Über historische Hypotheken und linke Polemik
Nicht nur in Kreisen der antideutschen Linken wächst die Beliebtheit eines vorzugsweise als Schimpfwort gebrauchten Begriffs: Nationalbolschewismus. In der Jungle World (22.11.06) fabuliert ...
... Ivo Bozic von einem "nationalbolschewistischen Angriff" auf die Linkspartei, angeführt von Oskar Lafontaine und anderen "rot-braunen SPD Veteranen"; diese "ehemaligen SPD-Kader" würden "bei der PDS den Anschluss an ein nationalbolschewistisches Milieu" suchen. (vgl. ak 512) In anderen Pamphleten richtet sich der Vorwurf des Nationalbolschewismus gegen die Berliner Tageszeitung junge Welt, seltener auch gegen das Neue Deutschland. Was ist dran an diesem Vorwurf? Um die Frage nach den Schnittmengen zwischen "nationalbolschewistischer" und "antiimperialistischer" Ideologie zu beantworten, muss zunächst geklärt werden, was Nationalbolschewismus überhaupt ist. Grob gesagt, gibt es zwei Nationalbolschewismen: den historischen, nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland entstandenen und den gegenwärtigen russischen Nationalbolschewismus. Letzterer wird vor allem durch die 1994 gegründete National-Bolschewistische Partei (NBP) vertreten. Als ihr Chefideologe gilt Alexander Dugin, der die Partei allerdings 1998 wieder verließ und im Mai 2002 die Partei "Eurasien" gründete. Laut Dugin ist der Nationalbolschewismus eine "Ideologie, die auf der kompletten und radikalen Negation des Individuums und seiner zentralen Rolle beruht"; oder auch die "Super-Ideologie, die allen Feinden der ,offenen Gesellschaft` gemeinsam ist" (La Nazione Eurasia, 8/04); langfristiges geopolitisches Ziel ist "ein großer Kontinentalblock, der Russland (Eurasien) und Europa gegen die USA vereint"; zu diesem Zweck betreibt Dugin die "nationalbolschewistische Synthese rechter und linker Nationalismen in einer Organisation" (Markus Mathyl in Jungle World 45/02) - zunächst in der nationalbolschewistischen, dann in der eurasischen Partei. Letztere sei ein "virtuelles Projekt" geblieben, schreibt Peter Linke im Freitag (36/06). Allerdings hat es Dugin mit seinen ideologischen Anleihen beim Monarchismus und Faschismus zum Berater Putins gebracht; Dugins "anti-westlicher Fundamentalismus" und die "Ablehnung der aus dem Westen kommenden Liberalisierung" haben ihn - seinen "Lobreden auf Hitler" zum Trotz - "in der russischen politischen Klasse hoffähig" gemacht, schreibt Kai Ehlers im Eurasischen Magazin (02/02). Sicherlich gibt es auch in der deutschen Linken Leute, die von einem westeuropäisch-russischen Bündnis gegen die US-amerikanische Hegemonie träumen. So gefährlich solche Ideen sind - dass sie mit der Qualifizierung als "nationalbolschewistisch" zutreffend umschrieben sind, erscheint mehr als zweifelhaft. Aber vermutlich soll die polemische Verwendung des Wortes auch eher an den Nationalbolschewismus in der Weimarer Republik erinnern, der eine Zeitlang auch die KPD verwirrte.Eurasischer Kontinentalblock gegen die US-Hegemonie
Als Urheber dieses historischen Nationalbolschewismus gelten die ehemaligen Kommunisten Heinrich Laufenberg und Fritz Wolfheim, beide 1918 Gründungsmitglieder der KPD; sie forderten eine planwirtschaftliche "nationale Volksorganisation" und eine Annäherung Deutschlands an Russland. Im Bündnis der beiden "proletarischen Nationen" sollte das besiegte Deutschland zu neuer Größe gelangen. Die "Verstümmelung des deutschen Reichskörpers" durch das "Versailler Diktat" habe fast das gesamte deutsche Volk proletarisiert und damit zum revolutionären Subjekt gemacht, behaupteten sie; im "Volkskampf" für die nationale Befreiung sollte die Arbeiterklasse der führende Teil des "Volksganzen" sein. Ideologischer Kopf und eifrigster Publizist des Nationalbolschewismus wurde in den 1920er Jahren Ernst Niekisch, ehemals Mitglied der SPD und der USPD. Als Vorbilder im Kampf gegen die westliche Fremdherrschaft betrachtete er Preußen und Russland; Kapitalismus und Versailles waren für ihn identisch und gleichermaßen zu bekämpfen. An die Stelle des un-deutschen Kapitalismus setzte er einen imaginären ursprünglichen germanischen Lebensstil, der auf dem Vorrang der Gemeinschaft beruhen sollte. In seinen Kampfaufrufen an das deutsche Volk brandmarkte er auch die Profitgier der Kapitalisten im eigenen Lande: "Der individuelle Bereicherungswille wird da zum Marodeurtum, das