LIcht in den Lobby-Dschungel

Wie beeinflussen Lobbyisten die Politik? Wie können transparente und annähernd demokratische Spielregeln in der Gesetzgebung etabliert werden? Was ist der Stand der Dinge? Reicht die Verbändeliste des Bundestages aus?

Wer in Berlin oder Brüssel Politik macht, kommt an ihnen nicht vorbei. Sie bevölkern nicht mehr nur die Vorhallen der Parlamente, sondern haben Zugang zu den Abgeordnetenbüros, sitzen in den richtigen Cafés, organisieren einschlägige Abendveranstaltungen und entwerfen groß angelegte Anzeigenkampagnen: Lobbyisten sind immer vorne mit dabei, wenn politische Entscheidungen getroffen werden. Dabei bleibt ihre Einflussnahme meist im Verborgenen, denn Lobbyisten haben kein Interesse an öffentlicher Aufmerksamkeit. In Brüssel gibt es seit Juni ein Lobbyistenregister – aber nur in freiwilliger und unzureichender Form.

In Berlin wird derzeit über ein deutsches Lobbyistenregister oder eine Erweiterung der so genannten „Verbändeliste“ des Deutschen Bundestages diskutiert. In der Bundeshauptstadt tummeln sich schätzungsweise 5.000 Lobbyisten, in Brüssel rund 15.000 bis 20.000. Die meisten arbeiten für Unter-nehmen und unternehmensnahe Lobby-Organisationen. Wie viele es genau sind, bleibt im Dunkeln – ebenso ihre einzelnen Auftraggeber. Denn es gibt weder in Brüssel noch in Berlin eine Verpflichtung für Lobbyisten, sich öffentlich zu registrieren. So ist häufig unklar, für wen bestimmte Lobbyisten arbeiten oder wer hinter einzelnen Lobby-Kampagnen steht.

Ein unrühmliches Beispiel war die „Campaign for Creativity“ (C4C). Mit ver-schiedenen „kreativen Aktionen“ machte sich die Initiative 2005 vor der Ent-scheidung des EU-Parlamentes für strikte Software-Patente stark – angeblich im Namen von Künstlerinnen, Musikern, Designerinnen und Software-Entwicklern. Tatsächlich versteckte sich hinter dieser Graswurzel-Fassade eine Lobby-Agentur, deren Arbeit im Wesentlichen von den Software-Giganten SAP und Microsoft finanziert wurde.

Für diese Irreführung erhielt C4C im Herbst 2005 den Negativpreis „Worst Lobbying Award“, der von den NGOs Lobby Control, Friends of the Earth Europe und Spin-watch jährlich in Brüssel verliehen wird (siehe www.worstlobby.eu).

EU-Kommission verwässert Lobbyistenregister in Brüssel

Nicht zuletzt befeuert durch solch irre-führende Methoden wurde in den letzten Jahren in Brüssel intensiv über mehr Transparenz der Lobbyisten gestritten. In der Diskussion ging es um ein Register, in dem sich Lobbyisten eintragen und offen legen müssen, für wen sie zu welchen Themen Lobbyarbeit betreiben und wie viel Geld sie dafür bekommen.In den USA, wo Lobbying einerseits als normal gilt, aber auch stärker reguliert ist, gibt es seit 1995 ein verpflichtendes Register (eingeführt durch den Lobby Disclosure Act, LDA).

Am 23. Juni diesen Jahres startete die EU-Kommission im Rahmen der sogenannten European Transparency Initiative ein Register für Brüsseler Lobbyisten. Aber das Register ist freiwillig, schwach und unausgewogen. Lobbyisten, die weiter im Verborgenen arbeiten wollen, haben keine ernsten Sanktionen zu fürchten. Leider hat sich die EU-Kommission dem massiven Druck der Wirtschaftslobbyisten gebeugt und Forderungen nach mehr Transparenz abgeblockt.

Zu den zentralen Schwachpunkten des Registers gehören folgende Punkte:

1) Das Register enthält keine Namen einzelner Lobbyisten. Damit werden Wechsel von Politikern in Lobby-Jobs oder Interessenskonflikte nicht sichtbar, wenn z.B. Berater der EU-Kommission zugleich als Lobbyisten arbeiten.

2) Die Regeln zur Finanztransparenz sind schwach und bevorzugen Industrie-Lobbyisten: Sie dürfen ihre Finanzquellen bzw. Kundenbudgets in großen Spannen von 50.000 Euro oder in 10%-Stufen ihres Umsatzes angeben. Industrielobbyisten werden zudem nur nach einer Schätzung ihrer Lobby-Ausgaben gefragt, während gemeinnützige Organisationen ihr gesamtes Budget offen legen sollen.

