Korsch als früher Kritiker des Stalinismus

Wenn eine geschichtliche Gestalt zu Grabe getragen wird, suchen die Trauernden nach dem Bleibenden, über den Tod Hinausweisenden. ...

... Manche wie Bert Brecht geben den Rat, nach Kohlen in der Asche zu suchen.1 Die "Erbschaft jener Zeit", die viele heute erst gar nicht annehmen wollen, steht im Raum der Gegenwart wie einst die "Erbschaft dieser Zeit" (Bloch).
Ist die Verweigerung der geistig-politischen Erbschaft des Experiments, das 1917 in St. Petersburg begonnen hat, so einfach möglich? Oder liegen in dieser Geschichte gleichwohl noch verborgene, mit Terror und Zynismus unterdrückte Alternativen, die es für neue zukunftsweisende Perspektiven zu entdecken gilt?
Mit dem Untergang des Stalinismus, so lautet eine bittere Erkenntnis, ist unwiderruflich auch der überwiegende Teil seiner Antipoden in die geschichtliche Versenkung verschwunden, weil ihre politische und weitgehend auch ihre theoretische Substanz wesentlich von der Existenz des Stalinismus zehrte und mit ihrem Schicksal symbiotisch verknüpft war. Die zahlreichen "verhinderten Stalins", die als Teil der politischen Elite im Verlauf ihrer Karriere seit Mitte der 20er Jahre als Verbündete, als Konkurrenten und am Ende meistens als Opfer von Stalin ein schreckliches Ende nahmen, waren ja immer nur als Figuren des politischen Machtkampfes Antistalinisten geworden und nur in Ausnahmefällen aus grundsätzlichen Einsichten heraus. Das "Wer - wen" galt von Sinowjew über Bucharin2, Radek und Kamenew, Trotzki und die vielen ermordeten internationalen Kommunisten der Führungsstäbe; die Millionen namenloser Opfer in diesem Prozeß der "Bolschewisierung" und des "Aufbaus des Sozialismus in Sowjetrußland" bleiben in den Geschichtsbüchern ohnehin nur die zu traurigen Statistiken transformierten Namenlosen.
Es gehört zur Tragik der antistalinistischen Opposition, die aus den Reihen des bolschewistischen Leninismus herausgewachsen ist, daß sie strukturell selbst ein Stück Stalinismus verkörpert, nach Ausmaß und Dichte zwar unterschiedlich, aber nicht im Prinzip. Sie war Befürworterin des politischen Terrors, der Parteidiktatur, der Ausschaltung der Opposition. So ist ein Großteil der Geschichte des Antistalinismus nichts weiter als die Geschichte loyaler Verlierer. Das sagt zunächst noch wenig aus über die moralische und intellektuelle Integrität der Beteiligten: in dieser Hinsicht läßt sich z.B. ein Trotzki in der Tat nicht mit Stalin vergleichen.3
"Die Suche nach einem lebensfähigen poststalinistischen Marxismus war gleichzeitig auch die Suche nach entwicklungsfähigen prästalinistischen marxistischen Denkern."4 Obgleich diese Suche keinen logischen, sondern nur psychologischen Grund der Wahrheitsfindung für sich in Anspruch nehmen könne, sei auf diese Weise immerhin der "interessante Autor" Karl Korsch wiederentdeckt worden, der nicht die geringste "Chance hatte, die Stalinära als intellektueller Führer irgendeiner organisierten Sekte - wie klein auch immer - zu überleben".5
In der Tat, Korsch wurde schon im April 1926 aus KPD und Komintern ausgeschlossen und zur Feindfigur stilisiert, die sich für die jeweiligen Inhaber der Linie mühelos als Ausschlußsyndrom des "kleinbürgerlichen Antibolschewismus" instrumentalisieren ließ.6 Begonnen damit hat der Mitstreiter Lenins im Exil und Vorsitzende der Komintern Grigori Sinowjew auf dem V. Weltkongreß 1924, dem ersten Kongreß nach Lenins Tod, mit einer gezielt antiintellektuellen Stimmungsrede gegen die "Professoren" in der Komintern, um in seinem "Nachfolgekampf" die Schlachtlinien gegen Trotzki festzulegen.7 So gab er dem Professor Korsch8 den "freundschaftlichen Rat, zunächst den Marxismus und den Leninismus zu studieren"9, obgleich alle wichtigen marxistischen Schulungstexte von Korsch ins Russische übersetzt wurden, seine Schrift "Marxismus und Philosophie" sogar zweimal.10 Seine Befähigung zum Lehrer des Marxismus war bis dahin in der KPD unbestritten, mit Ausnahme vom "Oberlehrer" Hermann Duncker.11
Karl Korsch, am 15. August 1886 in Tostedt geboren, studierte Rechtswissenschaften, war aktiv in der sozialliberalen Studentenbewegung vor 1914, schloß sich in England 1912 der Fabian Society an und zählte sich nach deutscher Klassifikation zum "rechten Flügel" der Sozialdemokratie. Der Erste Weltkrieg war ein tiefer Einschnitt. "Du mußt bedenken", schrieb er einem Freund 1916, "daß für mich dieser Krieg der Zusammenbruch alles dessen war, wofür ich leben wollte. Das Verhältnis des Menschen zum Menschen feiner, geistiger zu gestalten, dadurch das Leben reicher, voller, breiter, lebendiger zu machen und dieses lebendige Leben durch und durch zu vergeistigen, - das ungefähr war mein Traum, damals von mir für einen kontinuierlich ausführbaren, in seinen Anfängen bereits ausgeführten Plan gehalten und ‚Sozialismus‘ genannt."12 Nach der Demobilisierung wird Korsch als Assistent des Kathedersozialisten Robert Wilbrandt Mitglied der Sozialisierungskommission und verfaßt hierfür die Programmschrift "Was ist Sozialisierung?" (1919)
Diese Schrift sticht ab in der Flut der zeitgenössischen Sozialisierungsliteratur. Korsch hält wenig vom geschichtlichen Schematismus der Marxisten der II. Internationale, die in ihrer Rhetorik annahmen, die ökonomische Entwicklung selbst werde mit eiserner Faust eine Lösung für die "Vergesellschaftung der Produktionsmittel" bereitstellen, wenn geschichtlich die Situation herangereift sei. Indes der gesellschaftliche Interessenantagonismus zwischen den Produzenten einerseits und Verbrauchern andererseits löst sich nicht auf schematische Weise durch zentralistische Verstaatlichung oder syndikalistische Genossenschaften. Sozialismus als erste Stufe der Entwicklung der Menschheit zur vollständigen Emanzipation und Befreiung der Arbeit, als "industrielle Autonomie" muß diesen Gegensatz zum Ausgleich bringen, und zwar auch auf rechtlich institutionelle Weise: in der Rätedemokratie.
Die Verknüpfung von politischer Revolution und sozialem Aktivismus soll nach Korsch in der rätedemokratischen Rechtsform die Gefahr des staatlichen Bürokratismus und der syndikalistischen Eigenbrötelei wechselseitig in Schach halten. Denn auch nach gänzlicher Ausschaltung sämtlicher kapitalistischer Privateigentümer können ein und dieselben Produktionsmittel zu ein und derselben Zeit nur von einer bestimmten Anzahl von Arbeitern zur Produktion gebraucht werden, wie auch jedes Konsumtionsmittel im Augenblick, wo es seine Bestimmung erfüllt, nur von einer bestimmten Anzahl von Konsumenten verbraucht werden kann. Will man aber in einer wirklichen sozialistischen Wirtschaftsform gerade neue Formen von Sondereigentum verhindern, dann wird sofort deutlich, daß weder die reine Verstaatlichung noch die syndikalistische Überführung allein den beabsichtigten Zweck erreichen kann. Es entstünde entweder ein Produzenten- oder ein Konsumentenkapitalismus. Wirkliches sozialistisches Gemeineigentum entsteht nach Korsch dadurch, "daß in jeder Industrie (Â…) als Ausüber der Herrschaft über den Produktionsprozeß an die Stelle des bisherigen Privateigentümers (Â…) die Vertreter aller arbeitenden Produktionsbeteiligten treten, während gleichzeitig die schon dem privatkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln durch staatliche ‚Sozialpolitik‘ aufgenötigten Einschränkungen des Eigentums zu einem effektiven Obereigentum der Gesamtheit weiter entwickelt werden."13 Sämtliche Industriezweige werden in Syndikate zusammengefaßt. Die Gefahr eines neuen Konsumentenkapitalismus wird dadurch gebannt, daß sämtliche Industriebetriebe vollständige Autonomie besitzen in bezug auf die Beherrschung des Produktionsprozesses. Ein Produzentenkapitalismus wird hingegen dadurch verhindert, daß nicht mehr für den Markt, sondern für den Bedarf der Gesellschaft produziert werden soll. Das Interesse der Gesamtheit der Konsumenten soll durch eine für die autonomen Syndikate und Einzelbetriebe verbindliche öffentliche Bedarfsfeststellung gesichert werden.
