Der in zähen Verhandlungen entstandene Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD trägt den Titel: »Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.« Es ist bezeichnend, dass die einsetzende Kritik die pro-europäische Ausrichtung weitgehend ignoriert.
Die dem Koalitionsvertrag unterliegende Analyse zielt auf zwei Thesen: Einerseits ist das Projekt EU aktuell massiv gefährdet (sowohl durch den Austritt Großbritanniens, die wachsenden ökonomisch-politischen Spannungen unter den Mitgliedsländern, aber auch durch die Aufwärtsbewegung des Rechtspopulismus sowie der EU-Skeptiker), andererseits ist eine Erneuerung Deutschlands nur im europäischen Rahmen zu haben. »Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, sind enorm. Das Vereinigte Königreich hat sich zum Austritt aus der EU entschlossen. Die Herausforderungen durch Flucht und Migration stellen die europäische Partnerschaft und Solidarität auf eine harte Probe. Wachstum und Beschäftigung kommen zwar in Europa wieder besser in Schwung, die Folgen der Wirtschaftskrise sind aber noch nicht vollständig überwunden.«
Diese Bestandsaufnahme interessiert viele KritikerInnen nicht, zum Teil wird die anti-europäische Haltung der modernen Rechten von einem Teil der radikalen Linken geteilt. Die potenziellen Koalitionäre sind sich einig in der klaren Absage an Protektionismus, Isolationismus und Nationalismus. Sie wollen in diesem Sinne und insbesondere auch in enger Partnerschaft mit Frankreich die Eurozone nachhaltig stärken und reformieren, sodass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann. Dabei bleibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft die Leitschnur. Logischerweise sind EU-SkeptikerInnen wegen ihrer Orientierung an Nationalstaat und Nationalismus von einer solchen Kooperationsperspektive sowohl aus ökonomischen als auch aus ideologischen Gegenpositionen wenig angetan.
Laut Koalitionsvertrag soll der Euroraum insgesamt gestärkt werden. Deutschland ist zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit – auch um die 13 Mrd. Euro große Lücke zu füllen, die durch den Brexit entstehen wird. Wie viel genau Deutschland beisteuern will, das bleibt im Vertrag offen. Außerdem soll es einen neuen Investivhaushalt für die Euro-Zone geben. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte immer für ein solches Euro-Budget geworben. Ihm dürfte auch gefallen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden soll, mit dem Mitgliedsstaaten in finanzieller Notlage unterstützt werden sollen – kontrolliert vom EU-Parlament. Die Rechte der nationalen Parlamente sollen davon aber unberührt bleiben.
Wolfgang Schäuble war in den zurückliegenden Jahren der Garant für eine neoliberale Austeritätspolitik. Was an anderen Ansätzen vorgetragen oder z.T. gefordert wurde, stieß auf seinen entschiedenen Widerstand. Das von Martin Schulz und anderen sogenannten Europäern geforderte »Ende des Spardiktats« ist nichts anderes als ein Tritt in die Tonne für das von Schäuble hochgehaltene Prinzip, dass es Hilfen nur gegen Auflagen oder Strukturreformen geben kann.
Angela Merkels kühler Abschied von der ideologischen Ausrichtung Schäubles ist die neueste ihrer berühmt-berüchtigten Kehrtwenden. CDU-Politiker sind daher von der Besetzung des Finanzministeriums erschüttert und fordern vom nächsten Finanzminister, dass die Europapolitik von Wolfgang Schäuble fortgesetzt wird. Mit Deutschland dürfe es keine Öffnung zur Schuldenunion geben, womit die Ablehnung einer Politik der Ausgleichung und der Förderung gemeint ist. Über das SPD-geführte Finanzministerium soll ein Abrücken von der Austeritätspolitik in Europa möglich werden. Gelingt dies, würde trotz Brexit ein neues Kapitel in der europäischen Zusammenarbeit eröffnet. Die Erneuerung der EU wird nur gelingen, wenn Deutschland und Frankreich mit ganzer Kraft gemeinsam dafür arbeiten. Deshalb soll die deutsch-französische Zusammenarbeit ausgebaut werden. Ein neuer Élysée-Vertrag [1] ist hierzu ein erster und wichtiger Schritt. Dieser Weg ist von der modernen Rechten und den linken Kräften in Frankreich und Deutschland abgelehnt worden.