Gerade bei Kampagnen, an denen sich verschiedene Lobbygruppen oder Un-ternehmen beteiligen, wird die genaue Finanzierung unklar bleiben. Ein Phar-ma-Unternehmen könnte z.B. eine große Lobby-Agentur mit 2 Mio. Euro Jah-resumsatz mit einer Kampagne über 200.000 Euro beauftragen.

Wenn diese Agentur ein Forschungs-zentrum und eine industrienahe Patien-tengruppe als symbolische Unterstützer gewänne, die je 1.000 Euro dazulegen, könnte sie das Pharma-Unternehmen, das Forschungszentrum und die Patienten-gruppe alle als Kunden im Bereich 0-10% des Umsatzes angeben. Das Pharma-Unternehmen würde nicht als Haupt-träger der Kampagne sichtbar. Ein fiktives Beispiel – aber nicht unrealistisch, wie die vom Pharmakonzern Roche gesponserte Kampagne Cancer United 2006 zeigte. Sie wurde von der PR-Agentur WeberShandwick organisiert und versuchte den Eindruck zu erwe-cken, dass die Initiative von Ärzten und Patienten unterstützt werde.

3) Die Informationen sind wegen der verschiedenen Anforderungen nicht vergleichbar und können nicht zusammen-gefasst werden. So lässt sich im Register nicht klar erkennen, wie viel Geld eine Wirtschaftsbranche für Lobbyarbeit ins-gesamt ausgibt. Da sich die europäische Speerspitze der Atomlobby, FORATOM, freiwillig registriert hat, weiß man nun, dass FORATOM für seine Arbeit in Brüssel 2007 gut 1,6 Mio. Euro ausgegeben hat. Wie viel Geld die Atom-industrie insgesamt in ihre Lobbyarbeit pumpt und welche Lobby- und PR-Agenturen möglicherweise für sie arbeiten, lässt sich nicht feststellen.

Europaparlament und Nichtregierungsorganisationen wollen mehr

Insgesamt ist das Register zu schwach, um wirkliche Transparenz über einzelne Lobbykampagnen zu schaffen. In dieser Form kann es nicht als Basis für ein zukünftiges gemeinsames Register zusammen mit dem Europaparlament und dem Ministerrat dienen.

Das Europaparlament hatte im Mai ein strikteres und verpflichtendes Lobbyistenregister gefordert. Die Registrierung solle die Namen der einzelnen Lobby-isten enthalten sowie deutliche Angaben zur Finanzierung von Lobbyisten und Lobbygruppen. Eine Arbeitsgruppe soll nun Pläne für ein gemeinsames Register der drei EU-Institutionen ausarbeiten. Bislang ist die Arbeitsgruppe noch nicht gebildet – nach Ende der poli-tischen Sommerpause wird sich zeigen, wie es damit weiter geht. LobbyControl wird mit der europaweiten Allianz für Lobby Transparenz und ethische Regeln (ALTER-EU) weiter auf echte Transparenz und ein besseres Register dringen, das die mangelhafte Fassung der EU-Kommission ersetzen soll. In ALTER-EU haben sich 2005 über 140 NGOs, Gewerkschaften und Wissenschaftler zusammen geschlossen. Sie fordern verpflichtende Transparenzregeln für Lobbyisten. Über Transparenz hinaus will ALTER-EU den Lobbyisten auch direkte Schranken setzen.

So engagiert sich das Bündnis für Karenz-zeiten gegen den fliegenden Wechsel von Entscheidungsträgern in den Lobbyismus und für ein Ende des privilegierten Zugangs einzelner Lobbygruppen zu den Entscheidungsverfahren der EU.

In der Debatte um das Lobbyistenregister bleiben diese Interessenkonflikte und Verflechtungen meist unterbelichtet. So konnten Europaabgeordnete, die neben-beruflich selbst als Anwälte arbeiten, eine Ausnahme für „Rechtsberatung“ durch Anwälte in dem Antrag des Europaparlaments zur Lobby-Transparenz unterbringen.

Der Fall zeigt, dass das Parlament selbst klarere Regeln für Interessenkonflikte und Nebentätigkeiten braucht. Mitte Juli legte die lobbykritische Organisation Spinwatch aus Großbritannien eine Stu-die über Interessensverflechtungen von Europaabgeordneten vor. An 12 Bei-spielen analysiert sie enge Verbindungen von Abgeordneten zu Unternehmen und Lobbygruppen und fordert striktere Regeln für Nebentätigkeiten.

