Kaum hat das neue Jahr begonnen, da wurde die Finanzwelt gleich von drei tektonischen Erschütterungen heimgesucht: Erstens von der Ankündigung der Schweizerischen Notenbank, die Kopplung des Franken an den Euro mit sofortiger Wirkung aufzugeben, zweitens von der historischen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), demnächst Staatsanleihen in Billionenhöhe anzukaufen, um die Deflation zu stoppen und die Konjunktur in Europa anzukurbeln, und drittens vom Sieg der Linkssozialisten bei den Parlamentswahlen in Griechenland, womit das Ende der von der Troika diktierten Austeritätspolitik eingeläutet und eine Wende im Umgang mit den griechischen Auslandsschulden eingeleitet wurde.
Jedes dieser Ereignisse hat etwas von einem Erdbeben an sich und ist mit nachhaltigen Wirkungen für Deutschland und für die Europäische Union verbunden. Ihre wahre Bedeutung und finanzpolitische Brisanz erschließt sich aber erst, wenn man die drei Schocks im Zusammenhang betrachtet.
Von zentraler Relevanz ist dabei die Entscheidung der EZB vom 22. Januar. Sie impliziert zum einen das Eingeständnis, dass alle bisherigen Bemühungen, die Senkung der Leitzinsen bis fast auf null und die Stützung der Banken, so gut wie nichts gebracht haben. Zum anderen wird mit dem ins Auge gefassten Erwerb von Staatsanleihen in Billionenhöhe versucht, nunmehr mit Gewalt einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen. Ob dies gelingen wird, ist mehr als fraglich. Indes zeigt die Geldpolitik schon heute Wirkungen, wenn auch andere, als beabsichtigt: So boomen nicht die Realwirtschaften, sondern die Immobilien- und Aktienmärkte, nicht die Volkswirtschaften in Südeuropa, sondern die ohnehin starken Exportindustrien im Norden. Statt eines gesunden Wirtschaftswachstums droht die Bildung von Blasen an den Finanzmärkten. Und die Staatsschulden in den Problemländern werden auch nicht weniger, sondern mehr. Zudem hat die Liquiditätsausweitung einen Nebeneffekt, den Wertverfall des Euro. Dies unterstützt zwar die Exportwirtschaft, indem sich dadurch die Ausfuhren verbilligen. Umgekehrt aber verteuern sich dadurch die Einfuhren, was für importabhängige Länder verhängnisvolle Auswirkungen hat. Ganz abgesehen von der Inflation, der durch diese Politik langfristig der Boden bereitet wird.
Die Aufkündigung der Deckelung des Euro-Kurses durch die Schweiz am 15. Januar war eine antizipierende Reaktion der Schweizer Notenbank auf die EZB-Entscheidung. Die sofort darauf zu verzeichnende 20-prozentige Aufwertung des Schweizer Franken hat zur Folge, dass sich alle Kreditnehmer, deren Verträge auf Schweizer Franken lauten, nunmehr einer spürbar höheren Kreditbelastung ausgesetzt sehen. Statt günstiger Zinskonditionen bedeutet dies nun höhere Tilgungsraten. In der Presse werden darob dicke Tränen vergossen. Badische Häuslebauer und nordrhein-westfälische Kämmerer sehen sich mal wieder von den Banken falsch beraten und müssen dafür nun bluten. Darüber aber, dass dieser Schritt allen, die ihr Geld – legal oder illegal – in der Schweiz angelegt haben, über Nacht einen Zugewinn von 20 Prozent beschert hat, liest man weniger in den Zeitungen. Dem ist aber so: Während die deutschen Sparer sich mit 0,5 Prozent Zinsen für ihr Geld begnügen müssen, kassierten die Anleger in der Schweiz zusätzlich zu den mageren Zinsen einen Kursgewinn von 20 Prozent.