Es geht auch um eine neue Dynamik für Deutschland. Deutschland soll, so der politische Wille von CDU/CSU und SPD, weiterhin ein wirtschaftlich starkes und sozial gerechtes Land werden, was bedeutet, dass die einseitigen Verteilungseffekte der Modernisierungspolitik zurückgedrängt und aufgehoben werden müssen. Der Alltag soll spürbar verbessert und die Sorgen der benachteiligten Menschen ernst genommen werden.
Die sozialstaatliche Regulierung bleibt laut Koalitionsvertrag allerdings in engen Grenzen. Eine neoliberale Politik mit Steuersenkungen, Sparpolitik und Umverteilung zulasten der Lohnabhängigen und BürgerInnen konnte die Union nicht mehr durchsetzen. Damit haben SPD-PolitikerInnen und viele BeobachterInnen Recht: Der Koalitionsvertrag trägt eine sozialdemokratische Handschrift. Schon in der letzten Legislaturperiode hatte die SPD mit Mindestlohn, Mietpreisbremse oder der Rente mit 63 erste Ansätze durchgesetzt. Diese Ansätze und Themen sind ausgebaut worden, bleiben aber hinter den Erwartungen zurück.
Im Wahlkampf hatten CDU und CSU erklärt, die Menschen könnten sich darauf verlassen, dass es zu einer steuerlichen Entlastung von 15 Mrd. Euro im Jahr kommen werde. Das Geld sei da. Die Lohnabhängigen erhalten in der Tat bei den Sozialbeiträgen, dem Soli und bei den staatlichen Dienstleistungen eine leichte Entlastung. Im Koalitionsvertrag ist allerdings auch festgehalten: »Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen.« Es wird also keine Umschichtung von oben nach unten geben, die ökonomisch wie sozial eigentlich unverzichtbar ist.
Rente
Einerseits werden gemäß Wünschen der SPD bis 2025 Garantien abgegeben, wo noch offen ist, wie teuer sie werden, und eine neue »Grundrente« eingeführt. Andererseits wird auf Geheiß der CSU die »Mütterrente« ausgebaut.
Positiv ist die gesetzliche Absicherung eines Rentenniveaus von 48% bis 2025. Allerdings zeigt ein Blick in den jüngsten Rentenversicherungsbericht, dass u.a. wegen der positiven Beschäftigungsentwicklung das Rentenniveau bis einschließlich 2024 weitgehend konstant oberhalb von 48% bleiben soll. Erst danach geht der Rentenversicherungsbericht von einem deutlichen Absinken aus. Die möglichen schwarz-roten Koalitionäre in spe schreiben also lediglich die aktuell erwartete Entwicklung gesetzlich fest. Weitere Korrekturen am Rentenniveau sind nicht vorgesehen.
Gleichermaßen wird ein kleiner Schritt zur Beseitigung der Tendenz zur Altersarmut eingeleitet: durch die Einführung einer »Grundrente« für Menschen mit 35 Jahren Beitragszeiten (Kindererziehungs- und Pflegezeiten werden angerechnet, aber keine Zeiten der Arbeitslosigkeit) mit Bedürftigkeitsprüfung analog der Grundsicherung. Die Leistungshöhe soll 10% über der Grundsicherung im Alter liegen und die private Vorsorge ist keine Voraussetzung mehr. Zu den weiteren rentenpolitischen Maßnahmen gehören die Aufstockung der Erwerbsminderungsrenten, die Altersvorsorgepflicht für Selbständige sowie, auf Drängen der CDU, die Einführung der »Mütterrente II«.
Unterm Strich erweist sich die rentenpolitische Initiative der möglichen Großkoalitionäre als völlig unzureichend. Die eigentliche dringliche Trendwende beim Rentenniveau wird es nicht geben, ebenso wenig wie einen Schutz vor Armut im Alter. Von der »Grundrente« wird nur ein kleiner Teil der von Altersarmut schon jetzt betroffenen oder zukünftig bedrohten Menschen profitieren. Selbst für diese eher Wenigen sind die in Aussicht gestellten Leistungen viel zu gering dimensioniert, um sie wirksam vor Armut zu schützen. Zum Jahresende 2017 lag der bundesdurchschnittliche Bedarf bei annähernd 800 Euro. Addiert man dazu den geplanten Zuschlag von 10%, ergibt sich eine Summe von 880 Euro. Die Armutsschwelle von 60% des Medianeinkommens lag dagegen nach dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes schon 2016 bei 969 Euro. [2]
Kinderarmut
Die im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut wie die Erhöhung und leichtere Beantragung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien und Alleinerziehende sowie die Aufstockung Schulstarterpakets für Schulmaterial von Kindern aus einkommensschwachen Familien sind begrüßenswerte Initiativen, die das Los der betroffenen Familien mit Kindern erleichtern. Sie reichen aber nicht annähernd aus, um etwa die Benachteiligung von Alleinerziehenden und ihrer Kinder nachhaltig zu verbessern.
