Uribe hofft auf eine dritte Amtszeit – trotz zahlreicher Skandale und einer schrecklichen Regierungsbilanz
Trotz zahlreicher Skandale in seinem Umfeld sitzt Präsident Álvaro Uribe in Kolumbien weiterhin fest im Sattel. Erfolge im Kampf gegen die Guerilla und die Unterstützung durch die großen Medienkonzerne garantieren ihm hohe Zustimmungsraten. Ernsthafte Opposition gegen eine dritte Amtszeit ist nicht in Sicht.
Die Regierung des rechten Präsidenten Álvaro Uribe ist ein
Phänomen. Jede andere Administration wäre bei einer vergleichbaren
Häufung von Skandalen international längst isoliert: Gegen 50
Abgeordnete der Regierungskoalition wird wegen Verbindungen zu rechten
Todesschwadronen ermittelt. Die Vorsitzenden von zwei
Regierungsparteien sitzen im Gefängnis, der Haftbefehl gegen einen
dritten Parteichef, den Cousin von Präsident Uribe, wurde auf Weisung
des Generalstaatsanwaltes (eines Ex-Ministers von Uribe) vorübergehend
ausgesetzt. Der Bruder des obersten Polizeikommandanten Oscar Naranjo
wurde 2006 in Deutschland wegen Kokainhandels festgenommen. Die aus
einer nordkolumbianischen Landbesitzerfamilie stammende Außenministerin
María Consuelo Araújo musste im Februar 2007 zurücktreten, weil ihr
Vater und ihr Bruder nicht nur mit den Paramilitärs verbündet waren,
sondern offensichtlich auch die Entführung eines konkurrierenden
(ebenfalls rechten) Bürgermeisters in Auftrag gegeben hatten. Seit
einigen Wochen sitzt nun auch Guillermo León Valencia, Bruder des
Innenministers und führender Staatsanwalt in Medellín, als Mitglied des
berüchtigten „Büro aus Envigado“ im Gefängnis. Dabei handelt es sich um
ein kriminelles Netzwerk, das in den 1980er Jahren zu Zeiten des
legendären Drogen-Capos Pablo Escobar entstand und als ein Knotenpunkt
von Auftragsmord und Drogenhandel gilt. Ermittlungen gegen das Büro
wurden von Staatsanwalt Valencia und dem Medelliner Polizeichef immer
wieder niedergeschlagen. Angeblich kam es erst zu Ermittlungen, als die
deutsche Polizei nach Verhaftungen Informationen über den
Drogenhandelsring nach Bogotá sandte.
Doch all diese Skandale sind verglichen mit der Affäre, die die
Beziehungen zwischen dem Obersten Gerichtshof und Präsident Uribe
erschüttern, vergleichsweise harmlos. Der Präsident gestand ein, dass
sein persönlicher Sekretär den Drogenhändler Antonio López (alias Job)
und den Anwalt des Paramilitär-Kommandanten Diego Murillo (alias Don
Berna) im April 2008 im Präsidentenpalast empfangen hatte. Bei diesem
Treffen ließ sich Uribes Sekretär von den Narcoparamilitärs –
Drogenhandel und rechte Gewalt lassen sich in Kolumbien längst nicht
mehr voneinander trennen – Material gegen den Obersten Gerichtshof
aushändigen. Uribe, der sich als Opfer einer Justizkampagne sieht,
lässt keine Gelegenheit aus, um die Justiz anzugreifen. Er spricht von
einem „Zeugenkartell“ und behauptet, der Gerichtshof biete Paramilitärs
Geld für Aussagen an. Tatsächlich ist es wohl eher andersherum: So
erklärte ein Paramilitär, der vom Präsidenten vor einigen Monaten als
Belastungszeuge gegen den Gerichtshof präsentiert worden war, nach
Uribes Attacken, er habe die Geschichte erfunden. Santiago und Mario
Uribe, Bruder und Cousin des Präsidenten, hätten ihm als Gegenleistung
ein Haus für seine Mutter angeboten.
„Wir erleben in Kolumbien die Mafiotisierung des Staates“, erklärt der
Senator Gustavo Petro, der in der Mitte-Links-Partei Alternativer
Demokratischer Pol (PDA) eher zum rechten Flügel gehört.
