Auch die Frankfurter Rundschau, obwohl immer noch zu 49 Prozent im Eigentum der sozialdemokratischen Vermögensgesellschaft, kommt der hessischen SPD nicht zur Hilfe; offenbar genügt es dieser Zeitung nicht, zur Demontage des Ypsilanti-Projekts wesentlich beigetragen zu haben. Die SPD in Hessen, so wird das Kalkül sein, braucht erst einmal eine Zeit der Bewährung. »Nach dem hessischen Desaster stehen die Sozialdemokraten nicht gut da«, heißt es in der Überschrift eines FR-Wahlkampfberichtes, und das illustrierende Foto dazu ist vielsagend: Plakate mit Schäfer-Gümbel und Koch sind zu sehen, aber der CDU-Kandidat hat den bildsymbolischen Vorteil, daß unter seinem Konterfei ein Auto als Wohlstandssymbol steht, »Stabilität für Hessen« liest man da, und Schäfer-Gümbel geht leer aus. Kein Wunder, denn dank rühriger Betriebsräte der Gewerkschaft Chemie-Papier-Keramik ist ja bekannt: Die hessische SPD ist »industriefeindlichen« Versuchungen erlegen - Fraport läßt grüßen.
Aber weshalb diese feldzugartig inszenierte Aufregung über den Ypsilanti-Sündenfall?
Und warum wird diese Kampagne immer noch weitergeführt, obwohl die Hexe längst verbrannt ist?
Es geht bei alledem nicht nur darum, die hessische Landespolitik weiter in der Regie eines Ministerpräsidenten zu halten, der dafür bürgt, daß unternehmerischen Interessen niemand in die Quere kommt. Bundespolitische Strategien sind mit im Spiel: Der Sieg von Roland Koch soll über Hessen hinaus Zeichen setzen. Erstens dafür, daß die Union im Bündnis mit der FDP mehrheitsfähig ist, und wer weiß, vielleicht braucht Angela Merkel demnächst mal einen Nachfolger. Koch gilt als Mann für harte Zeiten, er hat schon ganz andere Affären durchgestanden als einen »Wortbruch«. Zweitens wird der SPD am Fall Hessen beigebracht, was sie sich leisten darf - und was nicht. Sie bekommt mit Kochs Erfolg sozusagen eine Bewährungsfrist mit Auflage: Koalitionen mit der Linkspartei sind ihr erlaubt, wo diese - wie in Berlin - dazu dienen, Hinterlassenschaften aus der DDR politisch einzugemeinden, ihnen den oppositionellen Stachel zu nehmen. Im Terrain der Alt-Bundesrepublik gilt das nicht, hier wird als Risiko gesehen, daß der Kontakt zu »Kommunisten und Trotzkisten« bei der SPD »Umverteilungsphantasien« anstacheln könnte (so die hessische Initiative »Wir lassen uns nicht linken«). Das darf nicht sein, denn als parteipolitische Reserve soll die SPD intakt bleiben - möglicherweise werden irgendwann wieder regierende Sozialdemokraten gebraucht, um soziale Abbrucharbeiten als arbeitnehmerfreundlich darzustellen.
So erklärt es sich auch, daß jetzt in der Springerpresse angedeutet wird, notfalls müsse der SPD-Bundesvorsitzende noch einmal ausgewechselt werden. »Hat die SPD wieder den falschen Vorsitzenden?« schrieb neulich der einstige revolutionäre Kämpfer und nunmehrige Welt-Chefredakteur Thomas Schmid, womit er Franz Müntefering und seine Partei ultimativ vor einem »Schritt nach links« warnte.
Ob Müntefering da mit unnötigem Mißtrauen betrachtet wird und ob man in den massenmedialen Stabsstellen vielleicht auch die subversive Kraft der Linkspartei überschätzt, mag offen bleiben.