Nach einer aktuellen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung sind 13% der Paare mit einem Kind armutsgefährdet, 16% jener mit zwei und 18% solcher mit drei Kindern. [3] Besonders drastisch ist die Situation für Alleinerziehende. Von ihnen sind 68% von Armut betroffen.
Quelle: Jan Marvin Garbuszus, Notburga Ott, Sebastian Pehle, Martin Werding, Wie hat sich die Einkommenssituation von Familien verändert? Ein neues Messkonzept, Studie im Auftrag der Ruhr-Universität Bochum und der Bertelsmann-Stiftung, Februar 2017.
Um Kinderarmut nachhaltig einzudämmen, bedürfte es eines umfassenden Reformpakets mit u.a. einer entsprechenden Aufstockung der Regelleistungen und auf die Bedürfnisse der Eltern zugeschnittenen Maßnahmen, die es ihnen erlauben, sich beruflich zu qualifizieren und einer Beschäftigung nachzugehen. Das wäre dann auch die praktische Umsetzung von Kinderrechten im Grundgesetz, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen.
Bildung
Mehr Geld wollen die Koalitionäre auch in die Bildung stecken, indem sie den Ländern viel Geld für die Digitalisierung der Schulen und für Ganztagesschulen offerieren. Ab 2025 wird es ein Recht auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder geben. Damit muss sich dann die nächste Regierung herumschlagen, genauso wie mit dem Recht auf einen schnellen Internet-Anschluss, das auch ab diesem Zeitpunkt gelten soll. Also der Einstieg ist löblich, aber es wären deutlich entschiedenere Maßnahmen notwendig.
Arbeitsmarkt
Die Deregulierung des Arbeitsmarkts, die den Anfang des Jahrhunderts in Deutschland geprägt hat, wird nur in homöopathischen Dosen zurückgenommen.
Langzeitarbeitslosigkeit
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu eröffnen. Dazu soll im SGB II ein neues Regelinstrument »Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle« eingeführt werden. Gemeint ist damit die Einrichtung von öffentlich geförderten Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose. »Regelinstrument« bedeutet, dass dauerhaft ein reguläres Förderinstrument im SGB II etabliert wird. Und: »Bei den sozialversicherungspflichtig bezuschussten Arbeitsverhältnissen im sozialen Arbeitsmarkt orientiert sich der Zuschuss am Mindestlohn.«
Die Einführung eines solchen Regelinstruments ist sicherlich zu begrüßen. Angesichts der vorliegenden Schätzungen zur Größenordnung der Zahl von Langzeitarbeitslosen, die heute nahezu chancenlos sind, entspricht die in den Koalitionsgesprächen genannte Zahl von 150.000 Personen, die gefördert werden sollen, höchstens zur Hälfte dem erforderlichen Bedarf. Für das neue Instrument soll der Hartz-IV-Eingliederungstitel jährlich um eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Ob das auskömmlich sein wird, daran gibt es Zweifel.
Die Kosten eines Beschäftigungsprogramms für 100.000 Arbeitslose wurden vom Bundesarbeitsministerium im Frühjahr 2017 auf laufend 1,3 Mrd. Euro jährlich und auf 1,9 Mrd. im Einführungsjahr geschätzt. Sollen mit dem neuen Förderinstrument keine drittklassigen Beschäftigungsformen (»1-Euro-Jobs-Plus«), sondern reguläre Arbeitsplätze geschaffen werden, dann lässt sich die Zahl von 150.000 geförderten Langzeitarbeitslosen nur dann (annähernd) erreichen, wenn zusätzlich, wie im Koalitionsvertrag versprochen, ein »Passiv-Aktiv-Transfer« tatsächlich realisiert wird, also eingesparte Hartz-IV-Leistungen für den Lebensunterhalt in die Arbeitsförderung reinvestiert werden.
