Kolumbien: Leben mit der alltäglichen Einschüchterung

Die Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien ist gefährlich

Wer sich in Kolumbien für Menschenrechte einsetzt, riskiert nicht nur Drohungen und Angriffe, sondern auch wiederholt Strafprozesse. Eine internationale Kampagne setzt sich „Für das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien“ ein.

Lang ist die Liste persönlicher Risiken, denen sich MenschenrechtsaktivistInnen in Kolumbien aussetzen: Drohungen, Einschüchterungen, Mord, illegale Beschattung und Behinderung durch staatliche Geheimdienste, Diffamierung von höchsten Regierungsstellen bis hin zum Staatspräsidenten, Haft und Strafprozesse sowie Diebstahl sensibler Informationen ihrer Arbeit, zählt die „Internationale Kampagne für das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien“ auf.
Die Anwaltsorganisation Corporación Jurídica Libertad aus Medellín beispielsweise sieht eine Verbindung zwischen den Drohungen gegen einen ihrer Anwälte, Bayron Góngora, und dessen aktueller Tätigkeit. Am 9. Februar 2010 erfuhr der Anwalt, dass Killer mit seiner Ermordung beauftragt worden waren. „Bayron vertritt in vielen Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen die Angehörigen der Opfer gegen die Soldaten. Wir nehmen an, dass er jetzt gerade deshalb bedroht wird“, erläutert die Anwältin Adriana Arboleda. Zwar gibt die Regierung an, die paramilitärischen Gruppen im Land seien aufgelöst, doch gibt es immer wieder die Fälle von Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen von den so genannten „neuen Gruppen“ wie den Aguilas Negras oder Rastrojos.
Doch nicht nur paramilitärische Gruppen bedrohen die MitarbeiterInnen von Menschenrechtsorganisationen. Eine illegale Einheit des kolumbianischen Inlandsgeheimdienstes DAS hat jahrelang die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, JournalistInnen und obersten RichterInnen überwacht. Ganze Kartons füllen die Unterlagen mit akribischen Aufzeichnungen über das Leben, die Familien, über Telefon- und E-Mail-Kommunikation der Betroffenen. Laut Aussage der damals Verantwortlichen war das Ziel, die Arbeit der Organisationen zu behindern. Aus den Akten geht auch hervor, dass eine Drohung gegen die Tochter der Anwältin Soraya Gutiérrez, die beim Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo tätig ist, vom Geheimdienst DAS kam.
In den letzten Jahren hat die Kriminalisierung von MenschenrechtsverteidigerInnen massiv zugenommen und ihre Arbeit stark behindert. Meist werden sie beschuldigt mit der Guerilla zusammen zu arbeiten. Auch mit dem Drogenhandel werden sie in Verbindnug gebracht oder sogar mit Mordvorwürfen belastet. Die drohenden Haftstrafen sind hoch. Zwar enden die Prozesse fast immer mit einem Freispruch, doch der Schaden für die Betroffenen ist enorm. „Die Vorwürfe diskreditieren unsere gesamte Arbeit, auch die Berichte, die wir über die Lage der Menschenrechte herausgeben“, erklärt Elkin Ramírez von der Coroporación Jurídica Libertad. „Wir verwenden einfach unheimlich viel Zeit darauf, die uns dann für die eigentliche Arbeit nicht mehr zur Verfügung steht“, ergänzt seine Kollegin Adriana Arboleda. Ramírez verteidigt sich „nur“ gegen eine Verleumdungsklage. Ihm drohen ein bis zwei Jahre Haft. Viel drastischer fallen jedoch die Strafen aus, wenn der Vorwurf der Zusammenarbeit mit der Guerilla erhoben wird. Dann droht außerdem die sofortige Verhaftung. Besonders stark bekam das Ende 2007 die Bauernorganisation ACVC aus dem Gebiet am Cimitarra-Fluss zu spüren. Gleich die gesamte Führungsriege der Organisation wurde mit Haftbefehl wegen „Rebellion“ gesucht, sechs Gemeindeführer wurden verhaftet. Plötzlich besaß die Organisation keinen Zeichnungsberechtigten mehr, um Bankgeschäfte oder Projekte abzuwickeln. Andere Mitglieder der ACVC haben die Arbeit übernommen. Doch verhaftet und auf der Flucht waren all diejenigen, die Erfahrungen bei Verhandlungen mit der Regierung oder bei der Pflege der internationalen Kontakte hatten. Ein schweres Handikap, denn genau zu dieser Zeit sollte mit staatlichen Stellen über die erneute Einrichtung einer „Kleinbäuerlichen Schutzzone“ verhandelt werden, die den Kleinbauern der ACVC Sicherheit vor Vertreibung geben soll. Inzwischen wurden die Verfahren mit einer Ausnahme abgeschlossen und die Verhandlungen mit zweijähriger Verzögerung wieder aufgenommen.
Ein ähnliches Schicksal wiederholt sich aktuell in der nur wenige hundert Kilometer entfernt gelegenen Region Catatumbo. Dort entstand vor fünf Jahren die Bauernorganisation ASCAMCAT. Auch sie will eine kleinbäuerliche Schutzzone gründen, ganz nach den Maßgaben kolumbianischer Gesetze. Darüber hinaus wehrt sie sich gegen ein großes Kohletagebau-Projekt in der Region. Doch seit Februar 2010 wurden in der Region Catatumbo mehr als sechzig Haftbefehle ausgestellt, 17 Menschen wurden wegen Vorwürfen wie Rebellion und Drogenhandel verhaftet. Bei vielen von ihnen handelt es sich nach Aussagen der Bevölkerung um einfache Bauern. Viele Betroffene sind Mitglieder von ASCAMCAT. Hart trifft die Organisation, dass auch ihr Vorsitzender José del Carmen Abril Abril mit Haftbefehl gesucht wird. „José del Carmen ist ein einfacher Bauer. Durch seine Tätigkeit als Vorsitzender kennt ihn in der Region jeder und weiß, was er macht, dass er nichts mit der Guerilla zu tun hat. Wie können sie einfach sagen, er sei ein Verbrecher?“, beklagt empört die Generalsekretärin von ASCAMCAT Olga Lucía Quintero bei einem Treffen in Bogotá.
