Beyond Price

Judith Butler hat den Adorno-Preis mehr als verdient

 

2006 hat die Philosophin Judith Butler bei einer Diskussionsveranstaltung Hamas und Hisbollah als „progressiv“ und als „Teil der globalen Linken“ bezeichnet. Diese Aussage ist kritikwürdig, ohne Frage.

Doch schon damals hat Butler präzisiert, keineswegs mit den beiden Bewegungen zu sympathisieren und sich stets für gewaltfreie Politik einzusetzen. „Ich habe weder Hamas noch Hisbollah jemals unterstützt“, stellt sie nun auch in Erwiderung auf die heftigen Anschuldigungen klar, die es als Reaktion auf ihre Auszeichnung mit dem Adorno-Preis gab. Denn der Jüdin wird Antisemitismus und Israel-Hass vorgeworfen, auch wegen ihres Engagements bei einer pro-palästinensischen Boykott-Kampagne. Butler erklärte hierzu, sie lehne zwar tatsächlich „Vorträge an israelischen Institutionen ab, die sich nicht eindeutig gegen die Besetzung aussprechen“, sei deswegen aber keineswegs mit sämtlichen Zielsetzungen der Kampagne einverstanden. Es ist natürlich legitim, stattdessen vor jedweder Form eines Boykotts jüdischer Einrichtungen zu warnen, und Butlers Position deshalb trotz ihrer Klarstellungen zu kritisieren. Definitiv nicht legitim ist es jedoch, dies in der vollkommen unverhältnismäßigen und diffamierenden Weise zu tun, in der dies im Vorfeld der Preisverleihung geschehen ist. „Israel-Hasserin“ wurde Butler etwa von Stephan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, genannt. Als „Vollidiotin“ wurde sie vom Soziologen Detlev Claussen bezeichnet. Weniger ausfällig, dafür besonders aberwitzig in der Argumentation war auch ein Artikel in der Wochenzeitung „Jungle World“. Da für Judith Butler und die ganze dekonstruktivistische Queer-Theorie „die Idee der Emanzipation ja überhaupt obsolet“ geworden sei, wäre „es nur konsequent, in Israel als der staatgewordenen Emanzi- pation der Juden den Hauptfeind zu entdecken“. Während dieser These bei aller Absurdität zumindest eine gewisse Originalität nicht abgesprochen werden kann, zeichnen sich die Ausführungen von Alex Gruber und Tjark Kunstreich ansonsten vor allem durch eine langatmige Wiederholung altbekannter Anwürfe aus: Butler lasse reale menschliche Leiderfahrungen zu bloßen Signifikanten werden und den Leib samt jeder Materialität zum fleischlosen Produkt diskursiver Praxis.

Dass in solchen Debattenbeiträgen die antideutsche Abwehr jeder Form von Israel-Kritik als Analyse von Antisemitismus verkauft wird, ist so bekannt wie ärgerlich. Mindestens genauso verärgert sollte man aber darüber sein, dass dabei nebenbei nun auch ungeniert auf Judith Butler als feministische Theoretikerin eingedroschen wird. Man muss im Gegenzug vielleicht nicht allen kritischen Stimmen sofort Antifeminismus unterstellen, sollte aber zumindest darauf aufmerksam machen, mit welcher Brachialgewalt dem Antisemitismus- Vorwurf gleich auch die Diskreditierung von Butlers Lebensleistung hinterher geschossen wird. Und so ist es nur folgerichtig, dass sich auf der Protestdemo vor der Frankfurter Paulskirche zur Preisverleihung unter die Israel-Fahnen auch Schilder gemischt haben, auf denen Slogans wie „Zwangsneurose: Akute Genderitis“ zu lesen waren. Einen Angriff auf ihre akademische Integrität stellt auch der zitierte Vorwurf dar, Butler habe sich mit ihrer Theorie von jedem Emanzipationsstreben verabschiedet. Wie fraglos auch in Claussens Pamphlet, in dem Butler neben Idiotie auch „selbstreferenzieller Akademismus“, den „kaum einer versteht, der nicht in ihren Spezialsprachen geschult ist“, attestiert wird. Eine solch gewaltige Verkennung der sowohl theoretischen Zielsetzungen wie auch des konkreten Einflusses von Butlers Werk kann nur als absichtsvolle Böswilligkeit interpretiert werden.

Butler war, das lässt sich ohne jede Übertreibung sagen, die zentrale Impulsgeberin der weltweit wichtigsten sozialen Bewegung der letzten Jahrzehnte: des Feminismus. Und immer geht es in ihrem Werk letztendlich um Emanzipation. Es gibt in diesem Zeitraum keinen „Akademismus“, der trotz „Spezialsprache“ emanzipatorisch so fruchtbar gemacht werden konnte wie die Ideen von Judith Butler: Queer-feministischer Aktivismus ist ohne „Gender Trouble“ nicht denkbar. Denn erfreulicherweise muss man als junge Feministin das Wort „Intelligibilität“ nicht gleich flüssig aussprechen können, um mit „Genderfuck“-Button am Kragen auf Ladyfeste zu gehen. Man muss nicht alle Austin- oder Lacan-Bezüge Butlers verstehen, um sich Vokabel wie „Heteronormativität“ und „Genderperformativität“ anzueignen und so gerüstet männerdominierte Uni-Diskussionen aufzumischen.

Butlers Bücher waren für mein eigenes Leben und meine Politisierung ungeheuer wichtig. So wie für unzählige andere Feministinnen meiner Generation auch. Wir alle gratulieren ihr zum Adorno-Preis. With love.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at