Postgender-PiratInnen

 

Sie gilt als unorganisiert und inhaltslos und war zuletzt mit Sexismus- und Rechtsextremismus-Vorwürfen konfrontiert. Dennoch feiert die Piratenpartei in Deutschland einen Wahlsieg nach dem anderen. 2013 wollen die Piraten auch in Österreich antreten – und ihnen wird reger Zulauf prognostiziert. Ein Interview mit Miriam Lakeman und Miriam Seyffarth.

an.schläge: Miriam Lakemann, in Ihrem Blog beschweren Sie sich über die Berichterstattung der „Emma“, in der die Piratenpartei als sexistischer Männerverein dargestellt wird. doch die Sexismusdiskussion wird auch innerhalb der Partei selbst heftig geführt. Zudem hat eine parteiinterne Umfrage des Kegelklubs* ergeben, dass sich viele Frauen in der Piratenpartei mit einer diskriminierenden Diskussionskultur konfrontiert sehen. Gibt es nun also ein Problem mit Sexismus oder gibt es keines?

Miriam Lakemann, Miriam Seyffarth: Natürlich gibt es Sexismus in der Partei, das hab ich in meinem Text ja auch gar nicht geleugnet! Genauso wie es diese Probleme auch in anderen Parteien und der Gesellschaft gibt. Davor wollen wir auch nicht die Augen verschließen, sondern uns Gedanken machen, was wir dagegen tun können. Problematisch an Darstellungen wie beispielsweise dem Artikel in der „Emma“ ist, dass das real existierende Problem unangemessen dramatisch und reißerisch dargestellt wird und sowohl die Bemühungen, sich damit auseinanderzusetzen, als auch die Aktivitäten der zahlreichen Frauen in der Piratenpartei totgeschwiegen werden. Es wird der Eindruck vermittelt, als gäbe es gar keine weiblichen Mitglieder, und als sei jeder einzelne Pirat ein Frauenhasser. Dadurch entsteht ein Bild, durch das sich sowohl weibliche als auch männliche Mitglieder falsch dargestellt fühlen.

Marina Weisband, ehemalige Geschäftsführerin der Piraten, kreidet das beschädigte Image der Partei ebenfalls der medialen Berichterstattung an: „Ich bin in der Piratenpartei nie Sexismus begegnet“, schreibt sie, „aber das hier ist er“ – und meint damit ihre Behandlung durch die Medien. Auch auf der Homepage des Kegelklubs gibt es Statements, wonach das „Frauenproblem“ in erster Linie herbeigeschrieben sei …

Marina Weisband hat sich hier vor allem darauf bezogen, dass sie von den Medien auf die Rolle der „hübschen jungen erfolgreichen Frau in der Politik“ reduziert wurde. Anstatt sie als normale Person wahrzunehmen und auf ihre inhaltlichen Aussagen einzugehen, wurde sie in ein Klischee nach dem anderen gepresst und nach der Farbe ihres Lippenstiftes gefragt. Politische Aussagen, die sie in Interviews getroffen hatte, wurden oft nicht abgedruckt.
Insgesamt wird einfach nicht genau hingeschaut. Aktive Piratinnen werden übersehen und gar nicht erst gefragt, allen Mitgliedern wird pauschal Sexismus und Frauenhass vorgeworfen, und Bemühungen, sich mit der Frauenfrage auseinanderzusetzen, werden ignoriert. Das verärgert viele. Etliche Piraten würden sich über differenziertere Artikel und bessere Recherchen freuen, oder auch darüber, mal selbst interviewt zu werden.

Ganz objektiv ist der Frauenanteil bei den Piraten erschreckend gering und dürfte ungefähr auf CSU-Niveau herumgrundeln – keine zwanzig Prozent –, dennoch spricht sich auch der Kegelklub nicht dezidiert für eine Frauenquote aus. Warum nicht?

Wir können doch keine Frauenquote für die Basis einführen! Und ohne höheren Frauenanteil an der Basis wäre eine Frauenquote für Vorstandsämter und Wahllisten kaum durchführbar. Im Kegelklub beschäftigen wir uns also vor allem damit, welche Zugangsbarrieren es möglicherweise für Frauen gibt und was wir daran ändern können. Ein weiteres Thema ist, wie der Frauenanteil in den Vorständen erhöht werden kann. Da diskutieren wir natürlich auch Quotenlösungen.
Ein internes Meinungsbild in unserer internen Meinungsbildungssoftware Liquid Feedback hat ergeben, dass sich der größte Teil der Piraten für eine Unterstützung der „Berliner Erklärung“ und somit für eine Quote in der Wirtschaft ausspricht. Zur Frage einer Quote innerhalb der Partei sind im Kegelklub durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten. Eine Quote soll das Problem der „gläsernen Decke“ beheben, dass also qualifizierte Frauen, die sich für verantwortungsvolle Posten bewerben, nicht genommen werden. Dies ist bei uns jedoch kein Problem. Wenn eine qualifizierte Frau kandidiert, so hat sie die allerbesten Chancen, auch gewählt zu werden.