Weil der Bund keine kostendeckenden Finanzmittel zur Verfügung stellt, haben die Jobcenter in den beiden letzten Jahren jeweils rund 750 Mio. Euro aus dem Eingliederungstitel umschichten und »zweckentfremden« müssen, um ihre Personal- und Verwaltungskosten zu decken. Der Umschichtungsbedarf wird für das Jahr 2018 auf eine Milliarde Euro geschätzt. Die zusätzliche Milliarde kann aber nur einmal ausgegeben werden und nicht Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schaffen und gleichzeitig die Verwaltungskosten der Jobcenter decken. Das Hartz-IV-System bleibt auch nach der Erhöhung des Eingliederungstitels um die jetzt vereinbarte eine Milliarde weiterhin strukturell unterfinanziert.
Die von den Unionsparteien und SPD ausgehandelten Maßnahmen können höchstens ein erster Schritt zur Eindämmung der Langzeitarbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Lebenslage der davon Betroffenen sein.
Weitere im Koalitionsvertrag verabredete Maßnahmen wie das Recht auf Weiterbildung oder die Erleichterung der Gründung und Wahl von Betriebsräten bringen für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretung Verbesserungen. Zu diesen positiven Veränderungen zählen auch die Begrenzung der Stundenzahlen für Arbeit auf Abruf sowie das Recht auf befristete Teilzeit.
Befristete Beschäftigung
Laut Statistischem Bundesamt sind in Deutschland derzeit 8,5% der rund 40 Mio. Lohnabhängigen befristet eingestellt, knapp die Hälfte davon mit sachgrundloser Befristung. Im öffentlichen Dienst beträgt der Anteil insgesamt 11%. Betrachtet man nur die Neueinstellungen, werden derzeit 56 von 100 Stellen in der öffentlichen Verwaltung befristet; im Hochschulwesen sind es gar mehr als 70. Im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft sind es knapp 45 von 100 Stellen.
Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen war eines der Kernanliegen der SPD in den Koalitionsverhandlungen. Herausgekommen ist jetzt eine Verkürzung der zulässigen Laufzeit für befristete Arbeitsverträge. »Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.«
Zudem haben die Koalitionäre in spe auch eine gewisse Begrenzung für sogenannte Kettenbefristungen verabredet, wie sie vor allem der öffentliche Dienst mithilfe der anerkannten Sachgründe nutzt: Länger als fünf Jahre am Stück sollen Arbeitnehmer künftig in keinem Fall mehr beim selben Arbeitgeber befristet angestellt werden dürfen.
Diese Eingrenzungen der Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverträgen bedeutet sicherlich eine Verbesserung gegenüber dem Status quo. Wie viele Beschäftigte davon profitieren werden, bleibt offen. Zudem bestünde dringender Reformbedarf auch bei den Befristungen mit Sachgrund. So fordern die Gewerkschaften u.a. zu Recht, dass befristet Beschäftigte ein Anrecht darauf haben sollten, bevorzugt bei der Besetzung neuer Arbeitsplätze berücksichtigt zu werden. Außerdem fordern sie die Aufhebung des Sachgrunds »Befristung wegen befristeter Haushaltsmittel« im öffentlichen Dienst. Für eine solche Bevorzugung des öffentlichen Dienstes gibt es keinerlei Notwendigkeit. Die Regelung ist missbrauchsanfällig, weil durch die Jährlichkeit der Haushalte immer wieder neue Befristungsgründe geschaffen werden können.
Mit den Reglungen zur befristet Beschäftigung ist damit nur ein eher bescheidener Beitrag zur Eindämmung der Prekarisierung der Lohnarbeit gelungen. Dies umso mehr als gleichzeitig andere Formen prekärer Beschäftigung noch zusätzlich unterstützt werden. So wollen CDU/CSU und SPD »Geringverdienerinnen und Geringverdiener (…) bei Sozialbeiträgen entlasten (Ausweitung Midi-Jobs). Dabei wird sichergestellt, dass die geringeren Rentenversicherungsbeiträge nicht zu geringeren Rentenleistungen im Alter führen.« Ein ganz besonderes Bonbon findet sich in diesem Zusammenhang noch unter der Rubrik Alterssicherung: »Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte – in Stadt und Land gleichermaßen – wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf 5 Prozent abgesenkt.«
Weitgehend offen ist die Reform der Krankenversicherung. Die Frage der sogenannten Zwei-Klassen-Medizin ist zwischen Union und SPD bleibt strittig. Zunächst soll eine wissenschaftliche Kommission eingerichtet werden, die bis Ende 2019 eine Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte vorbereitet und prüft. Ob der von der SPD geforderte Schritt dann auch realisiert werde, hänge von der Machbarkeit ab. Die Sozialdemokraten wollten u.a. mit einer Angleichung der Honorare die Unterschiede zwischen den beiden Arten der Krankenversicherung abschaffen und so ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten. Derzeit bestehen für die gesetzliche und die private Krankenversicherung zwei unterschiedliche Honorarordnungen.
