Im September 2012 hat der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entschieden, dass ein 11jähriges muslimisches Mädchen nicht aus religiösen Gründen vom koedukativen Schwimmunterricht befreit werden kann (Az. 7 A 1590/12).
Die Eltern des Mädchens hatten bei der Schule eine Befreiung ihrer Tochter vom gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen beantragt, da dieser gegen islamische Bekleidungsvorschriften verstoße. Dies lehnte die Schule ab, da die Möglichkeit bestünde, „islamische“ Badebekleidung – wie z.B. einen Burkini, der bis auf Hände und Gesicht den gesamten Körper bedeckt – zu tragen. Dagegen führte das Mädchen an, dass ihr Glaube ihr auch vorschreibe, andere Menschen nicht nackt bzw. in Badebekleidung zu sehen.
Im Berufungsverfahren entschied der VGH nun, dass der Anblick von Jungen in Badebekleidung für ein streng muslimisches Mädchen zwar einen Eingriff in die Glaubensfreiheit nach Art. 4. Abs. 1 & 2 Grundgesetz (GG) darstelle, dieser aber durch den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG gerechtfertigt sei. Schließlich sei es Aufgabe der Schule, Schüler_innen zu sozialer Kompetenz im Umgang auch mit „Andersdenkenden“ zu erziehen. Insbesondere der „Integrationsauftrag“ des GG gebiete es, Schüler_ innen auf ein Dasein in der säkularen und pluralistischen Gesellschaft in Deutschland vorzubereiten. Die Glaubensfreiheit umfasse keinen Schutz davor, mit anderen Lebenseinstellungen konfrontiert zu werden. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei das Tragen eines Burkinis auch zumutbar, da dies nicht zu einer Stigmatisierung der Schülerin führen würde. Schließlich trage das Mädchen auch außerhalb des Schwimmunterrichts streng muslimische Kleidung. Außerdem würden auch Mitschülerinnen im Schwimmunterricht einen Burkini tragen.
1993 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) noch entschieden, dass eine Befreiung möglich sei, wenn die Schule keinen getrennten Schwimmunterricht anbiete. Die Entscheidung des VGH stellt daher eine Kehrtwende dar. An der Grundsatzfrage – Wortlaut des GG gegen islamische Glaubensvorschriften – hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert. An den Vorstellungen, was Schwimmunterricht erreichen soll, anscheinend schon: Wieso der VGH nun annimmt, dass koedukativer Schwimmunterricht – für max. zwei Stunden wöchentlich – wesentlich für die „Integration“ sei, ist nicht ersichtlich. Da die Revision zugelassen wurde, hat das BVerwG möglicherweise eine Chance, seine Rechtsprechung zu überdenken. Und kann dabei bitte den Zusammenhang zwischen „Integration“ und Schwimmunterricht erklären.