Leuchtende Verbrecher - Die Finanzkrise und das Recht der Gemeinschaft

Der Wert der Arbeit und das Unrechtsbewusstsein der Unternehmer gehen gegen Null

Grundrisse eines Referats für die Konferenz "Arbeits-Unrecht in Deutschland":

Konkursverschleppung ist im Kapitalismus eine Straftat, mit guten Gründen. Das wäre übrigens auch in einem betriebswirtschaftlich gut geführten Sozialismus so und überhaupt in jeder nachhaltigen Wirtschaftsordnung. Konkurs heißt neuerdings Insolvenz. Insolvenz heißt Zahlungsunfähigkeit.

Banken der „westlichen Wertegemeinschaft“ haben sich vor allem durch Interbanken-Spekulationen in die Zahlungsunfähigkeit manövriert. Bei Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen im Kapitalismus gibt es nach der rechtlich kodifizierten Insolvenzordnungen geordnete Verfahren, um solche Unternehmen stillzulegen, aber auch die gesunden Teile fortzuführen. Diese Verfahren durchzuführen ist Aufgabe der Staaten.

Doch der Konkurs, die Insolvenz wird nicht erklärt, im Gegenteil. Die Banken gehen nicht zum Insolvenzgericht. Und die Staaten selbst organisieren die Insolvenzverschleppung. Gerade die führenden Staaten der kapitalistischen Demokratie – USA, England, Deutschland usw. - organisieren mit gigantischen „Rettungspaketen“ diese Verschleppung und Verschleierung. Ursachen und mögliche kriminelle Begleithandlungen werden nicht offengelegt, sondern staatlich verdeckt. Die Ökonomie bleibt krank.

Mit der gegenwärtigen „Finanzkrise“ der Banken und mit den staatlichen Rettungspaketen befinden wir uns somit jenseits der bürgerlichen Moral, jenseits der bürgerlichen Gesetze, jenseits des kapitalistischen Marktes. Wo also befinden wir uns?

Rules are for Fools

Im US-Staat New York geht die Justiz in ausgewählten Fällen scharf gegen bestimmte Formen der Kapitalkriminalität vor, z.B. wegen Falschinformation von Kapitalanlegern und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Staatsanwälte wie Eliot Spitzer und Andrew Cuomo erreich(t)en durch solche Anklagen schnell eine große Popularität.

Wie andere europäische Banken wurde auch die Deutsche Bank in New York wiederholt zu hohen Strafzahlungen gezwungen. So zahlte die Bank zuletzt 15 Millionen US-Dollar, weil sie „Auction Rate Securities“ mit der Versprechung eines festen Zinsertrags verkauft hatte, obwohl der Zins hier bei Auktionen gehandelt wurde und sich logischerweise ändern musste. Die Bank hat sich gegenüber der New Yorker Staatsanwaltschaft, die wegen Prospektbetrugs ermittelte, zudem verpflichtet, die wertlos gewordenen Papiere für eine Mrd. zurückzukaufen. Im gleichen Verfahren zahlte die US-Investmentbank Goldman Sachs 1,5 Mrd. US-Dollar Strafe und kauft solche Papiere für 22,5 Mrd. zurück. Damit vermeiden die Banken eine öffentliche Gerichtsverhandlung.1

In einem gerichtlich noch nicht beendeten Fall hat die Deutsche Bank zwischen 1997 und 2001 Steuersparprodukte verkauft, sogenannte Optionen, für die sie den Kunden auch die Kredite gegeben hat. Die bisher im einzelnen nachgewiesenen Optionen – vermutlich nur ein Teil - haben steuertechnisch zu Verlusten in Höhe von 429 Millionen US-Dollar geführt, wodurch der US-Staat um 103 Millionen an Steuern geprellt wurde. Die Fakten sind klar, es ist nur noch nicht geklärt, wie aggressiv die Deutsche Bank ihr Produkt vermarktet hat. Sie hat jedenfalls schon 250 Millionen an Rückstellungen vorgenommen und „Fehler“ eingeräumt. Bankchef Josef Ackermann erklärte, damals habe „man“ Geschäftspraktiken „anders“ beurteilt als dies nun Jahre später der Fall sei.2

Der Banker Ackermann hat somit kein schlechtes Gewissen. Das Recht ist für ihn nur eine variable Größe, die man sportlich als Hindernis behandelt. In der Hochzeit der neoliberalen Freiheiten konnte „man“ sich eben mehr Rechtsbrüche leisten bzw. sie riskieren. In anderen Staaten wie Deutschland sind solche justiziellen Verfahren ohnehin nicht zu befürchten.

