Die Töchter der Revolution

Ihre einstigen Compañeros und Compañeras haben ein totales Abtreibungsverbot durchgesetzt. Gioconda Belli sagt den an.schlägen, weshalb sie sich schon vorher von ihnen distanziert hat.

"Ich glaube nicht an den Revolutionär, der fähig ist, sein Volk zu lieben, doch nicht die Menschen, die ihm nahe sind," hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt und Gioconda Belli zitiert ihn mit diesem Satz in ihrer Autobiographie "Die Verteidigung des Glücks". Denn das Glück, das es zu verteidigen gilt, ist bei Belli immer auch ihr ganz persönliches und privates. Neben dem Kampf für ein freies und glückliches Nicaragua hat die Revolutionärin immer auch jenen für die eigene Freiheit und Selbstbestimmung, den Kampf für eine glückliche, gleichberechtigte Liebe geführt. Und dabei oft den Widerspruch zwischen revolutionärer Menschenliebe und privater Gefühlsarmut erlebt. Er äußerte sich in der Vielweiberei ihrer Compañeros ebenso wie in der altbekannten Verdrängung der Frauen nach der sandinistischen Revolution. Knapp dreißig Jahre nach dieser Revolution erweist sich Sartres Skepsis nun erneut als berechtigt. Die "Frente Sandinista de Liberación Nacional" (FSLN, Sandinistische Nationale Befreiungsfront), die einst antrat, um die Diktatur Somozas durch Demokratisierung und Gleichberechtigung zu ersetzen, hat im vergangenen September das bereits vor ihrer Wiederwahl im letzten Jahr mit ihren Stimmen erlassene absolute Abtreibungsverbot bestätigt. Damit ist Nicaragua eines der ganz wenigen Länder weltweit, in denen selbst der therapeutische Schwangerschaftsabbruch verboten ist.

Lest, lernt und schreibt. "Ja, meine Entscheidung wurde durch alles, was seither geschehen ist, bestätigt", sagt Gioconda Belli den an.schlägen heute. Sie meint damit ihren Austritt aus der FSLN, für den sie sich 1993 entschied. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag am 8. Dezember besucht die Schriftstellerin Wien, um aus ihren Gedichten zu lesen. Ihrer roten Löwenmähne konnten die Jahre nichts anhaben, ihrem Widerspruchsgeist auch nicht. Nicaraguas Präsident, Daniel Ortega, hatte sich mit dem neuen Abtreibungsgesetz die Unterstützung der katholischen Kirche gekauft. "Wie ein verlorener Sohn ist er zur Kirche zurückgekehrt und hat ihr die Stimmen gegen die therapeutische Abtreibung garantiert, die in Nicaragua seit dem 19. Jahrhundert akzeptiert war", wütet Belli. Laut Human Rights Watch sind allein im vergangenen Jahr 80 Frauen in Nicaragua infolge des Gesetzes gestorben.
"Wascht den Männern nicht die Kleider, sondern lest, lernt und schreibt", soll Carlos Fonsecas, ein Gründer der FSLN, den sandinistischen Frauen in den Anfängen geraten haben. Nicht zuletzt diese Aufforderung, sich zu emanzipieren und gemeinsam mit den Männern für die Revolution zu kämpfen, hatte den Sandinismus auch für die Oberschichtsangehörige Belli attraktiv gemacht. 1970 schloss sich die Schriftstellerin den Sandinistas an, um die von 1937 bis 1979 ununterbrochen währende Herrschaft der autokratisch regierenden Somozas zu beenden. Sie überbrachte Nachrichten, schmuggelte Waffen, lernte auf Kuba schießen und lebte viele Jahre im Exil: erst in Mexiko, später in Costa Rica, um dort die Unterstützungsbewegung aufzubauen. Erst nach dem Sieg der Sandinistas 1979 kann sie endlich in das Land zurückkehren, "das unter ihrer Haut wohnt", das sie liebt und in dem sie so gut schreiben kann wie nirgendwo sonst.

