Die Finanzkrise bringt von Zeit zu Zeit ans Tageslicht, dass die
vermeintlich lukrativen Transaktionen des Cross-Border-Leasings, mit
denen deutsche Kommunen öffentliches Eigentum an US-Firmen veräußert
und zurückgemietet haben, überwiegend Verluste bringen und nicht die
erhofften Gewinne. Die Gemeindeparlamente geben sich ahnungslos; sie
kannten die Verträge nicht und haben blind zugestimmt – aus Rücksicht
vor den Geheimhaltungsinteressen der Investoren.
Mit derselben Begründung laufen die Einzelheiten der Bankenstützung
vollständig am Bundestag vorbei.
Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht den Ausverkauf
parlamentarischer Rechte im Lissabon-Vertrag gerügt. Eine informelle
Allparteien-Koalition – mit Ausnahme der Linken – hatte den Vertrag
ohne Skrupel durchgewunken; das hinderte dieselbe Koalition jedoch
nicht, dem Verfassungsgericht zu applaudieren, als hätte sie’s schon
immer gewusst. 1
Kurz zuvor hatte der Bundestag die künftige öffentliche Kreditaufnahme
in ein Korsett gezwängt, das dem Handlungsspielraum künftiger
Parlamente enge Grenzen setzt. Die „Schuldenbremse“ folgt dem Vorbild
der Unabhängigkeit von Bundesbank und Europäischer Zentralbank (EZB):
1992 hatte der Gesetzgeber die Unabhängigkeit der Notenbank, bisher nur
durch einfaches Gesetz geregelt, zum Verfassungsgut erhoben und für die
EZB zur Bedingung gemacht, dass diese „unabhängig ist und dem
vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet“ (Art.
88, Satz 2 GG). Diese Auflage ist vollzogen und nunmehr im
Lissabon-Vertrag nochmals besiegelt. Die Beispiele ließen sich
vermehren. Sie stehen für eine allgemeine Tendenz der parlamentarischen
Selbstentmündigung. Die Methoden mögen sich unterscheiden, das Ergebnis
ist das gleiche: Die Exklaven außerparlamentarischer, also demokratisch
nicht beeinflussbarer, Politikbereiche dehnen sich aus.
Vielleicht kann man es noch als Provinzposse abtun, wenn sich ein
Gemeinderat über den Tisch ziehen lässt und insgeheim erleichtert ist,
mehrere hundert Seiten starke Vertragstexte in englischer Sprache nicht
studieren zu müssen. So wurde Cross-Boarder-Leasing mit all seinen
Risiken und dem Sumpf an beteiligten Geschäftemachern nur selten zum
öffentlichen Thema. Ärgerlich und über die Gemeindepolitik
hinausweisend ist indes die Chuzpe, mit der angebliche
Geheimhaltungsbedürfnisse der Geschäftspartner gegen die
parlamentarische Kontrolle in Stellung gebracht werden.
Die Rechtsordnung kennt kein allgemeines Rechtsgut des
Geschäftsgeheimnisses, in das der Staat eingreifen würde. Ein rechtlich
anerkanntes Interesse, über Preise, Fristen, Vertragsstrafen oder
sonstige Bedingungen oder gar über Notwendigkeit und Nutzen staatlicher
Subventionierung Stillschweigen zu wahren, gibt es nicht. Überdies
stellt sich ja nicht die Frage, ob die Verwaltung, ob Landes- und
Bundesregierung Informationen über Geschäftspartner preisgeben dürfen
oder nicht. Vielmehr geht es um die vorgelagerte Frage, ob sich private
Unternehmer auf Geschäftsbeziehungen mit der öffentlichen Hand unter
den hier obwaltenden Bedingungen parlamentarischer Kontrolle einlassen
oder nicht. Wer meint, dass seine Preisvorstellungen,
Qualitätsgarantien etc. das Licht der parlamentarischen und
öffentlichen Debatte scheuen, mag sein geschäftliches Glück bei anderen
Partnern suchen. Niemand ist verpflichtet, städtische Grundstücke zu
mieten, zu kaufen oder Bauvorhaben auszuführen; keine Bank ist
gehalten, öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Folgen dieser
Abschottung liegen auf der Hand: Geschäftsbeziehungen zum Staat, ein in
Zeiten von Public-Private-Partnership expandierender Sektor, entrücken
in eine außerparlamentarische Zone.