Korschs Sozialisierungsvorschlag will die befürchtete bürokratische Schematisierung und Erstarrung durch Stärkung der betrieblichen Eigeninitiative, durch Ausweitung der "Autonomie" auf alle Betriebsangehörigen, während die Produktionsregulierung durch den Markt ersetzt werden soll durch eine demokratische Bedarfsplanung. Der erst langsam erwachende Gemeinsinn für die sozialistische Produktion soll begleitend gefördert werden durch die langfristig wirkende Erziehung zum Sozialismus.
Diese Synthese aus Elementen des Marxismus und Syndikalismus ließ sich offenbar nicht mehr oder noch nicht in die politische Lage des "revolutionären" Deutschland von 1919 einbinden und zur Verwirklichung bringen. Die Mehrheitssozialdemokratie, der Korsch noch angehörte, begnügte sich mit dem "Plakatsozialismus" und war noch nicht einmal gewillt, das unter ihrem vormaligen Theorie-Papst Karl Kautsky produzierte Mehrheitsgutachten für die Sozialisierung zu akzeptieren, sondern zog das rein privatkapitalistische Minderheitsgutachten als Regierungsmaxime vor. Spätestens nach der Verabschiedung der bürgerlich-demokratischen Weimarer Reichsverfassung im August 1919 war ein rein rätedemokratisches Modell Korschscher Provenienz nicht mehr durchsetzbar. Denn obwohl "dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus äußerlich nichts mehr im Wege stand", so stellt Korsch fest, fehlte doch überall der "fortschreitende Glaube an die sofortige Realisierbarkeit des sozialistischen Wirtschaftssystems vereint mit einem klaren Wissen um die Natur der zunächst zu unternehmenden Schritte".14 Neben diesen sozialpsychologischen Gründen machte Korsch vor allem die "schon fast unverständliche Rückständigkeit der sozialistischen Theorie gegenüber allen Problemen der praktischen Verwirklichung" des Sozialismus dafür verantwortlich, daß das Jahr 1919 in die Geschichte einging als das Jahr, "in dem das deutsche Bürgertum sich nach der Befreiung von den Überresten vorbürgerlicher Regierungsformen und von den Fesseln der Kriegswirtschaft politisch und ökonomisch als herrschende Klasse konstituierte." (Ebd.: 219)
Korsch wechselte zur damals rein rätesozialistisch orientierten USPD und kam mit ihrem linken Flügel über den Halleschen Spaltungsparteitag im Herbst 1920 im Dezember zur VKPD. In der Folgezeit vertrat er nach dem Desaster der Märzaktion 1921 als Anhänger Heinrich Brandlers konsequent die Einheitsfrontpolitik bis zur verunglückten Arbeiter- und Bauernregierung in Sachsen und Thüringen 1923, wo er für ganze fünf Wochen als Justizminister mit den Sozialdemokraten an einem Kabinettstisch saß.15 Die zwielichtige Kooperation seiner sozialdemokratischen Ministerkollegen mit der Reichsregierung und der von ihr veranlaßten militärischen Reichsexekution gegen die eigenen Genossen, die steckbriefliche Verfolgung als "Hochverräter" wegen Aufrufs zum militärischen Widerstand gegen die faschistische Putschgefahr aus Bayern und die tiefe Enttäuschung über die mangelnde Aktionsbereitschaft der organisierten Arbeiterklasse zur Abwehr der Konterrevolution sowie die deprimierende Stimmung aufgrund der mangelnden Initiativen zur Weiterentwicklung des revolutionären Prozesses haben Korsch erneut radikalisiert und seine Skepsis gegenüber der Sozialdemokratie fast unwiderruflich für die letzten Jahre der Weimarer Republik gefestigt. Die neue linke und "ultralinke" Führung der KPD übertrug ihm die Chefredaktion ihres theoretischen Organs "Die Internationale", die er jedoch auf Druck der Agitpropabteilung der Komintern unter Bela Kun schon im März 1925 wieder aufgeben mußte. Die unter dem Titel "Bolschewisierung" erfolgten Übergriffe der durch die russische Sektion okkupierten Komintern wurden immer unverhohlener und zwangen die ihr untergeordneten Sektionen bis Ende 1927 zur vollständigen Preisgabe jeglicher Autonomie.16 Nach der moskowitischen Einsetzung eines "rein leninistischen ZK in der KPD" mit Ernst Thälmann im Herbst 1925 geht Korsch offen in die innerparteiliche Opposition gegen die Stalinsche Machtpolitik und organisiert ab Frühjahr 1926 mit der Zeitschrift "Kommunistische Politik" die Fraktion der Entschiedenen Linken, die jedoch rasch selbst in den Mahlstrom der Zersplitterung und Fraktionstümelei gerät und bis Ende 1927 fast vollständig aufgerieben wird.17 Der Ausschluß aus der KPD, die Isolation in der Reichstagsfraktion der KPD, für die er seit Juli 1924 im Reichstag saß, der schließliche Verlust fast aller festen Bindungen zur organisierten deutschen und internationalen Arbeiterbewegung beenden die aktivistische Phase des Politikers Korsch. Anders als sein theoretischer Kampfgefährte Georg Lukács unterwirft sich Korsch auch nicht taktisch den Disziplinierungsmaßnahmen der Partei. Vielmehr sieht er - nunmehr aller Rücksichten und loyaler politischer Bindungen ledig - seine Aufgabe darin, grundsätzlich den Charakter der historischen Entwicklung der "proletarischen Revolution" seit der Weltkriegskrise in Theorie und Praxis zu reflektieren, quasi die Funktion der theoretischen Selbstkritik der revolutionären Bewegung zu versuchen. Dies zeigt sich zum einen in seiner veränderten Haltung zur "russischen Revolution" und zum anderen allgemein in seiner Weiterentwicklung der Funktionsbestimmung der Marxschen Theorie.
Im Gegensatz zu vielen Linksintellektuellen der Weimarer Zeit, etwa Bloch oder Lukács, entwickelte sich Korsch zum revolutionären Marxisten nicht durch das Fanal der Oktoberrevolution in Rußland 1917, sondern durch das Scheitern der Bemühungen um eine sozialistische Neuordnung in Deutschland nach dem Sturz der Monarchie im November 1918. Die Annäherung an die Auffassung der Notwendigkeit einer Ausweitung des politischen Umsturzes zur "proletarischen Revolution" im Sinne Lenins gewinnt bei Korsch erst Konturen nach den Niederlagen der proletarischen Bewegungen in Europa zu Beginn der 20er Jahre.18 Es ist deshalb bezeichnend, daß Korsch in seiner "leninistischen Phase" zwischen 1920 und 1926 in der russischen Revolution und im Leninismus wesentlich die Aktualität der proletarischen Weltrevolution gegenüber den Tendenzen der Resignation und Mutlosigkeit als Folge der Niederlagen und der Haltung der Sozialdemokratie betont. "Die Sturmglocke der Weltrevolution läutet in Sowjetrußland", so schreibt er 1924 die von Marx begonnene Periodisierung der Revolution fort.19 Das Organ der Verwirklichung der Weltrevolution ist die disziplinierte "bolschewisierte" Weltpartei, die Kommunistische Internationale; diese Form des Leninismus erfordert für Korsch in dieser Phase zugleich die rückhaltlose Zustimmung zum russischen "proletarischen Staat", zur russischen Politik, zur Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), ja selbst zunächst noch zur Politik Stalins als der spezifisch russischen Variante des angewandten Leninismus.
