Blau als das neue Braun

Rechte rufen zu Betriebsratswahlen auf – von Kirsten Huckenbeck

In: express 1/2 2018

Vom 1. März bis 31. Mai finden Betriebsratswahlen statt – mit dabei will auch eine Bewegung sein, die sich als Allianz aus dem Zeitschriftenprojekt Compact unter Leitung des ehemaligen KB-Mitglieds Jürgen Elsässer, der Werbe- und Campaigning-Abteilung der neurechten Bürgerinitiative »Ein Prozent« und einer Betriebsgruppe mit dem Titel »Zentrum Automobil e.V.« im November 2017 auf einer von Compact in Leipzig organisierten Bündnisveranstaltung zusammengetan hat und kräftig für die Beteiligung an den Wahlen, die Gründung eigener Listen und für Kandidaturen zur BR-Wahl wirbt. Der Anfang einer ›Sammlungsbewegung‹ und eine rechte Variante des »Aufbruchs in die Betriebe«?

Wie man sich gegen »Konservative«, »Liberale« und »Linke« zu profilieren und damit als wahre Volksvertretung in Stellung zu bringen versucht, hat Björn Höcke auf der Compact-Konferenz deutlich gemacht: »Das Bündnis der alten authentischen Linken mit der neuen, globalistischen Linken beruht auf einem absurden Versuch: einerseits den Sozialstaat zu preisen, wenn sie die soziale Gerechtigkeit wie eine Monstranz vor sich her tragen, und andererseits dessen Grundlagen zu zerstören.« Dabei gehe es im Kern nicht um »rechts« oder »links«, sondern um die Widersprüche zwischen »Zentrum und Peripherie, oben und unten, Establishment und Volk« – für eben dieses Volk will man Sprachrohr und Alternative sein, nun nicht mehr nur parlamentarisch, sondern auch mit »alternativen Sozialverbänden«, »alternativen Gewerkschaften« und auf betrieblicher Ebene. »Wir eröffnen eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes. Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will«, so Jürgen Elsässer (Stuttgarter Nachrichten, 1. Dezember 2017).

Schaut man sich die Parolen von »Zentrum Automobil e.V.«, Compact und »Ein Prozent« an, fällt die Übernahme von Begriffen der Linken und oppositioneller Betriebsgruppen auf: Es geht um »echte Solidarität unter den Arbeitern« und die »Verteidigung sozialer Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus« (Höcke auf der Compact-Konferenz), darum, sich wieder der »kleinen Leute« anzunehmen. Die seien, so Vertreter der »pa­triotischen Gewerkschaften«, von »denen da oben« verraten worden. Gemeint sind die DGB-Gewerkschaften und das Management (Flugblatt für eine Veranstaltung am 10. September 2017), aber auch ›Betriebsratsfürsten‹ mit stattlichen Gehältern, die nicht nur untereinander kungeln, sondern auch mit den eta­blierten Parteien unter einer Decke stecken würden. Es zähle »nicht mehr die Arbeit, sondern nur noch der Profit«,  »Familienväter« und »einfache Arbeiter« würden nur noch als »Nutzvieh« behandelt und von diesen »eta­blierten Interessenvertretungen schon lange nicht mehr vertreten«: »Die sind Teil des Problems und nicht der Lösung«, so Betriebsrat Christian Schickardt von der Betriebsratsliste »Zentrum« aus dem Untertürkheimer Daimler-Werk in einem Video von »Ein Prozent«.

»Große Gewerkschaften wie ver.di oder der Dachverband namens Deutscher Gewerkschaftsbund stecken mit den etablierten Parteien unter einer Decke. Nur so ist es zu erklären, dass sie einerseits vorgeben, für Arbeiter zu kämpfen, jedoch gleichzeitig unhaltbare Zustände der modernen Sklaverei (›Leiharbeit‹) und ›Kurzarbeit‹ ohne Skrupel durchwinken«, wird auf einem Flugblatt für eine Veranstaltung »Rettet unsere Arbeitsplätze« am 10. September in Ludwigsburg erklärt. Dort sollte u.a. diskutiert werden, warum Automobilarbeiter und Autofahrer am 24. September nicht die »Auto-Killer-Parteien« CDU, SPD, Grüne und Linke wählen dürften.

