Melnyk versus Makejew

Zu erleben ist gerade ein öffentliches Duell zweier Diplomaten – noch mit offenem Ausgang. Ein Austragungsort ist die deutsche Presse, beteiligt sind BILD, SPIEGEL, ZEIT und das Redaktionsnetzwerk Deutschland, also große und ganz große Buchstaben. Der zwitschernde Nachrichtendienst ist ein weiteres Medium. Zu den Duellanten gesellten sich auch ungebeten Sekundanten aus der deutschen Politik. Was war passiert?

Der 1975 im Westen der Ukraine in Lwiw geborene Andrij Melnyk arbeitete nach seinem Studium ab 1999 immer wieder in deutschsprachigen Ländern für die Ukraine. Vom 12. Januar 2015 bis 15. Oktober 2022 war Melnyk Botschafter in Deutschland. Berufen wurde er vom Präsidenten Petro Poroschenko. Dieser ukrainische Oligarch hatte gerade im Ergebnis des sogenannten Euromaidan seine Präsidentschaft angetreten. Melnyk war zuvor bereits jahrelang Botschaftssekretär in Österreich und Generalkonsul in Hamburg. Er spricht neben seiner Muttersprache ukrainisch ausgezeichnet deutsch, russisch und englisch.

Wenige Wochen nach seinem Amtsantritt besuchte er im April 2015 in München das Grab des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera. In den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts war Bandera Partisanenführer gegen die Sowjetherrschaft. Nach dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion kollaborierte er als radikaler Antisemit und überzeugter Faschist mit der deutschen Wehrmacht. Nachdem Melnyk also als Botschafter Blumen auf dem Grab Banderas abgelegt hatte, twitterte er am 15. April auf englisch: Bandera ist unser Held („our hero Stepan Bandera“).

Als im Februar 2022 Russland die Ukraine kriegerisch überfiel, war der ukrainische Botschafter Melnyk sofort im Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit. Nicht unwesentlich dazu bei trug die äußerst undiplomatische Art seiner Kommunikation im Gastland. Seine harschen Kritiken und Beleidigungen gegenüber der deutschen Politik, die selbst gegenüber dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler – „beleidigte Leberwurst“ – nicht zurückschreckten, wurden legendär und sind hinlänglich bekannt. Aus staatspolitischer Räson waren die offiziellen Reaktionen sehr zurückhaltend. Erhebliche Kritik zog Melnyk erst auf sich anlässlich eines Interviews mit dem Journalisten Tilo Jung im Juni 2022. So behauptete er, dass es keinerlei Beweise für den Massenmord an Juden und Polen durch Anhänger Banderas gebe. Selbst den Vorwurf der Zusammenarbeit Banderas mit den Nazis ließ er nicht gelten. Melnyk erklärte weiter, die Figur Banderas sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Deutschen, polnischen und israelischen Historikern warf er vor, dabei mitgespielt zu haben. Nach Kritiken unter anderem durch die polnische und die israelische Regierung wurde Melnyk untragbar und am 9. Juli 2022 von seinem Posten als Botschafter der Ukraine in Deutschland abberufen. Am 18. November 2022 schließlich wurde er in Kiew zu einem Vize-Außenminister befördert.

Neuer Botschafter für die Ukraine in Berlin wurde Oleksij Makejew, gleicher Jahrgang wie Melnyk, in Kiew geboren, sogar seit 1996, also etwas länger als Melnyk, im diplomatischen Dienst. Auch er hatte bereits diplomatische Erfahrungen in deutschsprachigen Länden – Schweiz und Deutschland – und spricht fließend deutsch. Aber vieles unterscheidet die beiden und führte offenbar zu dem ukrainisch-ukrainischen Ehrenhandel der beiden Diplomaten.

Anders als sein umstrittener Vorgänger Melnyk tritt Makejew ruhiger und diplomatischer auf und betont das Gemeinsame. Doch ebenso wie sein Vorgänger wird sich der neue Botschafter der Ukraine für mehr Unterstützung durch Deutschland und weitere Waffenlieferungen einsetzen.

Seit Wochen attackiert Melnyk öffentlich seinen Nachfolger und mischt sich weiter in die deutsche Ukrainepolitik ein, obwohl er jetzt als einer der fünf stellvertretenden Außenminister offiziell für Nord- und Südamerika zuständig ist. Das tat er bei „Anne Will“ in der ARD und stellte in der Zeit Makejews Eignung und Amtsführung in Frage. Makejew wehrte sich im SPIEGEL-Interview: „Der Botschafter der Ukraine in Berlin bin jetzt ich.“ Melnyk wiederum steigerte sich auf Twitter: „7 Jahre habe ich in Berlin geschuftet […] Nun wird dieses Erbe mit Füßen zertrampelt.“ Ein trauriger Höhepunkt der Fehde war vor einigen Tagen die Auseinandersetzung zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai in Berlin. Melnyk hatte als Botschafter jedes Jahr das sowjetische Ehrenmal am Tiergarten besucht, um der gefallenen ukrainischen Soldaten zu gedenken. Sein Nachfolger entschied, wegen des russischen Angriffskriegs keinem sowjetischen Denkmal die Ehre zu erweisen. Stattdessen legte Makejew am 8. Mai in der Neuen Wache in Berlin, der zentralen deutschen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, ein Blumengebinde nieder. Melnyk konterte wiederum und schimpfte in einem Interview für das Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es war ein unverzeihlicher Fehler, zum Beispiel auf die seit 2015 traditionelle Kranzniederlegung am Ehrenmal Tiergarten am 8. Mai zu pfeifen.“

Das medial geführte Diplomatenduell entwickelt sich immer mehr zu einer grotesken Posse. Selbst die Melnyk sonst häufig beipflichtenden Politiker wie Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zeigen sich durch die lästige Auseinandersetzung zermürbt: „Öffentlicher Streit ist da nicht hilfreich.“ und „Das sollen die Herren unter sich ausmachen, bitte möglichst geräuschlos.“ Ralf Stegner (SPD) resümiert laut SPIEGEL: „Der ehemalige ukrainische Botschafter Melnyk hat sein Amt mit ungewöhnlichem Stil ausgeführt und gerade Forderungen nach militärischer Unterstützung eher undiplomatisch öffentlich vertreten. Dass er nun seinen Nachfolger, der zur üblichen diplomatischen Professionalität zurückgekehrt ist, heftig öffentlich attackiert, nutzt der Vertretung ukrainischer Interessen in Deutschland sicher nicht.“

Makejew hat anders als sein Vorgänger direkteren Zugang zu hochrangigen Regierungsvertretern, hört man. Wie wird es weitergehen in dieser Seifenoper, die dem Ansehen der Ukraine in Deutschland erheblich schadet? Kann der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba die Kontrahenten befrieden? Hilft die geplante Entmachtung und Abschiebung Melnyks als Botschafter nach Brasilien? Kann Melnyk, der wohl noch nicht portugiesisch spricht, trotzdem die aktuelle brasilianische Regierung zu bisher abgelehnten Waffenlieferungen an die Ukraine umstimmen? Die Spannung auf den nächsten Akt in diesem Theater wächst.