„Großgrundbesitz, Politik und paramilitärische Drogenmafia haben schon
vor Jahren in den Regionen Allianzen geschlossen. Diese Mafias haben
den Staat durchdrungen – mehr noch als in Kosovo, Sizilien oder
Afghanistan.“
Tatsächlich ist, ganz anders als die Berichterstattung der führenden
Medien es glauben lässt, die Bilanz der Regierung Uribe erschreckend.
Dem Präsidenten ist es zwar gelungen, die FARC-Guerilla zurückzudrängen
und Entführte wie die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt
spektakulär zu befreien. Doch gleichzeitig ist die Organisierte
Kriminalität in die höchsten Sphären von Politik und Wirtschaft
vorgedrungen. So gehört zu den verhafteten Mitgliedern des Büros aus
Envigado auch der angesehene Medelliner Unternehmer Juan Felipe Sierra.
Sein Wachschutzunternehmen, das mehr als 1.000 Angestellte zählt, wird
vom Staat für den Schutz demobilisierter Paramilitärs bezahlt.
Eingebunden ins Netzwerk scheint außerdem auch Uribes
Drogenbeauftragte, die im Einflussgebiet des Büros die
Herbizidbesprühungen von Kokapflanzungen erfolgreich verhinderte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Präsident nicht
längst gestürzt ist. Die Seriosität von Umfragen, die Uribe regelmäßig
eine Zustimmung von 80 Prozent bescheinigen, ist zwar fragwürdig, da
die Bevölkerung der Armenviertel von Umfrageinstituten kaum erreicht
wird. Doch unzweifelhaft ist Uribe in Kolumbien hochpopulär. Erklärt
werden kann das zum einen damit, dass er unablässig arbeitet und bei
der Bekämpfung der Guerilla offensichtliche Erfolge vorweisen kann. Zum
anderen hat er seine Popularität aber auch der Unterstützung der
Medienkonzerne zu verdanken. Die Santos-Familie, der das größte
Medienkonglomerat im Land gehört, ist mit dem Vizepräsidenten und dem
Außenminister gleich doppelt in der Regierung vertreten. Auf diese
Weise finden Uribes Manöver in der Öffentlichkeit fast immer
Zustimmung.
Das beste Beispiel dafür ist die Auslieferung von 14 Kommandanten der
Paramilitärs an die USA. Die im Mai erfolgte Auslieferung hatte den
Effekt, dass die in Kolumbien anhängigen Menschenrechtsprozesse
abgebrochen wurden. Bei diesen Verfahren hatten die Paramilitärs,
darunter die ehemalige Nummer Zwei der Vereinten
Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), Salvatore Mancuso, Aussagen
gegen Hintermänner in Armee, Politik und Wirtschaft zu machen begonnen.
Da die AUC-Führer in den USA nur wegen Drogenhandels angeklagt sind,
sind neue Enthüllungen nun nicht mehr zu befürchten.
Präsident Uribe verkaufte diese Auslieferung als Maßnahme gegen den
Paramilitarismus. Tatsächlich ist jedoch keineswegs klar, ob sie nicht
im Sinne der AUC-Führer erfolgte. Führende Paramilitärs haben in den
vergangenen Jahren Deals mit der US-Justiz ausgehandelt, die ihnen
kurze Haftstrafen und Aufenthaltsgenehmigungen in den USA ermöglichen.
Nicolás Bergonzoli, der ehemalige Emissär des verschollenen
AUC-Kommandanten Carlos Castaño, schloss schon vor einigen Jahren ein
solches Abkommen und lebt heute mit einer neuen Identität in den USA.
Etwas Vergleichbares zeichnet sich auch für die Nummer Zwei des
berüchtigten Bloque Norte der AUC ab. Der Paramilitär Hugues Manuel
Rodríguez lebt heute in Washington und ist Eigentümer von 30 Prozent
des kolumbianischen Kohleunternehmens El Descanso, das zu den größten
Lateinamerikas gehört.
Dass die US-Justiz derartige Abkommen zulässt, dürfte drei Gründe
haben: Erstens handelt es sich bei den AUC-Führern um wichtige
Informationsquellen bei der Drogenbekämpfung. Zweitens gehören zu den
Abkommen auch Geldzahlungen an den US-amerikanischen Staat. Nach
Aussagen des DEA-und FBI-Mitarbeiters Baruch Vega, der seit den 1980er
Jahren als Vermittler zwischen kolumbianischen Drogenhändlern und
US-Regierung eingesetzt wird, fließen diese Gelder angeblich „in einen
Geheimfonds Washingtons“. Und drittens schließlich haben die USA selbst
ein Interesse daran, dass die Paramilitärs nicht auspacken.
