Ein Interview mit dem anarcha-feministischen Kollektiv Needle ‘n‘ Bitch aus Yogyakarta (Indonesien)
Graswurzelrevolution: Was ist Needle 'n' Bitch und warum habt ihr diesen Namen gewählt? Wie sehen euer Selbstkonzept und eure alltäglichen Aktivitäten aus?
Needle ´n‘ Bitch: Needle ´n‘ Bitch ist ein anarcha-feministisches Kollektiv in Yogyakarta, Indonesien. 2009 haben wir uns in Jakarta gegründet. Zu dieser Zeit war Anarchismus für Indonesien noch was ganz neues. Es entwickelten sich verschiedene Gruppen, Projekte und Initiativen. Wir hatten jedoch das Gefühl, da war noch kein konstanter und beständiger Raum gegeben. Also haben wir uns entschlossen diesen Raum zu schaffen, in dem wir das Experiment wagten, Theorie zur Praxis zu machen. Wir wollten ein stabiles Kollektiv schaffen, denn aus unserer Erfahrung heraus haben sich andere Projekte oder Kollektive nach einiger Zeit wieder selbst aufgelöst. Wir haben versucht aus deren Fehlern zu lernen und schufen einen Ort an dem Anarchismus ausprobiert werden sollte.
Ganz am Anfang war der Name unseres Projekts „Infoshop“ oder „Infohaus“. Wir haben angefangen eigene Crafts (Tote-Bags, Taschen, T-Shirts u.v.m.) herzustellen, um uns dadurch selbst zu finanzieren. Daraus entwickelte sich der Name Needle ‘n‘ Bitch. Wir stellen all unsere Crafts selbst her. Wir verstehen uns auch als ein geschützter Raum für Frauen, in dem wir uns gegenseitig austauschen und unterstützen können. Wir nannten das am Anfang „bitching“. Die Frauen aus unserem Projekt haben alle Schwierigkeiten gesellschaftlich anerkannt zu werden. Einzig und allein, weil wir zum Beispiel Tattoos haben, Alkohol trinken oder einfach nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen. Somit entstand der Name von unserem Projekt und eigenem Label. Wir wollen die negativ konnotierte Bezeichnung „Bitch“ dekonstruieren und positiv besetzen. Es gibt hier in Yogyakarta kein anderes Projekt mit dem Fokus auf Anarchismus, Gender und Feminismus. Es gibt zwar Gruppen, die das in ihren künstlerischen Werken, Musik und Literatur oder andersweitig auch ausdrücken. Das ist aber nur darüber reden, nur Theorie, keine Praxis.
Wir wollen nicht nur die großen Sachen angehen, wie Gesellschaft verändern oder Strukturen zerschlagen. Wir wollen im Kleinen beginnen um somit Änderungsprozesse herbei zu führen. Wir verstehen uns als einen hierarchiefreien Raum und sehen alle Menschen als gleichwertig, unabhängig von Geschlecht oder Gender. Das versuchen wir an uns selbst und in unserem Projekt im Alltag zu praktizieren. Wir verstehen uns somit als Raum, in dem das alle Partizipierenden und Interessierten selbst ausprobieren und leben können. Das sehen viele als zu radikal an. Viele trauen sich nicht ihr gewohntes Leben und ihre Verhaltensweisen zu ändern. Wir sprechen auch offen über Probleme oder kommunizieren das innerhalb der Gruppe. Viele Menschen können das hier nicht. Viele setzen Anarchismus gleich mit der Freiheit machen zu können was man will. Die verstehen Anarchismus jedoch falsch. Für uns heisst anarchistische Praxis nicht wahllose Freiheiten zu haben, sondern gemeinsam solidarisch miteinander umzugehen, auf eine Art, in der jeder Mensch sich auf seine Weise und mit seinen Wünschen und Interessen einbringen kann.
Unsere Aktivitäten sind zum Beispiel Workshops, Diskussionsrunden, thematische Veranstaltungen und natürlich unsere Crafts. So kann sich jeder bei uns selbst ausdrücken und neue Sachen dazu lernen. Wir versuchen die gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen in unserer Gruppe zu überwinden oder zu dekonstruieren. Zwar sind wir weit davon entfernt die Gesellschaft zu ändern, aber in unserem alltäglichen Leben versuchen wir damit anzufangen. Im Gegensatz zu anderen linken Gruppen in Indonesien. Wir von Needle ‘n‘ Bitch verstehen uns als Ort der Inspiration. Wir wollen andere Menschen inspirieren auch aktiv zu werden.
GWR: Könnt ihr näher erläutern was Anarchismus für euch bedeutet und wie ihr das in eurem Projekt im Alltag praktiziert bzw. lebt?