Und nun noch Griechenland. Die wirtschaftlichen Probleme, die das Land seit seinem Beitritt zur Euro-Zone vor sich her schiebt, sind hausgemacht und nicht von Pappe. Dass diese Probleme seit der Krise 2008/09 aber nicht kleiner, sondern eher größer geworden sind, ist jedoch auch Ergebnis der Konsolidierungs- und Sparpolitik, welche die Troika dem Land verordnet hat. Die immensen Schulden Griechenlands – aktuell 321 Milliarden Euro – erdrücken die kleine Volkswirtschaft und sind auf dem üblichen Wege nicht zurückzuzahlen. Das wusste man aber auch schon 2012, weshalb man damals versucht hat, einen Teil der Schulden durch einen Schuldenschnitt zu beseitigen. Tatsache ist jedoch, dass dieser Schuldenschnitt zu gering war, um wirklich Abhilfe zu schaffen. Mehr als 100 Milliarden Euro war man seinerzeit aber nicht bereit abzuschreiben oder umzuschulden. Eher wollten die Gläubiger über den Austritt Griechenlands aus dem Euro-Vertrag verhandeln, über den Verkauf griechischer Inseln oder über die Verpachtung nationaler Einnahmequellen, als dass sie bereit gewesen wären, auf ihre Forderungen zu verzichten. Heute ist das anders. Mit dem Wahlsieg der Linkssozialisten am 25. Januar und der Wahl von Alexis Tsipras zum neuen Ministerpräsidenten ist die Grexit-Option erst einmal vom Tisch. Stattdessen wird jetzt überall wieder über einen Schuldenschnitt diskutiert. Auch wenn die EU-Kommission in Brüssel sich bislang noch dagegen ausspricht, so werden doch die Töne schon moderater. Weitsichtige Politiker und Ökonomen plädieren ganz offen für eine Lösung, die für Griechenland ökonomisch und sozial tragbar ist, auch wenn sie Europa viel Geld kosten wird. Für Deutschland sind hier 40 bis 50 Milliarden Euro als Abschreibungsverlust im Gespräch.
Die Erklärung für diesen Sinneswandel ist einfach: Die Gläubiger Griechenlands sind inzwischen nicht mehr reiche Privatanleger, sondern öffentliche Institutionen, die überwiegend mit Steuergeldern arbeiten, die EU, der IWF und die EZB. Die privaten Investoren haben sich, nachdem sie in Griechenland hohe Zinsen kassiert haben, aus diesem Geschäft zurückgezogen und ihr Geld anderswo, zum Beispiel in der Schweiz, deponiert. Ebenso die ausländischen Banken, die sich inzwischen auch mehrheitlich aus Griechenland verabschiedet haben. Und nicht zu vergessen das griechische Kapital, das die eigene Volkswirtschaft in der Vergangenheit geplündert hat, aber keine Steuern zahlt und nun, von sicheren Häfen in Italien, Monaco oder den USA aus, dem Elend zu Hause zusieht. Die Aufgabe, das ruinierte Land aus dem Sumpf zu ziehen, verbleibt dem griechischen Volk, unterstützt von der Europäischen Union. Der erste Schritt dazu wäre ein spürbarer Schuldenschnitt, da die Gläubiger ihr in Athen angelegtes Geld ohnehin nicht wiedersehen werden. Dazu eine die Zahlungsverpflichtungen zeitlich streckende Umschuldung – beides zusammen wäre für alle Beteiligten die beste Lösung. Eine andere Möglichkeit gibt es unter dem Strich letztlich nicht.
In den drei Finanzschocks zu Beginn des Jahres 2015 so etwas wie eine konzertierte Aktion sehen zu wollen, würde in die Nähe linker Verschwörungstheorien führen. Das aber ist nicht beabsichtigt. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass die drei zeitlich sehr dicht beieinander liegenden Prozesse beziehungsweise finanzpolitischen Maßnahmen ein- und denselben Interessen dienen, denen des internationalen Kapitals. Die Besitzer großer Vermögen gehen hieraus nicht nur ungeschoren hervor, sondern verdienen dabei auch noch kräftig, während alle anderen – Sparer, Steuerzahler, öffentliche Kassen – kräftig draufzahlen.