Komfortbedürfnis zur strafwürdigen Zuchtlosigkeit, die ungebundene Initiative der führenden Wirtschaftspersönlichkeit zur disziplinlosen Eigenmächtigkeit." Der gegen Deutschland geführte "Wirtschaftskrieg" sei aber nur zu gewinnen, wenn die Wirtschaft "bedingungsloser politisch-militärischer Führung unterstellt" werde. (Widerstand - Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik) Wie alle Nationalbolschewisten forderte auch Niekisch ein außenpolitisches Bündnis Deutschlands mit Sowjetrussland; dort bewunderte er die Unterordnung eines ganzen Landes unter eine einheitliche "politisch-militärische Führung", die in Deutschland erst noch durchzusetzen war.Die Anbiederung der KPD bei den Völkischen
Sympathisanten des Nationalbolschewismus gab es auch innerhalb der NSDAP, etwa Otto Strasser, der im Sommer 1930 aus der Nazi-Partei austrat und die "Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten" gründete. Um diese Spaltungstendenzen zu fördern, beschloss die KPD im September des selben Jahres ihre berüchtigte "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes". Über die Anpassung an die nationalsozialistische Demagogie schrieb der marxistische Ökonom Fritz Sternberg, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), in seinem Buch "Der Faschismus an der Macht" (Amsterdam 1935): "In der KPD ... glaubte man, die Nazis damit bekämpfen zu können, dass man einen Teil der nationalsozialistischen Phrasen übernahm. Ständig war in der kommunistischen Presse von der Young-Sklaverei, vom Kolonialdeutschland die Rede. (...) Die Verwirrung wurde noch gesteigert, als man im September 1930 mit einer Proklamation in den Wahlkampf zog, in der die nationale Befreiung vor der sozialen rangierte. (...) Und dann war es nicht mehr weit zur nationalsozialistischen Ideologie, die die Massen damit einzulullen suchte, dass man durch die nationale Befreiung überhaupt erst zur sozialen käme, dass also das Nationale das Primäre wäre." (zitiert nach Gruppe MAGMA: "... denn Angriff ist die beste Verteidigung". Die KPD zwischen Revolution und Faschismus. Bonn 2001, S. 200) Natürlich wurde dieser Kursschwenk von der Kommunistischen Internationale (Komintern) gebilligt, wenn nicht angewiesen. Schon Jahre zuvor hatte Karl Radek, der Deutschland-Verantwortliche der Komintern, eine ähnliche Politik in der KPD durchzusetzen versucht. In seiner "Schlageter-Rede" würdigte er den von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilten und am 27. Mai 1923 hingerichteten Faschisten Albert Leo Schlageter als "mutigen Soldaten der Konterrevolution", der "von den Schergen des französischen Imperialismus erschlagen" worden sei - Schlageter hatte sich als Freikorpskämpfer und Mitglied der faschistischen Großdeutschen Arbeiterpartei an Sabotageakten im französisch besetzten Ruhrgebiet beteiligt. Auf der nach seiner Hinrichtung einsetzenden Welle des Chauvinismus wollte die KPD mitschwimmen, um völkisch gesinnte Kreise für die Revolution zu gewinnen. Tatsächlich gab es eine Zeitlang eine offene Debatte zwischen kommunistischen und völkischen Kadern. In einer Rede vor faschistischen Studenten erklärte Ruth Fischer, Mitglied des Zentralkomitees der KPD: "Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. (...) Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?" In seinem Artikel "Die Schlageter-Verwirrung. Der Flirt der KPD mit dem Nationalbolschewismus im Ruhrkampf 1923", in dem diese Passage zitiert wird, zeigt der Autor, Nick Brauns, allerdings auch, wie "die Schlageter-Linie, die vor allem Verwirrung in die Reihen der Kommunisten getragen hatte, ... ebenso plötzlich (starb), wie sie gekommen war." (junge Welt, 21.6.03) Wenn Linke den nationalen Schulterschuss mit Reaktionären suchen ("Querfront"-Strategie) oder abenteuerliche geopolitische Sandkastenspiele betreiben, dann muss das bekämpft werden. Dabei können auch Kenntnisse über die an Fehlern reiche Geschichte der KommunistInnen nützlich sein. Nicht hilfreich allerdings ist die Konstruktion fragwürdiger historischer Parallelen zum Zwecke der Diffamierung. Der kurze Ausflug in die Geschichte müsste deutlich gemacht haben, dass der undifferenzierte Vorwurf des Nationalbolschewismus wenig geeignet ist, die aktuellen Verirrungen "antiimperialistischer" Linker auf den Punkt zu bringen. Js. aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 513/19.1.2007