Needle ´n‘ Bitch: Wir vertreten im Kollektiv verschiedene Grundsätze: wir sind gegen Hierarchien, selbstorganisiert, autonom, wir haben gewisse Standards was Gender und Geschlecht angeht, und wir sind alle gleichberechtigt. Im Gegensatz zu anderen Gruppen in Indonesien. Die sind teilweise noch ziemlich sexistisch, homophob oder feindlich gegenüber Transgender.
Wir versuchen anarchistische Grundsätze in unserem Kollektiv auch in der Selbstorganisation zu leben. Zum Beispiel haben wir bei den verschiedenen organisatorischen Aufgaben im Projekt das Rotationsprinzip, so dass am Ende jeder den Prozess kennt und wir alle den gleichen Wissenstand haben. Und diese Grundsätze versuchen wir auch nach außen zu tragen. Vor allem zu unseren Freunden in anderen Gruppen. Wir haben auch den Grundsatz nicht mit Regierungsorganisationen zusammen zu arbeiten. Ebenso lehnen wir die Finanzierung durch solche Institutionen ab. Unsere Crafts sollen solidarisch, fair und offen für alle sein. Das bedeutet für uns, dass wir finanziell nicht von Regierungsorganisationen oder anderen Geldgebern abhängig sein wollen.
Wir wollen auch, dass in unserem Kollektiv althergebrachte Vorstellungen von Gender dekonstruiert werden. Wir denken, dass all die Theorie über Anarchismus oder Feminismus im individuellen Alltag angewendet werden muss. Das heißt zum Beispiel nicht, dass auf unseren Events die Frauen in der Küche stehen und das Essen vorbereiten. Das ist in anderen Gruppen häufig zu sehen. Zum Glück hat sich das mittlerweile aber etwas geändert.
GWR: Lebt ihr bei Needle ‘n‘ Bitch als ein Kollektiv oder eine Genossenschaft zusammen und habt ihr dabei ein eigenes ökonomisches Prinzip?
Needle ´n‘ Bitch: Ja, haben wir. Wir verstehen uns als ein Kollektiv oder als eine Kooperation. Wir versuchen dabei nach anarchistischen Prinzipien zu leben und zu handeln. Das heißt unter anderem auch, dass wir nach dem ökonomischen Prinzip des Mutualismus leben. Wir möchten in unseren eigenen Handlungsweisen nicht die kapitalistischen Mechanismen wiederholen oder wirken lassen, wie sie um uns herum passieren. Das versuchen wir zumindest zu vermeiden. Das heißt niemand aus dem Kollektiv hat mehr Vorteil oder Vergünstigungen als die anderen.
Wir haben keine Manager oder Chefs welche mehr Geld verdienen. All der Gewinn aus dem Verkauf unserer Crafts werden gleich verteilt.
Für uns ist das ein individueller Kampf: wir wollen nicht die gleichen Fehler machen wie andere Projekte oder Kollektive. Obwohl sie tolle Ideen hatten, mussten sie ihr Projekt aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung aufgeben. Die Aktivist_innen mussten ihr Engagement irgendwann abbrechen, weil sie gezwungen waren einer normalen Arbeit nachzugehen. Deshalb versuchen wir bei Needle ‘n‘ Bitch unseren Aktivismus und die eigenen Bedürfnisse selbstständig zu finanzieren. Um das zu realisieren, ist es wichtig zu wissen mit wem wir zusammen arbeiten, wie wir unser Geld im Kollektiv verteilen, wer für die Finanzen verantwortlich ist. Unser Einkommen wird aufgeteilt in Produktionskosten, Kosten zur Erhaltung unseres Community-Hauses und für die individuellen Bedürfnisse. So haben wir bis jetzt überlebt. Es ist eigentlich immer gerade so genug. Aber zumindest fühlen wir uns damit zufriedener, als jemanden in den Arsch kriechen zu müssen. Wir sind total unabhängig von staatlicher, finanzieller Unterstützung oder von Nichtregierungsorganisationen.
GWR: Was macht eurer Meinung nach anarchistischen Aktivismus für Menschen in Indonesien interessant und wie war euer persönlicher Weg dahin?
Needle ´n‘ Bitch: Das ist unterschiedlich. Früher, kurz nach der Jahrtausendwende, war der Enthusiasmus der Menschen verbreitet und ihr Interesse an Anarchie sehr groß. Ab 2009 änderte sich das jedoch. Die Netzwerke lösten sich langsam auf. Einige Gruppen gibt es noch, die meisten jedoch haben sich aufgelöst. Einige neue haben sich gegründet. Auch anarchistische Gruppen.
