Gesine Lötzsch provoziert die "wehrhafte Demokratie"
Sie hat es wirklich benutzt, ohne sich zu distanzieren, das böse Wort "Kommunismus"! Mehr noch: Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Linkspartei, sucht sogar neue "Wege zum Kommunismus" - so die Überschrift ihres Beitrags für die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt, der die Republik in Aufregung versetzte. Die Reaktionen erinnern an Pawlows berühmte Hunde: Wie diese beim Klang des Futter verheißenden Glöckchens fangen deutsche "MeinungsführerInnen" unweigerlich an zu geifern, wenn sie das K-Wort nur hören.
CDU-Generalsekretär Gröhe will bei der Linken-Vorsitzenden eine "skandalöse Kommunismus-Sehnsucht" entdeckt haben, sein Kollege Dobrindt von der CSU sieht gar "verfassungsfeindliche Gesinnung bis in die Führungsspitze" der Linkspartei. Nach dem Willen des bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer soll der Verfassungsschutz die Partei flächendeckend beobachten - und Gründe für ihr Verbot liefern.
Spätestens hier ist die Angelegenheit nicht mehr komisch. Von einem Rückfall in die Rhetorik des Kalten Krieges zu sprechen, wäre eine Untertreibung: Das KPD-Verbot von 1956 traf eine dem Anspruch nach revolutionäre Partei, die zudem als "Moskaus fünfte Kolonne" galt und vom dortigen "Zentrum der kommunistischen Weltbewegung" finanziert und angeleitet wurde.
Dass nichts dergleichen auf die Linkspartei zutrifft, wissen sogar bayrische ProvinzpolitikerInnen. Ist ihre Empörung also nur gespielt, das übliche Geplänkel in Wahlkampfzeiten? Sicher spielt auch das eine Rolle. Zugleich geht es aber um mehr: Seit dem Beginn der Finanzkrise hat Kapitalismuskritik Konjunktur - und wer kritisiert, könnte irgendwann auch nach grundlegenden Alternativen Ausschau halten. Diese werden tabuisiert und unter Stalinismus-Verdacht gestellt. Nach wie vor lautet die deutsche Benimm-Regel: Über Kommunismus spricht man nicht! Es sei denn im Zusammenhang mit den in seinem Namen begangenen Verbrechen. Nicht das Grundgesetz, sondern das "Schwarzbuch des Kommunismus" ist der Zitatenschatz der "wehrhaften Demokratie".
Verdächtig macht sich auch, wer mit den falschen Leuten nur diskutiert - etwa mit ehemaligen "RAF-Terroristen" oder "DDR-Nostalgikern". Müssen wir - im Umkehrschluss - Gesine Lötzsch für ihre Intervention dankbar sein? Eher nicht. Denn bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass auch sie sich vom Kommunismus distanziert. Laut Marx ist Kommunismus "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt" (Die deutsche Ideologie) und zugleich deren Endziel, die klassenlose Gesellschaft: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei)
Bei Gesine Lötzsch ist die "wirkliche Bewegung" die Linkspartei mit ihrem Programm "radikaler Realpolitik". Dass die Partei - "ob in der Opposition oder in der Regierung" (Lötzsch) - Positionen erringt und "mit Zähnen und Nägeln" (Luxemburg) verteidigt, wäre allenfalls als kleineres Übel hinnehmbar. Und der "demokratische Sozialismus", den die Linken-Vorsitzende nach eigener Aussage anstrebt, wäre vermutlich ein historischer Fortschritt - mit der klassenlosen Gesellschaft hat er nichts zu tun. Allerdings ist in Zeiten, wo weder das eine noch das andere auf der Tagesordnung steht, der Streit darum nicht das, was die Linke voranbringt.
So entfaltet die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt mit dem schönen Titel "Wo bitte geht's zum Kommunismus?" ihre Wirkung auch nicht durch die dort debattierten strategischen Entwürfe, sondern vor allem durch die antikommunistischen Reaktionen. Die allerdings sollten ernst genommen werden. Denn es geht um Denkverbot, Distanzierungszwang, Ausgrenzung von Linken und das Bekenntnis zur "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" (FdGO). Was das sein soll, definieren staatstragende PolitikerInnen, MedienmacherInnen, auch WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Extremismus- und Totalitarismusforschung. (siehe den Artikel "Der Feind steht links") Die massiven Reaktionen auf Gesine Lötzschs Debattenbeitrag sind auch als weitere Verschärfung der laufenden Kampagne gegen "Extremisten von rechts und links" zu sehen.
Ein Verbot der Linkspartei steht dabei nicht ernsthaft zur Debatte. Gleichwohl haben die Parolen der antikommunistischen Scharfmacher den gewünschten Effekt schon erzielt: Den Linkspartei-Realos ist die ganze Affäre so peinlich, dass sie nicht einmal halbherzige Solidaritätserklärungen für ihre Vorsitzende zustande bekommen. Dabei hilft Wegducken ebenso wenig wie die Bereinigung des eigenen Vokabulars: Ob Kommunismus oder (demokratischer) Sozialismus - für die geifernde Meute, die jetzt über Gesine Lötzsch herfällt, sind beides gleich schlimme Unwörter.
Js.
Kommunismus dementiert Comeback
Der Kommunismus hat sich am Dienstag von Gesine Lötzsch distanziert und den Spekulationen über eine neue Europa-Tournee widersprochen. In einer knappen Pressemitteilung bedankte sich der Kommunismus bei seinen Fans für ihre langjährige Treue, dementierte aber alle Gerüchte um ein mögliches Comeback. "Nach den Abschiedsshows in Kuba und Nordkorea ist definitiv Schluss", hieß es in der Erklärung.
Der Kommunismus war in seiner langen Karriere immer wieder wegen umstrittener Live-Auftritte ins Gerede gekommen. Er selbst hatte dafür stets unfähiges Management und falsche Berater verantwortlich gemacht.
Der Kojote. Deutschlands seriösestes Nachrichtenmagazin, Berlin, 11.1.11
Gesine Lötzsch über Kommunismus und "radikale Realpolitik"
Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedensten Wege auszuprobieren. (...)
Für mich steht linke Politik insgesamt und die Politik der Partei Die Linke in dieser herausfordernden Tradition gesellschaftsverändernder, radikaler Realpolitik. (...) Nicht ein Entweder-Oder von grundlegender Gesellschaftsentwicklung einerseits oder konkreten Reformschritten andererseits führt zum Erfolg. Die organische, lebendige Verknüpfung von eigenem Wirken der Bürgerinnen und Bürger, sozialen Bewegungen und Initiativen und dem Wirken linker Parteien in Parlamenten oder Regierungen, von Protest und Gestaltung, macht den Unterschied aus, auf den es ankommt. (...)
Es sind viele Bausteine, mit denen wir darum kämpfen, in der heutigen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft über sie hinaus zu wirken, die Profitdominanz über Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden, die Ansätze einer neuen Gesellschaft "hineinzupressen" in die alte, bis sich beweist, dass dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört.
dokumentiert nach junge Welt, 3.1.11
aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 557/21.1.2011