Systemkritik und Utopie

Die graswurzelrevolution auf der VI. Anarchistischen Buchmesse Mannheim

Nach coronabedingter Zwangspause konnte die Anarchistische Buchmesse Mannheim dieses Jahr endlich wieder stattfinden – wie gewohnt wunderbar organisiert durch die Anarchistische Gruppe Mannheim und sogar einen Tag länger als sonst: Vom 26. bis 29. Mai 2022 trafen sich Libertäre, Bücherfreund*innen und Interessierte im forum Mannheim, um an Büchertischen zu stöbern, Vorträge zu hören, mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen, alte Bekannte zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Für die graswurzelrevolution (GWR) war dies der ideale Rahmen, ihr fünfzigjähriges Bestehen zu feiern. (GWR-Red.)

„Ich lese die Graswurzelrevolution schon seit langem – wie schön, hier ein paar der Menschen zu treffen, die diese tolle Zeitung machen!“ Über solche Begrüßungen aus dem Buchmessepublikum freuten sich die Betreuer*innen des GWR-Büchertischs von Herzen. Auf rekordverdächtigen neun Metern Standlänge präsentierte der Buchverlag Graswurzelrevolution Neuheiten und Klassiker seines Sortiments, Poster, Zeitungen und historische Sonderausgaben. Besonders beliebt waren die schönen T-Shirts und Taschen mit dem Logo des aktuellen Jubiläums. Und beim großen 50-Jahre-Quiz konnten die Besucher*innen ihr Wissen über Geschichte und Gegenwart der GWR testen.
Im vielfältigen Veranstaltungsprogramm waren die GWR und ihre Mitstreiter*innen stark vertreten. Bernd, Vera und Silke unterhielten ihr Publikum mit einer kurzweiligen Lesung aus Bernd Drückes Interviewband „Anarchismus hoch 4“. Übersetzer Lou Marin präsentierte „Gelebte Revolution“ von James Horrox, eine spannende Studie zu anarchistischen Ansätzen in der Kibbuzbewegung.
Ausgesprochen interaktiv gestaltete sich das Podium „50 Jahre graswurzelrevolution“. Erst gaben Bernd Drücke und Lou Marin einen anekdotenreichen Überblick über die Geschichte von Zeitung und Buchverlag, dann spielte Koordinationsredakteurin Silke den Ball ins Publikum: Nachdem sich die GWR ihren Leser*innen vorgestellt habe, sei es nun Zeit, dass die Leser*innen sich der GWR vorstellen. „Wir wollen wissen, wer unsere Leser*innen sind. Wie seid ihr zur GWR gekommen? Was mögt ihr an eurer Zeitung, und wie kann sie noch besser werden? Wir sind gespannt auf eure Geschichten und Ideen!“

Graswurzelgeschichte(n)

Spannende und vielseitige Antworten ergaben sich teils spontan während der Veranstaltung, teils später in persönlichen Gesprächen im Hof oder am Büchertisch. Gewerkschafter*innen und 
Freiberufler*innen, Kneipenwirt-
*innen und Sozialarbeiter*in-
nen, kämpferische Kriegsdienstverweigerer, Künstler*in-
nen, Studierende und Hoch-schullehrer*innen: Sie alle haben 
ihre je eigene, oft jahrzehntelange Geschichte mit der graswurzelrevolution, haben sie im Libertären Forum oder im besetzten Haus, im Café, auf der Demo oder am Rand einer Castorblockade entdeckt, gelesen, weitergegeben … und sind ihr bis heute verbunden geblieben. Die GWR wird als einzigartige Stimme in der Medienlandschaft wahrgenommen, als radikale Zeitung mit einem ganz eigenen Blick auf die Dinge, der Systemkritik immer auch die Utopie dessen, was sein könnte und werden kann, zur Seite stellend. Ausdrücklich wurde der mittlerweile hohe Frauen*anteil der GWR-Autor*innen gewürdigt.

Auf die nächsten 50 Jahre!