Allerdings ist Korschs "Leninismus" einer spezifischen Mutation unterworfen: bis 1923 richtet er sich ipso facto gegen die antirevolutionäre Praxis der reformistischen Partei- und Gewerkschaftsorganisationen in der Absicht, die Arbeiter aktuell für die revolutionäre Aktion zu mobilisieren und zu überzeugen, d.h. zumindest im Prinzip sie auf die Notwendigkeit der revolutionären Aktion vorzubereiten und einzustimmen. Die Theorie des "Leninismus" hingegen orientiert Korsch in dieser Phase genuin an Marx/Engels und weniger an den Schriften von Lenin. Erst nach der Oktoberniederlage 1923 in Deutschland erweitert er den Leninismus explizit auch auf die Theorie Lenins selbst und praktisch gegen die "rechten", sozialdemokratischen, trotzkistischen und luxemburgistischen Reste in der KPD. "Die Aufgabe, den Leninismus nicht nur formal anzunehmen und äußerlich nachzuplappern und nachzuäffen, sondern in einem speziellen Sinne zu lernen, die Organisation, den Bau, die Methode, den Inhalt der leninistischen Arbeit zu verstehen und den Leninismus konkret durchzuführen, stellt an alle europäischen Parteien die höchsten Anforderungen nicht nur in praktisch-organisatorischer, sondern ebenso auch in theoretischer Hinsicht."20 Daß dieser hypostasierte aktivistische Leninismus in der irdischen Wirklichkeit der werdenden stalinistischen Partei- und Staatsdiktatur nach dem V. Weltkongreß 1924 in Rußland und den Sektionen nicht nur nicht die "einzig wirklich revolutionäre Methode" darstellt, sondern im Gegenteil zur revolutionären Methode der Gegenrevolution sich wandelt, wird für Korsch erst sichtbar, als die Komintern mit den Thesen von der monarchistischen Gefahr in Deutschland, der relativen Stabilisierung des Kapitalismus, der Rückkehr zur alten entristischen Gewerkschaftspolitik - und wie die kruden tagespolitischen Wendelosungen alle heißen mögen - faktisch die weltrevolutionäre Perspektive mehr oder weniger offen preisgibt zugunsten einer ökonomischen und politischen Kooperation des russischen Staates mit den kapitalistischen Ländern, ja daß faktisch die Verwendung des Begriffs Sozialismus in der Sowjetunion mißbraucht wird als Waffe im Prozeß der Ausbeutung der russischen Arbeiter. Die Transformation der revolutionären Weltpartei in einen "Bernsteinismus und Kautskyanismus nach der Machtergreifung"21, d.h. für Korsch im Wesen die Liquidation der Komintern in ihrer eigentlichen Aufgabe und Zielsetzung, mobilisiert nunmehr in einer letzten Phase in der Zeitschrift "Kommunistische Politik" die wirkliche Leninsche Theorie gegen ihre stalinistische Perversion, um am Ende nach dem Scheitern der praktischen Opposition den wirklichen Leninismus in die materialistische Analyse und Reflexion mit einzubeziehen.
Bald spricht er die kapitalistische Natur der ursprünglichen Akkumulation in Rußland aus, deren Folgen Lohnausbeutung und Proletarisierung der Bauern bedeuten. Gleichwohl müßten, so Korsch im Dezember 1927 in einem Artikel zur Unterstützung der Arbeiteropposition in Rußland, "alle russischen Proletarier für die Vergangenheit Leninisten sein", weil die russische Revolution trotz ihrer späteren verbürgerlichten Gestalt im ganzen als "ein ungeheurer Fortschritt grundsätzlich" bejaht werden müsse.22 Für die Zukunft hingegen müßte das Proletariat auch in Rußland wie in den übrigen Ländern "die Nabelschnur zum Leninismus durchschneiden". Die deutsche Veröffentlichung der Plattform der Sapranow-Gruppe, die aus Korschs Reichtagsdiäten finanziert und von Hedda Korsch übersetzt wurde, ist für Korsch notwendig, weil sie trotz der gemäßigten Reformforderung gleichwohl ein Stück "wirkliche, unmittelbare Arbeiterbewegung und proletarische Klassenforderung" im stalinistischen Rußland darstellt, gegenüber allem revolutionären Phrasengeklingel des noch so "orthodoxen" Marxismus und Leninismus. Es ist ein Stück internationaler proletarischer Solidarität, die Korsch einfordert.
Diese praktische Solidarität übt er selbst und seine kleine Restgruppe "Kommunistische Politik" mit einem weiteren Verfolgten des Stalinschen Terrorapparats, mit dem Altbolschewiken Gabriel Mjasnikow.23 Dieser Arbeiter, geboren 1889 in Perm/Ural, aktiv in der russischen Revolution 1905, seit 1906 Mitglied der Bolschewiki und während des Bürgerkriegs einer ihrer örtlichen Führer im Ural, beteiligt an der Ermordung eines Romanow24, war 1921/22 Führer der "Arbeiteropposition", die in Gegensatz zu Trotzki und Lenin geriet, an den er sich vergeblich gewandt hatte. Daraufhin veröffentlichte er seine Forderungen Ende 1921 in einer Broschüre "Die brennenden Fragen"; er wurde im Februar 1922 wegen Verletzung der Parteidisziplin aus der Partei ausgeschlossen25 und befand sich anschließend in den Händen der GPU. Anfang 1923 gehörte er zu den Gründern einer Oppositionsgruppe am Rande der Partei, der "Arbeitergruppe der RKP(B)", die die im Sommer 1923 ausgebrochene Streikbewegung beeinflußte. Mjasnikow selbst wurde bereits im Mai verhaftet und nach Deutschland ausgewiesen, wo er sich den Positionen der KAPD annäherte. Anfang September 1923 wies GPU-Chef Dzierzynski die russische Handelsvertretung in Berlin an, unter Vortäuschung der Aufhebung der Verbannung Mjasnikow zur Rückkehr zu überreden26; dort wurde er im Herbst abermals verhaftet, aber nach einigen Monaten freigelassen. 1927 saß er in Tomsk in Gefängnis, Anfang 1928 wurde er nach Eriwan verbannt. Im November 1928 gelang ihm die Flucht nach Persien. Die sowjetische Diplomatie verlangte Mjasnikows Auslieferung und belieferte die persischen Behörden mit gefälschten Dokumenten. Aufgrund dieses Drucks der Sowjetunion wurde er dort sechs Monate eingesperrt und Anfang Mai 1929 ohne Visum in die Türkei ausgewiesen. Doch schon am 29. März war es ihm gelungen, sich mit Trotzki telegraphisch in Verbindung zu setzen, der noch am selben Tag den Hilferuf - vermutlich - an seinen Anhänger und Vertreter des "Leninbundes" Hugo Urbahns weiterleitete. Korsch initiierte ein "Mjasnikow-Komitee", übernahm öffentlich mit seinem Namen die Verantwortung, bemühte sich erfolgreich um Geldspenden und erfolglos bei den deutschen Behörden um Erteilung eines Einreisevisums. Das intime Verhältnis zwischen dem deutschen und russischen Staat seit Locarno, die Unterstützung der Schwarzen Reichswehr durch Sowjetrußland in der sog. "Granatenaffäre", der "Deutsch-Russische Vertrag" von 1926, gegen den Korsch mit bewegenden Worten als einziger im Reichstag votierte, hatten ihre negativen Auswirkungen.27 Und ein Jahr später klagte er ebenfalls im Reichstag die fehlende internationale Unterstützung für all jene "revolutionären kommunistischen" Gefangenen in den faschistischen und der bolschewistischen Diktatur ein. "Auch in Rußland selbst gibt es seit Jahren Arbeiterrevolutionäre, für die niemand, keine proletarische Partei auf der ganzen Welt eintritt."28 In einem Flugblatt hatte Korsch die Machthaber in Rußland nach dem Verbleib von Mjasnikow, Kuznezow u.a. gefragt und ganz offiziell die Antwort erhalten: "Auf einem verantwortlichen Posten in Sibirien".29 Dieser kaum zu überbietende Zynismus signalisierte Gefahr in Verzug; denn auch in der Türkei lebte Mjasnikow in der Verbannung in Amasja und blieb von sofortiger Ausweisung in die Sowjetunion bedroht. Erst 1930 fand er Asyl in Frankreich, wo er 15 Jahre als Fabrikarbeiter lebte. 1946 ging er erneut in die Falle des NKWD und kehrte in die Sowjetunion zurück, wurde sofort verhaftet und wenig später ermordet.