Die meisten haben sich dem Anarchismus erst genähert nachdem sie in traditionellen linken Gruppen unterwegs waren. Zum Beispiel in traditionellen leninistisch-marxistischen Gruppen.
In diesen Gruppen gibt es viele Widersprüche, die gesellschaftlichen Strukturen, die wir ja kritisierten, spiegelten sich auch in diesen Gruppen wider. Es gab Hierarchien und strukturelle Ungleichheiten.
Einige kommen in verschiedenen linken Gruppen mit Anarchismus in Berührung, einige im akademischen Bereich, für viele ist der erste Berührungspunkt die Musik. Das wird dann weiter getragen. In Lyrics, Zines oder in Slogans auf Patches und T-Shirts. Aber im Großen und Ganzen ist die linke Szene in Indonesien stark dominiert von roten Fahnen.
GWR: In der indonesischen Geschichte wurde die linke Bewegung in den Jahren 1965/66 durch das Militär und zivile TäterInnen fast vollständig ausgelöscht [siehe dazu: Indonesien-Schwerpunkt in GWR 404]. Auch progressive Frauenbewegungen wie Gerwani zählten dazu. Haben diese Bewegungen Einfluss auf euch oder euer politisches Verständnis?
Needle ´n‘ Bitch: Diese Gruppen haben eigentlich keinen großen Einfluss auf unser heutiges Engagement. Die politische Situation heute ist anders. Viele marxistisch-leninistische Gruppen nehmen jetzt die damaligen linken Bewegungen schon zum Vorbild. Deren Ideal ist ja eine neue kommunistische Partei zu gründen. Aber für uns ist das anders. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir als Needle ‘n‘ Bitch sehr aus der Norm fallen, was die politische Ausrichtung im Vergleich mit anderen linken Gruppen in Indonesien angeht. Wir sind nicht so traditionell, wie es ja auch die linken Gruppen damals um 1965/66 oder davor waren.
Dennoch respektieren wir die Gruppen von damals sehr, egal wie sie organisiert waren oder welcher Ideologie sie gefolgt sind.
GWR: Welche aktuellen sozialen Bewegungen nehmt ihr zum Vorbild, bzw. haben Einfluss auf eure politische Praxis?
Needle ´n‘ Bitch: Die kann man gar nicht alle aufzählen. Jeder Mensch ist eine Inspiration. Zum Beispiel Menschen, die es sich trauen ihre Familie und das alte Leben hinter sich zu lassen, um ein anderes Leben zu führen, als ihnen vorgeschrieben ist. Das muss auch nicht unbedingt mit unserer politischen Meinung konform sein. Auch Widerstand in ganz kleinen alltäglichen Sachen, vor allem von Frauen, bewirkt etwas. Zum Beispiel die Entscheidung alleinerziehende Mutter zu sein, oder die bewusste und offene Lebensweise als Transsexueller bzw. Transgender. Das erfordert in Indonesien sehr viel Mut und bringt viele Schwierigkeiten mit sich. International gesehen gibt es viele Vorbilder. Zum Beispiel die Widerstandskämpferinnen aus dem spanischen Bürgerkrieg. Wir teilen nicht alle politischen Standpunkte mit diesen Gruppen, aber wir nehmen die aktive Partizipation besonders der Frauen als Vorbild. Auch die indigenen politischen Bewegungen in Indonesien. Das gehört auch zu unserer politischen Arbeit zum Beispiel. Viele indigene Gruppen leiden sehr unter Diskriminierung und Restriktionen durch die Regierung. Wir versuchen dort vor Ort soweit es geht zu unterstützen. Das verstehen wir unter solidarischer Arbeit. Aktuell ist auch der Kampf in den kurdischen Gebieten nicht zu vergessen. Dort partizipieren auch viele Frauen und haben großen Einfluss auf die Widerstandskämpfe.
GWR: Arbeitet ihr in lokalen oder internationalen Netzwerken mit anderen anarchistischen Gruppen zusammen?
Needle ´n‘ Bitch: Ja. Bevor Needle ‘n‘ Bitch nach Yogyakarta umgezogen ist, waren wir in Jakarta schon mit verschiedenen Gruppen vernetzt. Natürlich ebenso mit Gruppen aus ganz verschiedenen Regionen in Indonesien. Nachdem wir 2012 unser Projekt nach Yogyakarta verlegt haben, haben wir uns mit verschiedenen Gruppen vor Ort vernetzt: Anarchist_innen, Frauenrechtsgruppen und verschiedenen LGBTQ-Communities. Darüber hinaus arbeiten wir auch mit unterschiedlichen Farmerorganisationen zusammen, unterstützen indigene soziale Bewegungen und sind mit Gruppen, die sich mit Gentrifizierungsprozessen beschäftigen, vernetzt.