Drei der 12 kritisierten Europaabgeord-neten kamen aus Deutschland: Klaus-Heiner Lehne (CDU – und zugleich als Anwalt zu politischen Themen tätig), Elmar Brok (CDU und Bertelsmann-Lobbyist) und Jorgo Chatzimarkakis (FDP, wegen Unstimmigkeiten und enger Verbindungen zu seiner ehemaligen Lobbyfirma).

Bereits Ende März veröffentlichte AL-TER-EU eine Studie zu den Expertengruppen, die die EU-Kommission beraten. Sie zeigt, dass die Industrie übermä-ßigen Einfluss in diesen Gremien hat, u.a. bei kontroversen Themen wie Gentechnik oder Klimawandel.

Bei den diesjährigen „Worst EU Lobbying Awards“, einem jährlichen Negativ-preis für manipulative, irreführende oder andere unanständige Lobby-Taktiken, wird es deshalb einen Sonderpreis für den schlimmsten Interessenkonflikt geben. Damit sollen Entscheidungsträger „ausgezeichnet“ werden, die auf problematische Weise mit Lobbygruppen oder Lobbytätigkeiten verflochten sind. Die Preise werden von der holländischen Organisation Corporate Europe Obse-vatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch aus Großbritannien verliehen. Ab Mitte Oktober stehen unter www.worstlobby.eu die Top-Kandidaten öffentlich zur Abstimmung. Die Preisverleihung findet im Dezember in Brüssel statt. Sie sind eine Gelegenheit, um die Problematik des Brüsseler Lobbydschungels an die Öffentlichkeit zu bringen.

Die Verbändeliste des Bundestages

In Deutschland kommt die Debatte um Regeln und Schranken für Lobbyisten nur langsam in Gang. So gibt es inzwischen leicht verschärfte, aber immer noch unzureichende Transparenzregeln für die Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Aber die fliegenden Wechsel von Politikerin-nen und Politikern in Lobbytätigkeiten, wie jüngst Hildegard Müller aus dem Kanzleramt zur Energielobby, bleiben unreguliert. Nach der Aufregung um Gerhard Schröders Tätigkeit für Gazprom verschwand das Thema im Bundestag schnell wieder in der Schublade.

Was die Transparenz von Lobbyisten angeht, wird gerne auf die sogenannte „Verbändeliste“ verwiesen. Sie ist jedoch nicht mit einem wirklichen Register für Lobbyisten vergleichbar. Bereits seit 1972 führt der Bundestag eine öffentliche Liste, in die sich Verbände, die Interes-sen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten, eintragen können.

Ende August 2008 standen 2052 Verbände und Vereine auf der Liste - von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bis zum Zweckverbund ostdeutscher Bauverbände. Unter den neuesten Eintragungen findet sich auch Business Crime Control. Die Eintragung in die Verbändeliste sollte ursprünglich die Grundlage dafür sein, dass Verbände zu Anhörungen des Bundestages ein-geladen werden und Hausausweise für den Bundestag beantragen können. Die Anlage 2 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages schreibt dazu:

„Eine Anhörung ihrer Vertreter [der Verbände] findet nur statt, wenn sie sich in diese Liste eingetragen haben und dabei folgende Angaben gemacht haben: Name und Sitz des Verbandes Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, Interessenbereich des Verbandes, Mitgliederzahl, Namen der Verbandsvertreter sowie Anschrift der Geschäftsstelle am Sitz von Bundestag und Bundesregierung.“

Allerdings wurde die ursprünglich angedachte Konzeption bereits 1979 wieder ausgehebelt. Damals interpretierte der Geschäftsordnungsausschuss des Bun-destages auf Anfrage des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung diese Passage neu: eine Nichtregistrierung hindert den Bundestag und seine Ausschüsse dem-nach nicht daran, Verbände einzuladen, soweit dies im Interesse des Bundestages liegt.

Damit ist der eigentliche Ansatz der Verbändeliste hinfällig geworden. Auch bei den Hausausweisen für den Bundestag ist es so, dass die Eintragung in die Verbändeliste keinen garantierten Anspruch auf einen Hausausweis sichert und auch keine zwingende Voraussetzung ist. Sie macht es in der Regel nur ein-facher, weil Interessenten ohne Eintrag fünf Abgeordnete als Bürgen brauchen, bevor sie einen Hausausweis und damit Zugang zu den Gebäuden des Deutschen Bundestages bekommen.