Populistisch und pseudo-revolutionär. Dem Freudentaumel folgte die Ernüchterung jedoch schnell. Belli gibt die ihr übertragene Leitung des staatlichen Fernsehsenders wieder auf, um ihrem damaligen Geliebten Modesto (Henry Ruiz) als "persönliche Assistentin" zur Seite zu stehen. Die neu gewonnene Macht konzentriert sich bald in den Händen weniger Männer. "Gern möchte ich glauben, daß die Revolution mit der Zeit schon die eigenen Unwetter überstanden und ruhigere Gewässer, ein gutes Gleichgewicht erreicht hätte. Leider werden wir nie wissen, wie sich alles entwickelt hätte, wenn wir Nicaraguaner die volle Verantwortung für unser Schicksal hätten übernehmen können, ohne Einmischung von außen", kommentiert Belli die Entwicklung der folgenden Jahre in ihrer Autobiographie. Kurz nach den Sandinisten kommt 1981 auch Ronald Reagan an die Macht und finanziert die Contras, paramilitärische Terrorgruppen, die sich u. a. aus Soldaten der ehemaligen Nationalgarde Somozas rekrutieren, um die als kommunistisch geltende sandinistische Regierung zu stürzen. (Für die von ihnen verantworteten damals verübten Gräueltaten wurden die USA übrigens vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu einer Strafe von 2,4 Milliarden US-Dollar verurteilt, die sie bis zum heutigen Tag nicht bezahlt haben.)
Trotz des andauernden Contra-Krieges wird die sandinistische Regierung bei den ersten freien Wahlen 1984 bestätigt, 1990 muss sie die Macht jedoch an das von den USA unterstützte Wahlbündnis UNO (Unión Nacional Opositora) von Violeta Chamorro abgeben.
Ein Kongress, der nach der Niederlage dazu dienen soll, die Ziele und Strategien der FSLN neu zu diskutieren, veranlasst Belli zu ihrem Parteiaustritt. Daniel Ortega bezichtigte damals alle des Verrats, die mit seinem Führungsstil nicht einverstanden waren.
"Seitdem ist der Sandinismus langsam zerbröckelt und hat sich zum ‚Danielismus‘ gewandelt, einer Bewegung, die auf den Führer ausgerichtet ist und nicht mehr auf eine Vision oder ein Programm. Ortega hat den Sandinismus in eine populistische, gewissenlose Partei verwandelt, die stark in der Tradition der klassischen politischen Rechtsparteien Nicaraguas steht. Ein pseudo-revolutionärer Diskurs, der das sandinistische Erbe instrumentalisiert, um Ortega die Macht zu sichern, ist das Einzige, was übrig geblieben ist", urteilt Belli jetzt.
Dass der Zweck für Ortega und seine Frau Rosario Murillo alle Mittel heiligt, war für sie spätestens nach den Missbrauchsvorwürfen klar, die Murillos Tochter Zoila América gegen ihren Stiefvater Daniel Ortega erhob. Rosario Murillo, an die sich Belli in "Die Verteidigung des Glücks" als blasse, dickliche Mitstreiterin erinnert, mit der sie sich wegen ihrer geteilten Hörigkeit gegenüber ihrem jeweils geliebten Revolutionär damals sogar noch in gewisser Weise verbunden fühlt, stellt sich mit ihrem Ehemann gegen die eigene Tochter. "Sie und Ortega haben keine Skrupel, wenn es darum geht, Macht zu gewinnen oder zu erhalten." Auch an der Allianz mit der Kirche war Murillo maßgeblich beteiligt.

Sitzfleisch und unglückliche Führer. Belli, die mittlerweile auch als Romanautorin international bekannt ist und seit 1990 nur noch zeitweilig im nicaraguanischen Managua und die restliche Zeit mit ihrem Mann in den USA lebt, engagiert sich in der 1995 gegründeten Sandinistischen Erneuerungsbewegung MRS. Doch 2006 schwanden die Chancen auf einen Wahlsieg nach dem plötzlichen Herztod des Spitzenkandidaten Herty Lewites abrupt. "Ortegas Leute haben die Partei infiltriert und es gab einige undurchsichtige Dinge im Zusammenhang mit Lewites Tod", sagt Belli. Und der in letzter Minute als Ersatz aufgestellte Edmundo Jarquín konnte vielleicht auch wegen seiner vorangegangenen Karriere in verschiedenen Finanzinstitutionen die linken WählerInnen nicht überzeugen.
Gioconda Belli, die mit ihren Gedichte den Vulkanen ihrer Heimat huldigt oder in ihnen bedauert, nicht den Hintern Cindy Crawfords zu haben ("und alles, was ich tun kann, ist, mich seiner nicht zu schämen, sondern ihn zu nutzen, um bequem sitzend zu lesen oder Schrifstellerin zu sein"1) und deren erotische und stets sehr persönliche Lyrik anfangs als "Vaginalpoesie" abgelehnt wurde, hält sich auch bei der Analyse der jüngsten Ereignisse an ihre von Sartre entliehenen Weisheit über den liebenden Revolutionär.
"Ich denke, das Persönliche ist politisch. Ich denke, unglückliche Menschen geben keine guten politischen Führer ab. Man traut einer Person, die ihr eigenes Leben nicht zu leben versteht, nicht zu, ein Land regieren zu können und seine Menschen glücklich zu machen."

1 Gioconda Belli: "In der Nacht stellt die Ehefrau klar"

Kampagne "Ich entscheide mein Leben": www.yodecidomivida.org
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Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at