Ein feministischer Meilenstein

Ella Carina Werner und Juliane Pieper fordern das Recht auf Chillen und sabotieren mit ihrem Tiergedichte-Buch das Patriarchat

Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt. Feministische Tiergedichte
by
Ella Carina Werner, Juliane Pieper
Publisher:
Verlag Antje Kunstmann
Published 2025 in
München
160
pages
ISBN-13:
978-3-95614-625-1
Price:
22 Euro

„Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt“, was für ein großartiger Buchtitel! 

Er bringt mich zum Lachen und nötigt mich als Mann zur Selbstreflexion. Wie so viele andere Männer und Gockel auch neige ich immer mal wieder zu patriarchalischen Verhaltensweisen, Besserwisserei und zu lautem Krähen. Dieses Gockelverhalten widerspricht meinem eigenen Anspruch als pro-feministischer, antisexistischer Anarchist. Es lässt sich mit meiner Sozialisation im Patriarchat erklären, aber nicht rechtfertigen. Zu dieser Sozialisation gehörten bei mir, wie auch bei Ella Carina Werner, die Titanic-Autoren Robert Gernhardt, F. K. Waechter, F. W. Bernstein und Thomas Gsella (1). Großartige Schreiber, nicht zuletzt auch von Tiergedichten. Alles Typen.

Die Neue Frankfurter Schule war lange Zeit männerdominiert. Dass sich das gerade ändert, dazu hat ganz besonders die Titanic-Autorin Ella Carina Werner beigetragen. Ihr liebevoll und umwerfend witzig von Juliane Pieper illustrierter Band ist das vielleicht sozialrevolutionärste feministische Kunstwerk des Jahres. Ella Carina Werner fordert „Mehr Östrogene ins Tiergedicht!“ und dichtet übers Menstruieren, über Gendersternchen, Gender Pay Gap, Care-Arbeit, gewollte Kinderlosigkeit, Masturbation und Frauenquote. Zu den liebevoll gezeichneten, ungewohnten Hauptfiguren des Buches gehören unter anderem Walkühe, Maden, Schaben, Hummeln, Krakinnen, Eulen, Perlhühner, Panda-Bärinnen, Löwinnen, Kühe, Stuten, Schwarze Witwen und Enten. „Zum Erpel sagt die Ente: ‚Ich kriege keine Rente.‘ Sagt er, im Plauderton: ‚Ich schon.‘ “ Sie finde es wichtig, dass es viele wütende feministische Sachbücher und Artikel gibt, sagt Ella Carina Werner im NDR-Interview, „aber das ist nicht so meins, das produziere ich nicht. Mein Blick ist immer die Komik, wie kann man es leicht und schnell und ein bisschen verdreht darstellen? Es muss einfach beides geben – und das ist mein Job im feministischen Game.“ (2)

„Es wird ein Lachen sein, das sie besiegt“, diese Prophezeiung des Anarchismus passt auch auf das wunderbar anarchische Werk von Ella Carina Werner und Juliane Pieper: „Die Eule liebt sich wie sie ist: Anarcho-Punk und Antichrist.“ Sexistische Schönheitsnormen, wie sie nicht zuletzt von Tiktok, Heidi Klum und Co. gesetzt werden, sind nicht das Ding der Tierdichterin. Sie sorgt für Empowerment und stellt klar: „Von der Wiege bis zur Bahre Trägt die Löwin Achselhaare. Mault der Löwe ‚nicht so geil‘, bleibt sie trotzdem bei dem Style.“

Dieses Buch ist auch deshalb so brillant, weil die Autorin das Recht auf Chillen, Freiheit und selbstbestimmte Sexualität so lustvoll-komisch formuliert und Juliane Piepers Zeichnungen den hedonistisch-feministischen Inhalt nochmal verstärken: „Die Störchin ist nicht nachtaktiv, und tagaktiv schon gar nicht. Nur mittags zwischen eins und zwei vernascht sie einen Kranich.“ Es wird gevögelt, gefeiert und gebechert, dass es eine Wonne ist. Protestantische Arbeitsethik, patriarchalische Rollenerwartungen und soziale Hierarchien, nicht nur zwischen den Geschlechtern, werden infrage gestellt. „Alles unter einen Hut kriegt die Krakin. Die hat’s gut. Mit einem Arm spielt sie Klavier, mit dreien kippt sie Bier um Bier und mit den allerletzten vieren kann sie fröhlich masturbieren.“ Wie wenig die gängigen Frau-Mann-Klischees wirklich taugen, zeige ein Blick ins Tierreich, in dem es vielfach offener und diverser zugehe. „Zahllose Tierarten sind intergeschlechtlich oder können ihr Geschlecht nach Lust und Laune hin und her wechseln, vor allem im Reich der Fische. Bei denen sich übrigens die Mehrzahl der Väter allein um den Nachwuchs kümmert, während die Mütter abtauchen. Und wem ist schon bekannt, dass die Klitoris der Tüpfelhyäne so riesig und multifunktional ist, dass jedes Männchen vor Neid erblasst?“, schreibt die Satirikerin im Nachwort und fordert uns auf, von den Tieren zu lernen. Die Lebensfreude, die dieses Buch ausstrahlt, ist ansteckend, befreiend und heute wichtiger denn je. Wenn da draußen, in der sogenannten Realität, jetzt noch nicht alles ganz so gleichberechtigt zugehe „und sich die Frauen noch nicht ganz so empowered fühlen können wie auf diesen Seiten, dann doch ganz sicher morgen“, schreibt die Titanic-Mitherausgeberin optimistisch. „Denn trotz Rückschlägen und bestehender Kämpfe ist die weibliche Emanzipation eine der wichtigsten und hoffnungsvollsten Entwicklungen unserer Gegenwart.“ Da kann ich nur zustimmen. Die beiden Künstlerinnen bereichern und revolutionieren die Welt der Lyrik. Ihr Werk ist feministisch, wild, utopisch und bewegend. Ein Meilenstein auf dem Weg zur längst anstehenden Beerdigung des Patriarchats. Mehr davon!
 

Bernd Drücke


Anmerkungen:

(1) Siehe: Hereimspaziert, Herr Gsella! „Erst wo Herrschaft nicht mehr wahr ist, gibt es keine Knecht-schaft“, Rezension von Bernd Drücke, in Libertäre Buchseiten, GWR 497, März 2025, https://www.graswurzel.net/gwr/2025/03/erst-wo-herrschaft-nicht-mehr-wahr-ist-gibt-es-keine-knechtschaft/

(2) https://www.ndr.de/kultur/buch/Ella-Carina-Werner-Feminismus-trifft-Satire,ellacarinawerner102.html
 

Rezension aus: Graswurzelrevolution Nr. 502 (Libertäre Buchseiten), Oktober 2025, https://www.graswurzel.net/gwr/2025/10/Ein-feministischer-Meilenstein/