Schon während des Polizeigewahrsams in Teheran und in Amasja hatte Mjasnikow um seine politische Rehabilitierung gekämpft und zu diesem Zweck Broschüren verfaßt, die er mit Hilfe Trotzkis zu veröffentlichen hoffte. Doch die erwartete politische Auseinandersetzung mit seinem früheren Verfolger, dem er vorwirft, im ZK 1922 für seine "Liquidation" gestimmt zu haben (was sich allerdings nicht beweisen lasse): sie bleibt aus. Trotzki unterläßt alles, so kann man aus dem überlieferten Briefwechsel schließen, was über den Einsatz zur Rettung des nackten Lebens hinaus diesem "Fall" politische Bedeutung verleihen könnte. "Sie sind", schreibt Mjasnikow an Trotzki am 22.9.1929, "unversöhnlich feindselig gegenüber jeder nicht-trotzkistischen Opposition eingestellt (Â…) Sie sind anscheinend friedfertiger gegenüber den Genossen Radek, Preobrashenski und Co., die Sie verraten haben, als gegenüber dem Mjasnikowtum", d.h. der nicht von Trotzki kontrollierten Arbeiteropposition. Die trotzkistische Parole der Verteidigung der UdSSR um jeden Preis als Maßstab des proletarischen Internationalismus kann aus verständlichen Gründen von Mjasnikow nicht getragen werden. Für ihn bedeutet UdSSR das Prinzip der internationalen proletarischen Revolution als reale Aktion und nicht als diplomatische Phrase, wie sich am sowjetisch-chinesischen Konflikt zeigen sollte. "Wer die UdSSR nicht verteidigt, ist ein Verräter am internationalen Proletariat. Das ist eine der Grundfragen, die es für uns unmöglich machen, irgendeine Verantwortung für die Korsch-Gruppe zu tragen."30 - so lautete die Antwort Trotzkis.
Inwieweit die praktische Hilfe Korschs und des Komitees zu Mjasnikows Rettung beigetragen hat, läßt sich nicht nach bürokratischen Maßeinheiten erfassen. Auch politisch ist die Position beider nicht kongruent. In seiner Abrechnung mit Trotzki distanziert Mjasnikow sich auch von Korschs Haltung zur UdSSR. Korschs quasi isoliertes "revolutionäres Engagement" für die Arbeiteropposition in Rußland, für die der Arbeiter Mjasnikow stellvertretend stand, hat nach meiner Auffassung eine grundsätzliche Bedeutung für die geschichtliche und theoretische Bestimmung des Charakters der russischen Revolution als "proletarischer Revolution". Die eigenartige Weigerung der vielen "Trotzki-Hilfs- und Unterstützungskomitees", öffentlich nicht nur für den großen Intellektuellen und Revolutionär Trotzki, sondern auch für den Arbeiter Mjasnikow einzutreten, offenbart sinnfällig, daß hier zwei Momente der russischen Revolution sich in der durch den Stalinschen Machtapparat erzwungenen Verbannung wieder gegenüberstanden: der Arbeiter Mjasnikow als das proletarische Element der Arbeiterselbstverwaltung und des Sozialismus, das Trotzki als Repräsentant des Sowjetstaates zu Beginn der 20er Jahre mit eiserner Faust verfolgt und unterdrückt hat, um die angeblichen Ziele der Revolution zu retten - ein Prinzip, dem er nun selbst zum Opfer fiel. Der positive Mythos der russischen Revolution war damit durch die eingetretenen Tatsachen gleichsam von selbst zerfallen, ohne daß allerdings damit auch schon seine weitere Wirksamkeit erschöpft gewesen wäre. In zahlreichen Aufsätzen hat Korsch die empirischen und historisch-ideologischen Gründe immer wieder analysiert, die für den Funktionswandel des Marxismus in Rußland verantwortlich sind und bis zu Marxens Zeiten zurückreichen. "Sieht man von allen ideologischen Verkleidungen ab, unter denen sich die verschiedenen Generationen und die verschiedenen einander bekämpfenden Richtungen des russischen Marxismus den in der wirklichen gesellschaftlichen Entwicklung ihres Landes ausgebrochenen Konflikt zum Bewußtsein gebracht und ihn ausgefochten haben, so bleibt die nackte Tatsache übrig, daß der russische Marxismus in all seinen Entwicklungsphasen und in all seinen Richtungen von Anfang weiter nichts gewesen ist, als die ideologische Form für den materiellen Kampf um die Durchsetzung der kapitalistischen Entwicklung im zaristisch feudalistischen Rußland."31 Korsch zeigt die Metamorphosen auf von MarxÂ’ Zugeständnissen an die Narodniki, denen der Narodniki an die Marxsche Theorie, sowie vom Stalinschen "Nationalsozialismus" als auch dem Trotzkischen Sozialismus der "permanenten Revolution", und vor allem Lenins Übergang zur NÖP - trotz aller politisch-ideologischen Gegensätze die übereinstimmende Übernahme der revidierten Theorie der Narodniki von der "Unmöglichkeit einer normalen und organischen Entwicklung des Kapitalismus in Rußland". Dies führte in der sozialistisch idealisierten Tendenz dazu, daß schon Lenin entgegen seiner früheren Position voll bewußt nach Einführung der NÖP vom grundsätzlich sozialistischen Charakter des Sowjetstaates sprach und damit "gegen die Wirklichkeit" und für den "marxistischen Mythos" optiert hat, d.h. für die endgültige Ideologisierung des russischen Marxismus zur förmlichen Staatsreligion. Die Entwicklung des "westlichen Marxismus" blieb davon freilich nicht unberührt. Denn grundsätzlich bedeutete dies ja auch, daß von Marx bis Lenin alle wichtigen marxistischen Theoretiker und Praktiker entgegen ihren Einsichten im Falle des Nichteintreffens der erwarteten Revolution entweder von der proletarischen Revolution selbst abließen, oder eben zur Aktivierung der Massen sich gegen die "Wirklichkeit" und für den "Mythos" entschieden.
Was also bleibt? Korsch verteidigt die russische Revolution gegen ihre sozialdemokratischen Feinde und falschen kommunistischen Freunde dennoch als "die erste siegreiche proletarische Revolution der Weltgeschichte", die nicht mehr wie die ‚Pariser Kommune‘ durch einfache Rückkehr der alten Machthaber beseitigt werden konnte, auch wenn dann die weitere Entwicklung zur veränderten Einführung kapitalistischer Verhältnisse führte.32 "Das weltgeschichtliche Ereignis der russischen Revolution von 1917, die konsequente Durchführung der von der Bourgeoisie preisgegebenen Ziele einer bürgerlichen Revolution durch die selbständige, selbstbewußte Aktion des Proletariats und der gewaltige Anlauf des Proletariats über die Grenzen der bürgerlichen Revolution hinaus, auch wenn dieser Anlauf in den übermächtigen objektiven Schwierigkeiten seiner konsequenten Durchführung vorläufig steckenblieb und zum Teil sogar schon zurückgestoßen wurde, das Ereignis ist groß genug, um auch bei kritischer und nüchterner Beurteilung der Wirklichkeit, wie sie war, ist und wird, das Selbstbewußtsein und die Tatbereitschaft des internationalen Proletariats in seinen gegenwärtigen und zukünftigen Aktionen anzufeuern, genau so stark und hartnäckiger als irgendeine revolutionäre Legende es vermögen könnte - was im Augenblick das wichtigste ist - unter Ausschaltung der nach jeder Illusion unvermeidlich folgenden Desillusion und Entmutigung." Es geht ihm darum, die Halbwahrheiten und vollen Lügen über die russische Revolution den Feinden und falschen Freunden des Proletariats zu entreißen und daraus eine "Waffe zu schmieden für heutige und zukünftige proletarische Aktionen".
