Einmal mehr wird aktuell das staatliche „Integrationsversprechen“ mit der Pflicht zum Erwerb der deutschen Sprache verknüpft. Ein Ablenkungsmanöver.
Mit dem jüngsten „Nationalen Aktionsplan für Integration“ (NAP), der am 19. Jänner 2010 durch den österreichischen Ministerrat beschlossen wurde, steht der Erwerb der deutschen Sprache wieder im Vordergrund. Eine neue Wendung dieser sich seit Jahren wiederholenden Geschichte ist, dass Sprache ein Werkzeug des neoliberalen Migrationsmanagements geworden ist: Sprache wird instrumentalisiert im Selektionsprozess jener MigrantInnen, die nach Österreich auswandern wollen.
Somit herrscht nun schon vor der Einreise nach Österreich das Mantra: „Gute Deutschkenntnisse sind der Schlüssel für eine Teilhabe in der Gesellschaft.“ Es wurde uns (MigrantInnen) so oft gesagt, dass wir zur erfolgreichen Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt nur die Sprache beherrschen müssen, bis wir sogar selbst daran glaubten. Wie an den Besitz eines österreichischen Passes (oder einer guten Ausbildung) knüpfen viele Migrantinnen und Migranten auch an den Besitz der Sprache die Hoffnung, dass damit „alles“ besser und einfacher wird. Das ist meiner Meinung nach eine Illusion. Ein Ablenkungsmanöver. Ich behaupte, dass die Sprache als Werkzeug der Unterdrückung benützt wird.
Falsche Defizite. Mit diesem Statement will ich nicht den Wert der Sprache für die Arbeitswelt und andere Lebensbereiche infrage stellen, sondern ich hinterfrage die Tatsache, dass die Sprache – und somit ihre SprecherInnen – immer wieder als Sündenböcke instrumentalisiert werden. Sprachdefizite werden als individuelle Defizite interpretiert, ohne nach den Ursachen innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen zu suchen. Es beginnt bereits im Bildungssystem, gerade weil Bildungspolitik in Österreich die bestehenden Machtgefälle in der Gesellschaft reproduziert und somit negative Auswirkungen insbesondere auf Migrantinnen und Migranten sowie deren Kinder hat.
Meine zentrale These ist, dass der Sprache zu viel Aufmerksamkeit geschenkt und ihr im Prozess der sogenannten Integration ein zu hoher Stellenwert beigemessen wird. Ich vermute, dass es sich dabei um eine Strategie von PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen handelt, die dazu dient, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Themen und Barrieren in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt abzulenken – wie bereits erwähnt: ein Täuschungsmanöver.
Somit stellt sich die Frage: Welcher Nutzen wird für wen durch ein solches Integrationskonzept gestiftet? Es wird schnell klar, dass aus der Perspektive der Politik ein wirtschaftlicher Nutzen abzuleiten ist. Und wo wirtschaftliche Nutzen Vorrang haben, werden gesellschaftlich relevante Aspekte in den Hintergrund gedrängt. Anstatt einer ernsthaften Auseinandersetzung mit komplexen Fragen wie Diskriminierung und Rassismus sowie Rechten und Freiheiten ist es für die politischen EntscheidungsträgerInnen einfacher, Sprachkurse zu organisieren, durch die sie gleichzeitig ihre Dominanz ausüben können. Die Vorteile einer solchen Bildungspolitik sind in Frage zu stellen, zeigt sich doch das, was der brasilianische Pädagoge Paulo Freire die „Bildung als Praxis der Freiheit, im Gegensatz zu Bildung als Praxis der Herrschaft“ nannte.
Alles Deutsch. In Anlehnung an Freires Methoden bietet der autonome Migrantinnen-Verein maiz aus Linz Deutschkurse für Migrantinnen und Jugendliche an, die nicht ausschließlich auf den Spracherwerb konzentriert sind. Im Einklang mit den Prinzipien unserer Arbeit wie Empowerment und Partizipation beabsichtigt maiz, einen Bewusstseinsprozess in Gang zu bringen, der den KursteilnehmerInnen ermöglicht, die Handlungsfähigkeit als Subjekte in der Gesellschaft zu erforschen und zu verwirklichen.
Bei meinen Aussagen in Bezug auf das Thema habe ich oft Gegenargumente gehört wie: „Aber die Sprache zu erlernen ist doch wichtig! Es kann nicht gut sein, wenn vor allem Frauen, die schon über zwanzig Jahre hier leben, noch immer kaum Deutsch sprechen können.“ Das bestreite ich nicht. Was ich jedoch kritisiere ist, dass alle Maßnahmen für die sogenannte Integration auf Sprache reduziert sind. Dies bedeutet, dass die Verantwortung für eine gleichberechtigte Teilnahme am Arbeitsmarkt zu hundert Prozent an die Migrantinnen und Migranten geschoben wird. MehrheitsösterreicherInnen, Arbeitgeber und Gesetze müssen nichts dazu beitragen und sind daher von ihrer Verantwortung für den Abbau gesellschaftlicher Ausgrenzung entbunden.