In Sachen Lobby-Transparenz sind zwei andere Defizite der Verbändeliste noch gravierender:

1) Die Verbändeliste erfasst nur einen Teil der Berliner Lobbyszene. Denn Lobbying wird ja nicht nur von Verbänden und Vereinen betrieben. Die Verbändeliste erfasst aber weder die Lobbybüros der Unternehmen in Berlin noch Lobby- und PR-Agenturen oder Anwaltskanz-leien, die Lobbyarbeit im Auftrag wechselnder Kunden betreiben. Gerade bei diesen wäre aber wichtig zu wissen, für wen sie eigentlich arbeiten. Auch Denkfabriken wie die marktliberale Stiftung Marktwirtschaft – deren Finanzie-rung ebenfalls intransparent ist, – sind nicht Teil der Verbändeliste.

2) Außerdem enthält die Verbändeliste keinerlei Angaben zur Finanzierung der registrierten Organisationen. Diese Angaben wären aber zentral, um wirk-lich erkennen zu können, wer hinter einzelnen Verbänden oder von Lobbyagenturen geführten Kampagnen steckt. Denn auch hinter scheinbaren Nichtregierungsorganisationen kann in manchen Fällen ein wirtschaftliches Interesse stecken. Die Verbändeliste ist also kein Instrument, das für Lobby-Transparenz sorgt. Sie ist in keiner Weise mit einem ernstzunehmenden Lobbyistenregister zu vergleichen.

Die neue Lobby-Diskussion in Deutschland

In letzter Zeit kommt etwas Bewegung in die Debatte. Bereits im November letzten Jahres hatten die SPD-Abgeordneten Peter Friedrich und Christian Lange eine Erweiterung der Verbändeliste des Bundestages vorgeschlagen. Demnach sollten Bundestag, Bundeskanzleramt und die Bundesministerien Verbände und ihre Vertreter nur anhören, wenn diese zuvor die Herkunft und die Höhe der ihnen zugeflossenen finanziellen und sonstigen Zuwendungen sowie deren jeweilige Anteile am Jahresbudget offengelegt haben. Im Juni diesen Jahres diskutierte der Bundestag über einen Antrag der Linken für ein verpflichtendes Lobbyistenregister (Bundestag-Drucksache 16/8453) und verwies ihn zur weiteren Bearbeitung an die Ausschüsse. In der Debatte wurde einerseits die ablehnende Haltung der anderen Parteien deutlich, andererseits brachte der Antrag die anderen Fraktionen in Zugzwang, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Mitte August veranstaltete die Partei Die Grünen ein Fachgespräch über Sinn und Ausgestaltung eines deutschen Lob-byistenregisters, zu dem auch Heidi Klein von LobbyControl als Referentin geladen war. 130 Gäste, darunter zahlreiche Lobbyisten, verfolgten die Statements der geladenen “ExpertInnen”.

Auf den ersten Blick war man sich einig: ein Lobbyistenregister ist ein notwendiger Schritt in Richtung mehr Transparenz. Bei näherer Betrachtung wurden jedoch die Differenzen sichtbar. Zentral wird die Frage sein, ob sich die Grünen für ein verpflichtendes Register einsetzen werden, wie es LobbyControl, aber auch Transparency International sowie der Zusammenschluss von PR-Beratern degepol forderten. Letztere allerdings mit deutlich abgespeckten Fi-nanzangaben.

Bei der Frage der Definition von Lob-bying, der finanziellen Offenlegung und der Sanktionierung von Fehlverhalten wird es weiteren Diskussionsbedarf geben. Es ist zu hoffen, dass die Grünen hier über den halbherzigen Ansatz in Brüssel deutlich hinaus gehen.

Es ist erfreulich, dass nun auch in Berlin Bewegung in das Thema Lobbyistenregister gekommen ist. LobbyControl wird für ein verpflichtendes, öffentliches und mit sinnvollen Finanzdaten aus-gestattetes Register eintreten. Es wäre wünschenswert, wenn es in der Zivil-gesellschaft eine breitere Debatte um Lobbyismus und einseitige Machtstruk-turen gäbe, ebenso wie zum Thema Wirtschaftskriminalität. LobbyControl versucht seit der Gründung 2005, diese Debatte zu stärken.

Anders als in den USA oder anderen europäischen Ländern fehlte in Deutschland bis dahin ein kritischer „Wachhund“ („watchdog“), der ein Auge auf Lobbyisten hatte. Mit einem kleinen Büro in Köln und einigen Ehrenamtlichen versuchen wir, durch Recherchen und Kampagnenarbeit über Lobbyismus aufzuklären und undemokratische Missstände zu bekämpfen.

Ulrich Müller in BIG Business Crime Nr.4/2008

Weitere Informationen finden sich unter www.lobbycontrol.de.