Korsch greift indirekt zwei Argumente auf, die das Fehlen einer expliziten Handlungstheorie im "wissenschaftlichen Sozialismus" kompensieren sollen: Die Mythostheorie von Sorel und die Fortschrittstheorie Kants. Schon in "Marxismus und Philosophie" 1923 zitiert Korsch eine Stelle aus Kants "Streit der Fakultäten" als Beleg für das Zusammenfallen von bürgerlicher Revolution und revolutionärem Charakter auch der Theorie. Kant schreibt: "Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweitenmale unternehmend, glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde - diese Revolution (Â…) findet doch in den Gemütern aller Zuschauer (Â…) eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt (Â…) ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergißt sich nicht mehr. (Â…) Denn jene Begebenheit ist zu groß, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt (Â…), als daß sie nicht den Völkern, bei irgendeiner Veranlassung günstiger Umstände, in Erinnerung gebracht und zu Wiederholung neuer Versuche dieser Art erweckt werden sollte."33 Wenn Korsch die russische Revolution auf einen aktionsstiftenden Mythos zusammenzuschmelzen und damit auch an den "sozialen Mythos" von Sorel anzuknüpfen scheint, so darf nicht übersehen werden, daß er gerade nicht die Mythostheorie34, sondern das Spannungsverhältnis zwischen nüchtern realistischer Beschreibung der Tatsachen gegen die Ideologie einerseits und den Kern des Mythos oder der "Legende" bestimmt als eine "Erfahrungstatsache": Es geht um nichts weiter als um die moralische und bewußtseinsmäßige Verankerung der durch Erfahrung gesättigten geschichtlichen Möglichkeit der proletarischen Revolution. Für Korsch steht außer Zweifel, daß in den Phasen, in denen keine genuin proletarische Bewegung vorhanden ist, ohnehin Mythen und Ideologien vorherrschen. Angeregt durch Auseinandersetzungen mit seinem Schüler und Freund Bert Brecht schreibt er 1935 im dänischen Exil: Nirgends in der Welt gebe es "eine wirklich revolutionäre Bewegung" oder auch nur eine "geistig ideell existierende und in sich zusammengehaltene ‚Richtung‘". Dem "metaphysischen Trost", Mythos und revolutionären Jenseits-Glauben stehe außerhalb Rußlands nirgends mehr eine revolutionäre Diesseitigkeit in irgendwie faßbarer Gestalt gegenüber.35
Die gegen den Faschismus/Nationalsozialismus ebenso wie gegen den Stalinismus kämpfende Arbeiterbewegung muß als Konsequenz dieser Erfahrung sich loslösen von der Vorstellung, mit der zentralistischen Partei für die sozialen Zwecke den Staat erobern zu müssen. Dies sei längst von Mussolini, Hitler und Stalin erreicht. Die Arbeiterbewegung muß wieder anknüpfen an den "größeren Formenreichtum" der Periode der I. Internationale. "Hier gab es eine so große Mannigfaltigkeit von Organisationen, Gruppen, Strömungen, Zeitungen, Theorien, Institutionen, Bündnissen, Kampfformen usw., daß es niemandem einfallen konnte, seine eigene Aktion und sein eigenes Bewußtsein mit der Aktion und dem Bewußtsein ‚der‘ Arbeiter‚klasse‘ zu verwechseln oder auch nur in ‚seiner Partei‘ das Ganze des Klassenbewußtseins und Klassenkampfes zu ‚integrieren‘."36 Eine erste praktische Tendenz dieser Richtung sieht Korsch im revolutionären Prozeß der spanischen Bewegung seit Beginn der 30er Jahre und in der heroischen Phase des Bürgerkriegs.37
Im Dezember 1936 folgte Korsch seiner Familie ins US-amerikanische Exil; seine ursprüngliche Hoffnung, daß auch aus der Arbeitslosenbewegung zu Beginn der 30er Jahre eine eigenständige neue amerikanische Arbeiterbewegung entstehen und sich auf breiterer Basis festigen könne, erfüllte sich nicht. Auch eine berufliche Zukunft war ihm nicht mehr beschieden: mit Ausnahme gelegentlicher Mitarbeit am emigrierten Institut für Sozialforschung in New York und einer kurzfristigen Vertretung einer Professur in New Orleans 1943-1945 lebte er zurückgezogen in Boston bis zu seinem Tod 1961.
Diese Bilanz der Enttäuschungen hat dennoch nicht zu Resignation oder gar Absage an jede proletarisch revolutionäre Intention geführt, wie sie bei vielen ehemaligen deutschen Kommunisten im Amerika der 30er und 40er Jahre zu beobachten ist. Korsch wurde niemals ein "Renegat". Sein Bemühen richtet sich auf ein immer tiefer gehendes Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der Theorie und Praxis der sozialen Revolution. Wenn es zutrifft, so fragt sich Korsch 1938, daß zwar "der erste proletarische Sieg" in Rußland nicht einfach durch die alten Mächte von gestern beseitigt werden konnte, aber gleichzeitig der "neue Arbeiterstaat seinen eindeutig revolutionären Charakter schon lange verloren hat" und durch die Folgerichtigkeit und umfassende antidemokratische Natur und totalitäre Entwicklung sogar die "faschistischen Züge der offen konterrevolutionären Staaten Europas und Asiens oft vorweggenommen hat", dann stellt sich ja die grundsätzliche Frage, wie sich das Verhältnis von "Staat und Revolution" und "Staat und Konterrevolution" durch diese Revolution verändert hat.38 Korsch stellt mit Verblüffung fest, daß offenbar von Marx über Proudhon bis hin zu den neueren marxistischen Schulen eine große "Unkenntnis der besonderen Natur konterrevolutionären Geschehens" vorliege. Wie läßt sich die für viele Marxisten quälende Frage klären, daß der erste Arbeiterstaat nicht nur alle proletarischen und sozialistischen, sondern sogar alle elementaren demokratischen Tendenzen unterdrückt und ohne "Thermidor" oder "Brumaire" sich langsam zum Instrument der europäischen Konterrevolution entwickelt hat? Die Verwandtschaft zwischen Stalinismus und Faschismus liegt für Korsch nicht so sehr in der Zweideutigkeit der Marxschen Revolutionstheorie und ihrer jakobinischen Muttermale, auch nicht in der politischen Form der zentralistischen Partei begründet, als vielmehr in der bislang noch nicht aufgetretenen verborgenen Funktion der Konterrevolution, die in beiden Fällen, aber auch schon in der bürgerlichen Demokratie als Vorstufe zum Faschismus wirksam wurde. Diese Funktion besteht darin, daß aufgrund der objektiven ökonomischen Entwicklung die Existenzsicherung des Kapitalismus sich nicht mehr einfach durch klassische restaurative Methoden der Konterrevolution, wie z.B. im Kapp-Putsch, gewährleisten lasse, sondern nur noch durch die Niederlagen und Ausschaltung der proletarisch revolutionären Kräfte schlechthin. Dazu aber ist es notwendig, daß die Form der Konterrevolution selbst ins Gewand der Revolution schlüpft. "Das wirklich Bemerkenswerte, das es nie vorher in der Geschichte gab, besteht darin, daß gerade jene neuen, für antibürgerlich gehaltenen Züge des russischen Staates, die als Mittel der Verteidigung des proletarischen Gehalts der russischen Gesellschaft gedacht waren - zusammen mit den ‚neuen‘ gegenrevolutionären, nach dem Modell der russischen Diktatur gestalteten Staaten - als Instrument nicht nur der Umkehrung des Sozialismus in Rußland, sondern auch einer neuen, bewußt gegenrevolutionären Umformung des gesamten traditionellen Rahmens der europäischen kapitalistischen Gesellschaft gedient haben." (a.a.O.: 336)
Damit war aber auch der Marxismus selbst nicht mehr nur als Theorie der sozialen Revolution wirksam, sondern zugleich Moment der gegenrevolutionären Entwicklungstendenzen des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratien im Weltmaßstabe. Es ist kaum verwunderlich, daß Korsch nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere im Zuge der chinesischen Revolution 1948/49 dieses Verhältnis einer neuen Reflexion unterzogen hat, daß er nach dem neuen geschichtlichen Funktionswandel Ausschau hielt, welche Aufgaben dem stalinistischen Staat im Kalten Krieg als Bastion im antiimperialistischen und antikolonialen Kampf eventuell zugefallen waren: die totalitäre Sowjetunion als Modell der antiimperialistischen Entwicklungsdiktatur der staatskapitalistisch betriebenen ursprünglichen Akkumulation in den Ländern der Dritten Welt.39 In seinen letzten Arbeiten hat er immer wieder die Marxschen Schemata analysiert und überprüft nach einer möglichen Tragfähigkeit zur Bestimmung der "Abschaffung" des Kapitalismus und des "Übergangs in den Sozialismus". So scheint es für den ersten Blick überraschend, daß der frühe antistalinistische "westliche" Marxist Korsch in seiner eigenen Theoriekonzeption offenbar weit enger mit dem Schicksal der russischen Revolution, dem Leninismus und Stalinismus "verbunden" war, als das seiner sonstigen marxistischen Theorieproduktion zu entnehmen wäre.