GWR: Wie reagiert die Bevölkerung auf euren Aktivismus, ganz besonders die unmittelbare Nachbarschaft eures Projekts?
Needle ´n‘ Bitch: Die Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wundern sich über die Aktivitäten in unserem Haus. Für uns ist es wichtig in der Nachbarschaft nicht negativ aufzufallen. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel verschiedene Workshops mit unseren Nachbarn durchgeführt. Trotzdem ist für die meisten nicht schlüssig, wer wir sind und was wir eigentlich machen. Hier leben sehr viele konservativ eingestellte Menschen. Wenn wir über LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) oder Frauenrechte sprechen, dann sind das sensible Themen. Generell erleben wir immer positive und negative Reaktionen auf unser Kollektiv. Damit müssen wir umgehen können. Als wir hierher gezogen sind, mussten wir von Anfang aushandeln, dass bei uns Frauen und Männer zusammen in einem Haus leben (in Indonesien ist das Zusammenleben von unverheirateten Menschen unterschiedlichen Geschlechts aus moralischen Gründen generell unerwünscht). Viele Menschen hier können es nicht verstehen, dass FreundInnen egal welchen Geschlechts zusammen leben möchten. Da wird immer ein sexuelles Interesse unterstellt, man wird als unmoralisch stigmatisiert oder der Tradition widersprechend.
Durch unsere Offenheit gegenüber den Nachbarn und die Integration in die nachbarschaftliche Communities ist die Akzeptanz unseres Kollektivs zumindest bis heute möglich geworden.
GWR: Im April 2016 hat in Yogyakarta das erste „Ladyfast“, ein von verschiedenen Gruppen organisiertes feministisches Festival, in Indonesien stattgefunden. Dieses wurde durch eine fundamentalistische Gruppe zusammen mit der Polizei attackiert und abgebrochen. Könnt ihr mehr über dieses Ereignis und dessen Hintergründe erzählen?
Needle ´n‘ Bitch: Seit geraumer Zeit gibt es in Indonesien eine sogenannte Anti-LGBT Bewegung. Bereits vor dem „Ladyfast“ gab es einige Bestrebungen dieser Bewegung, um gegen die LGBT-Community in Indonesien vorzugehen. Diese Leute wissen über alle unsere Aktivitäten Bescheid. Sie haben uns genau im Blick.
Über die verschiedenen sozialen Medien folgen sie uns und so wussten sie auch vom „Ladyfast“, an dem unter anderem auch Needle ‘n‘ Bitch als Organisatorin teilnahm. Was an diesem Abend geschah war sehr intensiv. Die Veranstaltung war schon fast zu Ende. Als die vorletzte Band spielte erschien eine größere Gruppe und brüllte laut „Allahu Akbar”. Das waren ungefähr 20 bis 30 Männer, die permanent mit aggressiver Stimme die Gäste anschrien und als „Schlampen” beschimpften. Sie wurden allmählich auch gewalttätig und einige der Gäste wurden verletzt. Die Polizei war recht schnell vor Ort, griff jedoch nicht ein. Die Veranstaltung musste aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden.
Man kann das Geschehen im Nachhinein auch positiv betrachten. Wir haben es geschafft diese Menschen für zwei bis drei Stunden hinzuhalten.
Sie haben ihr Ziel, die Veranstaltung sofort aufzulösen, nicht durchsetzen können. Die meisten von uns sind standhaft geblieben. So perfide das klingt, aber das können wir auch als Erfolg verbuchen.
GWR: Was sind die Gründe dieser Anti-LGBT-Bewegung?
Needle ´n‘ Bitch: Linke Ideen sind hier in Indonesien seit den Ereignissen in den Jahren 1965/1966 (vgl. GWR 404) negativ stigmatisiert. Während der 32-jährigen Diktatur unter Suharto wurden alle Aktivitäten, die tatsächlich oder vermeintlich gegen das damalige Regime waren, im Keim erstickt. Oppositionelle Bewegungen wurden als kommunistisch stigmatisiert und konnten somit im Sinne der anti-kommunistischen Diktatur ausgelöscht werden. Selbst wenn Menschen keine politischen Motivationen hatten - die kleinste Kritik am Staat wurde sofort als kommunistisch beschuldigt. Dieses Stigma lebt bis heute fort. Wenn die Menschen heute nur den Begriff „links” hören, wird das mit kommunistisch gleichgesetzt. Die Mehrheit der derzeitigen Anti-LGBT Bewegung hat einen religiösen oder nationalistischen Hintergrund.