Fazit
Nach Abschluss des Koalitionsvertrags zwischen den Unionsparteien und der SPD ist in den nächsten Wochen erst die Zustimmung der SPD-Mitglieder abzuwarten. Diese ist im gegenwärtigen Zustand des politischen Niedergangs keine Selbstverständlichkeit. [4] Als sicher kann aber gelten, dass diese Koalitionsvereinbarung, wenn sie denn wirklich das nächste Regierungsprogramm bilden wird, die soziale Spaltung in Deutschland nur in kleinsten Dosierungen zurückdrängen wird. Die Ansätze sind positiv: verschärfte Mietpreisbremse, eine verweigerte Steuerentlastung für die Unternehmen und die höheren Einkommensbezieher, höhere Finanztransfers, höhere Rentenleistungen, neue Unterstützungen für Familien und Eigenheimkäufer, bestätigte Energiewende.
All diese Maßnahmen werden die Leistungsfähigkeit und die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft nicht beschädigen. Aber die dadurch ausgelöste Stärkung der Binnenwirtschaft hält sich in Grenzen und die soziale Ungleichheit bleibt weiterhin ein Hindernis für die Entfaltung der gesellschaftlichen Ressourcen. Wirtschaftliche Prosperität wird als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, es gibt zu wenig soziale Strukturreformen.
In der CDU gibt es wegen der Ressortverteilung Unzufriedenheit, während SPD-Politiker die angekündigte Übergabe des Parteivorsitzes von Martin Schulz an Fraktionschefin Andrea Nahles kritisieren. Zufrieden zeigten sich dagegen CSU-Politiker. Voraussetzung für eine erneute Große Koalition ist allerdings, dass die SPD-Basis zustimmt. Die SPD hatte bereits vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entschieden, die Parteimitglieder über ein Bündnis mit CDU und CSU abstimmen zu lassen. Eine Neuauflage der Großen Koalition ist in der Partei umstritten. Die Parteispitze will auf einer Reihe von Regionalkonferenzen für das Verhandlungsergebnis werben.
Juso-Chef Kühnert geht für die Gro-Gegner ebenfalls auf Tour, um die Gegner eines erneuten Bündnisses mit der Union zu mobilisieren. »Niemand kann sich sicher sein, was den Ausgang des Mitgliedervotums angeht«, sagte er. Der Juso-Chef fürchtet jedoch, der angekündigte Wechsel an der Parteispitze könne die notwendigen inhaltlichen Debatten überschatten. »Es belastet das Votum, diese Personaldebatte jetzt in der Öffentlichkeit zu führen«. Das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung, die von 20. Februar bis 2. März laufen wird, soll am 4. März bekanntgegeben werden.
[1] Gegen einen solchen neuen Vertrag wenden sich explizit Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung »La France Insoumise« (LFI), sowie Teile der Linkspartei in Deutschland.
[2] Vgl. dazu ausführlicher, Bernhard Müller, Schwarz-Rot: Ein rentenpolitisches Armutszeugnis, in: Sozialismus 2/2018.
[3] Jan Marvin Garbuszus, Notburga Ott, Sebastian Pehle, Martin Werding, Wie hat sich die Einkommenssituation von Familien verändert? Ein neues Messkonzept, Studie im Auftrag der Ruhr-Universität Bochum und der Bertelsmann-Stiftung, Februar 2017.
[4] Wie real diese Gefahr ist, zeigt sich prompt in der Diskussion um Sigmar Gabriel, der der SPD-Führung bei den Personalentscheidungen jetzt »Wortbruch« vorwirft.