Korschs Rezeption und Verarbeitung der Marxschen Theorie stand seit Anfang der 20er Jahre unter dem Vorzeichen des Aktivismus und der Aktualität der proletarischen Revolution. Wissenschafts- und erkenntnistheoretisch lagen seine Voraussetzungen eher beim Positivismus als beim deutschen Idealismus, obgleich auch bei ihm deutlich Spuren einer tiefen Kantrezeption zu erkennen sind. Er stand also mehr auf pragmatischen denn auf "dialektischen" Beinen. Und dennoch vertrat er schon sehr früh ein fast metaphysisch anmutendes Entsprechungsverhältnis von Theorie und Praxis. Häufig zitiert er den Satz aus dem Kommunistischen Manifest, daß die Sätze der Kommunisten keineswegs auf Prinzipien und Ideen irgendwelcher Weltverbesserer beruhen, sondern nur "allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung sind". In seiner ersten großen marxistischen Untersuchung über das Verhältnis von "Marxismus und Philosophie" im Jahre 1923 wendet er als erster Marxist die Methode der materialistischen Geschichtsauffassung auch auf die Geschichte der Marxschen Theorie selbst an, um herauszufinden, aus welchen objektiven und subjektiven Gründen die Marxsche Theorie der sozialen Revolution zu einer zu nichts mehr verpflichtenden Ideologie herabgesunken sei. Dieses Theorieverständnis zeigt trotz aller späteren politischen Gegensätze eine deutliche Nähe zur Originalität des marxistischen Denkers Eduard Bernstein gegenüber dem orthodoxen "banalen Flachkopf Karl Kautsky"40, dessen voluminöses "Hauptwerk" über die materialistische Geschichtsauffassung Korsch 1929 in einem eigenen Buch kritisiert und den tief verwurzelten naturwissenschaftlich geprägten Evolutionismus in Kautskys "Marxismus" nachweist. Hier sieht er auch die nachwirkende Resonanz bei dessen Schüler Lenin, der ebenfalls, aufgrund der vorbürgerlichen ökonomischen und sozialen Verhältnisse in Rußland, die materialistische Dialektik in eine bürgerlich, naturwissenschaftlich gefärbte materialistischen Weltanschauung umwandle und den Dualismus von Sein und Bewußtsein umkehre durch die Ersetzung des Hegelschen Geistes durch die Materie. Seine theoretische Kritik des Leninismus und der Dialektik weitet Korsch auch auf MarxÂ’ Dialektikbegriff aus, wie er in der Einleitung zu einer neuen, von ihm selbst besorgten Ausgabe des Marxschen "Kapital" 1932 ausführt. Korsch nähert sich in den 30er Jahren, betont durch Kooperation mit Vertretern der "wissenschaftlichen Weltauffassung" des Wiener Kreises, den ungeklärten Formfragen der Marxschen Theorie zu. Aber die Versuche einer wissenschaftstheoretisch dem neuesten Stand angepaßten Erweiterung und Fundierung der Marxschen Theorie zu einer "revolutionären" empirischen materialistischen Sozialwissenschaft kommen über erste Versuche einer Zusammenarbeit mit seinem Freund Kurt Lewin nicht hinaus. Sein Buch über Karl Marx, das er im Svendborger Exil bei Brecht schrieb und in Amerika mehrfach überarbeitete, und das in der englischen Ausgabe erst Ende 1938 erschien, ist der bis heute gelungene Versuch einer Darstellung der positiven und kritischen Elemente der Marxschen Theorie.
In Amerika blieb Korschs Produktion auf die regelmäßige Mitarbeit an der Zeitschrift des Rätekommunisten Paul Mattick begrenzt. Seinen Plan, eine umfassende geschichtliche Analyse des Verhältnisses der Arbeiterbewegung und des Marxismus zu schreiben, konnte er nicht mehr vollenden. Korschs eigene Produktivität im positiven Sinne war auch gebunden an die Existenz einer wirklichen Bewegung. Welch eine Enge muß er empfunden haben im Nachkriegs-Amerika der McCharthy und Nixon und ihren "unamerikanischen" Ausschüssen. So blieb er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten am Ende ebenso zerrissen wie die Hoffnungen der Arbeiterbewegung angesichts des Grauens dieses Weltkrieges selbst. Zur rein akademischen Marxforschung und Marxologie, zu der er gelegentlich ansetzte, fehlten ihm die materiellen Voraussetzungen. So kehrte er auch in Amerika zurück zu der seit seiner frühen Jugend und in der Arbeiterbildung praktizierten Form der kleinen Schulungszirkel.
Bert Brecht suchte oft Rat bei Korsch und bat um Hinweise und Kritik in Sachen "Marxismus". Als er 1945 an die Versifizierung des "Kommunistischen Manifests" ging, bat er den Lehrer um flüchtige Notizen zur eigenen Ausbeutung, fragte an, ob er "neue Fragen einschmuggeln soll", ja bittet ihn, Theoretisches in Ordnung zu bringen. Ich hoffe, so endet der Brief, "Sie stöhnen nicht zu sehr, aber Sie wissen, Lehrer sind Sie lebenslang. So take it easy."41 Sein Schüler Heinz Langerhans fragte ihn beim Wiedersehen in Amerika in einem Gedicht mit dem Titel "Der Lehrer": "‚Warum wendest du deinen Blick so weit nach rückwärts?‘ fragte ich den Lehrer, als ich bemerkte, daß er in alten Büchern blätterte. Die uralte Herrschaft sei noch älter, als wir bisher angenommen hatten, sagte er. ‚Es ist also schwerer, sie abzuschütteln, nicht leichter.‘"42
Korschs angestrebte Synthese von Natur und Gesellschaft, die Einheit von Theorie und Praxis, ist in einer Periode der Krise und Stagnation der revolutionären Bewegung auf rein theoretischer Ebene nicht zu erreichen. Auch andere theoretische Versuche, Auswege aus der Krise der Zeit, die ja nicht nur eine Krise des Marxismus war, gedanklich zu fassen, blieben offenbar mit variablen Akzentsetzungen dieser Aporie unterworfen. Das wissenssoziologische Programm von Karl Mannheim, das der "freischwebenden Intelligenz" die politische Bildungsaufgabe zumaß, die fanatisierten Massen in den Stand rationaler Entscheidungsfähigkeit zu bringen und in die bürgerliche Demokratie zurückzuführen, blieb ebenso ohne Erfolg wie das praktische Aufklärungsprogramm der psychoanalytisch erweiterten marxistischen Massenpsychologie von Wilhelm Reich. Die Theorieproduktion der Frankfurter Schule orientierte sich politisch bis Mitte der 30er Jahre noch am Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion und mündete schließlich in der resignierten Skepsis der Dialektik der Aufklärung. Die wissenschaftliche Weltauffassung des "Wiener Kreises" verlor bald ihren politisch emanzipatorischen Anspruch und zog sich in die Leere des Logizismus zurück; der erkenntnistheoretische Fortschritt einer "unified science" war noch nicht in Sicht. Für Korsch wäre die Auflösung der Aporie nur durch eine neue, wirklich revolutionäre, auch theoretisch auf ihren eigenen Grundlagen basierende Massenbewegung denkbar gewesen - sie mußte den Scheinrevolutionen des Faschismus und Stalinismus weichen. Daß Korsch nicht wie seine früheren Freunde Georg Lukács oder Hans Freyer für eine der beiden Formen der gewaltsamen Überwindung der Zerrissenheit der Gesellschaft optierte, läßt sich daraus erklären, daß er mit Sozialismus nicht die abstrakte Freiheit für alle, sondern die Freiheit für jeden einzelnen verband. Die Überwindung der "Krise des Marxismus" bleibt in die Dialektik der Revolution und ihres Sinnwechsels eingebunden und erhält ihr Programm aus der weiteren konsequenten Selbstanwendung der marxistischen Erkenntnis, oder wie Korsch es in den 50er Jahren formulierte: "Von der marxistischen Kritik an der bürgerlichen Ökonomie und Politik des 19. und 20. Jahrhunderts zur Kritik des Marxismus an der Totalität seiner Verwirklichungen."43
Das eröffnet nach dem Zusammenbruch der "Verwirklichungen des Marxismus" auch einen neuen Zugang zum Marxismus, der in seine Kritik alle Bestandteile mit einbeziehen muß. Denn die Selbstkritik des Marxismus kann nur gelingen, wenn sie zugleich sich als fähig erweist, das eigene kritische Instrument der Theorie nicht nur akademisch, sondern auch in der Zeitdiagnostik angemessen einzusetzen. In Zeiten des revolutionären Stillstands verbleibt ihr womöglich vorübergehend nur die Aufgabe der Kritik der allgemeinen sozialen und politischen Bewegungsformen ebenso wie der politischen Ökonomie.