Sie vertreten somit auch die Ansicht, dass wir als anarchistische und linke Gruppe KommunistInnen wären. Auch der LGBT-Bewegung wird das vorgeworfen. Somit hatten die Angreifer auf das „Ladyfast“ aus ihrer Sicht einen legitimen Grund. Ebenso wurden uns unmoralische Handlungen unterstellt. Viele von uns haben Tattoos und Piercings, wir tranken Alkohol und feierten zusammen. Das reicht schon aus, um als unmoralisch deklariert zu werden. Und natürlich hat die Anti-LGBT-Bewegung generell Probleme mit Homosexualität.
GWR: Was habt ihr und die linke Bewegung vor Ort aus den Vorkommnissen zum „Ladyfast“ gelernt?
Needle ´n‘ Bitch: Es gab unterschiedliche Reaktionen auf die Vorfälle beim „Ladyfast“. Einige Menschen aus der linken Community glauben daran dem Problem „Anti-LGBT-Bewegung” mit juristischen Mitteln begegnen zu können. Sie glauben an die staatlichen Institutionen Polizei oder Rechtsstaat. Es gab tatsächlich auch einige Treffen mit Anwälten, Polizei und Betroffenen. Aber bis jetzt hat sich noch nichts geändert. Andere Leute aus der Szene sind jedoch anderer Meinung. Das sind z.B. wir von Needle ‘n‘ Bitch, aber auch andere AktivistInnen. Wir sind der Meinung, dass ein Selbstverteidigungssystem die einzigste adäquate Lösung sei. Wir wollen uns nicht auf einen Dialog mit der Anti-LGBT-Bewegung einlassen. Man kann mit diesen Menschen nicht einmal über Menschenrechte sprechen, da führt kein Weg hin.
Menschenrechte würden gegen Gottesgebot sprechen und seien eine Erfindung aus dem Westen. Das reicht diesen Menschen aus, um gewalttätig zu reagieren, sobald man ihnen widerspricht. Einen Dialog lehnen wir deshalb ab. Leider sehen das nicht viele Menschen in der linken Community so. Wir jedoch denken, falls so etwas wie beim „Ladyfast“ noch einmal passieren sollte, müssen wir uns verteidigen.
GWR: Repräsentieren die Vorwürfe gegen das „Ladyfast“ die gesamtgesellschaftliche Situation für linke Bewegungen in Indonesien?
Needle ´n‘ Bitch: Leider ja. Die Nachbarn des Veranstaltungsortes zum Beispiel haben den Geschehnissen eher gleichgültig begegnet. Denen ist es egal wie wir behandelt wurden. Linke Bewegungen werden halt verurteilt, ganz besonders die LGBT-Community. Selbst aus feministischen Kreisen wird geurteilt wir wären zu liberal oder radikal. Das wird selbst dem Veranstaltungskonzept des „Ladyfast“s vorgeworfen.
Es würde zu sehr den indonesischen Moralvorstellungen widersprechen. Die indonesische Gesellschaft ist noch immer sehr stark geprägt durch traditionelle und islamische Normen und Werte.
GWR: Wie schätzt ihr die derzeitige Situation von anarchistischen und sozialrevolutionären Bewegungen in Indonesien ein?
Needle ´n‘ Bitch: Leider ist die linke Bewegung nicht mehr so stark und aktivistisch wie sie es vielleicht in den 1970er Jahren war oder zu Beginn der reformasi (Bezeichnung der Zeit nach Beendigung der Diktatur 1998). Die Atmosphäre der sozialen Bewegungen war zu dieser Zeit noch sehr revolutionär. Viele der Student_innen zum Beispiel waren zurzeit der reformasi politisch aktiv. Sie waren sich der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Veränderung bewusst. Heute ist das leider anders. Viele Gruppen sind geschrumpft aufgrund von internen Konflikten oder allgemeiner Politikverdrossenheit.
Bei anarchistischen Gruppen ist das leider auch so. Früher gab es oft Demonstrationen oder wir waren in großen Netzwerken unterwegs. Wir wollten zeigen „hey, wir sind Anarchist_innen und wir sind nicht einverstanden mit dem gesellschaftlichen System”.
Anarchismus in Indonesien ist noch ein sehr junges Phänomen, aber zum Glück gibt es immer noch Menschen die an der Bewegung Interesse haben und sich selbst organisieren wollen.
Interview: Melanie Rennert
Kontakt: Mail: needleandbitch@riseup.net
Web: needleandbitch.org (on progress)
FB: Needle and Bitch
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 413, November 2016, www.graswurzel.net