Unsere 50-Jahre-Party behauptete sich gegen allerlei Planwidrigkeiten mit graswurzelrevolutionärer Zähigkeit, Improvisation und einer großen Portion gegenseitiger Hilfe. Mit dem zeitraumexit hatten wir eine ideale Location, und feierlustige Gäste strömten in Scharen herbei. Eine kleine Feierstunde, moderiert von Silke und musikalisch umrahmt von Rüdi, eröffnete den Abend. Sehr gefreut haben wir uns über die wertschätzenden Grußworte der Anarchistischen Gruppe Mannheim, der anarchistischen Bibliothek und Forschungsstelle CIRA in Lausanne, der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und des express, der Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Nach der mit Spannung erwarteten Quizauflösung war die Tanzfläche eröffnet, und wir feierten bis in den Morgen.
Ein großes Dankeschön geht an das Team vom zeitraumexit für seine Gastfreundschaft und Betreuung, die beiden DJ-Teams für die tolle Musik, Muck für die fantastischen Soli-Cupcakes, unseren Tech Angel Thimo fürs Konfigurieren der Anlage und all die solidarischen und kompetenten Menschen vor Ort, die unsere Party aktiv mitgestaltet, ja in einigen Fällen wirklich gerettet haben. Auf die nächsten 50 Jahre!

Bettina Hartmann

Zum 50-jährigen Jubiläum der GWR gab es auch einige Presseberichte, u. a. in der taz, im ND und auf freitag.de:
https://taz.de/Zeitung-Graswurzelrevolution-wird-50/!5856660/


https://www.nd-aktuell.de//artikel/1164496.graswurzelrevolution-gegen-gewalt-fuer-
emanzipation-von-unten.html


https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/50-jahre-graswurzelrevolution-zucker-in-den-tank-ueberall

 

 

KASTEN:
Freundschaften und Netzwerke weiterentwickeln
Grußwort des CIRA, Lausanne zum 50. Geburtstag der Graswurzelrevolution

Zum 50-jährigen Bestehen der Graswurzelrevolution schickte uns unter anderem das Centre international de recherches sur l’anarchisme (CIRA; Internationales Zentrum für Anarchismusforschung) aus Lausanne ein Grußwort. Marianne Enckell blickt darin auf den jahrzehntelangen Austausch zwischen unseren Projekten zurück, der keineswegs beendet ist. (GWR-Red.)

Vor 25 Jahren habt ihr mich eingeladen, zu eurem 25. Geburtstag in Köln, wo Claire Auzias und ich aus unseren Leben erzählt haben. Die Beziehungen zwischen eurer Zeitschrift, eurer Bewegung und dem CIRA-Archiv gab es aber schon früher – schon mit deren Vorgängerin, der Hannoverschen „Direkte Aktion“ Mitte der ʼ60er-Jahre – und ich hoffe, sie werden noch lange dauern! Im CIRA ist eine fast komplette Serie von GWR verfügbar, die mehrere Boxen füllt; es fehlen nur einige alte Nummern.
Es gefällt mir, das CIRA-Archiv nicht nur als eine Bibliothek vorzustellen, sondern auch als eine Sammlung von Leuten, von Freundschaften. Fast nie haben wir bezahlte Mitarbeiter*innen angestellt; seit sechzig Jahren haben Dutzende von Personen da mitgemacht, katalogisiert, aussortiert, geputzt, gelesen, geplaudert … Hans Müller-Sewing hat beim Bau der Bibliothek viel geholfen; Bernd Drücke, Lou Marin haben hauptsächlich geplaudert. 2003 kam Bernd mit einer Gruppe Student*innen, die einen netten Film über das CIRA gedreht haben, „Bewegung im Blätterwald“, mit mehreren Beteiligten. Später führte Bernd ein langes Interview mit mir für „Ja! Anarchismus“. Wir haben auch mal gestritten, mal gegenseitig Artikel übersetzt.
Nicht genug, vielleicht. Das CIRA träumt, dass Netzwerke und Austausch zwischen Bibliotheken und Archiven sich weiterentwickeln, auch zwischen Zeitschriften und Herausgeber*innen, zwischen Süden und Norden. Ihr könnt wohl dazu beitragen; eure Zeitschrift ist ein gutes Werkzeug.

Schönes Treffen, beste Wünsche, Liebe und Anarchie,

Marianne Enckell,
Internationales Zentrum für Anarchismusforschung CIRA, Lausanne