Das Ende einer Illusion, wie Furet uns erklären will, befreit uns keineswegs von der Last, eigene Entwürfe und Visionen zu wagen, die ein utopisches und zugleich realitätstüchtiges Bewußtsein auch zum gesellschaftlichen Handeln bringen kann. Die von Politik und Öffentlichkeit, Wissenschaft und Publizistik angedienten Lösungsschemata zur Bewältigung der gegenwärtigen Fundamentalkrise verfallen noch immer den gleichen Parametern: Wirtschaft - Staat und Gewalt.
Die Objektivation der historisch zerbrochenen Synthesis von Natur und Gesellschaft, revolutionärer Theorie und Praxis, ist immer auch die Rückstrahlung der geistigen Lage der Zeit.
Keine Kultur vermag sich - nach Hegels Dialektik von Voraussetzung und Resultat - aus sich selbst heraus zu fassen. Die Eule der Minerva der Bonner/Berliner Republik sagt uns aus der Perspektive von Nationalsozialismus und Stalinismus die Wahrheit über Weimar.
Die Melancholie des Altwerdens einer Zeit, die sich resignierend-anklagend im Seufzer ergeht, wo denn "heutzutage" dies oder jenes zu finden sei - nach dem Motto der permanenten linke Selbstanklage "Wo ist denn heute nochÂ…" - zeichnet nur nostalgisch das Alte im Glanz des Großen, mit sich Identischen. Diese Kompensation des eigenen Fragilen durch die idealisierte und verklärte Festigkeit des Gewesenen ist im Grunde das Warnsignet des eigenen Untergangs.
Bekanntlich können alte Bücher und Archive auch Dämme gegen den Tod des Gedächtnisses sein, und der Hinweis auf und die Beschäftigung mit "vergessenen" Theoretikern des Marxismus und der Arbeiterbewegung wie Karl Korsch kann vorschnell Abgelegtes und Verdrängtes in der heutigen Zeit zu neuem Leben und zu neuer Wahrheit erwecken.

Anmerkungen

1 Bert Brecht an Karl Korsch vom 23. Oktober 1941. In: Bertolt Brecht, Briefe 1913-1956. Berlin-Weimar 1983, 420.
2 Ein besonders erschütterndes Dokument ist der "Abschiedsbrief" Bucharins an Stalin vom 10.12.1937, drei Monate vor seiner Hinrichtung. "Und auch jetzt sage ich die absolute Wahrheit: In all den letzten Jahren habe ich mich ehrlich und aufrichtig an die Parteilinie gehalten und habe gelernt, Dich mit Vernunft zu schätzen und zu lieben". Für den - auch für Bucharin unwahrscheinlichen - Fall, daß man ihm das Leben lasse, bittet er um Ausweisung nach Amerika. "Ich würde faktisch der Anti-Trotzki sein und würde diese Sache mit großem Elan und direkt mit Enthusiasmus betreiben; man könnte einen qualifizierten Tschekisten mit mir mitschicken und als zusätzliche Garantie meine Frau für ein halbes Jahr hier festhalten, bis ich in der Praxis bewiesen habe, wie es mir gelingt, Trotzki und Co. in die Fresse zu hauen usw." W. Hedeler/R. Stoljarowa, Ein unbekannter Brief Nikolai Bucharins an Josef Stalin vom 10. Dezember 1937. In: IWK 29 (1993) 1 (März), 22 u. 24. Schon zu Beginn der 50er Jahre hat der unabhängige Sozialist Willy Huhn in bezug auf Trotzki auf die enge Verflechtung verwiesen in seinen erst 1973 in West-Berlin unter dem Titel "Trotzki - der gescheiterte Stalin" erschienen Studien zu Trotzki.
3 Vgl. Gert Schäfer, Leo Trotzki - die Tragödie eines revolutionären Marxisten. In: Th. Bergmann/Gert Schäfer (Hg.), Leo Trotzki. Kritiker und Verteidiger der Sowjetgesellschaft. Beiträge zum internationalen Trotzki-Symposium, Wuppertal 26.-29. März 1990. Mainz 1993, 22ff.
4 Eric Hobsbawm, Revolution und Revolte. Frankfurt a.M. 1977, 215; der Aufsatz des englischen Kommunisten über Korsch stammt von 1968.
5 Ebd.; daß es gleichwohl einen geschichtlich-"logischen" Grund für diese "Wiederentdeckung" gab, schildert überzeugend Rudi Dutschke, Warum ich Marxist bin - doch Marx sagte: "Ich bin kein Marxist". In: Fritz J. Raddatz (Hg.), Warum ich Marxist bin. München 1978, 112ff.
6 Noch mehr als zehn Jahre später sagte brav Herbert Wehner seine denunziatorischen Sprüche her über Ruth Fischer, Erich Mühsam und Karl Korsch. Vgl. Reinhard Müller, Die Akte Wehner Moskau 1937 bis 1941. Berlin 1993.
7 Vgl. dazu das brilliante Psychogramm von A. Balabanoff: Der psychologische Hintergrund des Zweikampfes Sinowjew-Trotzki. In: Grigori Dimitroff (Hg.), Die Tragödie Trotzki. Berlin 1925, 69ff.
8 Im übrigen konnte er 1924 seine Professur in Jena aus politischen Gründen gar nicht antreten, weil sie ihm von der faschistischen Bürgerblock-Regierung aberkannt wurde: es war der erste Fall von akademischem "Berufsverbot" in der Weimarer Republik.
9 Protokoll des V. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Bd. 1. Hamburg 1924, 54.
10 Siehe dazu die kritische Einleitung von Georg Bammel zur zweiten russischen Ausgabe in: M. Buckmiller (Hg.), Zur Aktualität von Karl Korsch. Frankfurt a.M. 1981, 68-88.
11 Vgl. die Kontroverse zwischen Korsch und Duncker in: Karl Korsch, Marxismus und Philosophie (=Karl Korsch Gesamtausgabe [KoGA] Bd. 3). Amsterdam 1993.
12 Korsch an Walter Fränzel am 27.09.1916. KoGA Bd. 8. Amsterdam-Hannover 2001.
13 K. Korsch, Was ist Sozialisierung". In: KoGA Bd. 2, 118.
14 K. Korsch, Grundsätzliches über Sozialisierung. In: KoGA Bd. 2, 218.
15 Vgl. dazu Erhard Wörfel, Die Arbeiterregierung in Thüringen im Jahre 1923. Erfurt 1974; Beate Häupel, Die Gründung des Landes Thüringen, Staatsbildung und Reformpolitik. Weimar 1995; Josef Schwarz, Die linkssozialistische Regierung Frölich in Thüringen 1923. Hoffnung und Scheitern. Schkeuditz 2000.
16 S. Bahne, Einige Bemerkungen zur Geschichte der KPD, besonders in den Jahren 1928-1929. In: Centenaire Jules Humbert-Droz. Colloque sur lÂ’Internationale communiste. La Chaux-de-Fonds 15-28 septembre 1991. La Chaux-de-Fonds 1992.