Den Prozess gegen die Bauern aus der Region betreibt die Staatsanwaltschaft Nr. 29. Diese hat ihren Sitz in der Armeebrigade Nr. 30 in Cúcuta. Schon lange weisen Menschenrechtsorganisationen darauf hin, dass Militäreinrichtungen zugeordnete Staatsanwälte nicht unabhängig sind und fordern daher deren Abschaffung. Der Fall von ASCAMCAT ist kein Einzelfall. So ermittelt in Medellín die Staatsanwaltschaft Nr. 74, mit Sitz in der Armeebrigade Nr. 4, gegen eine Vielzahl von MenschenrechtsaktivistInnen in der Stadt. Winston Gallego von der Organisation Sumapaz wurde im Juni 2009 im Rahmen eines solchen Verfahrens verhaftet und ist seither inhaftiert. Auch die Anwaltsorganisation Corporación Jurídica Liber-tad wird in den Prozessakten genannt.
ASCAMCAT wird von der Anwaltsorganisation CALCP unterstützt. Als die Haftbefehle bekannt wurden, haben die AnwältInnen eine Überprüfung auf den Weg gebracht und den Aufbau einer Solidaritätskampagne für die Verhafteten gefördert sowie einige Fälle anwaltlich übernommen. Doch am 12. März 2010 erhielt Judith Maldonado von CALCP einen Drohanruf der Aguilas Negras auf ihre Mailbox. Die paramilitärische Gruppe warnte sie davor, sich weiter dort einzumischen, wo sie nichts zu suchen habe. Neben den Verhaftungen müssen die AnwältInnen sich jetzt auch noch verstärkt um die eigene Sicherheit kümmern.
Prozesse gegen verdächtige Personen sind in einem Rechtsstaat eigentlich Normalität. Doch die Anwälte der Corporación Juridica und von CALCP sind überzeugt, dass es sich um unbegründete, politisch motivierte Prozesse handelt. Sie stützen sich auf Aussagen von fragwürdigen Zeugen, die zahlreiche Widersprüche aufweisen. „In einem Fall habe ich die sofortige Einstellung des Verfahrens beantragt. Der Hauptzeuge sagt zur angeblichen Zugehörigkeit der Angeklagten zu den FARC aus. In dem fraglichen Zeitraum war er aber selber bei der ELN-Guerilla in einer ganz anderen Region des Landes aktiv. Der Staatsanwalt hat den Antrag abgelehnt“, erklärt die Anwältin Judith Maldonado.
In Fällen in den Regionen Cimitarra und Catatumbo werden Informationen der militärischen Geheimdienste als Beweise angeführt, obwohl dies rechtlich nicht zulässig ist. Die US-amerikanische Organisation Human Rights First hat zahlreiche Fälle von Verfahren gegen Menschenrechtsorganisationen dokumentiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass immer wieder Zeugen auftreten, die als demobilisierte ehemalige Kämpfer illegaler Gruppen Vergünstigungen für ihre Aussagen erhalten und sich vielfach in Widersprüche verstricken oder die Angeklagten gar nicht identifizieren können.
Seit Jahren fordern kolumbianische Menschenrechtsorganisationen, dass die Archive der Geheimdienste überprüft und illegal über sie gespeicherte Informationen gelöscht werden. Diese Forderung wird auch mit der internationalen Kampagne „Für das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien“ gestellt. Ebenso verlangt die Kampagne von der Regierung, keine Büros der Staatsanwaltschaft mehr in Militärgarnisonen zu unterhalten. Um zu verhindern, dass die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen mit haltlosen Vorwürfen blockiert wird, sollen außerdem alle Strafprozesse gegen MenschenrechtsaktivistInnen von einer unabhängigen Sondereinheit der Staatsanwaltschaft überprüft werden. Auch die UN-Sonderberichterstatterin für MenschenrechtsverteidigerInnen, Margaret Sekaggya, äußerte sich äußerst besorgt über die Lage in Kolumbien, als sie in Bogotá den Start der Kampagne begleitete.
Am 14. April 2010 wurde die Kampagne „Für das Recht auf die Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien“ in Berlin von dem kolumbianischen Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe und von kolko e.V. vorgestellt. Dreihundert Organisationen aus 23 Ländern haben die Empfehlungen unterzeichnet. Anlässlich des Kampagnenstarts in Deutschland erklärte Michael Windfuhr, Leiter des Menschenrechtsreferates des Diakonischen Werkes: „Viele unserer Partner sind kaum mehr in der Lage, ihre Arbeit wie vorgesehen zu machen, da sie oftmals durch Anfeindung, Bedrohung und Stigmatisierung behindert werden. Die kolumbianische Regierung muss dringend die Empfehlungen der Kampagne umsetzen, damit die wichtige Menschenrechtsarbeit in Kolumbien weiter geleistet werden kann. Die deutsche Regierung muss sich gegenüber der kolumbianischen Regierung nachdrücklich für die Empfehlungen einsetzen.“


Mehr Informationen zur Kampagne „Für das Recht auf die Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien“ unter www.kolko.de.

Text: Alexandra Huck
Ausgabe: Nummer 431 - Mai 2010