US-Spezialeinheiten haben mindestens bei der Bekämpfung des
Drogenbarons Pablo Escobar Anfang der 1990er Jahre mit den späteren
AUC-Kommandanten kooperiert. Und der US-Fruchtkonzern Chiquita hat nach
eigenen Angaben Millionenzahlungen an die rechten AUC geleistet.
Auf diese Weise von verschiedenen Seiten abgesichert, strebt Präsident
Uribe nun eine dritte Amtszeit an. Dafür ist zwar eine neuerliche
Verfassungsänderung nötig. Doch schon 2004 kam die dafür nötige
Parlamentsmehrheit – durch Bestechungszahlungen an eine mittlerweile
inhaftierte Abgeordnete – zustande.
Von links hat Uribe nicht viel zu befürchten: Die PDA ist tief
zerstritten. Die Parteirechte möchte die Linke, die grundlegende
soziale Transformationen einfordert, loswerden. Obwohl Parteichef
Carlos Gaviria als sehr integer gilt, erinnert das Innenleben des PDA
immer stärker an die berüchtigten kolumbianischen Klientelapparate. Die
Guerilla schließlich ist völlig diskreditiert. Die FARC haben die
Öffentlichkeit in zahlreichen Entführungsfällen gezielt belogen und
ihre Gefangenen schwer misshandelt. Außerdem protegieren sie –
paradoxerweise – in ihren Regionen den Drogenhandel. Die ELN hingegen,
die enger mit sozialen Bewegungen verbunden ist und in einigen Regionen
Basisarbeit leistet, wird öffentlich nicht wahrgenommen. Vor diesem
Hintergrund scheint alles darauf hinauszulaufen, dass Präsident Uribe
so lange weitermachen kann, bis eines Tages in den USA die Alarmsignale
losgehen. Mit der Organisierten Kriminalität kann man zwar gelegentlich
auch Abkommen schließen, aber einen Mafia-Staat will Washington mit
Sicherheit nicht.
Text: Raul Zelik
Ausgabe: Nummer 413 - November 2008
KASTEN:
Menschenrechtsbeobachterin ausgewiesen
Die kolumbianische Sicherheitsbehörde DAS der Stadt Santiago de Cali,
Valle del Cauca, hat am 2. Oktober die deutsche Staatsangehörige und
internationale Menschenrechtsbeobachterin Friederike Müller
ausgewiesen. Das berichten unter anderem das Solidaritätsnetzwerk Red
de Hermandad y Solidaridad con Colombia und die Kolumbienkampagne
Berlin. Friederike Müller war von verschiedenen kolumbianischen
Menschenrechtsorganisationen nach Kolumbien eingeladen worden, um eine
Untersuchung über die Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen in
verschiedenen Regionen des Landes durchzuführen. Ihre Ausweisung wird
auch in den Zusammenhang gebracht mit ihrer Präsenz in den Departements
Valle del Cauca und Cauca, in denen derzeit ein Streik mehrerer Tausend
ZuckerrohrarbeiterInnen stattfindet.
Friederike Müller war am 1. Oktober gegen 17.30 Uhr von
MitarbeiterInnen der DAS festgenommen und ohne richterliche Anordnung
illegal festgehalten worden. Man verweigerte ihr, Kontakt zu einem
Anwalt aufzunehmen und beschlagnahmte ihr Mobiltelefon. Am 2. Oktober
wurde sie um 13.40 Uhr durch die DAS aus Kolumbien ausgewiesen. Das Red
de Hermandad y Solidaridad con Colombia stellt fest: „Die Abschiebung
wurde unter völliger Missachtung internationaler Rechtsstandards
vollzogen.” Die Organisationen weisen weiter darauf hin, dass gegen
Friederike Müller ein siebenjähriges Einreiseverbot verhängt wurde, mit
der Begründung sie würde geheimdienstlichen Informationen zufolge „die
nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche
Gesundheit, den sozialen Frieden und die öffentliche Sicherheit
gefährden”.
Poonal