So zahlen die Deutsche Bank, die United Bank of Switzerland und andere große Banken in den USA seit Jahren immer wieder und unbeeindruckt hohe Strafgelder. Das sind geschäftsmäßig entrichtete Betriebskosten für die Praxis des fortgesetzten Rechtsbruchs.

Im Jahre 2008 urteilten mehrere Gerichte in den USA gleichlautend, dass es sich bei dem Steuersparinstrument „Cross Border Leasing“ (CBL) um unsaubere Scheingeschäfte handelt. Die Eigentümerschaft und die Verschuldung der Investoren seien nur vorgetäuscht, deshalb sei der Steuervorteil gesetzwidrig und zu versagen.3 Ein Berufungsgericht, das den Widerspruch eines Investors zurückwies, schrieb im Urteil: Diese Art Finanzoperationen haben den unzulässigen Punkt erreicht, „wo der Steuerschwanz mit dem (ökonomischen) Hund wedelt“.4 Dennoch halten sich in Deutschland bisher die deutschen Vertragspartner, die Kämmerer, Oberbürgermeister und Mehrheitsfraktionen der Stadträte, weiter sklavisch an die CBL-Verträge und leisten auf Kosten der Gemeinschaft neue Sicherheiten, indem sie zugunsten der verurteilten Investoren US-Staatsanleihen kaufen. Auch hier besteht kein Unrechtsbewußtsein.

Die zunächst erfreuliche bürgerliche Justiz in den USA steht allerdings in verschiedener Hinsicht isoliert da, sie ist eine Rest-Justiz. Sie ist auf wenige Kapitalverbrechen beschränkt, ebenso ist sie innerhalb der USA auf wenige Bundesstaaten beschränkt, sie hat kein Pendant in anderen Staaten der neoliberalen Wertegemeinschaft. Vor allem ist die Justiz von den Banken-Rettungsmaßnahmen abgekoppelt. Gerade hier aber hätte eine demokratische Justiz viel zu tun. Denn es müsste bei den gigantischen Banken-Rettungsmaßnahmen ja ermittelt werden, ob alle Bank-Forderungen, die der Staat befriedigen soll, überhaupt berechtigt sind.

Der dringende Anfangsverdacht besteht, dass die Finanzkrise durch Finanzpraktiken mit kriminellen Begleithandlungen – z.B. Desinformation, Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Bruch des Bankgeheimnisses, Urkundenfälschung, Betrug, Erpressung, Nötigung – verursacht wurde. Deshalb muss im Interesse der Gemeinschaft geprüft werden, ob hier Bestrafung notwendig ist und vor allem, welche Bankforderungen erfüllt werden sollen und welche gar nicht erfülllt werden dürfen.

Mitten in der Finanzkrise genehmigen die Entscheidungsgremien allein der sechs größten US-Banken unbeeindruckt hohe Prämien für ihre Top-Bankrotteure. Die Prämien sind höher als der gegenwärtige Börsenwert dieser Banken. Die Prämien machen zudem immerhin etwa 10 Prozent des gesamten Rettungspaketes der US-Regierung aus.5 Es herrscht sowohl in der Finanzwelt wie im Staat kein Unrechtsbewußtsein. „Rules are for Fools“ (Regeln sind etwas für Dummköpfe) galt und gilt als Devise. Die „giftigen“ Finanzprodukte werden auch weiterhin nicht verboten.6 Durch die Art der Bankenrettung anerkennen die Staaten diese Devise.