Die Umfrage ergab auch ein Selbstverständnis vieler Parteimitglieder als „postgender“, und so scheinen Unisex-Toiletten bei Parteitagen das Bemühen um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den KandidatInnen zu ersetzen. Ist das ein falscher Eindruck?

Toiletten, die nicht nach „Mann“ und „Frau“ unterscheiden, sondern beispielsweise nach „sitzen“ und „stehen“, lösen natürlich nicht das Repräsentationsgefälle auf unseren Kandidatenlisten. „Postgender“ ist für uns ein Ideal, demzufolge das Geschlecht eines Menschen keine Rolle mehr spielen soll, da sind wir aber natürlich noch lange nicht angekommen. Trotzdem bemühen wir uns, nicht so sehr in binären Geschlechterkategorien zu denken. Eine Frauenquote in der Partei würde deshalb unserem Verständnis nach auch nur die binären Geschlechterkategorien zementieren und beispielsweise trans und intersexuelle Menschen ausschließen. Viele Mitglieder wollen sich nicht nach starren Geschlechtszuschreibungen einordnen lassen.

Der gescheiterte Parteiausschluss des wegen seiner Äußerungen zum Holocaust in Kritik geratenen Bodo Thiesen sowie rassistische und rechtsextreme Aussagen anderer Parteimitglieder brachte jüngst wieder jede Menge negativer Schlagzeilen. Welche Strategien gibt es vonseiten der Partei gegen rechte Tendenzen in den eigenen Reihen?

Wie bei unserem Bundesparteitag in Neumünster zu beobachten war, besteht unsere Strategie darin, Mitgliedern mit rechten Tendenzen eindeutig klar zu machen, dass ihre Meinungen bei uns keinen Platz haben und unseren Grundwerten widersprechen. Es wurde eine Erklärung beschlossen, die unmissverständlich darlegt, dass bei uns menschenverachtende Äußerungen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nicht toleriert werden. Daraufhin sollen mehrere Mitglieder ausgetreten sein. Ich habe kürzlich gehört, dass in rechten Foren sogar schon vor den Piraten gewarnt wird. Zudem ist die parteiinterne Sensibilität für das Thema durch die jüngsten Vorfälle sehr gestiegen.

Die Piraten gelten vielen als „Update“ der FdP – inklusive deren wirtschaftsliberaler Ausrichtung. Angesichts der Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und dem Mindestlohn, die nun ins Grundsatzprogramm aufgenommen wurden, scheint sich das linke Profil der Partei in jüngster Zeit jedoch zu schärfen. Gibt es die entsprechenden Lager innerhalb der Partei? Und wie sind die Machtverhältnisse.

Es gibt keine klar benennbaren Lager, das ist ja das Schöne bei den Piraten. Viele gehen ganz offen an neue Probleme heran und bilden sich ihre Meinung in der Diskussion. Wir praktizieren quasi schon das, was wir auch für die Parlamente fordern: Themenkoalitionen! Jedes Mitglied entscheidet bei jedem Thema neu, welche Linie es unterstützen möchte.
Die Ergebnisse der bisherigen Abstimmungen deuten in eine klare Richtung, die sich bisher noch nicht im Parteienspektrum findet: Wir setzen uns für eine größtmögliche Freiheit des Einzelnen ein, aber gleichzeitig auch gegen jede Ausgrenzung. Das zeigt sich schön beim bedingungslosen Grundeinkommen und in unserem Familienprogramm, das eine größere Wahlfreiheit für verschiedene Lebensmodelle fordert.

Viele KünstlerInnen und Kulturschaffende kritisieren die Parteihaltung zum Urheberrecht und fordern zum Beispiel fixe Solidarabgaben, um von ihrer Arbeit leben zu können.

Unser klares Ziel ist, dass Künstler angemessen von ihren Werken profitieren. Zusätzlich wollen wir aber die Möglichkeiten der Künstler ausbauen, ihre Werke auch unabhängig von den großen und viel zu mächtigen Verwertungsgesellschaften anzubieten. Außerdem müssen die Möglichkeiten des nicht-kommerziellen Filesharings entkriminalisiert werden.

Aber gerade das nicht-kommerzielle Filesharing stellt für viele ein Problem dar, solange es keine alternativen Verdienstmodelle gibt. Gibt es hier von der Piratenpartei konkrete Vorschläge abseits von freiwilligen Spenden via flattr und Ähnlichem?

Die Musikfirmen haben verschlafen, internetgeeignete Geschäftsmodelle zu entwickeln. Erst durch das Aufkommen von iTunes wurden sie wachgerüttelt und bieten jetzt legale kostenpflichtige Downloads auch über andere Kanäle an. Das ist ein Beispiel für funktionierende Bezahlmöglichkeiten. Es ist aber nicht die Aufgabe der Politik, Geschäftsmodelle zu entwickeln.

 

* Der Kegelklub ist eine informelle Gruppe, die in verschiedenen Zusammensetzungen rund um den Themenkomplex „Geschlechterpolitik in der Piratenpartei“ aktiv ist.

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at