Do you speak „Integration“? Die bisherige Integrationspolitik, die in Österreich weiterhin hartnäckig betrieben wird, ignoriert offenkundig die gesamtgesellschaftlichen Prozesse, um die es hier geht. Stattdessen beharren eindimensionale Ansätze, die sich auf den Spracheerwerb konzentrieren, auf die „Pflichten“ von MigrantInnen – von politischer Partizipation oder Mitbestimmungsrechten von MigrantInnen ganz zu schweigen.
Ein Individuum kann die Sprache beherrschen; das ändert jedoch nichts an der kollektiven Situation der MigrantInnen am hiesigen Arbeitsmarkt. Und es ändert nicht die Tatsache der Diskriminierung auf allen Ebenen der arbeitsmarktpolitischen Einrichtungen und Sozialpartner. So wird zum Beispiel – unabhängig von Ausbildung oder Sprachkenntnissen – ein Migrant oder eine Migrantin, der/die Anspruch auf Weiterbildung hat, allzu oft nur in Sprachkurse geschickt, ohne jegliche Berücksichtigung auf vorher erworbene Fähigkeiten, Arbeitserfahrungen oder Berufswünsche.
Diese strukturelle Diskriminierung vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt fördert die Illusion, dass die Sprache der Schlüssel zu Arbeit und Erfolg ist. Sie fördert zahlreiche Deutschkurse, die in jeder Hinsicht (Qualität, Quantität, Inhalt etc.) unzureichend sind, und sie fördert ein rassistisches Einordnen in die Arbeitsbereiche.
Also muss ich mich fragen: Was nützt mir die Sprache, wenn sie mich nicht vor Diskriminierung und Rassismus schützt? Der Anreiz des Spracherwerbs an sich ist unzureichend. Wenn Sprache nicht mit anderen Maßnahmen, die ernsthaft auf einen sozialen Aufstieg und politische Partizipation abzielen, gebündelt wird, bleibt Sprache als Ausschlussmechanismus erhalten.
Formen des Widerstands. Die Behauptung von EntscheidungsträgerInnen, dass Leistung und Erfolg nur jene erzielen, die sich der dominanten Gruppe, den MehrheitsösterreicherInnen, am stärksten annähern, ist ein zentraler Ansatz der Politik der Assimilation. Oberstes Ziel dabei ist es, das Bild von Österreich so wenig wie möglich zu stören. Die Bewahrung von Gerechtigkeit in der Gesellschaft rangiert hingegen an hinterster Stelle. Es gibt bestimmt Migrantinnen und Migranten, die entweder nicht fähig oder nicht willig sind, an diesem Prozess der Assimilation teilzunehmen. Auch ich wehre mich gegen diese Ideologie, weil sich dadurch – egal wie nahe oder wie fern ich von der „Norm“ bin – nicht die Tatsache verändert, dass ich als Migrantin unzureichenden Zugang zum Arbeitsmarkt habe sowie unzureichende Rechte gegen Diskriminierung und Rassismus genieße.
Nicht ich bin minderwertig, sondern die Gesetze, die arbeitsmarktpolitischen Einrichtungen, der sogenannte Integrationsvertrag und alle anderen Mechanismen, die meine Freiheiten beschränken. Unsere Konzentration auf die Sprache als Barriere ist selbst eine Barriere, die eine Veränderung, das Beschreiten neuer Wege, behindert.
Meine Utopie ist, diese Illusion der Sprache zu überwinden und verstärkt politische Bildungsarbeit in den Diskurs einzubringen. Die Frage, die bleibt ist: Wie? Was können wir, MigrantInnen und MehrheitsösterreicheInnen, aktiv tun, um eine Perspektive jenseits dieser Illusion zu schaffen?
Für mich persönlich ist diese Einstellung eine Form des Widerstands geworden. Ich verwende das Wort Widerstand ganz bewusst, weil ich es ablehne, weiter zu glauben, dass erst die deutsche Sprache all meine anderen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen legitimiert.
Literatur
Paulo Freire, Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1984/1970
Dieser aktualisierte Beitrag basiert auf einem Statement im Rahmen der Antirassismus-Konferenz 2004, erstmals veröffentlicht in: AEP-Informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 3/2005.
Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at