung dabei kaum stattgefunden, denn im allgemeinen gehen WissenschafterInnen davon aus, dass sie den NichtwissenschafterInnen etwas von ihren Erkenntnissen vermitteln sollen. Aus dem häufig leicht religiösen Glauben an die Möglichkeiten der eigenen Fachrichtung die Welt zu verbessern, neigt die Wissenschaft zur Verbreitung missionarischer Botschaften.

"Es gibt Hinweise darauf, dass für den derzeitigen Umgang mit Forschung, jedenfalls die Erfahrung der Machbarkeit sowie die Illusion, dadurch das Paradies auf Erden schaffen zu können, ausschlaggebend sein könnten, was bedeuten würde, dass Forschung faktisch als nichts anderes zu betrachten ist, als eine Religion ohne Transzendenz."

Erfahrung kontra Statistik

Gerade im Bereich der Umweltforschung z.B., den Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf die Lebensqualität der Bevölkerung, gibt es wegen der Komplexität der ökologischen Kreisläufe oft keine einfachen Vorhersagen und keine eindeutigen Beweise - ein wichtiger Grund, die Erfahrung der Betroffenen einzubeziehen.
Wahrnehmungen und Erfahrungen der Betroffenen decken sich nicht immer mit den herrschenden Theorien der Wissenschaft. Wenn die Erfahrungen den gerade gültigen wissenschaftlichen Vorstellungen widersprechen, reagieren ExpertInnen oft überheblich oder mit völliger Ablehnung. Typische Beispiele sind aus der Diskussion um die Wirkung von Niedrigstrahlung geläufig, können aber gleichermaßen in der Auseinandersetzung um Gentechnik oder Elektrosmog gefunden werden.

Da es sich beispielsweise bei den Auswirkungen der Niedrigstrahlung um seltene Krebserkrankungen handelt, ist es schwierig einen statistisch signifikanten Beweis zu erbringen, dass z.B. nicht nur in Weißrußland, sondern auch in stark von der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl betroffenen Gebieten in Mitteleuropa Schilddrüsenerkrankungen seit 1992 zunehmen. Demgegenüber steht die Beobachtung von Ärztinnen und MitarbeiterInnen österreichischer Anti-Atom-Frauengruppen, dass in ihrem Wohngebiet mehr Schilddrüsenerkrankungen auftreten. Die offizielle Strahlenschutzpolitik reagiert auf entsprechende Zeitungsberichte nach dem Motto, dass "nicht sein kann, was nicht sein darf". Haben doch die Dosisberechnungen der Strahlenschutzexperten ergeben, dass die Ioddosis nicht so hoch gewesen sein kann, dass sich ein Effekt zeigen dürfte.
Ebensowenig wie die österreichischen Frauen sich damit abfinden wollen, ihre Forderung nach Untersuchung der Fakten von den Experten abblocken zu lassen, wird es den Statistikern gelingen, die Mütter der leukämiekranken Kinder in Krümel zu überzeugen, dass ihre Kinder keinesfalls Opfer der Emissionen des AKW wurden, sondern nur Opfer einer statistischen Häufung.
Grundsätzlich ist es sehr unsicher, einen lokalen Umwelt- Effekt mit Hilfe von Epidemiologie und medizinischer Statistik beweisen oder widerlegen zu wollen, weil Statistik sich immer auf große Gruppen beziehen muss. Das ist aber auch kein Beweis dafür, dass es keine lokalen Auswirkungen gibt. Deshalb wird es wohl auch nötig sein, andere Methoden der Beobachtung und Erfassung einzusetzen. Zumindest ein Projekt der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz befasst sich bereits mit der Entwicklung einer Methode zur Untersuchung gesundheitlicher Auswirkungen lokaler Umwelteffekte. Oft ist gerade die Beharrlichkeit der Betroffenen nötig, um die Behörden zu drängen, neue Wege der Untersuchung ausfindig zu machen.
Was den Betroffenen an Verständnis für die Statistik fehlt, wenn diese ihrer Alltagserfahrung widerspricht, fehlt den NaturwissenschafterInnen an Verständnis für die Betroffenen. Auch wenn in Europa üblicherweise ExpertInnenenmeinung weit mehr gilt als die der Bevölkerung, gibt es tatsächlich keinen Maßstab, nach dem zu entscheiden wäre, ob die Beweiskraft der Statistik größer ist, als die der Erfahrung. In den USA würde ein solcher Streit völlig anders, nämlich durch eine Entschädigungsklage und per Gerichtsurteil entschieden.
Mit der Verbreitung von Euphorie über die wirtschaftlichen Möglichkeiten neuer Technologien und die Verbesserung der Lebensqualität, die sie versprechen, ist es nicht getan. Wissenschaft und Forschung müssen sich auch Kritik gefallen lassen, und in vielen Fällen kann auch die Wissenschaft von den Beiträgen der NichtwissenschafterInnen profitieren.