Der Chef der durch die US-Justiz am höchsten bestraften Bank Goldman Sachs, Hank Paulson, ist nun US-Finanzminister und wacht über die Verteilung des 700 Milliarden-Dollar-Banken-Rettungspakets. Zu dieser Entwicklung gehört – in nur scheinbar widersprüchlicher Weise - der enorme juristische und gutachterliche Aufwand zur Absicherung und Durchsetzung von Konzern-, Investoren- und Bankrechten. Wirtschaftsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen, Berater der verschiedensten Art decken mit ihrem Renommé und ihrer hochbezahlten Professionalität die neoliberalen Finanzpraktiken.7 Ihre Tätigkeit wird auch nach Beginn der Finanzkrise nicht eingeschränkt.

Eigentümer-Recht in Deutschland und in der EU

Zahlreiche deutsche Städte klagen wegen hoher Verluste gegen die Deutsche Bank, weil sie ihnen Zins-Swaps zur „Zinsoptiminierung“ verkauft hat, ohne klar auf die Risiken hinzuweisen.8 Käufer von Lehman-Zertifikaten klagen wegen Falschberatung gegen deutsche Banken, die dieses Produkt in Deutschland verkauft haben.9 Die Münchner Staatsanwaltschaft prüft, ob die Manager der BayernLB und der Hypo Real Estate sich bei der Herbeiführung der Finanzkrise strafbar gemacht haben. Die möglichen Straftaten sind „Veruntreuung von Unternehmensvermögen“, Insiderhandel, verspätete Mitteilungen an die Börse, Bilanzfälschung.10

Das Bundeskriminalamt (BKA) fordert nun ein „Frühwarnsystem gegen Finanzkriminalität“. Der Gesetzgeber müsse für präzisere Gesetze sorgen, gegenwärtig sei unklar, was noch vertretbares Risiko und was bereits kriminelles Handeln sei. Das Strafrecht könne nicht sanktionieren, was das Handelsrecht erlaube. Als „inakzeptabel“ bezeichnete BKA-Präsident Ziercke die außerbilanziellen Zweckgesellschaften.11

Diese Kritik ist berechtigt. Die Gesetze sind nicht auf der Höhe der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkriminalität, die Justiz ist schlecht ausgestattet, Richter kennen sich in den neuen Finanzpraktiken nicht aus, tendieren eher dazu, die Verfahren einzustellen. Vor allem aber, und diese Kritik wird vom BKA nicht geäußert, geht es immer nur um eine bestimmte Art von Delikten, nämlich Eigentumsdelikte: Betrug, Falschbilanzierung, Insiderhandel, Geldwäsche, Produktpiraterie, Steuerhinterziehung. Was im Rechtsinstrumentarium vollständig fehlt, ist die Gefährdung und Ausplünderung der Gemeinschaft, des Staates, der öffentliche Haushalte, der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen.

Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil bei individueller Steuerhinterziehung das Strafmaß drastisch verschärft. Schon ab einem Steuerschaden ab 50.000 Euro sind nun Gefängnisstrafen möglich. Statt nichtöffentlicher Deals seien öffentliche Hauptverhandlungen durchzuführen.12 Für die Steuerhinterziehung von Unternehmen gibt es aber keine solchen Urteile.

Die Wirtschaftsprüfer, die die Korrektheit der Unternehmensbilanzen testieren sollen, kümmern sich neuerdings sehr um Wirtschaftskriminalität, sehen sie aber nur unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des einzelnen und zugleich großen Privateigentums. Es geht ihnen um „Bedrohungen des Unternehmens von außen (=andere Unternehmen) und von innen (=Mitarbeiter)“. Wirtschaftskriminalität soll hier bekämpft werden, damit das einzelne Unternehmen nicht „Opfer“ solcher Bedrohungen wird.13 Dabei wird ausgeklammert, dass ein Unternehmen – dasselbe Unternehmen, das nicht Opfer werden will – in anderen Fällen anderen Unternehmen gegenüber ja auch Täter ist.