17 Vgl. K. Korsch, Die marxistische Linke in Deutschland und die Aufgaben der marxistischen Revolutionäre in der Internationale (1928). In: M. Buckmiller (Hg.), Zur Aktualität von Karl Korsch. Frankfurt a.M. 1981, 107ff.
18 Vgl. zum folgenden Claude Orsoni, Karl Korsch und die Russische Revolution. In: Ebd., 89ff.
19 Karl Korsch, Der Marxismus der Ersten Internationale. In: ders., Politische Texte. Frankfurt a.M. 1974, 69. Marx hatte im Vorwort zur ersten Auflage des "Kapital" 1867 geschrieben: "Wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke für die europäische Mittelklasse läutete, so der amerikanische Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts für die europäische Arbeiterklasse."
20 K. Korsch, J. Stalin: Lenin und der Leninismus. In: ders., Die materialistische Geschichtsauffassung und andere Schriften. Hg. von Erich Gerlach. Frankfurt a.M. 1971, 152.
21 K. Korsch, Der Weg der Komintern. In: Politische Texte, a.a.O., 86.
22 K. Korsch, Die Zweite Partei. In: Ebd., 208.
23 Zu Mjasnikow vgl. P. Avrich, Bolshevik Opposition to Lenin: G.T. Mjasnikov and the WorkersÂ’ Group. In: The Russian Review (Stanford) 43 (1984) 1, 1-29; G.P. Maximoff, The Guillotin at Work. Twenty Years of Terror in Russia (Data and Documents). Translated from Russian. Reprint of the 1940 ed. Published by the Chicago Section of the Alexander Berkman Fund, Chicago. New York 1975, 266-273; G. Hillmann, Selbstkritik des Kommunismus. Texte der Opposition. Reinbek 1967; Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur. Hg. von F. Kool und E. Oberländer. Eingeleitet von O. Anweiler. Olten 1967; ferner meine Einleitung zu Bd. 5 der Korsch-Ausgabe und die dort abgedruckten Aufrufe und den Brief Korschs an Mjasnikow vom 9. September 1929, in: KoGA Bd. 8, 367f. Die weiter unten erwähnte Korrespondenz zwischen Mjasnikow und Trotzki befindet sich im NL L. Trotzki in der Houghton Library der Harvard University.
24 "G. Mjasnikow. Philosophie des Mordes oder: Warum und wie ich Michael Romanow umbrachte". Publikation von B.I. Belenkin u. W.K. Winogradow. In: Vergangenes. Historischer Almanach, Nr. 18. Moskau-Petersburg 1995, 7-194 (russ.)
25 Die Untersuchungskommission der Partei übergab Lenin selbst den Fall; er bat Mjasnikow zu einem Gespräch in den Kreml undfaßte seine Position anschließend in einem Brief zusammen. Lenin bemühte sich um Integration, warf Mjasnikow jedoch Unbelehrbarkeit und Theorieschwäche vor und mokierte sich über Mjasnikows Begriff der Demokratie: "Wir lachen über die reine Demokratie". W.I. Lenin, Werke Bd. 32. Berlin 1961, 528f. - Es war wohl der einzige Fall seit Bestehen der bolschewistischen Partei, daß Lenin selbst den Ausschluß eines prominenten Parteimitglieds betrieb. Vgl. R.V. Daniels, Das Gewissen der Revolution. Kommunistische Opposition in der Sowjetunion (1962). Berlin 1978, 194.
26 N. N. Krestinski an I.W.Stalin, F.E.Dzierzynski, M.A. Trillisser, W.R. Menschinski vom 13. November 1923. In: Bolschewistische Führung. Briefwechsel. 1912-1927.Red. A.W. Kwaschonkin, A.J. Lifschiz, O.W. Chlewnjuk. Moskau 1996, 287f. (russ.); am 9. November 1923 sollte auf Anweisung Trillissers das bereits am 5. November erteilte Visum annuliert werden, doch war Mjasnikow zwischenzeitlich bereits abgereist.
27 K. Korsch, Reichstagsrede zum Deutsch-Russischen Vertrag. In: Politische Texte, a.a.O., 114ff.
28 K. Korsch, Über den Terror in Sowjetrußland und über die Aufgaben des Proletariats angesichts des näher rückenden Krieges. Reichstagsrede des Genossen Korsch am 24.6.1927. In: Kommunistische Politik 2 (1927) 11/12 (30. Juni).
29 Das Flugblatt ist wiederabgedruckt in: Vorwärts. Berliner Volksblatt. Zentralorgan der SPD 44 (1927) 220 (11. Mai); und in La Révolution Prolétarienne, Nr. 36 (15. Juni 1927), 188f. Zur offiziellen Antwort vgl. Kommunistische Politik 2 (1927) 11/12 (30. Juni); und Inprekorr, Nr. 57 (15.6.1927).
30 Trotzki an Mjasnikow am 28. November 1929; vgl. dazu auch Trotzkis Stellungnahme "Fortgetful Myasnikov" vom Mai 1930, in: L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1930). New York 1975, 218f. - Die Abrechnung mit Trotzki, diesem Artikel folgend, ist als Entwurf im NL Trotzki überliefert, aber wohl nicht veröffentlicht worden. Siehe ferner P. Avrich, Bolshevik Opposition to Lenin (Anm. 23).
31 K. Korsch, Zur marxistischen Ideologie in Rußland (1932). In: Politische Texte, a.a.O., 251.
32 K. Korsch, Fünfzehn Jahre Oktoberrevolution. Legende und Wirklichkeit des Sozialismus in Sowjetrußland (1932). In: KoGA Bd. 5, 564ff.
33 I. Kant, Werke. Hg. von W. Weischeldel. Bd. XI. Frankfurt a.M. 1964, 358ff.
34 K. Korsch, Über einige grundsätzliche Voraussetzungen für eine materialistische Diskussion der Krisentheorie (1933). In: KoGA Bd. 5; Georges Sorel, Über die Gewalt. Frankfurt a.M. 1969; Michael Buckmiller, Sozialer Mythos und Massenbewegung. Zur Problematik der Sorel-Rezeption in Deutschland. In: Bochumer Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Bd. 9. Bochum 1988, 91-114.
35 K. Korsch, Stellung zu Rußland und zur KP. In: KoGA Bd. 8, 563-565.
36 K. Korsch, [Der Kampf gegen den Faschismus]. Politische Losungen Anfang November 1933. In: KoGA Bd. 5, 611-616.
37 Vgl. dazu seine zahlreichen Aufsätze zu Spanien in Bd. 5 und Bd. 7 der KoGA.
38 K. Korsch, Staat und Konterrevolution. In: ders., Politische Texte, a.a.O., 329.
39 Die zahlreichen Fragmente, Notizen, Entwürfe und Exzerpte vor allem zu Marx und Lenin werden im Band 7 der KoGA erscheinen; wichtige Hinweise finden sich freilich auch schon in der Korrespondenz, v.a. mit Roman Rosdolsky und Ruth Fischer, in Bd. 9.
40 Karl Korsch an Adrien Turel vom 4. 10. 1929. In: KoGA Bd. 8, 370f.
41 Bert Brecht, Briefe. Frankfurt a.M. 1981, 501.
42 Heinz Langerhans, Der Lehrer (Gedicht). In: M. Buckmiller (Hg.), Zur Aktualität von Karl Korsch (Anm. 10), 154. - Korsch hatte 1934 durch Herausgabe einer fingierten dänischen Zeitschrift wesentlich zur Rettung von Langerhans vor der Todesstrafe beigetragen. Siehe dazu M. Buckmiller/J. Kammler, Revolution und Konterrevolution. Eine Diskussion mit Heinz Langerhans. In: C. Pozzoli (Hg.), Jahrbuch Arbeiterbewegung, Bd. 1. Über Karl Korsch. Frankfurt a.M. 1973, 267ff.
43 K. Korsch, Krisen, Revolutionen und Restaurationen in Deutschland, Europa und der Welt 1815-1955. Ms. NL Korsch, IISG, Nr. 176. KoGA Bd. 7.

Prof. Dr. Michael Buckmiller, Hannover

in: Berliner Debatte INITIAL 13 (2002) 4 S. 83-95