Öffentliche Auseinandersetzung

Auch die Wissenschaft selbst muss sich mit Reflexion und Kritik ihrer Erkenntnisse und deren Anwendung befassen. Die Diskussion über Ethik der Forschung muss unter den WissenschafterInnen, aber gerade auch in und mit der Öffentlichkeit geführt werden. Wenn diese Diskussion von der Wissenschaft selbst ausgeht, ist dies sicherlich ein Beitrag zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Wissenschaft und Forschung und erhöht die Glaubwürdigkeit jener, die sich dieser Auseinandersetzung stellen.
"Die Wissenschaft muss den Kontakt mit der vielschichtigen Öffentlichkeit intensivieren und sich ihr je und je verständlich machen; umgekehrt sollen Mittel und Wege gefunden werden, die der Öffentlichkeit die Nutzung dieses Wissens- und Informationsangebots erleichtern bzw. überhaupt zugänglich machen. Der positive Ansatz zu einer stärkeren Wahrnehmung der Forschung durch die Medien soll durch geeignete Feed-back-Prozesse aus Wissenschaft und Verwaltung unterstützt werden. Die Information und aktive Integration der mündigen BürgerInnen einer demokratisch verfaßten Gesellschaft ist somit selbst ein Gegenstand der Forschungspolitik geworden. Forschung und Technologie sind politisch und sozial gestaltbar."
In diesem Sinn ist eine öffentliche und demokratische Auseinandersetzung über den Einsatz und die Förderung der Verbreitung neuer Technologien und die damit verbundenen Risiken ein wesentlicher Aspekt demokratischer Politik. Im allgemeinen setzen die Diskussionen erst viel zu spät ein, nämlich erst dann wenn Teile der Bevölkerung den Nachteil der neuen Technik bereits verspüren. Sollen Forschung und Technologie tatsächlich politisch und sozial gestaltbar werden, muss die Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit bereits früher erfolgen. Die AdressatInnen der Forschung müssen die Möglichkeit haben, über den Gegenstand der Forschung mitzudiskutieren und ihre Wünsche einzubringen.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit gibt wichtige thematischen Schwerpunkte vor: Nachhaltige Entwicklung, gesellschaftspolitische Bedeutung von Arbeit, Demokratieentwicklung und europäische Integration sind nur einige Beispiele, die sich auch in der Umweltforschung niederschlagen müssen, soll diese mehr sein als nur die Feststellung des Status quo. Wer nach Lösungen sucht, die etwas Neues an die Stelle dessen setzen, was wir als zerstörerisch für die Umwelt und die Lebensgrundlagen auch der kommender Generationen ansehen, muss sich mit der Entwicklung realisierbarer Strategien zur Verringerung von Umweltauswirkungen befassen. Gute Ideen alleine sind dabei oft zu wenig. Alte Gewohnheiten, wirtschaftliche und soziale Hindernisse müssen erst erkannt und Anreize erdacht werden, damit gute Ideen umgesetzt werden können.
Globale Netze, globale Märkte und die Verbreitung neuer Technologien können die Chancen aller Menschen auf Steigerung ihrer Lebensqualität erhöhen. Aber nur dann, wenn auch alle daran teilnehmen können. Heute sind wir vom globalen Nutzen meilenweit entfernt.

Sollen alle 6 Milliarden Menschen einigermaßen gleiche Überlebenschancen haben, müssen neben sauberer Luft, Trinkwasser und Nahrungsmitteln auch faire soziale Bedingungen hergestellt werden. Forschung muss sich daher mit den vordringlichen Bedürfnissen aller befassen und darf sich nicht nur auf die Interessen zahlungskräftiger Kunden beschränken.

Die Erhaltung der Lebensgrundlagen der 6 Milliarden ErdenbürgerInnen erfordert die Entwicklung nachhaltiger Produktionszyklen, also einer Wirtschaftsweise, die einerseits der Natur nicht mehr Rohstoffe entnimmt, als diese imstande ist nachzuliefern, die andererseits Naturzerstörung durch Emission und Ablagerung von Giftstoffen verringert und den Zuwachs an Flächenverbrauch eindämmt. Menschliche Entwicklung erfordert ein großes Maß an Sicherheit und sozialer Kompetenz: Schutz vor Kriegshandlungen und Vertreibung, Schutz vor dem Verhungern und vor Krankheiten, Zugang zur Bildung und Information. Die Zusammenarbeit aller ist hier gefragt, von NGOs und multinationalen Konzernen, von lokalen Behörden und Handwerksbetrieben, von BäuerInnen, Gewerkschaften und KonsumentInnen.