Die „Verantwortlichen“ in den Banken übernehmen keine Verantwortung, und sie werden nicht zur Verantwortung gezogen. Politiker, wenn es geboten erscheint, werfen dem Volk ein paar populistisch-moralische Floskeln hin. Der ehemalige bayerische Finanzminister Faltlhauser, zuständig für die insolvente Bayerische Landesbank, entschuldigte sich für sein Verhalten. Die Krise mache ihn „in hohem Masse betroffen“. Allerdings habe er „keine persönliche Schuld“. Der neugewählte bayerische Ministerpräsident Seehofer, der noch die Aura der Integrität um sich verbreitet, entschuldigte sich ebenso öffentlich für die Landesbank, die er mit staatlichen Milliardenkrediten retten will und begrüßte die betroffenheitstriefende Schuldlos-Erklärung Faltlhausers.14

Obwohl die Bundesregierung und selbst die Wirtschaftsmedien dem Vorstandschef der Hypo Real Estate, Georg Funke, schuldhafte Verschleierung des katastrophalen Zustands der Bank vorwarfen, die mit über 50 Mrd. Euro den bisher größten staatlichen Rettungsanspruch anmeldete, wurde Funke nicht entlassen, sondern durfte von sich aus kündigen und somit alle Ansprüche auf Gehälter, Abfindungen, Pension und Prämien mitnehmen.15 Die Vorstände der IKB, die in Deutschland wegen ihrer verlustreichen Spekulationen die Finanzkrise auslöste, traten zurück und dürfen nicht nur ihre Gehälter, sondern auch ihre vertraglich vereinbarte Mindesterfolgstantieme ungeschmälert in den schuldlosen, vorzeitigen Ruhestand mitnehmen.16

Die Europäische Union verfolgt, z.T. über ihre Betrugseinheit OLAF, Subventionsmißbrauch, Zigaretten- und anderen Schmuggel (wegen Steuerhinterziehung), Kartellbildung, Verstöße gegen Vergaberecht, Niederlassungsfreiheit von Unternehmen und Freiberuflern, freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dagegen bestehen die Rechte der Beschäftigten und derer, die sich um eine bezahlte Beschäftigung bemühen, lediglich darin, sich grenzüberschreitend zum billigsten Preis und zu den schlechtesten Bedingungen anbieten zu können.

Enteignungs-Ökonomie als Verbrechen

Die „Finanzkrise“ ist eine Krise der gegenwärtigen großen Finanzakteure, insbesondere der Banken, Konzerne und der neueren Finanzakteure wie Hedgefonds und Private Equity Fonds („Heuschrecken“). Andere haben eine menschlich viel existenziellere und schon viel länger dauernde Finanzkrise: Arbeitslose, Hartz IV-Drangsalierte, Niedrig- und Tagelöhner, die Mehrheit der (Noch-)Beschäftigten, Hungernde in aller Welt, und dies in armen wie reichen Staaten.

Die Finanzkrise besteht nicht etwa darin, dass zu wenig Kapital vorhanden wäre, im Gegenteil. Sie besteht darin, dass die Finanzakteure ihre gegenseitige spekulative Verschuldung so in die Höhe getrieben haben, dass sie sich nun gegenseitig keine Kredite und Sicherheiten für die Fortführung ihres Casinos mehr geben. Dabei sind die Finanzakteure in einem ungleich höheren Masse verschuldet als die Staaten, die wegen ihrer Überschuldung kritisiert werden.

Es ist auch aus einem bürgerlich-ökonomischen Verständnis heraus absurd, dass die Staaten, die hoffnungslos bei den Banken verschuldet sind, die viel höher verschuldeten Banken retten.17

Die Finanzpraktiken, die zur Finanzkrise geführt haben, wurden in der neoliberalen Phase zunächst an der Wall Street und in der City of London seit etwa zwei Jahrzehnten mit staatlicher Förderung und Duldung entwickelt. Außerbilanzielle Zweckgesellschaften in Finanzoasen, Verbriefung, Derivate, Leerverkäufe, Cross Border Leasing, Asset Backed Securities, Collateralized Debt Obligations18 … Vergleichbare Praktiken, die schon vorher bestanden (Wechsel, Aktien- und Währungsspekulation), wurden weiterentwickelt.