Die andere genannte Methode ist die Verlagerung politischer
Entscheidungen auf die Ebene der europäischen Abstimmung. Solange die
Kompetenzen und die demokratische Repräsentativität des Europäischen
Parlaments unvollkommen sind, fehlt es an öffentlicher Kontrolle. Das
lädt Regierungen und Regierungsbürokraten geradezu ein, am eigenen
Parlament vorbei in Brüssel Fakten zu schaffen, die dann als Sachzwang
zurückkehren („Spiel über Bande“). Dabei wird meist verschwiegen, dass
die Weichen in Berlin, Paris und London, nicht jedoch in Brüssel
gestellt wurden. Kein Wunder, das dieser Fluchtweg der Politik aus
parlamentarischer Verantwortung wiederholt Gegenstand
verfassungsgerichtlicher Ermahnung war. Die jüngste Entscheidung dürfte
nicht die letzte sein. Beispielsweise fordert die hemdsärmelige
Selbstverständlichkeit, mit der der Eu-
ropäische Gerichtshof die Marktfreiheiten über die nationalen und
völkerrechtlichen Grund- und Menschenrechte stellt, zur Kritik und
Revision heraus – erst recht, wenn dies auf Politikfeldern geschieht,
auf denen der EU die Zuständigkeit fehlt, wie etwa dem
Arbeitskampfrecht.
» Die verbreitete Vorstellung, die Aufsicht über Geld und Währung müsse
politikfrei bleiben, ist Selbstbetrug «
Schließlich kommt die Auszehrung de-
mokratischer Kontroll- und Gestaltungsbefugnisse im Gewand
verfassungsrechtlicher Weichenstellung da-
her, wie im Falle der Unabhängigkeit von Bundesbank und EZB geschehen.
Dabei geht es bei der Geld- und Währungspolitik um einen zentralen
Baustein der Wirtschaftspolitik. Unter dem Gesichtspunkt der
Volkssouveränität ist es ein Unding, diesen Sektor der demokratischen
Gestaltung zu entziehen. Die verbreitete Vorstellung, die Aufsicht über
Geld und Währung müsse politikfrei bleiben, ist Selbstbetrug und
überdies ein Produkt vorgestriger Vorurteile gegen demokratische Wahlen
und Mehrheiten. Die Entscheidungen der EZB sind hochgradig politischer
Natur, erst recht unter dem verfassungsrechtlich mitgegebenen Auftrag
der vorrangigen Orientierung an der Geldwertstabilität – unter
Missachtung der Ziele der Beschäftigungssicherung, des Wachstums, des
gesamtgesellschaftlichen und außenwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Destinatäre der verfassungsrechtlich festgeschriebenen EZB-Autonomie
sind vor allem Besitzer und Verwalter großer Geldvermögen. Den Schaden
trägt die Mehrheit davon, die existenziell auf die Verfolgung
volkswirtschaftlicher Zielgrößen wie etwa Wachstum und Beschäftigung
angewiesen ist. Die Demokratie gebietet, alle Staatsgewalt auf den
Willen der Bevölkerung zurückzuführen (Art. 20 Abs. 2 GG). Die so
verstandene Volkssouveränität duldet keine staatliche Gewalt jenseits
dieser Mehrheitslegitimation. Was das im Einzelnen bedeutet, hat das
Bundesverfassungsgericht am Beispiel der Personalvertretung in
bemerkenswerter Rigidität judiziert: Die Mitbestimmungsrechte des
Personalrates haben sich auf innerdienstliche Maßnahmen zu beschränken
und überdies das Letzt-
entscheidungsrecht eines parlamentarisch verantwortlichen
Behördenleiters zu akzeptieren. Der Vergleich drängt sich auf: Was ist
die Entscheidung einer Einigungsstelle über die Einführung technischer
Einrichtungen zur Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten
gegen die Wachstumsstrangulierung seitens einer autokratisch agierenden
Zentralbank? Oder gegen die Unterwerfung der Gemeinde unter einen
Cross-Border-Leasing-Vertrag mit 30jähriger Laufzeit unter Bedingungen
der Vertragsauslegung durch ein internationales Schiedsgericht?
» Neoliberales Denken hatte schon immer Probleme mit de- mokratischen
Interventionen «