Gegen dieses Establishment will die Allianz aus »Ein Prozent«, Elsässers Compact und der Betriebsgruppe »Zentrum Automobil e.V.« nun eine »allein dem Wohl des Arbeiters verpflichtete Arbeitnehmervertretung« gründen – geplant sind nicht nur Kandidaturen zu den BR-Wahlen, sondern auch eine überregionale Expansion des bislang auf Stuttgart beschränkten Vereins »Zentrum Automobil e.V.« um Oliver Hilburger, den ehemaligen Musiker der Rechtsrock-Band »Noie Werte«, heute »Querdenker« und Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim, bis hin zu einem »alternativen« Gewerkschaftsdachverband. Jürgen Elsässer rührt dafür die Werbetrommel, indem er Fragmentarisches aus seinem früheren Eintreten für den »Arbeiterkampf« hervorkramt und für seine Selbstdarstellung als rechter Volkstribun instrumentalisiert. Seinen Verbündeten von »Ein Prozent« und aus der Identitären Bewegung fehlt die dafür nötige biographische Erfahrung. Sie entstammen dem unappetitlichsten Teil des Bürgertums: Philip Stein, der auf der Kampagnenseite »Ein Prozent« die Gründung rechter Betriebsräte propagiert, ist ein Spross der rechtsextremen Marburger Burschenschaft Germania. Martin Sellner von den österreichischen »Identitären« wurde von der Wiener Burschenschaft Olympia erzogen. Im Gespräch mit Hilburger und dessen Kollegen Christian Schickert versucht er mit Lifestyle-Jargon, Ermunterungs-Rüstzeug aus dem NLP-Moderationskoffer und devotem Kokettieren mit der eigenen, ›nur‹ philosophisch-studentischen »Schnabelwetzerei« eine Anbiederung  an die Arbeiter, die ehrlich schaffen: »Ihr baut alles auf, die Autos, die Autobahnen« – Anspielung auf Zeiten, in denen nicht alles schlecht war, inklusive.

Das Feuilleton greift das Thema mittlerweile ebenfalls auf und stellt dabei vor allem die Unterstützung von ArbeiterInnen und Gewerkschaftsmitgliedern für rechte Parteien – die selbstverständlich immer erst jenseits der so genannten Mitte von CDU/CSU definiert werden – in den Vordergrund. Wie schon im Anschluss an Didier Eribons Veröffentlichung der »Rückkehr nach Reims« zeigt sich dabei die interessierte Hypothese, dass der immer breiter werdende »rechte Rand« vor allem ein Effekt linker Politik sei, als Mainstream-Interpretation: »Unter Arbeitern stimmten bei der Bundestagswahl 19 Prozent für die AfD, unter Gewerkschaftsmitgliedern 15 Prozent. In Frankreich erreicht der Front National schon seit langem sehr gute Ergebnisse bei Arbeitern, die FPÖ in Österreich ebenfalls. Überall dort also, wo linke Parteien und Gewerkschaften lange Zeit bestimmend waren. Eine neue Arbeiterbewegung von rechts?« (FAZ, 31. Januar 2018) Interessiert diesen Mainstream, was die Mitte und ihre SoziologInnen selbst an Stichworten liefern für die Umdeutung von Klassenverhältnissen in scheinbare neutrale, nur von »Leistung« bestimmte Sortierungen in »Drinnen« und »Draußen«? Interessiert diesen Mainstream, was er selbst mit seiner Sozialpolitik an Steilvorlagen liefert für die Rechte, die mit ihrer national-sozialen Kapitalismuskritik die Spur der Verwüstungen beackern kann?

Zur Analyse des Wahlverhaltens, zu sinkenden Wahlbeteiligungen in den so genannten unteren Klassen, zur Verankerung rechter Positionen in den so genannten Mittelklassen haben wir im express einiges gesagt, zur Interpretation von Eribon ebenfalls. (Siehe Nr. 01-02, 03, 08, 09/2017)

Doch wie steht es um den Aufbruch der Rechten in die Betriebe? Ist er überhaupt wahrzunehmen, und ist deren Strategie erfolgversprechend? Wie schätzen Betriebsräte und GewerkschafterInnen diese Entwicklung ein? Und was setzen sie dem betrieblichen Arm der AfD entgegen? Darüber sprachen wir mit zwei Kollegen aus sehr unterschiedlichen Unternehmen: André Kaufmann, bis Sommer letzten Jahres Betriebsbetreuer der IGM Stuttgart für Daimler Untertürkheim, und einem langjährigen Betriebsrat bei der Societäts-Druckerei der FAZ in Frankfurt a.M. (S. 4ff. in diesem express)

 

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