Mögen einzelne Formen wie Hedging und Risikoabsicherungen zunächst einen ökonomischen Sinn gehabt haben, so wurden sie pervertiert durch die Kombination untereinander und indem sie als „strukturierte Finanzprodukte“ zum systematischen, spekulativen Hauptgeschäft wurden. Sie zeichnen sich aus durch extreme Geheimhaltung, Abwesenheit öffentlicher und auch privater Kontrolle, durch Ausplünderung der staatlichen und privaten Substanz, durch Desinformation der Öffentlichkeit, durch verschleierte Risiken und kurzfristig extrem hohe Gewinne, durch die Auspressung der Arbeitskraft und durch – zunächst unsichtbare - staatliche Garantien.

Der Ursprung der kriminellen Ökonomie

Arbeit wird im Kapitalismus nur gekauft, wenn ihr Wert für den Unternehmer höher ist als ihr Preis. Dasselbe gilt übrigens auch für die Naturressourcen.Diese Tatsache ist in der bürgerlichen Gesellschaft ebenso elementar wie banal. Die neoliberal orientierte Ökonomie hat aber die staatlichen Institutionen (Sozialsysteme) und gesellschaftlichen Organisationen (Gewerkschaften usw.) zerstört, die den Verkäufern der Arbeit einen gewissen Schutz und Möglichkeiten einer gewissen solidarischen Gegenwehr gewährten.

Heute geht der Preis der Arbeit tendenziell gegen Null. Die traditionell bürgerliche Grenze, dass der Arbeiter/die Arbeiterin und ihre Familien vom Lohn der Arbeit zumindest leben können sollen – so etwa auch die Position des „Urvaters“ der bürgerlichen Ökonomie, Adam Smith -, wird überschritten, und zwar prinzipiell und im globalen Maßstab. Somit hat die Arbeit, die den Menschen aus drückender, mitunter tödlicher Naturabhängigkeit befreit hat und weiter befreit, heute in der finanzorientierten Ökonomie keinen Wert mehr in sich, sondern nur noch einen Preis, und dieser Preis ist im Idealfall Null.

Der neoliberal orientierte kapitalistische Unternehmer fordert heute zudem Subventionen aus dem Gemeinschaftvermögen („Kombilöhne“), damit er bei der Lohnzahlung möglichst auf Null kommt. So werden arme Arbeitslose in arbeitende Arme umgewandelt.19 Dies ist der Ursprung der kriminellen Ökonomie: Die Beraubung der Arbeitskraft unter Vorspiegelung falscher Tatsachen („Schaffung von Arbeitsplätzen“, „mehr Wohlstand für alle“) in Tateinheit mit staatlich gestützter und organisierter Nötigung (Lohnsenkung, Abbau von Arbeitsrechten, Arbeit zu jedem Preis).

Die Arbeitenden werden – fein säuberlich hierarchisch abgestuft nach Kriterien des Geschlechts, der Rasse, des gesellschaftlichen Gewichts usw. - rechtlich und finanziell herabgestuft, ohne dass es eine natürliche und rechtliche Grenze nach unten gäbe. Das logische Ende ist die Arbeit, die die Arbeitenden nicht ernähren kann, krank macht, körperlich, kulturell und seelisch zerstört: Vernichtung durch Arbeit, Ver-Arbeitung der Arbeitenden und der Natur.20

Die abhängig arbeitenden Menschen werden als Arbeitende entwertet, gleichzeitig aber als Konsumenten, als Käufer der Produkte umworben: Als Arbeitende sollen sie möglichst wenig verdienen, aber als Konsumenten sollen sie möglichst viel kaufen. Diese Rechnung kann prinzipiell nicht aufgehen. Sie kann nur transitorisch durch Ver- und Überschuldung außer Kraft gesetzt werden, was aber logischerweise periodisch zu Krisen, Unsicherheiten, Zusammenbrüchen und massenhaften Enteignungen (Arbeitslosigkeit, Zwangsversteigerungen, Lohnpfändungen…) führt.