Durch die Beteiligung verschiedenster Fachdisziplinen und Institutionen können Lösungen von unterschiedlichen Seiten angegangen werden. Interdisziplinarität in der Wissenschaft und Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure (Transdisziplinarität) ist ein Weg, Forschung mit nachweisbarem "social impact" zu betreiben.

Demokratie statt Expertokratie

"Wir brauchen weniger Forschung für die Öffentlichkeit und mehr Forschung mit der Öffentlichkeit: Die wissenschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit erfordern eine Öffnung der Forschungspolitik allgemein von der Ideen- bzw. Strategiefindung bis zur Umsetzung der Forschungsergebnisse. Denn Forschungspolitik darf nicht "abheben", muss dialogfähig bleiben und hat die konkreten lebensweltlichen Bezüge besonders zu betonen. Wenn Umweltforschung reale Probleme lösen soll, darf weiters nicht nur "am grünen Tisch" agiert werden. Es muss Partizipation in einem anderen, in einem neuen Sinn verstanden werden"

Die wirkliche Umsetzung nachhaltiger Entwicklung wird immer konkret am Ort, in der Region und im Betrieb erfolgen müssen, dort wo die Partizipation der Betroffenen möglich ist. Gerade das Wissen der betroffenen ArbeiterInnen, HandwerkerInnen, Bauern und BäuerInnen ist wesentlich, wenn es um einen sorgsamen Umgang mit Natur und Ressourcen geht. Für viele Fragen sind gerade die PraktikerInnen die ExpertInnen, genauso wie für die Fragen unserer Lebensqualität wir alle zusammen die einzigen wahren ExpertInnen sind.

Nicht nur in die konkrete Forschung müssen die Bedürfnisse, Erfahrungen und das Alltagswissen der AdressatInnen bzw. Betroffenen einbezogen werden. Auch wenn es um die Entwicklung von Forschungsprogrammen geht, ist Öffentlichkeitsbeteiligung ein Muss. Zum einen weil es um öffentliche Gelder geht, zum anderen weil Wissenschaft und Forschung unsere Lebensqualität nachhaltig beeinflußen können.

Die Entscheidung darüber, welche theoretischen Möglichkeiten weiterverfolgt und umgesetzt werden sollen, können weder der Wirtschaft noch der Wissenschaft überlassen werden. Schließlich haben beide Eigeninteressen am eigenen Fosrchungsbereich bzw. an vielen neuen Entwicklungen und der Umsetzung neuer Technologien.
Die Entscheidung darüber, was im öffentlichen Interesse ist und welches Risiko die Bevölkerung zu akzeptieren bereit ist, darf nicht Gremien von ExpertInnen überlassen werden. Auch wo der Machbarkeit aus ethischen Gründen Grenzen zu setzen sind, können nicht ExpertInnen untereinander ausmachen. Wie bei vielen anderen politischen Entscheidungen braucht es, wenn es um Forschung und Technologieentwicklung geht, den Interessensausgleich zwischen den Beteiligten, den NutznießerInnen und den Betroffenen, die eventuell das Risiko zu tragen haben.
Auch wenn ExpertInnen meistens davon ausgehen, dass nur sie selbst Nutzen und Risiken neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einschätzen können, darf kein Staat und keine internationale Behörde es ihnen alleine überlassen, darüber zu entscheiden, woran Wissenschaft und Forschung arbeiten.
Wenn es um Entscheidungen über industrielle Großprojekte, Infrastrukturentwicklung oder Raumplanung geht, ist Öffentlichkeitsbeteiligung heute in demokratischen Staaten weitgehend akzeptiert. Mit einer neuen Richtlinie führt die EU derzeit die BürgerInnenbeteiligung auch bei der Entscheidung über politische Strategien und Programme ein. Forschungsprogramme und Programme zur Technologieentwicklung haben oft noch viel weitreichenderen Einfluß als politische Programme (die eventuell mit der nächsten Regierung wechseln) - Sie sind Weichenstellungen, die die technologische Entwicklung und damit auch die Lebensumstände und die Lebensqualität vieler Menschen nachhaltig beeinflußen.

Deshalb ist Öffentlichkeitsbeteiligung an der Diskussion um Förderung und Grenzen wissenschaftlicher Forschung und Technologieentwicklung nur ein weiterer logischer Schritt in der Demokratieentwicklung.
Ing. Antonia Wenisch ist Ingenieurin für Messtechnik & Elektronik und seit 1996 Geschäftsführerin des Österreichischen Ökologie-Instituts in Wien (http://www.ecology.at)

(Forum Wissenschaft 4/2000)