Angesichts des in den reichen Staaten vorhandenen Reichtums stellt die finanzielle und moralische Behandlung von Arbeitslosen eine Menschenrechtsverletzung dar. In Deutschland liegt der Regelsatz für die Empfänger von Arbeitslosengeld unter dem sozioökonomischen Existenzminimum. Es handelt sich um eine „staatlich verordnete Unterversorgung“, die der Subventionierung von zusätzlichen Kapitalgewinnen dient.21 Dasselbe gilt aber auch gegenüber den Arbeitenden. Die Menschenrechtsverletzung hat ihren Ursprung in der Herabwürdigung der Arbeit.

Community Payback – Das Recht der Gemeinschaft

Im bürgerlichen Recht wie überhaupt in vielen Religionen und Kulturen wurde unabhängig voneinander ein allgemeines menschliches Rechtsverständnis entwickelt: Taten wie Diebstahl, Betrug, Korruption, Verrat, Urkundenfälschung, Hinterlist, Lüge sind zu bestrafen. Im deutschen Strafrechtsparagraphen, der vom Mord handelt, geht es um Habgier („Gier“!), niedrige Beweggründe, gemeingefährliche Mittel.22

Diese Prinzipien sind partiell auf einige wenige und eher unwichtige Bereiche der Wirtschaft übertragen und in modernere Straftatbestände übersetzt worden, etwa Untreue und Insiderhandel. Das angloamerikanische Recht kennt die Straftat der „conspiracy“ (Verschwörung), die in Deutschland etwa der „organisierten Kriminalität“ entspricht. Doch erstens ist der Staat immer weniger in der Lage und gewillt, dieses ohnehin bruckstückhafte Recht gegen die großen Privateigentümer durchzusetzen. Und zweitens bezieht es sich ohnehin nur auf die Sicherung des privaten Eigentums.

Der ehemalige US-Staatsanwalt Vincent Bugliosi hat demonstriert, wie das Recht in den USA es durchaus ermöglichen würde, den US-Präsidenten zumindest nach seiner Amtszeit wegen Mordes anzuklagen.23 Die dreifache lügenhafte Begründung des Irak-Krieges (das Regime verfüge über Massenvernichtungsmittel, mit denen es die USA angreifen könne; das Regime habe unmittelbare Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al Qaida; das Regime besorge sich Uran aus Afrika) stelle eine gezielte und abgestimmte Verschwörung (conspiracy) dar, und die daraus folgende Tötung von US-Soldaten sei durch Hilfe und Beihilfe (aiding and abetting) bewußt herbeigeführt worden. Aber kein Staatsanwalt erhebt eine solche Anklage.

Bugliosi weist auf das pervertierte US-Recht hin, wenn einerseits gegen einen Präsidenten (Clinton) ein jahreslanges Amtsenthebungsverfahren wegen einer banalen und folgenlosen Sex-Affäre durchgeführt wird, während andererseits wegen eines lügenhaft herbeigeführten Krieges mit zahlreichen Todesfolgen ein Amtsenthebungsverfahren nicht einmal angedacht wird. Bugliosi weist allerdings auch darauf hin, dass die rechtlichen Möglichkeiten, den US-Präsidenten wegen Mordes anzuklagen und die Todesstrafe zu verhängen (die für diesen Präsidenten ohnehin etwas Normales und Notwendiges darstellt), eine anachronistische Grenze haben: Bush könnten nach US-Recht nur die 4.000 getöteten US-Soldaten zur Last gelegt werden, nicht aber die viel zahlreicheren irakischen Toten.24

Aus dieser Asymetrie wird die rechtliche Struktur der sogenannten „Globalisierung“ deutlich: Die Globalisierungsführer setzen globale Handlungsfreiheit für ihr Kapital und ihr Militär durch, verhindern aber ein global gültiges gleiches Recht für alle. Bugliosi macht aber auch ungewollt deutlich, dass selbst die von ihm gegen den mainstream vorgenommene Interpretation des US-Rechts immer noch eine Fessel gegenüber der aktuellen Kriminalität darstellt. Er argumentiert immer noch im wesentlichen moralisch. Zum Verbrechen von George W. Bush und seiner Mittäter, Helfer und Beihelfer gehört, was Bugliosi nicht einbezieht, nämlich die auch kriegsbedingte gigantische Staatsverschuldung und im Falle des Irak (es ist nicht der einzige Fall) die Ausraubung und Enteignung einer ganzen Volkswirtschaft. Auch sämtliche großen Medien blenden die durch die Militäroperation vorangetriebene Privatisierung des besetzten Staates aus – diese Privatisierung aber ist das eigentliche Ziel, das vor und nach der Aufdeckung der Lügen verfolgt wird.25

Das wesentliche Recht, das gegen die praktisch keineswegs abgedankte neoliberale Wirtschaft entwickelt und durchgesetzt werden muss, bezieht sich auf die Sicherung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder, also auf die Sicherheit, Auskömmlichkeit und Würde der menschlichen Arbeit und des menschlichen Individuums, auch wenn es keine Arbeit hat oder ausführen kann, sodann auf die Sicherung und Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und auf die langfristige Sicherung der Naturgrundlagen.

Die englische Regierung unter Gordon Brown, die besonders viele Staatsgelder und Staatsgarantien für die bankrotten Banken zur Verfügung stellt, ordnete an, dass Straftäter, die Sozialdienst ableisten, orangene Leuchtwesten tragen müssen. Die Westen tragen die Aufschrift „Community Payback“, was übersetzt bedeutet „Wir machen für die Gemeinschaft wieder gut, was wir an Schaden angerichtet haben“.26

Wenn dies auf die Verursacher der Finanz-, Wirtschafts- und Demokratiekrise angewandt wird, sind wir auf dem richtigen Weg.

Werner Rügemer in BIG Business Crime 01/2009

Anmerkungen: 

1 FAZ.net 22.8.2008

2 Steuerskandal zieht Kreise, Handelsblatt Finanzzeitung 19.11.2008

3 Werner Rügemer: USA dulden den globalen Steuerbetrug nicht länger, die tageszeitung 5.11.2008

4 United States Court of Appeals for the Middle District of North Carolina: BB&T Corporation v. United States of America, Durham 29.4.2008, S. 23

5 70 Milliarden Dollar Prämien trotz allem, Süddeutsche Zeitung 20.10.2008

6 Der Bankraub, Der Spiegel 47/2008, S. 56

7 Vgl. Werner Rügemer: Die Berater. Bielefeld 2004

8 Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.10.2008; Süddeutsche Zeitung 29.10.2008

9 Geld für Großkunden von Lehman, Süddeutsche Zeitung 29.10.2008

10 Süddeutsche Zeitung 10.10.2008

11 BKA fordert Frühwarnsystem gegen Finanz-Kriminalität, Die Welt 15.11.2008

12 Gefängnis für Steuerzinterzieher, Süddeutsche Zeitung 3.12.2008

13 Vgl. Price Waterhouse Coopers: Global Economic Crime Survey 2007

14 Seehofer entschuldigt sich für die BayernLB-Krise, Handelsblatt 3.12.2008

15 HRE-Chef Funke gibt auf, Manager-magazin 7.10.2008

16 Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.2008

17 Werner Rügemer: Verhindert die Bankenrettung! Ossietzky Dezember 2008

18 Wolfgang Hafner: Im Schatten der Derivate. Das schmutzige Geschäft der Finanzelite mit der Geldwäsche. Frankfurt/Main 2002

19 Franz Segbers: Prekäre Beschäftigung verletzt die Würde des Menschen, Manuskript, Netzwerk Gesellschaftsethik, www.denk-doch-mal.de, S. 2

20 Werner Rügemer: arm und reich. Bielefeld 2003, S. 28 f.

21 Segbers S. 2

22 Heribert Prantl: Kapitalverbrechen. Süddeutsche Zeitung 5.12.2008

23 Vincent Bugliosi: Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush. München 2008

24 Bugliosi S. 88

25 Vgl. Naomi Klein: Die Schock-Strategie. Frankfurt/Main 2007, S. 451

26 Leuchtende Verbrecher, Süddeutsche Zeitung 2.12.2008